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1. Ist der Kläger mangels unmittelbarer Beweismittel auf die Führung eines Indizienbeweises angewiesen, kann er alle verbleibenden Beweismöglichkeiten ausschöpfen, um den notwendigen Beweis durch den Nachweis von Hilfstatsachen zu führen.
2. Auch wenn der Richter bei der Behandlung von Beweisanträgen zu Indiztatsachen freier gestellt ist als bei sonstigen Beweisanträgen, müssen die wesentlichen Gesichtspunkte für die Überzeugungsbildung, dass der in Rede stehende Beweisantrag, der eine Hilfstatsache betrifft, an der Überzeugung des Richters nichts ändern würde, im Urteil nachvollziehbar dargelegt werden.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 13.12.2019 einschließlich des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
2I.
3Dem Rechtsstreit zugrunde liegt ein Vorfall vom X.X.2019 im Haus des Klägers, bei dem der Beklagte den Kläger – nach Behauptung des Klägers – im Brustbereich geschlagen haben soll, was zunächst zu einer Prellungsverletzung und im Gefolge zu einem Abriss des zum beim Kläger implantierten Herzschrittmacher gehörenden Ereignisrekorders mit weiteren Wundheilungskomplikationen und stationären Krankenhausaufenthalten mit Operationen geführt habe. Aufgrund dessen macht der Kläger materiellen und immateriellen Schadensersatz geltend, wobei hinsichtlich des verlangten Schmerzensgeldes der Kläger zuletzt in erster Instanz eine Mindestbetragsvorstellung in Höhe von 16.500,00 Euro geäußert hat.
4Das Landgericht hat die Parteien persönlich angehört und sodann mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Klage sei unbegründet. Dem Kläger stünden keinerlei Ersatzansprüche gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 223 StGB zu. Der Kläger habe den ihm obliegenden Vollbeweis, der Beklagte habe ihn mit der rechten Faust auf die Brust geschlagen und dadurch verletzt, nicht geführt. Das Gericht könne nach beiderseitiger Parteianhörung nicht feststellen, welche der beiden sich in wesentlichen Punkten widersprechenden Darstellungen glaubhafter sei, zumal zeitnahe Untersuchungen durch den erstbehandelnden Arzt J keine Hinweise auf einen Schlag gegen die Brust des Klägers ergeben hätten. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass ein mit der vom Kläger behaupteten Intensität und den behaupteten Folgen erlittener Schlag im Rahmen dieser ärztlichen Untersuchung unmittelbar im Anschluss an den vermeintlichen Schlag erkennbar gewesen sein müsste. Der Umstand, dass der Ereignisrekorder bei seiner Entfernung am 31.07.2019 nicht mehr am ursprünglichen Platz gewesen sei, rechtfertige angesichts des zeitlichen Abstands dieser Feststellung zum streitgegenständlichen Schadensereignis von ca. einem halben Jahr keinen Schluss auf die Richtigkeit der klägerischen Darstellung, und zwar selbst dann nicht, wenn man entsprechend der klägerischen Behauptung unterstelle, dass eine solche Dislokation eine massive Krafteinwirkung voraussetze; denn es könne gleichwohl nicht ausgeschlossen werden, dass eine anderweitige Krafteinwirkung die Dislokation verursacht habe. Auch die Notiz des Tagesprotokolls der Hausärztin T vom 31.01.2019, in der ein Faustschlag sowie eine Prellung und der Konflikt des Klägers mit dem Beklagten vermerkt seien, lasse keine tragfähigen Schlüsse zu, da aus dieser Notiz nicht hervorgehe, dass es sich um mehr als eine bloße Wiedergabe der vom Kläger gemachten Angaben bei seiner damaligen Vorstellung handele. Schließlich rechtfertige aus Sicht des Gerichts auch die behauptete Schilderung des Ereignisses durch den Kläger gegenüber dessen Nachbarn Frau U und Herrn M keinen hinreichend sicheren Schluss auf die Richtigkeit der klägerischen Darstellung, so dass kein Anlass für eine zeugenschaftliche Vernehmung der bei dem eigentlichen Vorfall selbst nicht dabei gewesenen Nachbarn bestanden habe, zumal die Zeugin U gegenüber der Polizei auch nicht von einem Schlag des Beklagten berichtet, sondern nur angegeben habe, der Kläger habe in seiner Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter von einem Angriff des Beklagten gesprochen.
