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1.
Zu den Voraussetzungen der Annahme einer Spruchreife bei begehrter Verlegung in den offenen Vollzug.
2.
Die Gefahr der Begehung von Straftaten nur mittleren oder geringeren Gewichts (hier evtl. Betrugstaten), die einer Aussetzung einer wegen Mordes verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a StGB nicht entgegenstünden, ist im Rahmen der Entscheidung über die Verlegung eines zu lebenslanger Haft Verurteilten in den offenen Vollzug speziell in der Phase einer (möglichen) Entlassung (wegen bevorstehenden Ablaufs der Mindestverbüßungsdauer) im Einklang mit den im Rahmen einer Entscheidung nach § 57a StGB geltenden Maßstäben in Kauf zu nehmen und kann dem Gefangenen nicht als Versagungsgrund für seine Verlegung in den offenen Vollzug entgegen gehalten werden.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit die Justizvollzugsanstalt A angewiesen worden ist, den Antrag des Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer erneut zu bescheiden.
Die Justizvollzugsanstalt A wird verpflichtet, den Betroffenen in eine Anstalt des offenen Vollzuges zu verlegen.
Die Kosten des Verfahrens 22 StVK 306/21 LG Krefeld und des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last (§ 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO entsprechend).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gegenstandslos.
Gründe:
2I.
3Der inzwischen 50-jährige Betroffene verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes, deren Mindestverbüßungsdauer von 15 Jahren auf den 31. August 2022 notiert ist. Bis zur Begehung der Anlasstat führte er im Wesentlichen ein prosoziales Dasein. Der Bundeszentralregisterauszug weist neben der Anlasstat eine Eintragung wegen Betruges in zwei Fällen aus dem Jahr 2003 auf. Das nach den Feststellungen des Schwurgerichts aus Habgier sowie zur Verdeckung und Ermöglichung einer anderen (Vermögens-)Straftat begangene Delikt aus der Anlassverurteilung war im besonderen Maß davon geprägt, dass der Betroffene sich über lange Zeit das Vertrauen seines späteren Tatopfers erschlichen und im Zuge der von ihm befürchteten Aufdeckung seines betrügerischen Verhaltens eine konflikthafte Zuspitzung der Situation eingetreten war.
4Aus der Vollzugsgeschichte des Betroffenen ist bekannt, dass er am 28. April 2015 aus der JVA B entwichen war und erst zwei Tage später wieder festgenommen werden konnte, weshalb er sich anschließend zunächst in der JVA C in einem verstärkt gesicherten Haftbereich befand. Seit dem 26. Januar 2017 befindet er sich in der JVA A (im Folgenden: Antragsgegnerin). Mit Ausnahme eines (von der JVA C mangels Impulskontrollproblem als kontraindiziert angesehenen) Anti-Gewalt-Trainings hat der Betroffene in der Vergangenheit an keinem Behandlungsangebot der Vollzugsanstalten teilgenommen. Seit Januar 2022 ist er allerdings an einen externen Psychotherapeuten angebunden.
5Der Betroffene begehrt seit Längerem seine Verlegung in den offenen Vollzug zum Zwecke der Teilnahme an einer beruflichen Bildungsmaßnahme (Ausbildung zum „(…)“ ). Eine ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin vom 17. Dezember 2020 hob der Senat mit Beschluss vom 21. Juli 2021 (III-1 Vollz(Ws) 239/21) als ermessensfehlerhaft auf. Bemängelt wurde insbesondere, dass die Vollzugsanstalt eine fehlende Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug unter anderem mit seinem (vermeintlich) „verbal-aggressiven Beschwerdeverhalten“ bzw. seinen im Haftverlauf zu Tage getretenen „narzisstisch-selbsterhöhenden, rechthaberischen und querulatorischen Tendenzen“ begründet hatte, ohne in die Beurteilung einzubeziehen, in welchem jeweiligen Kontext entsprechende Äußerungen erfolgt waren und ob ein darin zum Ausdruck kommender Unmut bzw. Ärger gegebenenfalls auch berechtigt erscheinen könnte. Insoweit merkte der Senat an, dass zumindest die bisher seitens des Betroffenen angebrachten Rechtsbeschwerden überwiegend erfolgreich waren, was sich für einen vermeintlichen „Querulanten“ als eine eher ungewöhnliche Erfolgsquote darstelle. Überdies waren die Ausführungen zum etwaigen Bestehen einer positiv festzustellenden Flucht- und oder Missbrauchsgefahr nicht hinreichend, um eine Ablehnung der begehrten Verlegung in den offenen Vollzug zu rechtfertigen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Senatsbeschluss vom 21. Juli 2021 Bezug genommen.
