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Im Verfahrenskostenhilfeverfahren können derzeit die Fahrtkosten anstelle mit einer Pauschale von 5,20 € je Entfernungskilometer auch mit den Kilometerpauschalen nach den unterhaltsrechtlichen Leitlinien je gefahrenen Kilometer berechnet werden.
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 5.10.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Rheine vom 27.9.2022 in der Fassung des Teilabhilfebeschlusses vom 17.10.2022 dahin abgeändert, dass die monatlich zu zahlende Rate auf 64,- € festgesetzt wird.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Eine Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird nicht erhoben.
Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.
Gründe:
2I
3Mit Beschluss vom 27.9.2022 hat das Amtsgericht den Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin wegen unzureichender Angaben zu ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zurückgewiesen. Mit ihrer sofortigen Beschwerde hat die Antragstellerin ihre Angaben vervollständigt. Mit Teilabhilfebeschluss vom 17.10.2022 hat das Amtsgericht sodann der Beschwerde insoweit abgeholfen, als es Verfahrenskostenhilfe bewilligt und hierauf monatliche Raten in Höhe von 166,- € festgesetzt hat. Hierbei hat es Fahrtkosten für die Fahrt zur Arbeit bei 20 Entfernungskilometern mit 20 x 5,20 € = 104,00 € berücksichtigt hat. Im Übrigen hat es der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin nicht abgeholfen.
4Die Antragstellerin rügt mit ihrer sofortigen Beschwerde, die Fahrtkosten seien nicht mit 5,20 € pro Entfernungskilometer, sondern entsprechend der unterhaltsrechtlichen Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm mit 0,42 € pro gefahrenen Kilometer zu berücksichtigen. Daraus ergebe sich ein Abzug von 308,- € anstelle von 104,- €.
5II
6Die gem. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO i.V.m. § 113 Abs. 1 FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet.
71. Der Senat berücksichtigt die Fahrtkosten nicht mit dem Ansatz von 5,20 € pro Entfernungskilometer, sondern entsprechend Ziff. 10.2.2. der Hammer Leitlinien zum Unterhaltsrecht mit 0,42 € pro gefahrenen Kilometer. Zwar hat der Bundesgerichtshof in zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2012 (Beschluss vom 8.8.2012 – XII ZB 291/11, FamRZ 2012, 1629; Beschluss vom 13.6.2012 – XII ZB 658/11, FamRZ 2012, 1374) ausgeführt, es sei nicht zu beanstanden, die Fahrkosten entsprechend § 3 Abs. 6 Nr. 2a der Verordnung zur Durchführung des § 82 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch mit der Pauschale von 5,20 € pro Entfernungskilometer pro Monat zu berechnen. Dem Antragsteller sei dann offenzuhalten, höhere Kosten nachzuweisen, da die Pauschale nur die Betriebskosten und die Steuern, nicht aber die Versicherungsbeiträge und Anschaffungskosten beinhalte. Dem folgt die obergerichtliche Rechtsprechung (z.B. OLG Hamm, Beschl. v. 27.4.2022 – 7 WF 73/22 – juris Rn. 6; OLG Dresden MDR 2022, 271).
8a) Der Bundesgerichtshof hat in den zitierten Entscheidungen allerdings betont, dass der Ansatz der Fahrtkosten mit der Pauschale von 5,20 € pro Entfernungskilometer nicht gesetzlich zwingend, sondern lediglich nicht zu beanstanden ist. Zutreffend ist allerdings, dass teilweise davon ausgegangen wird, im Bereich der Verfahrenskostenhilfe müsse mit der Pauschale von 5,20 € pro Entfernungskilometer gerechnet werden (z.B. Dose in Wendl/Dose, 10. Aufl., § 1 Rn. 140). Zu rechtfertigen ist der Ansatz, der unter dem Ergebnis einer Berechnung mit einer Kilometerpauschale nach den jeweils gültigen Unterhaltsleitlinien pro gefahrenen Kilometer bleibt, mit der engen Verknüpfung zwischen dem Recht der Verfahrenskostenhilfe und dem Sozialhilferecht (BGH FamRZ 2012, 1374 – juris Rn. 19). Die unterhaltsrechtlichen Leitlinien stellen nach Ansicht des BGH auf den Einkommensbegriff des BGB ab. Dabei gehe es um eine ausgewogene Verteilung der Mittel. Die Bedürftigkeit orientiere sich am Lebensstandard des Berechtigten und Verpflichteten. Das SGB XII wolle nur eine Mindestsicherung garantieren (BGH, aaO – juris Rn. 19, 20).
