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Der Bescheid der Beklagten vom 07.10.2021 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Führung der Bezeichnung „Fachanwältin für Familienrecht“ zu gestatten.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert wird auf 12.500,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt die Erlaubnis, die Bezeichnung „Fachanwältin für Familienrecht“ führen zu dürfen.
3Die erforderlichen theoretischen Kenntnisse wies die Klägerin durch die erfolgreiche Teilnahme an einem Lehrgang „Fachanwalt für Familienrecht“ der A Law School in der Zeit vom 18.05.2019 bis zum 17.11.2019 nach.
4Am 20.04.2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erlaubnis, die Fachanwaltsbezeichnung führen zu dürfen. Sie legte der Beklagten im Laufe des Verwaltungsverfahrens drei Listen über bearbeitete Fälle aus dem Fachgebiet Familienrecht vor.
5Die Klägerin betreibt eine Kanzlei in B, die im Schwerpunkt „Online-Scheidungen“ durchführt. Die Klägerin beschäftigt hierzu einen weiteren Rechtsanwalt sowie zwei Büroangestellte. Die Kanzlei der Klägerin versendet online vorbereitete Scheidungsanträge mit Lücken an die Mandanten, die diese vervollständigen. Die Kanzlei der Klägerin erstellt hieraus Schriftsätze, die dann bei Familiengerichten in ganz Deutschland eingereicht werden. Eine schriftliche Korrespondenz mit der Mandantschaft erfolgt so gut wie nicht. Die Akten der Klägerin in Scheidungssachen enthalten regelmäßig die jeweiligen Scheidungsanträge, die Auskünfte der Versorgungsträger zum Versorgungsausgleich, das Sitzungsprotokoll und die Entscheidung des Familiengerichts. Die Termine werden zum Teil von Kollegen der Klägerin in Untervollmacht wahrgenommen. Beworben wurde die Kanzlei der Klägerin in der Vergangenheit durch eine von der Fa. C gestaltete Homepage. Bei der Fa. C handelt es sich um ein Franchise-Unternehmen, das nach Angaben der Klägerin für deren Kanzlei die Akquise betrieben hatte. Inzwischen ist die Zusammenarbeit der Klägerin mit C beendet, sie lässt die Kanzlei jetzt von der Fa. D bewerben.
6Die Beklagte führte mit der Klägerin am 21.10.2021 ein Fachgespräch, in dem die Klägerin u.a. ihre Arbeitsweise erläuterte.
7Mit Bescheid vom 07.10.2021 hat die Beklagte den Antrag der Klägerin abgelehnt. Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt, die Klägerin habe die besonderen praktischen Erfahrungen im Fachgebiet nicht nachgewiesen. Nachzuweisen seien 120 Fälle, wobei 60 Fälle gerichtliche Verfahren sein müssten, die innerhalb der letzten drei Jahre vor Antragstellung persönlich und weisungsfrei bearbeitet worden seien. Die Klägerin habe mehrere Falllisten eingereicht. Zu Gunsten der Klägerin sei anzunehmen, dass der Nachweiszeitraum mit Einreichung der neuen – 195 Fälle umfassenden - Liste im Januar 2021 beginne und bis Januar 2018 zurückreiche.