6Der mit der Aufhebung der ablehnenden Entscheidung vom 17. Dezember 2020 durch den Senat ausgesprochenen Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Neubescheidung kam diese mit Entschließung vom 18. November 2021 nach, mit der sie die Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug abermals für nicht vertretbar erachtete, da dieser mangels Bereitschaft, sich in ein bestehendes System einzuordnen sowie aufgrund fehlender Behandlungseinsicht und Mitarbeitsbereitschaft den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges nicht entspreche, die Fluchtgefahr als hoch angesehen werde und eine Missbrauchsgefahr ebenfalls gegeben sei.
7Gegen diese Entscheidung richtet sich der (hier gegenständliche) Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung vom 29. November 2021 (privatschriftlich) bzw. 20. Januar 2022 (anwaltlich), mit dem er die Aufhebung der Ablehnung sowie die Verpflichtung der Antragsgegnerin begehrt, ihn in eine Vollzugsanstalt des offenen Vollzuges zu verlegen, um ihm die Absolvierung einer Ausbildungsmaßnahme zum „(…)“ zu ermöglichen.
8Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld die Progressionsentscheidung vom 18. November 2021 aufgehoben und die Antragsgegnerin zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsaufassung der Kammer verpflichtet. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die Entschließung sei beurteilungsfehlerhaft, da sich die Vollzugsanstalt nicht hinreichend mit dem Gutachten des Sachverständigen D vom 16. Juni 2021 und den Erkenntnissen aus einem Anhörungstermin am 24. September 2021 unter Beteiligung des Sachverständigen und der Vollzugsanstalt auseinandergesetzt habe. Das erwähnte Gutachten hatte die Strafvollstreckungskammer in einem anderen von dem Betroffenen eingeleiteten (und zu seinen Gunsten entschiedenen) Verfahren betreffend die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Begleitausgängen eingeholt (22 StVK 119/20, LG Krefeld = III-1 Vollz(Ws) 576/21, OLG Hamm). Der Sachverständige war im Rahmen seiner Begutachtung zu der Einschätzung gelangt, dass das Risiko einer Entweichung bei der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen auch unter Berücksichtigung der für die Risikoeinschätzung besonders bedeutsamen Flucht des Betroffenen im Jahr 2015 als sehr gering zu erachten und die Begehung von Straftaten bei einer Gewährung von Begleitausgängen aufgrund des intakten Hemmungsvermögens des Betroffenen sowie fehlender abnormer oder krankhafter Einflussgrößen nicht zu erwarten sei. Bei weiteren vollzugsöffnenden Schritten wie beispielsweise der Verlegung in den offenen Vollzug sei ein relativ geringes Risiko für Betrugshandlungen zu benennen. Das Risiko einer rezidivierenden Tötungshandlung sei insgesamt extrem gering. Im Übrigen sah sich der Sachverständige zu dem Hinweis veranlasst, dass „aufgrund des bisher überschaubaren Haftverhaltens des Gefangenen und seiner habituellen Persönlichkeitsvoraussetzungen keinesfalls auf das Vorliegen von persönlichkeitsbedingten Einschränkungen seiner Kooperationsbereitschaft bei der Umsetzung vollzugsöffnender Maßnahmen geschlossen werden kann.“
9Zu der Frage einer Spruchreife hinsichtlich der Entscheidung über die Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug hat die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt, dass diese auch unter Berücksichtigung des herannahenden Erreichens der Mindestverbüßungsdauer i.S.v. § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht gegeben sei. Insbesondere könne der Betroffene nicht für sich beanspruchen, dass die Erkenntnisse aus dem Gutachten des Sachverständigen D die alleinige Entscheidungsgrundlage der Antragsgegnerin bilden würden und es sei auch nicht erkennbar, dass diese bei der Neubescheidung die Entscheidung des Senats vom 21. Juli 2021 willkürlich missachtet habe. Die Antragsgegnerin habe die aus ihrer Sicht bestehende Flucht- und Missbrauchsgefahr nunmehr positiv festgestellt. Im Übrigen könne eine Missachtung gerichtlich geäußerter Rechtsaufassungen für sich allein nicht die Annahme einer Ermessenreduzierung auf Null rechtfertigen.
