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Ein 21 cm hoher Bordstein kann für einen Fußgänger, der - außerhalb des Bereichs eines Fußgängerüberwegs mit abgesenktem Bordstein - über den Bordstein von der Fahrbahn auf den Gehweg gelangen will, rechtzeitig erkennbar und beherrschbar sein und stellt dann keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 07.09.2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 14. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
2I.
3Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache erfolglos.
6Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht aufgrund ihres Sturzes am 05.05.2018 am Bordstein der A-Straße in B in Höhe des Hauses Nr. ### kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG, §§ 9, 9a, 47 StrWG NW zu.
71.
8Zwar bestehen Bedenken, ob der Begründung des Landgerichts gefolgt werden kann, dass ein Anspruch der Klägerin ausscheidet, weil sie ein anspruchsausschließendes Mitverschulden i.S.d. § 254 BGB treffe. Denn das Landgericht verkennt, dass die Haftung aus einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht schon dann vollständig entfällt, wenn ein Geschädigter bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt eine pflichtwidrig bestehende Gefahrenstelle hätte erkennen und beherrschen können. Die haftungsrechtliche Gesamtverantwortung für das Unfallereignis würde damit allein auf den Geschädigten verlagert, obwohl der Verkehrssicherungspflichtige eine maßgebliche Ursache für das Schadensereignis gesetzt hätte. Dieses Ergebnis widerspräche dem Schutzzweck der verletzten Verkehrssicherungspflicht, die mitunter auch solche Verkehrsteilnehmer vor Schäden bewahren soll, die nicht stets in höchstem Maße Aufmerksamkeit und Vorsicht walten lassen. Ein die Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen ausschließender, weit überwiegender Verursachungsbeitrag des Geschädigten kann daher nur angenommen werden, wenn das Handeln des Geschädigten von einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit gekennzeichnet ist (vgl. BGH, Urteil v. 20.06.2013, III ZR 326/12, juris, Tz. 18 ff.).
9Zu einem Sorgfaltsverstoß der Klägerin von diesem Gewicht fehlen ausreichende Feststellungen des Landgerichts, da allein die Erkennbarkeit der Gefahrenstelle und das sorgfaltswidrige Verhalten der Klägerin noch keinen Vorwurf einer ganz besonderen, schlechthin unverständlichen Sorglosigkeit zulassen.
102.
11Indes kann die Frage eines anspruchsausschließenden Mitverschuldens der Klägerin vorliegend dahinstehen, weil es schon an einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte und damit an einer schuldhaften Amtspflichtverletzung fehlt. Die Errichtung eines Bordsteins mit einer Höhe von 21 cm vermag eine Haftung der Beklagten nicht zu begründen.
12a) Die für die Sicherheit der in ihren Verantwortungsbereich fallenden Verkehrsflächen zuständigen Gebietskörperschaften haben im Rahmen des ihnen Zumutbaren nach Kräften darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer in diesen Bereichen nicht zu Schaden kommen. Allerdings muss der Sicherungspflichtige nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen, da eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, praktisch nicht erreichbar ist. Vielmehr bestimmt sich der Umfang der Verkehrssicherungspflicht danach, für welche Art von Verkehr eine Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist und was ein vernünftiger Benutzer an Sicherheit erwarten darf. Dabei haben Verkehrsteilnehmer bzw. die Straßen- und Wegebenutzer die gegebenen Verhältnisse grundsätzlich so hinzunehmen und sich ihnen anzupassen, wie sie sich ihnen erkennbar darbieten, und mit typischen Gefahrenquellen, wie etwa Unebenheiten, zu rechnen. Ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen ist erst dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung anderer ergibt (OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006, 9 U 143/05, zitiert nach juris Tz. 9 mit Verweis auf: OLG Hamm, Urteil vom 19.07.1996 zu 9 U 108/96, NZV 1997, S. 43; OLG Hamm, Urteil vom 25.05.2004 zu 9 U 43/04, NJW-RR 2005, S. S. 255, 256). Dies ist der Fall, wenn Gefahren bestehen, die auch für einen sorgfältigen Benutzer bei Beachtung der zu erwartenden Eigensorgfalt nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (vgl. dazu grundlegend: BGH, Urteil vom 21.06.1979 zu III ZR 58/78, VersR 1979, S. 1055; BGH, Urteil vom 11.12.1984 zu VI ZR 218/83, NJW 1985, S. 1076; OLG Hamm, Urteil vom 03.02.2009 zu 9 U 101/07, NJW-RR 2010, S. 33; OLG Hamm, a.a.O., NJW 2004, S. 255, 256; OLG Hamm, Urteil vom 09.11.2001 zu 9 U 252/98, NZV 2002, S. 129, 130; Zimmerling/Wingler in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 839 BGB Rdn. 511; im Anschluss: OLG Celle, Urteil vom 07.03.2001 zu 9 U 218/00, zitiert nach juris). Die Grenze zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen wird dabei maßgeblich durch die sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt, wobei dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und ihrer Verkehrsbedeutung maßgebliche Bedeutung beikommt (OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2006 zu 9 U 143/05, NJW-RR 2006, S. 1100; OLG Hamm, a.a.O., NJW-RR 2005, S. 255, 256).