8Die Fälle 129, 132, 143, 137, 140, 143 bis 147, 151 und 184 fielen nicht mehr in den zu berücksichtigenden Zeitraum, da deren Bearbeitung vor Januar 2018 beendet gewesen sei. Ferner gebe eine große Anzahl von Fällen, die das Kriterium der persönlichen und eigenverantwortlichen Bearbeitung durch die Klägerin nicht erfüllten. Im Verwaltungsverfahren habe nicht festgestellt werden können, dass eine Beratung der Mandanten durch die Klägerin persönlich erfolge. Soweit die Klägerin eine ausschließliche telefonische Beratung der Mandanten behaupte, existierten darüber keine Aktenvermerke, die diesen Vorgang belegen würden. Sie, die Beklagte, habe nicht einmal die Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin die Scheidungsanträge selber fertige. Auch in dem Fachgespräch vom 21.10.2021 sei nicht deutlich geworden, welcher Beschäftigter aus der Kanzlei der Klägerin welche Büroabläufe übernehme. Aus diesem Grunde könnten ein großer Teil der in den Falllisten aufgeführten Fälle nicht berücksichtigt werden. Auch in den Fällen, in denen die Klägerin selbst Gerichtstermine wahrgenommen habe, habe nicht festgestellt werden können, dass sich die Klägerin mit familienrechtlichen Fragestellungen befasst habe, da es sich um einvernehmliche Scheidungen gehandelt habe. Im Fachgespräch hätte die Klägerin keine Erfahrungen im Familienrecht vermitteln können. Im Hinblick auf fachliche Fragen sei sie unsicher gewesen und habe falsche Antworten gegeben. Mit Blick auf die Verbindung zu der Fa. C bestehe die Vermutung, dass deren Tätigkeit weit über die Mandanten-Akquise hinausgehe und in die anwaltliche Bearbeitung der Fälle hineinreiche.
9Gegen diesen Bescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage.
10Sie macht geltend, entgegen dem angefochtenen Bescheid leite sie ihre Kanzlei selbständig. Sie führe zahlreiche Mandate im Familienrecht in eigener, weisungsfreier und haftungsrelevanter Form. In allen aufgeführten Fällen habe die sachliche Bearbeitung ausschließlich bei ihr gelegen, die Bearbeitung habe sie eigenhändig und eigenverantwortlich geleistet. Die von der Beklagten geäußerten Bedenken seien nach Wortlaut und Funktion der FAO nicht von Relevanz. Entgegen der Auffassung der Kammer erlaube die persönliche Bearbeitung die Betreuung von online-Scheidungen, Schriftverkehr sei hierzu nicht erforderlich. Eine elektronisierte und schematische Bearbeitung von Verfahren sei im digitalen Zeitalter zulässig und erwünscht.
11Die Beklagte habe die erste der übersandten Falllisten mit 125, teilweise sehr umfangreichen Fällen unbesehen zurückgewiesen, da diese im Termin von einem Kooperationsanwalt in Absprache mit der Klägerin zu Ende gebracht worden seien. Die Terminsvertreter seien allerdings ohne eigene Entscheidungskraft aufgetreten und ihren Weisungen gefolgt. Das Terminsprotokoll werde regelmäßig an sie übersandt, worauf ein Telefonat mit den Mandanten erfolge. Wegen der von der Beklagten geäußerten Bedenken habe sie eine weitere Liste mit 124 Fällen eingereicht, die sie nicht nur selbst bearbeitet, sondern auch vor Gericht vertreten habe. Aus dieser Liste habe sich die Beklagte Arbeitsproben vorlegen lassen und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass nicht alle Fälle mit 1,0, sondern lediglich mit 0,8 oder 0,5 bewertet werden könnten, so dass ihr letztendlich ca. 25 Fälle gefehlt hätten. Sie habe deshalb eine Liste mit weiteren 70 Fällen eingereicht, die sie selbst bearbeitet und vor Gericht vertreten habe. Selbst wenn diese Fälle nur mit 0,5 bewertet würden, sei das Fallquorum erreicht.
12Auf das Ergebnis des Fachgesprächs komme es nicht an, da dessen Anordnung rechtswidrig gewesen sei und deshalb keine negativen Folgen für sie daraus hergeleitet werden könnten.
13Sie beantragt,
14unter Aufhebung des Bescheids vom 07.10.2021 ihr die Führung der Bezeichnung „Fachanwältin für Familienrecht“ zu gestatten.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Die Beklagte verteidigt den angefochtenen Bescheid. Sie macht geltend, es könne nicht festgestellt werden, dass die Klägerin die in den Falllisten aufgeführten Fälle persönlich bearbeitet habe.
18Der Senat hat die mit der Verfügung vom 18.02.2022 bei der Klägerin angeforderten Arbeitsproben eingesehen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten zur Mitglieds-Nr.25624 Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die gem. §§ 68 Abs.1 S.2 VwGO, 110 Abs.1 JustG NRW ohne Vorverfahren zulässige Verpflichtungsklage ist begründet.
21Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen zur Führung der Bezeichnung „Fachanwältin für Familienrecht“.
22Die Erlaubnis, die Bezeichnung „Fachanwältin für Familienrecht“ zu führen, setzt nach §§ 43c Abs.1 BRAO, 2 Abs.1, 4, 5 Abs.1 lit.e, 12 FAO voraus, dass die Klägerin besondere theoretische Kenntnisse in den in § 12 FAO genannten Bereiche erworben hat und innerhalb des Referenzzeitraums von drei Jahren vor der Antragstellung im Fachgebiet als Rechtsanwältin persönlich und weisungsfrei 120 Fälle, davon mindestens 60 gerichtliche Fälle bearbeitet hat. Nach der gesetzlichen Regelung des § 5 Abs.1 e FAO ist es nicht erforderlich, dass sich die praktischen Erfahrungen auf bestimmte Bereiche des Familienrechts beziehen müssen (vgl. Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 7. Aufl., § 5 FAO Rn.152). Daher kann das Fallquorum allein durch die Bearbeitung unstreitiger Scheidungen erfüllt werden.
231. Die besonderen theoretischen Kenntnisse nach § 12 FAO hat die Klägerin durch die erfolgreiche Teilnahme an dem Fachanwaltslehrgang der A Law School im Jahr 2019 nachgewiesen. Davon, dass die Klägerin seit 2020 ihrer Fortbildungsverpflichtung gem. §§15, 4 Abs.2 FAO nachgekommen ist, geht der Senat aus. Für das Jahr 2020 befinden sich die Nachweise befinden in der Verwaltungsakte der Beklagten (Bl.143 ff). Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf Nachfrage versichert, auch für das Jahr 2021 ihrer Fortbildungsverpflichtung nachgekommen zu sein. Die Beklagte, gegenüber der der Fortbildungsnachweis zu führen ist, ist dem auch nicht mit dem nachgelassenen Schriftsatz entgegen getreten.
242. Das erforderliche Fallquorum ist erfüllt. Die Klägerin hat den Nachweis geführt, dass sie während des maßgeblichen Referenzzeitraums im Fachgebiet Familienrecht persönlich und weisungsfrei 120 Fälle, davon mindestens 60 gerichtliche Fälle, bearbeitet hat.
25a) Der relevante Nachweiszeitraum erstreckt sich im vorliegenden Fall auf die Zeit von Ende Januar 2018 bis Ende Januar 2021.
26Die Klägerin hat die mit dem Antrag vom 20.04.2020 eingereichte Liste zum Nachweis der Erfüllung des Fallquorums verschiedentlich, zuletzt im Januar 2021, ergänzt. Im Januar 2021 hat sie die Fälle mit den lfd. Nummern 125 – 195 nachgetragen (Bl.114 – 121 Verwaltungsakte). Da die Ergänzung Fälle enthält, deren Bearbeitung erst nach der Stellung des Antrags begonnen wurde (vgl. etwa die lfd. Nrn. 164, 169, 170, 171, 172), hat sich der Nachweiszeitraum verschoben. Maßgeblich ist jetzt der Zeitraum von 3 Jahren vor dem Eingang der Nachmeldung (vgl. Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 7. Aufl., § 5 Rn.371).
27Zahlenmäßig ist das Fallquorum im Referenzzeitraum erfüllt. Hiervon geht auch die Beklagte aus, und zwar auch unter Berücksichtigung der von ihr vorgenommenen Bewertung der Fälle. Die Beklagte hat die seitens der Klägerin aufgelisteten Fälle mit dem Faktor 0,8 gewertet, soweit es sich um einvernehmliche Scheidungssachen im Verbund mit der Folgesache Versorgungsausgleich handelt, und mit dem Faktor 0,5, soweit es sich um einvernehmliche Scheidungssachen ohne Versorgungsausgleich handelt. Es kann dahin stehen, ob die Herabstufung in der Gewichtung insgesamt oder in Bezug auf einzelne Fälle angemessen ist. Denn die Beklagte hat nach ihrer eigenen Zählweise gemäß dem Votum ihrer Berichterstatterin vom 06.04.2021 (Bl.153 ff Verwaltungsakte) 128,1 Fälle gezählt. Der Senat zählt unter Berücksichtigung der Gewichtung der Beklagten sogar 147,4 Fälle.