10Mit seiner mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundenen Rechtsbeschwerde wendet sich der Betroffene gegen den vorgenannten Beschluss der Strafvollstreckungskammer, soweit diese das Vorliegen einer Spruchreife abgelehnt und die Antragsgegnerin „lediglich“ zur Neubescheidung verpflichtet hat. Er verfolgt sein Begehren auf Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihn in den offenen Vollzug zu verlegen weiter.
11Das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen hält die Rechtsbeschwerde mangels Vorliegen eines Zulassungsgrundes für unzulässig.
12II.
13Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, weil der vorliegende Fall im Hinblick auf den Versagungsgrund der Missbrauchsgefahr i.S.v. § 12 Abs. 1 S. 2 StVollzG NRW die Rechtsfrage aufwirft, ob bei ansonsten eher günstiger Prognose allein die Gefahr der Begehung von Straftaten bloß mittleren oder geringeren Gewichts der Verlegung eines zu lebenslanger Haft Verurteilten in den offenen Vollzug auch in zeitlicher Nähe zum Erreichen der Mindestverbüßungsdauer noch entgegensteht. Eine Rechtsprechung des in Nordrhein-Westfalen für die Entscheidung von Rechtsbeschwerden in Strafvollzugssachen landesweit zuständigen Senats zu dieser Frage liegt bisher nicht vor.
14III.
15Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Annahme der Strafvollstreckungskammer ist im Hinblick auf die Frage, ob eine Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug i.S.v. § 12 Abs. 1 S. 2 StVollzG verantwortet werden kann, Spruchreife eingetreten, weshalb die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Verlegung des Betroffenen in eine Anstalt des offenen Vollzuges auszusprechen war.
16Im Ansatz zutreffend ist die Strafvollstreckungskammer allerdings davon ausgegangen, dass nach der gefestigten Senatsrechtsprechung der Umstand, dass die Vollzugsbehörde – wie zweifellos hier – die vom Gericht im Zusammenhang mit einer Verpflichtung zur Neubescheidung geäußerte Rechtsauffassung in ihrer neu zu treffenden Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt hat, für sich allein nicht die Annahme rechtfertigt, dass nunmehr gewissermaßen als "Sanktion" für dieses beanstandete Verhalten hinsichtlich der zu treffenden Entscheidung eine Reduzierung des Ermessens der Vollzugsbehörde auf Null eintritt. Eine eigenständige Entscheidung der Strafvollstreckungskammer (§ 115 Abs. 4 S. 1 StVollzG) bzw. des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG) kommt vielmehr nur dann in Betracht gekommen, wenn tatsächlich Spruchreife hinsichtlich der zu treffenden Entscheidung vorliegt (vgl. Senatsbeschluss vom 12. März 2015 – III-1 Vollz (Ws) 9/15 –, Rn. 13, juris, m.w.N.).