13b) Gemessen an diesen Maßstäben begründet ein 21 cm hoher Bordstein keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle. Die Höhe des Bordsteines ist für einen sorgfältigen Benutzer, der über den Bordstein von der Fahrbahn auf den Gehweg gelangen will, bei Beachtung der von ihm zu erwartenden Eigensorgfalt rechtzeitig erkennbar. Bei der Überwindung des Bordsteins in Richtung des Gehwegs wird auch die Aufmerksamkeit des Fußgängers nicht in einer Weise abgelenkt, dass die Befürchtung bestehen muss, dass ihm der bevorstehende Höhenunterschied entgehen werde. Denn auch wenn ein Fußgänger nicht gehalten ist, laufend nach unten zu schauen und den Weg auf etwaige Hindernisse oder Schwellen abzusuchen, so ist er doch gehalten, dem vor ihm liegenden Bereich kurze, aber regelmäßige versichernde Blicke zu schenken, um sich über die Beschaffenheit seiner Umgebung zu orientieren (vgl. OLG München, Urteil v. 22.07.2011, 1 U 1647/11, juris). Einem Fußgänger, der diese Sorgfaltsanforderungen beachtet, konnte der hohe Bordstein schlechterdings nicht entgehen. Hinzu kommt, dass ohnehin der Bereich eines Bordsteins wegen des vorhandenen Höhenunterschiedes stets mit besonderer Vorsicht begangen werden muss, um Unfälle und Schäden zu vermeiden (vgl. OLG Koblenz, Urteil v. 22.07.1998, 1 U 765/96, juris).
14Darüber hinaus besteht kein Anlass zur Sorge, dass ein Fußgänger, welcher die notwendige Sorgfalt walten lässt, auch bei Überwindung eines Höhenunterschiedes von 21 cm zu Schaden kommt. Ein solcher, in vielen Bereichen des täglichen Lebens vorkommender Höhenunterschied ist vielmehr für Fußgänger ohne körperliche Einschränkungen mühelos zu bewältigen. Fußgänger, die aufgrund ihres Alters oder körperlicher Einschränkungen zur gefahrlosen Bewältigung des Höhenunterschiedes nicht in der Lage sind, haben die Möglichkeit, unter Inkaufnahme eines geringfügigen Umweges die Straße an anderer Stelle ebenerdig oder unter Überwindung eines geringeren Höhenunterschiedes zu überqueren. Die Annahme eines schutzwürdigen Vertrauens eines Fußgängers, dass ein Bordstein eine bestimme Höhe nicht überschreiten wird, ist nicht zu rechtfertigen.
15Die Beklagte durfte sich auf die Einhaltung der zu stellenden Sorgfaltsanforderungen durch jeden Benutzer der Verkehrsfläche verlassen. Es stellt kein zu befürchtendes häufiges Fehlverhalten dar, dass ein Fußgänger von der Straße auf einen Gehweg tritt, ohne sich zu vergewissern, wie hoch der Bordstein ist und dass er zur Bewältigung des Höhenunterschiedes in der Lage ist. Aus diesem Grunde bedurfte es auch keiner Hinweis- oder Warnschilder oder des Aufstellens von Vorrichtungen wie Absperrstangen, die ein Überqueren des Bordsteins von der Straße auf den Gehweg gänzlich unterbinden würden.
16c) Eine andere Beurteilung ergibt sich vorliegend nicht aufgrund der Bestimmungen in den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06), wobei diese Richtlinien ein gültiges technisches Regelwerk darstellen und in Nordrhein-Westfalen durch Einführungserlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr NRW vom 27.03.2009 für verbindlich erklärt wurden. Zwar sieht Ziffer 6.1.3.1 dieser Richtlinien vor, dass hohe Borde zur Trennung von Fahrbahn und Gehweg an zweistreifigen Hauptverkehrsstraßen und Erschließungsstraßen nur eine Höhe von 8 – 12 cm haben sollen. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Überschreitung des Höchstwertes von 12 cm das Vorhandensein einer abhilfebedürftigen Gefahrenstelle für Fußgänger beim Überqueren begründet, denn die Begrenzung der Bordsteinhöhe in der Richtlinie dient nicht dem Zweck, einem Fußgänger das Überwinden eines Bordsteins zu erleichtern.
17Bordsteine dienen der Trennung der Fahrbahn von den Seitenräumen, insbesondere den Gehwegen. Sie sollen insbesondere auch Fahrzeuge davon abhalten, den Gehweg zum Zwecke der Fortbewegung zu nutzen. Andererseits soll ein vorsichtiges Befahren des Gehweges, etwa für Rangier- und Ausweichmanöver, auch nicht unmöglich gemacht werden. Durch die vorgeschriebene Höhe in der RASt 06 wird gewährleistet, dass Fahrzeuge den Bordstein befahren können, ohne aufzusetzen oder sonst Schaden zu nehmen. An anderen Stellen, bei denen andere Gesichtspunkte Vorrang haben, wie insbesondere im Bereich von Bushaltestellen, an denen ein erleichterter Einstieg in einen Bus für Menschen mit Einschränkungen ihrer Gehfähigkeit gewährleistet werden soll, lässt die RASt 06 jedoch auch die Errichtung deutlich höherer Bordsteine zu. So bestimmt etwa Ziffer 6.1.10.8, dass an Bushaltestellen 16 cm hohe Warteflächen über der Straßenoberkante auch von Niederflurbussen mit ihren Überhängen problemlos befahrbar und daher zulässig seien. Auch mit 18 cm oder 20 cm hohen Bordsteinen (je nach Querneigung der Straße) bestünden gute Erfahrungen. Auch dieser letztgenannte Wert beinhaltet schon nach dem Wortlaut der Bestimmung keine Obergrenze für die Höhe eines Bordsteins, die nicht überschritten werden darf. Vielmehr wird deutlich, dass nach den Richtlinien auch an Stellen, in denen erfahrungsgemäß häufig Fußgänger die Straßenseite wechseln und den Bordstein überqueren, derartige Höhenunterschiede als beherrschbar und daher zulässig angesehen werden.
183.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
20Der Zulassung der Revision bedurfte es nicht, da die Voraussetzungen des § 543 ZPO nicht vorliegen.