28b) Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin auf Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung abgelehnt, da sie nicht habe feststellen können, dass die Klägerin die in der Fallliste Bl.105 ff der Verwaltungsakte aufgeführten Scheidungsverfahren persönlich und weisungsfrei bearbeitet habe. Diese Begründung trägt nach Auffassung des Senats nicht.
29Die persönliche und weisungsfreie Bearbeitung erfordert eine unabhängige, eigenverantwortliche, eigenhändige anwaltliche Bearbeitung des Falls durch den Antragsteller (Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 7. Aufl., § 5 Rn.325). Entgegen der Vorstellung der Klägerin ist nicht entscheidend, wer im Außenverhältnis gegenüber dem Mandanten die Verantwortung oder das Haftungsrisiko trägt. Entscheidend ist, wer persönlich die Bearbeitung des Falles geleistet hat, also die Schriftsätze gefertigt hat, Beratungen erbracht hat und im Termin aufgetreten ist (vgl. Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 7. Aufl., § 5 Rn.327, 329).
30aa) Die Beklagte hält das Merkmal der „persönlichen Bearbeitung“ u.a. deshalb nicht für gegeben, weil die Klägerin im Schwerpunkt formalisiert einvernehmliche Scheidungen abwickelt und deshalb nicht erkennbar sei, dass die Klägerin die juristische Aufarbeitung des Sachverhalts selbst übernommen habe.
31Der Senat hat sich durch die Einsicht in die von der Klägerin vorgelegten Arbeitsproben zunächst selbst ein Bild von der Arbeitsweise der Klägerin verschafft. Die bei Gericht eingereichten Scheidungsanträge sind computergeneriert vorbereitet und den Mandanten, die sich über ein online-Portal („scheidung.de“) in der Kanzlei der Klägerin gemeldet haben, durch einen Mitarbeiter/Mitarbeiterin der Klägerin übersandt worden. Der Mandant hat die Formulare handschriftlich ergänzt. Die Formulare sind dann zu einem Schriftsatz verarbeitet worden, den die Klägerin unterzeichnet und bei Gericht eingereicht hat. Die Auskünfte der Versorgungsträger in der Folgesache Versorgungsausgleich werden regelmäßig kommentarlos an die Mandanten übersandt. Ein Mandantengespräch und eine Beratung erfolgen allenfalls telefonisch. Im Scheidungsverfahren tritt die Klägerin selbst oder ein von ihr beauftragter Unterbevollmächtigter auf.
32Die Beklagte hat diese Praxis in der mündlichen Verhandlung mit der Konstellation verglichen, dass etwa der Seniorsozius einer Kanzlei Schriftsätze unterzeichnet, die ein zuarbeitender Anwalt in eigener Verantwortung gefertigt hat. In diesem Fall wird die Bearbeitung dem zuarbeitenden Anwalt und nicht dem Unterzeichnenden zugerechnet (vgl. Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 7. Aufl., § 5 Rn.331).
33Ein Rechtsanwalt, der vorgefertigte Formulare und Vordrucke verwendet, erbringt jedoch, anders als der Unterzeichner einer fremden gedanklichen juristischen Leistung, eine eigene anwaltliche Tätigkeit. Eine persönliche anwaltliche Leistung setzt nicht voraus, dass der Bearbeiter persönliche Beratungsgespräche mit dem Mandanten führt, entscheidend ist, dass der Anwalt die Leistung selbst erbringt. Soweit eine anwaltliche Tätigkeit primär durch die Verwendung und Verarbeitung von Formularen erfolgt, mag sich diese Art der Tätigkeit qualitativ erheblich von individuell erarbeiteten Schriftsätzen unterscheiden, sie bleibt aber dennoch eine persönliche Leistung des Rechtsanwalts. Die Verwendung von Vordrucken und Formularen ist im anwaltlichen und gerichtlichen Geschäftsbetrieb allgemein üblich und bietet sich bei standardisierten Verfahren, wie einvernehmlichen Scheidungen, aus arbeitsökonomischen Gründen an. Es macht auch keinen Unterschied, ob der Bearbeiter einen bestimmten Standardtext immer wieder nach einer Vorlage aus dem Prozesshandbuch diktiert oder ob das Formular durch eine bestimmte Software zur Verfügung gestellt wird.