17Rechtsfehlerhaft erweist sich der angefochtene Beschluss indes insoweit, als die Strafvollstreckungskammer angenommen hat, die Antragsgegnerin könne einen Versagungsgrund i.S.v. § 12 Abs. 1 S. 2 StVollzG NRW in der Person des Betroffenen im Rahmen einer Neubescheidung noch beurteilungsfehlerfrei feststellen. Tatsächlich ist hinsichtlich der zu treffenden Entscheidung über die Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug Spruchreife eingetreten. Denn die Antragsgegnerin kann auf der Grundlage des dem Senat aus diesem sowie aus den weiteren von dem Betroffenen im Zusammenhang mit der Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen geführten Rechtsbeschwerdeverfahren hinlänglich bekannten und zudem als hinreichend ausermittelt zu bewertenden Sachverhalt eine fehlende Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug nicht vertretbar begründen. Dies ergibt sich aus folgendem:
181.
19Den Gründen des angefochtenen Beschlusses sowie der Konferenzniederschrift der Antragsgegnerin vom 18. November 2021, die der Antragsschrift des Betroffenen vom 29. November 2021 als Anlage beigefügt war und dem Senat daher als Erkenntnisquelle zugänglich ist, ist zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin den Versagungsgrund der Fluchtgefahr bejaht hat.
20Ungeachtet der Tatsache, dass sich die vom Senat mit Beschluss vom 21. Juli 2021 im Hinblick auf das Erfordernis der positiven Feststellung einer Fluchtgefahr bemängelte Formulierung „In Verbindung mit seiner unaufgearbeiteten Selbstwahrnehmungsstörung, dem manipulativen Verhalten und der ausgeprägten schauspielerischen Kompetenz scheint es im Bereich des Möglichen zu liegen, dass Herr E bei einer Verlegung in den offenen Vollzug, sich eben diesem entziehen könnte“ in der Niederschrift nahezu wortgleich wiederfindet - nunmehr heißt es: „(…) liegt es im Bereich des Möglichen, dass Herr E bei einer Verlegung in den offenen Vollzug, sich eben diesem entziehen könnte“ - und diese Formulierung abermals in offenem Widerspruch zu der am Ende der Entschließung zusammenfassend erfolgten Beurteilung „Eine Fluchtgefahr wird als hoch angesehen“ steht, sind tragfähige Gründe für die positive Feststellung einer Fluchtgefahr nicht gegeben.
21Das von der Antragsgegnerin letztlich als tragend angesehene und (derzeit) auch als einzig tragfähig in Betracht kommende Argument, der Betroffene sei bereits einmal aus dem geschlossenen Vollzug geflohen und sehe seine Flucht auch weiterhin als moralisch gerechtfertigt an, gründet auf einem überholten Sachverhalt. Zwar stellt die Flucht im Jahr 2015 einen für die Risikobewertung maßgeblichen Umstand dar. Allerdings liegt diese - worauf der Senat bereits wiederholt hingewiesen hat (vgl. Beschlüsse vom 21. Juli 2021 zu III-1 Vollz(Ws) 207+239/21 und vom 16. Dezember 2021 zu III-1 Vollz(Ws) 576/21) - inzwischen mehr als sieben Jahre zurück und der bevorstehende Ablauf der Mindestverbüßungsdauer mit der daraus resultierenden Möglichkeit einer bedingten Entlassung im Falle einer positiven Prognose stellt einen den Fluchtanreiz deutlich mindernden Umstand dar. Sofern die Antragsgegnerin zudem darauf abstellt, der Betroffene legitimiere „weiterhin seine Flucht aus der JVA B aus dem Jahr 2015 damit, dass ihm zu Unrecht eine Ausführung nicht genehmigt wurde und es sein gutes Rechts gewesen sei, aus dem umwehrten Bereich zu flüchten“, weshalb „eine Nachreifung der Einstellung zu seiner Flucht (…) trotz der zwischenzeitlich vergangenen Haftzeit nicht festgestellt werden“ könne, beruht diese Einschätzung auf länger zurückliegenden Äußerungen des Betroffenen, die sich unter Berücksichtigung seiner zeitlich späteren Äußerungen gegenüber dem Sachverständigen D als nicht mehr belastbar erweisen. Gegenüber dem Sachverständigen hat der Betroffene im Rahmen der Exploration angegeben, sein Fluchtverhalten sei „falsch, dumm und selbstschädigend“ gewesen. Der Sachverständige hat diese Äußerungen als authentisch bewertet und insofern eine innere Einstellungswende des Betroffenen konstatiert (Seiten 9+13 der Beschlussgründe). Nach der Gutachtenerstellung hat es keine Gespräche der Antragsgegnerin mit dem Betroffenen mehr gegeben, deren Inhalt eine andere Einschätzung rechtfertigen könnte. Vielmehr hat der Betroffene ausweislich der Konferenzniederschrift vom 18. November 2021 und dem in den Gründen des angefochtenen Beschlusses wiedergegebenen Vorbringen der Antragsgegnerin eine Zusammenarbeit mit dem psychologischen Dienst und den übrigen Fachdiensten (spätestens) seit der ablehnenden Progressionsentscheidung vom 17. Dezember 2020 abgelehnt, mithin weitere Gespräche verweigert.