9b) Diese Argumentation hält der erkennende Senat deswegen für nicht vollständig überzeugend, weil bei dem Ansatz notwendiger Fahrtkosten im Minderjährigenunterhalt selbst bei gesteigerter Erwerbsobliegenheit (§ 1603 Abs. 2 BGB) und der Gefährdung des Mindestunterhalts notwendige Fahrtkosten nicht mit einer abweichenden Pauschale berechnet werden als sonst. Allenfalls wird die Notwendigkeit der Pkw-Nutzung und die Obliegenheit, die Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsstätte zu verkürzen, diskutiert (Dose in Wendl/Dose, aaO, § 1 Rn. 136ff. mwN). Hinzu kommt, dass die unterhaltsrechtliche Kilometerpauschale umfassend gilt und sämtliche Kosten, also auch für Versicherung, Neuanschaffung und Wartung/Reparaturen umfasst. Die unterhaltsrechtliche Kilometerpauschale schafft damit im Massengeschäft der Verfahrenskostenhilfe eine erhebliche und aus Sicht des Senats auch notwendige Vereinfachung. Andernfalls wäre das Gericht bei Ansatz der Pauschale von 5,20 € je Entfernungskilometer gehalten, dem Antragsteller Auflagen zur Präzisierung seiner tatsächlichen Fahrtkosten zu erteilen und diese anschließend auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
10c) Hinzu kommt, dass die Pauschale von 5,20 € schon zur Zeit der Entscheidungen des BGH im Jahr 2012 als unzureichend galt, also mit der Darlegung höherer Fahrtkosten in aller Regel zu rechnen war. Das hat sich angesichts der zwischenzeitlichen Entwicklungen der letzten 10 Jahre unter Einschluss des erheblichen Preisauftriebs im laufenden Jahr eher noch verschärft.
11Würde man im vorliegenden Fall mit 5,20 € pro Entfernungskilometer rechnen, ergäben sich bei 20 Kilometern abzugsfähige 104,- €.Verfügt der Antragsteller über einen Pkw mit einem Kraftstoffverbrauch von 6 Litern/100km bei einem Preis von 1,90 € pro Liter und einer Steuerlast von 240,- € pro Jahr, so ergeben sich bei 20 x 2km x 220 Arbeitstage/12 Monate rund 733km pro Monat. Hieraus errechnet sich ein Kraftstoffverbrauch von 6 Litern x 1,90 € x 7,33 von insgesamt 83,56 €. Zuzüglich 20,- € monatlicher Steuerlast ergeben sich dann allein aus den Betriebskosten und der Steuerbelastung rund 104,- € pro Monat. Kosten für Versicherung, Wartung/Reparatur und Anschaffungsdarlehen oder Rücklagen für Neuanschaffung sind hierin nicht berücksichtigt, obwohl sie anfallen. Der Ansatz der Pauschale von 5,20 €/Entfernungskilometer führt danach lediglich dazu, dass der Antragsteller die Gesamtkosten seiner Kraftfahrzeugnutzung anstelle einer pauschalen Berücksichtigung detailliert plausibilisieren und glaubhaft machen muss. Diesen Mehraufwand vermeidet die vom Senat verwendete Pauschale. Der Senat sieht keinen Sinn in der Verwendung einer vorhersehbar unzureichenden und unvollkommenen Pauschale gegenüber einer umfassenden und interessengerechten Pauschale. Der Zweck einer Pauschale ist Vereinfachung. Dieser Zweck kann mit der Pauschale von 5,20 € pro Entfernungskilometer heute ersichtlich nicht mehr erreicht werden; ihre Verwendung stellt vielmehr angesichts der Preisentwicklung faktisch den Verzicht auf eine Pauschalierung berufsbedingter Fahrtkosten dar.
12d) Einzuräumen ist, dass auch im vorliegenden Fall ein erheblicher Unterschied zwischen den Ergebnissen beider Pauschalen (204,- €) besteht. Dieser Unterschied mag sich nicht in jedem Einzelfall in den tatsächlichen Fahrtkosten niederschlagen. Dass aber sowohl im Sozialhilferecht als auch im Unterhaltsrecht überhaupt mit Pauschalen gerechnet wird, beruht auf der anerkannten Notwendigkeit einer Pauschalierung. Jedenfalls solange, wie die sozialhilferechtliche Pauschale von 5,20 € nicht deutlich und angemessen erhöht wird, hält es der Senat daher für notwendig und zulässig, mit der unterhaltsrechtlichen Pauschale zu rechnen.
132. Bei Berücksichtigung von 308,- € anstelle von 104,- € ergibt sich ein einzusetzendes Einkommen von nur noch 129,43 € anstelle von 333,43 €:
14Einzusetzendes Einkommen nach Beschluss: |
333,43 € |
zzgl. Pauschale laut Beschluss: |
104,00 € |
abzgl. Pauschale von 0,42 €/km: |
-308,00 € |
verbleibendes einzusetzendes Einkommen: |
129,43 € |
Hieraus sind gem. § 115 Abs. 2 S. 1 ZPO i.V.m. § 113 Abs. 1 FamFG monatliche Raten von 64,- € (abgerundete Hälfte) zu zahlen.
16Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 127 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 113 Abs. 1 FamFG). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 113 Abs. 1 FamFG.
17Rechtsbehelfsbelehrung:
18Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statthaft. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe einzulegen. Diese muss durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben sein. Dem Anwaltszwang unterliegen nicht Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Beteiligte, die durch das Jugendamt als Beistand vertreten sind. Wegen der weiteren Details wird auf § 10 Abs. 4 Satz 2 FamFG (für Familienstreitsachen i.S.v. § 112 FamFG auf § 114 Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 2 FamFG) Bezug genommen.
19Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beträgt ebenfalls einen Monat und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses.
20Die weiteren Einzelheiten zu den zwingenden Förmlichkeiten und Fristen von Rechtsbeschwerdeschrift und Begründung ergeben sich aus §§ 71 und 72 FamFG.