34Die persönlich anwaltliche Leistung besteht in Fällen des formularmäßigen Massengeschäfts darin, zu erkennen und zu entscheiden, ob sich der vorgetragene Fall für eine formularmäßige Bearbeitung eignet, ob der Fomulartext richtig verwendet worden ist oder ob in dem vorgelegten Fall aufgrund von Besonderheiten ein individueller Antrag formuliert werden muss.
35Dafür, dass das Ausfüllen vorgefertigter Formulare sowohl eine persönliche anwaltliche Leistung ist und diese Leistung fachanwaltsrelevant ist, spricht im Übrigen die Konzeption der FAO selbst. Unter § 5 Abs.1 lit.o FAO sind die Voraussetzungen für die Erlangung der Fachanwaltsbezeichnung „gewerblicher Rechtsschutz“ geregelt. Danach ist es zulässig, einen Teil des Fallquorums durch Schutzrechtsanmeldungen zu erfüllen. Schutzrechtsanmeldungen sind Anmeldungen eines Patents, eines Gebrauchs- oder Geschmacksmusters. Hierzu muss ein vorgefertigtes Formular ausgefüllt werden, das bei den zuständigen Behörden erhältlich ist. Für das korrekte Ausfüllen des Formulars sind fachanwaltliche praktische Erfahrungen nicht erforderlich (vgl. Gaier/Wolf/Göcken/Quaas, Anwaltl. Berufsrecht, 3. Aufl., § 5 Rn.73). Um zu verhindern, dass ein Bewerber das Fallquorum nach § 5 Abs.1 lit.o FAO allein durch Schutzrechtsanmeldungen erfüllt, hat das Gesetz vorgesehen, dass von den vorgelegten Fällen lediglich 5 Schutzrechtsanmeldungen sein dürfen. In § 5 Abs.1 lit.e FAO fehlt hingegen eine vergleichbare Regelung, weshalb der Bewerber um eine Fachanwaltsbezeichnung nicht gehindert ist, das Fallquorum mit formularmäßig bearbeiteten Fällen zu erfüllen.
36Aus den dargestellten Gründen stellt sich nach Auffassung des Senats auch bei rein formularmäßig abgewickelten Fällen nicht die Frage der persönlichen anwaltlichen Bearbeitung sondern – wie bei Serienfällen (vgl. dazu BGH, Urt. v. 08.04.2013, AnwZ (Brfg) 54/11, Tz.38, juris) - die Frage der Gewichtung des einzelnen Falls.
37bb) Der Senat sieht keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin die in den Listen aufgeführten Fälle nicht eigenhändig bearbeitet hat. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass die Klägerin Büropersonal und nach eigenen Angaben seit dem Frühjahr 2019 einen angestellten Rechtsanwalt beschäftigt, kann der persönlichen Bearbeitung der Scheidungsanträge nur die Übertragung der Fallbearbeitung auf den angestellten Anwalt entgegen stehen. Büropersonal kann Scheidungsanträge zwar vorbereiten, die Anweisung nach welchen Kriterien der Antrag vorzubereiten ist, die Überprüfung des Antrags, seine Unterzeichnung und die gerichtliche Vertretung bleiben anwaltliche Tätigkeit. Wenn Verfahren durch Büroangestellte bis zur Unterschriftsreife vorbereitet werden können, ist dies wiederum eine Frage der Gewichtung des Falls, aber nicht der persönlichen anwaltlichen Leistung.