222.
23Ferner sieht die Antragsgegnerin eine Missbrauchsgefahr als gegeben. Diese Beurteilung gründet sie maßgeblich darauf, der Betroffene zeige keine Veränderung seiner deliktrelevanten Persönlichkeitseigenschaften und halte auch weiterhin innere Abwehrmechanismen (Rationalisierung, Leugnung, Schuldverschiebung und - minimierung) aufrecht. Eine Entwicklung im Vollzug sei aufgrund seiner fehlenden Behandlungseinsicht bisher nicht eingetreten. „Die Grundproblematik des Über-Ich-Defektes und der narzisstischen Persönlichkeitsanteile, der Bagatellisierung und Rationalisierung der Anlasstat sowie der betrügerischen Persönlichkeitsanteile“ liege weiterhin unbearbeitet vor. Selbst sein über Jahre stabiles disziplinarfreies Verhalten (seit 2013) habe mit einem Handyfund am 15. Februar 2021 ein jähes Ende gefunden. Auch die Einleitung zweier Strafverfahren (wegen übler Nachrede - insoweit inzwischen nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt - und Urkundenfälschung) während der Haft zeige, dass der Betroffene den besonderen Anforderungen des offenen Vollzuges nicht gewachsen sei.
24Ungeachtet der Tatsache, dass die Ausführungen der Antragsgegnerin die vom Senat mit Beschluss vom 21. Juli 2021 angemahnte Angabe, welche Art von Delikten im Fall der Verlegung in den offenen Vollzug gegebenenfalls zu besorgen sein könnte, abermals vermissen lassen - in einem Klammerzusatz werden ohne nähere Erläuterung lediglich schlagwortartig „weitere Gewaltdelikte, Betrugsdelikte“ erwähnt - rechtfertigen die Erwägungen der Antragsgegnerin die Versagung einer Verlegung in den offenen Vollzugs wegen Missbrauchsgefahr nicht und der Senat sieht auf Grundlage des hinreichend ausermittelten Sachverhalts auch keine Möglichkeit der „Nachbesserung“.
25Zunächst ist zu konstatieren, dass für die Annahme, der Betroffene könnte die besonderen Verhältnisse des offenen Vollzuges für die Begehung weiterer Gewaltdelikte missbrauchen, keine tragfähigen Anhaltspunkte bestehen. Sowohl nach der aus der Konferenzniederschrift vom 18. November 2021 hervorgehenden Einschätzung der Antragsgegnerin als auch nach den Ausführungen des Sachverständigen D besteht bei dem Betroffenen kein Impulskontrollproblem und war die der Anlassverurteilung zugrunde liegende Tötung rein instrumenteller Natur. Der Sachverständige hat daher die Rückfallgefahr in Bezug auf Gewaltdelikte als extrem niedrig (unterhalb der statistischen Rezidivrate von 3%) bezeichnet. Weder vor der Anlasstat noch nachfolgend im Vollzug ist der Betroffene durch aggressives oder gewalttätiges Verhalten auffällig geworden und das Anlassdelikt war im besonderen Maß davon geprägt, dass der Betroffene sich über lange Zeit das Vertrauen seines späteren Tatopfers erschlichen hatte und im Zuge der von ihm befürchteten Aufdeckung seines betrügerischen Verhaltens eine konflikthafte Zuspitzung der Situation eingetreten war. Dass sich eine solche Konstellation unter den schließlich auch korsettierenden Bedingungen des offenen Vollzuges wiederholen könnte, ist nicht erkennbar und vermochte die Antragsgegnerin trotz Anmahnung durch den Senat (Beschluss vom 21. Juli 2021) auch nicht darzutun.
26Somit gründet sich die Annahme einer Missbrauchsgefahr durch die Antragsgegnerin im Wesentlichen auf das von ihr angenommene Risiko der Begehung von Betrugsdelikten durch den Betroffenen im offenen Vollzug. Es mag dahinstehen, ob die Antragsgegnerin insofern eine Missbrauchsgefahr überhaupt positiv festgestellt hat, wogegen spricht, dass sie ihre Annahme im Wesentlichen mit der fehlenden Bearbeitung der deliktrelevanten Persönlichkeitseigenschaften des Betroffenen begründet hat. Nach ständiger Senatsrechtsprechung genügt indes eine fehlende Mitarbeit an der Behandlung für sich allein zur positiven Feststellung der Missbrauchsgefahr grundsätzlich ebenso wenig aus, wie das Fehlen einer positiven Sozialprognose (vgl. Senatsbeschlüsse vom 16. Juli 2015 - III-1 Vollz(Ws) 247/15 -, 03. Mai 2016 - III-1 Vollz (Ws) 130/16 -, Rn. 13, juris und 24. Januar 2017 - III-1 Vollz (Ws) 538/16 -, Rn. 18, juris, m.w.N.). Jedenfalls ist hier aber zu berücksichtigen, dass allenfalls eine geringe Gefahr für die Begehung von Betrugsdelikten im offenen Vollzug besteht. Der Sachverständige D, der dem Betroffenen in Übereinstimmung mit der Antragsgegnerin betrügerische Verhaltensformen und auf dieser Grundlage eine (leichtgradige) Akzentuierung im Sinne dissozialer Persönlichkeitszüge bescheinigt hat, hat die Frage, ob im Falle einer Verlegung in den offenen Vollzug eine Gefahr für Straftaten angenommen werden könne, dahingehend beantwortet, dass ein relativ geringes Risikopotential für Betrugshandlungen zu benennen sei. Die Antragsgegnerin schätzt das Risikopotential für Betrugsdelikte demgegenüber zwar als „hoch“ ein, was dem Senat aus dem Verfahren III-1 Vollz(Ws) 576/21 (Gewährung von Begleitausgängen) bekannt ist. Angesichts des auch nach Darstellung der Antragsgegnerin im Wesentlichen prosozialen Lebens des Betroffenen vor der Anlasstat und seines seit der Verlegung in die JVA A weitgehend unauffälligen Vollzugsverhaltens erscheint diese Risikobewertung indes nicht plausibel, zumal hier abermals auf die schließlich auch korsettierenden Bedingungen des offenen Vollzuges hinzuweisen ist. Diese geringe Gefahr der Begehung von Betrugshandlungen durch den Betroffenen steht einer Verlegung in den offenen Vollzug hier unter weiterer Berücksichtigung des bevorstehenden Ablaufs der Mindestverbüßungsdauer, der – wie ausgeführt – eher günstigen Prognose im Hinblick auf die Gefahr einer Begehung von Gewaltdelikten und der vor Aussetzung des Strafrestes einer lebenslangen Freiheitsstrafe regelmäßig gebotenen Erprobung in vollzugsöffnenden Maßnahmen nicht entgegen. Anderenfalls entstünde eine Situation, in der einem zu lebenslanger Haft Verurteilten im Rahmen der nach § 57a StGB zu treffenden Entscheidung von der Strafvollstreckungskammer (allein) seine fehlende Erprobung in Vollzugslockerungen entgegen gehalten werden könnte und ihm zugleich von der Vollzugsbehörde die gebotene Erprobung in Vollzugslockerungen wegen der Gefahr der Begehung von Straftaten nur mittleren oder geringeren Gewichts zu Recht versagt werden könnte. Im Ergebnis würde der zu lebenslanger Haft Verurteilte aufgrund des Risikos einer Begehung von Straftaten, die einer Aussetzung der wegen Mordes verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe nach § 57a StGB nicht entgegenstehen (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 22. Dezember 1998 – Ws 829/98 –, Rn. 27, juris; Leipziger Kommentar, StGB, 13. Aufl., § 57a Rn. 22, m.w.N.), weiter in Haft verbleiben. Um dies zu vermeiden, sind im Rahmen der Entscheidung über die Verlegung eines zu lebenslanger Haft Verurteilten in den offenen Vollzug speziell in der Phase einer (möglichen) Entlassung im Einklang mit den im Rahmen einer Entscheidung nach § 57a StGB geltenden Maßstäben gewisse Missbrauchsrisiken in Kauf zu nehmen und kann dem Betroffenen vorliegend die Gefahr der Begehung von Betrugstaten im offenen Vollzug nicht als Versagungsgrund für seine Verlegung in den offenen Vollzug entgegen gehalten werden.