38Die Klägerin hat in der Klagebegründung vom 25.01.2022 geltend gemacht, die in den Listen aufgeführten Fälle eigenhändig bearbeitet zu haben. Soweit die Beklagte in dem Bescheid vom 07.10.2021 ausführt, es sei im Verwaltungsverfahren nicht klar geworden, wer welche Büroabläufe übernehme, teilt der Senat diese Bedenken nicht. Die Klägerin hat in dem Fachgespräch vom 21.10.2020 ihre Arbeitsweise erläutert, die sich anhand der dem Senat vorgelegten Arbeitsproben nachvollziehen lässt. Danach ist davon auszugehen, dass die Klägerin die Schriftsätze an das Gericht unterzeichnet, diese dort einreicht, die Termine wahrnimmt und ihren Mandanten für Beratungsgespräche zur Verfügung steht. Der Senat hat sich bewusst zufällig ausgewählte Aktenstücke aus dem Jahr 2019 vorlegen lassen. In keinem der vorgelegten Arbeitsproben ist ein anderer verantwortlicher anwaltlicher Bearbeiter als die Klägerin aufgetreten. In einem Fall hat Rechtsanwalt E eine Sachstandanfrage an das Gericht gerichtet, in einem weiteren Fall ist der Verhandlungstermin von einem Unterbevollmächtigten wahrgenommen worden, was der persönlichen Bearbeitung des Scheidungsverfahrens durch die Klägerin jedoch nicht entgegen steht. Die Berichterstatterin der Beklagten hat ebenfalls Arbeitsproben der Klägerin eingesehen, wobei nicht ersichtlich ist, dass sich daraus grundlegend andere Erkenntnisse ergeben haben.
393. Die Versagung der Erlaubnis, die Fachanwaltsbezeichnung führen zu dürfen, kann letztendlich auch nicht darauf gestützt werden, dass die Klägerin nach Auffassung der Beklagten im Fachgespräch vom 21.10.2020 keine besonderen Erfahrungen im Familienrecht vermitteln konnte. Fachliches Wissen der Klägerin durfte in dem Fachgespräch nicht geprüft werden.
40Der Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen ist regelmäßig durch die Erfüllung des Fallquorums geführt (Hartung/Scharmer, BORA/FAO, § 2 FAO Rn.11, 19, 24). Nach der Rechtsprechung des BGH steht dem Fachausschuss der Kammer nicht das Recht zu, sich durch das Fachgespräch von der fachlichen Qualifikation des Bewerbers zu überzeugen. Dies widerspricht der Formalisierung des Verfahrens zur Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung nach der FAO (vgl. Hartung/Scharmer, BORA/FAO, 7. Aufl., § 7 Rn.19 f; BGH BRAK-Mitt 2003, 25 Tz.11, 18 ff; BGH BRAK-Mitt 2012, 243 Tz.6). Zulässig ist das Fachgespräch deshalb nur dann, wenn sich aus den vorgelegten Unterlagen noch Unklarheiten oder Zweifel ergeben (BGH NJW 2008, 3496, Tz.15), etwa was die Gewichtung einzelner Fälle angeht (BGH BRAK-Mitt 2014, 83 Tz.29). Daher war im vorliegenden Fall das Fachgespräch mit der Klägerin nur zur Klärung der persönlichen Urheberschaft der in den Falllisten aufgeführten Scheidungsanträge zulässig.
414. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 112c BRAO, 154 VwGO und §§ 167 VwGO, 708 Nr.11, 711 ZPO. Ein Anlass, die Berufung nach §§ 112c BRAO, 124 VwGO zuzulassen, besteht nicht.
42Rechtsmittelbelehrung:
43Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag ist bei dem Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Heßlerstraße 53, 59065 Hamm, zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45 a, 76133 Karlsruhe, einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen,
441. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Anwaltsgerichtshof und dem Bundesgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Das gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte und Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, zugelassen. Ferner sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein nach dem Vorstehenden Vertretungsberechtigter kann sich selbst vertreten; es sei denn, dass die sofortige Vollziehung einer Widerrufsverfügung angeordnet und die auf-schiebende Wirkung weder ganz noch teilweise wiederhergestellt worden ist. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammen-schlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
51Die Festsetzung des Streitwerts ist unanfechtbar.