27Der Senat hat in diesem Zusammenhang nicht verkannt, dass auch der Sachverständige D mit Blick auf eine mögliche Verlegung des Betroffenen in den offenen Vollzug den Standpunkt vertreten hat, dass es zuvor einer psychologische Aufarbeitung der Anlasstat und ihrer Genese bedürfe. Dies gründe „auf einem persönlichkeitsspezifischen Faktor des Betroffenen, dessen Abklärung und Bearbeitung im Zuge der insgesamten Tataufarbeitung zu erfolgen“ habe. Zugleich hat er aber – wie ausgeführt – das Risikopotential für Betrugshandlungen im Falle einer Verlegung in den offenen Vollzug auch ohne stattgehabte Tataufarbeitung als relativ gering bezeichnet. Insofern ist nicht ersichtlich, dass die psychologische Aufarbeitung der Anlasstat und ihrer Genese einen prognoserelevanten Umstand für die Beurteilung der Missbrauchsgefahr darstellt, weshalb es auch keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf den Verlauf der inzwischen (seit Januar 2022) stattfindenden externen Psychotherapie bedurfte.
283.
29Schließlich hat die Antragsgegnerin auch die über die bloße Abwesenheit einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr hinausgehende Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug im Sinne besonderer persönlicher Eigenschaften und Fähigkeiten als nicht gegeben angesehen. Begründet hat sie dies im Wesentlichen mit einer fehlenden Bereitschaft des Betroffenen, sich in ein bestehendes System einzuordnen sowie einer fehlenden Behandlungseinsicht und Bereitschaft zur uneingeschränkten Mitarbeit.
30Nachdem der Senat in seinem Beschluss vom 21. Juli 2021 bemängelt hat, dass die Antragsgegnerin in ihrer Entschließung vom 17. Dezember 2020 eine mangelnde Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug auch unter Berücksichtigung seines Beschwerdeverhaltens bzw. seiner „rechthaberischen und querulatorische Tendenzen“ begründet hat, ohne sich mit dem jeweiligen Kontext des Beschwerdeverhaltens und der eventuellen Berechtigung eines etwaigen Unmutes auseinanderzusetzen, gründet die Antragsgegnerin ihre Beurteilung nunmehr im Kern darauf, dass der Betroffene die Mitarbeit zur Indikation einer externen Psychotherapie durch den Anstaltspsychologen verweigere. In der Konferenzniederschrift vom 18. November 2021 führt sie aus, der Betroffene nutze die übereinstimmend für erforderlich erachtete externe Psychotherapie für Machtspiele. In der fehlenden Zusammenarbeit mit dem Anstaltspsychologen sieht sie einen Beleg dafür, dass der Betroffene den Antrag für eine externe Therapie nur aus Gründen seiner (nicht weiter begründeten) „narzisstischen Persönlichkeitsanteile“ beschritten habe und nicht aus Gründen eines entwickelten Behandlungsbedürfnisses. Der Betroffene instrumentalisiere die Teilnahme an einer externen Therapie lediglich um eine Verlegung in den offenen Vollzug zu erwirken. Letztlich begründet die Antragsgegnerin die fehlende persönliche Eignung des Betroffenen somit - wie schon in der Progressionsentscheidung vom 17. Dezember 2020 - mit seinem auffälligen und hartnäckigen sowie querulatorischen Verhalten und setzt sich abermals nicht damit auseinander, dass es für dieses Verhalten in der Vergangenheit nicht selten auch berechtigte Anlässe gegeben hat. Angesichts der senatsbekannten Erfolgsquote des Betroffenen in gerichtlichen Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG teilt der Senat die Einschätzung des Sachverständigen D, dass sich zwischen dem Betroffenen und der Antragsgegnerin „eine aversive Haltung etabliert hat, welche die Entstehung einer therapeutisch vertrauensvollen Kooperation als unrealistisch erscheinen lässt“. Insofern erscheint die Weigerungshaltung des Betroffenen durchaus nachvollziehbar, der von der Antragsgegnerin hieraus gezogene Rückschluss auf seine fehlende Eignung für den offenen Vollzug hingegen nicht, zumal ohnehin nicht recht verständlich ist, aus welchem Grund eine Indikation durch den Anstaltspsychologen für notwendig erachtet wird, wenn doch der externe Psychotherapeut im Rahmen der probatorischen Sitzungen eigenständig über die Frage eines möglichen Behandlungserfolges entscheidet.
31Auch die Ausführungen unter Position 1 b) der Konferenzniederschrift („Willen, sich in ein System einordnen zu lassen, dass auch auf Selbstdisziplin und dem Verantwortungsbewusstsein des Gefangenen beruht“) stellen sich im Hinblick auf eine mangelnde Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug (abermals) als nicht nachvollziehbar dar. Nachdem die Progressionsentscheidung vom 17. Dezember 2020 die (vom Senat bemängelte) schlichte Feststellung enthielt, der Betroffene sei im Haftverlauf durch „narzisstisch-selbsterhöhende Tendenzen“ aufgefallen, und es sei feststellbar, dass er „durch seinen manifestierten Über-Ich-Defekt mit ablehnenden Entscheidungen schwer umgehen“ könne, wird nun ausgeführt, der Betroffene sei im Haftverlauf durch (nicht weiter begründete) „narzisstisch-selbsterhöhende Tendenzen“ aufgefallen, eine Störungseinsicht sei nicht erkennbar und „hierdurch“ könne der Betroffene „mit ablehnenden Entscheidungen schwer umgehen“ und fühle sich gekränkt und reagiere mit manipulativem Verhalten. Nachdem diese Ausführungen abermals jede Auseinandersetzung damit vermissen lassen, dass in der Vergangenheit seitens des Betroffenen zumindest teilweise auch zu Recht Entscheidungen der Vollzugsanstalt beanstandet worden sind, geht der Senat nunmehr davon aus, dass der Antragsgegnerin eine tragfähige Begründung ihrer Annahme, der Betroffene sei nicht bereit, sich in ein bestehendes System einzuordnen, schlicht nicht möglich ist.
32Der Senat hat nicht mehr die Erwartung, dass eine Neubescheidung durch die Antragsgegnerin zu weiteren Erkenntnissen führen könnte, mit denen sich eine mangelnde Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug noch vertretbar begründen ließe, zumal auch der Sachverständige D sich den Hinweis erlaubt hat, dass sich aus dem Vollzugsverhalten des Betroffenen und seinen Persönlichkeitsvoraussetzungen nicht auf eine mangelnde Kooperationsbereitschaft bei der Umsetzung vollzugsöffnender Maßnahmen schließen lasse.
33III.
34Angesichts der danach gegebenen Spruchreife hat der Senat anstelle der Strafvollstreckungskammer entschieden (§ 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG) und die Verpflichtung der Antragsgegnerin ausgesprochen, den Betroffenen in eine Anstalt des offenen Vollzuges zu verlegen.