5Mit seiner gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung verfolgt der Kläger in erster Linie seine erstinstanzlich gestellten Klageanträge – beim Schmerzensgeld mit einer nunmehr auf 19.000,00 Euro erhöhten Mindestbetragsvorstellung und beim Feststellungsantrag klarstellend auf den derzeit noch nicht konkret absehbaren Schaden beim immateriellen Schaden bezogen – weiter und begehrt hilfsweise die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
6Zur Begründung trägt der Kläger vor: Das Landgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung sei in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaft, weil das Landgericht den Sachverhalt unter Übergehung klägerischer Beweisanträge nicht in der gebotenen Weise durch Beweisaufnahme weiter aufgeklärt und eine unzulängliche Beweiswürdigung vorgenommen habe. Vor diesem Hintergrund rechtfertige sich auch der angekündigte Hilfsantrag. Zunächst hätte antragsgemäß vornehmlich durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis erhoben werden müssen, da sich entsprechend einem auch Laien bekannten Erfahrungssatz eine Schwellung bei einem Schlag erst nach einer gewissen Zeit bilden könne und dementsprechend hier bei einer Untersuchung durch den erstbehandelnden Arzt J ca. eine Stunde nach dem Vorfall bei Annahme des behaupteten Schlages noch keine Schwellung habe vorliegen müssen, so dass die Aussage des Zeugen J gegenüber der Polizei, dass er keine äußerliche Verletzung habe feststellen können, keineswegs gegen den behaupteten Schlag spreche. Dies gelte umso mehr, als eine Schwellung von den ebenfalls verfahrensfehlerhaft nicht gehörten und zudem auch für eine zeitnahe klägerische Schilderung des Schlages benannten Zeugen bestätigt worden sei, nämlich von dem Zeugen M für den Abend des Vorfalles und von der behandelnden Ärztin T zwei Tage nach dem Vorfall, wobei es sich bei dem als Anlage K 22 überreichten Tagesprotokoll (Bl. 140) eben gerade nicht nur um eine bloße Wiedergabe von Angaben des Klägers gehandelt habe, was die benannte Zeugin T auch bestätigt hätte; hierzu werde nunmehr ergänzend noch ein Gedächtnisprotokoll der Zeugin T vom 27.12.2019 überreicht. Eine Prellung im Bereich der linken Brust sei zudem auch schon im Bericht des RTW aufgeführt. Im Übrigen sei auch unter Sachverständigenbeweis gestellt worden, dass die am X.X.2019 festgestellten Befunde solche seien, die nicht durch einen Sturz hervorgerufen worden sein könnten, wobei zudem die benannte und ebenfalls vom Landgericht nicht gehörte Zeugin H auch bestätigen könne, dass der Kläger im Hinblick auf den ursprünglich für den 05.02.2019 geplanten und dann vorfallbedingt verschobenen Austausch des Ereignisrekorders in der hier in Rede stehenden Zeit besonders vorsichtig gelaufen sei, weshalb ein Stolpern absolut ausgeschlossen sei. Das Landgericht habe sich stattdessen zu Unrecht weitgehend auf die aus den beigezogenen Ermittlungsakten ersichtlichen Angaben des in der Notfallambulanz erstbehandelnden Arztes J gestützt und dabei zudem unberücksichtigt gelassen, dass der Zeuge J bei der Polizei sehr wohl ausgeführt habe, dass der Kläger Schmerzen angegeben habe, wobei Herr J ausdrücklich dafür als Zeuge benannt worden sei, dass der Kläger ihm gegenüber sehr starke Schmerzen beklagt habe, eine Röntgenuntersuchung nicht etwa wegen nicht beklagter Schmerzen, sondern mangels entsprechender Zulassung der Klinik unterblieben sei und der Kläger am Folgetag zu Herrn J auf dessen Frage nach seinem Befinden im Hinblick auf eine bereits vorhandene beginnende Schwellung im Bereich des Herzens/Schlüsselbeins mit „geht gar nicht gut“ geantwortet habe. Das Landgericht habe ferner auch die Angaben der Zeugin U bei der Polizei falsch gewertet, insbesondere verkannt, dass die von der Zeugin als auf dem Anrufbeantworter vorgefundene klägerische Angabe eines „Angriffs“ sehr wohl eine über ein bloßes Wortgefecht hinausgehende Tätlichkeit impliziere und deshalb den behaupteten Schlag zum Ausdruck gebracht habe. Dementsprechend hätten die Zeugin U und ebenfalls der Zeuge M sowie die Zeugin T auch zu den zeitnahen Schilderungen des Herganges durch den Kläger gehört werden müssen, zumal auch das zeitnahe Herbeirufen eines RTW indiziell für die Richtigkeit der klägerischen Darstellung spreche. Fehlerhaft versäumt worden sei vom Landgericht auch die Vernehmung des in der Klageschrift benannten Zeugen Dr. K (gemeint ist wohl richtig Dr. L), der in seinem als Anlage K 4 überreichten Bericht vom 04.02.2019 eine rechtfertigende Indikation für die erfolgte radiologische Untersuchung aufgeführt habe „nach Schlag auf die Brust Schmerzen am sternokostalen Übergang der oberen Rippe links“, woraus sich ergebe, dass er ebenfalls von einem Schlag ausgegangen sei. Das Landgericht habe schließlich fehlerhaft und ohne Darlegung sowie Vorhandensein eigener Sachkunde verkannt, dass der Umstand der später festgestellten Verschiebung des Ereignisrekorders des Herzschrittmachers um über 10 cm sehr wohl als ein starkes Indiz für die Richtigkeit der klägerischen Darstellung anzusehen sei. Auch insoweit hätte ein Sachverständiger bestätigen können, dass eine derartige Verschiebung nur aufgrund starker Krafteinwirkung durch einen Schlag und nicht etwa durch einen Sturz verursacht worden sein könne, wobei letzteres schon die behandelnde und als Zeugin benannte Oberärztin C in ihrem Schreiben vom 04.11.2019 (Anlage K 20) ausgeschlossen und die Ursächlichkeit des hier in Rede stehenden Schlags des Beklagten als stumpfes Trauma angenommen habe. Insgesamt hätte den Beweisanträgen des Klägers nachgegangen und umfangreicher Zeugen- und Sachverständigenbeweis erhoben werden müssen, sei insbesondere eine Ablehnung wegen ungeeigneter Beweismittel nicht möglich gewesen, weil es eben nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne, dass die Beweismittel – insbesondere ein Sachverständigengutachten – sachdienliche Erkenntnisse zum Beweisthema erbringen könnten und so letztlich insgesamt der Kläger den ihm obliegenden Beweis für die Richtigkeit seiner Darstellung führen könne.
7Der Kläger beantragt,
8unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils,
91. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 19.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.03.2019 zu zahlen,
102. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm den infolge der Körperverletzung vom X.X.2019 in O eintretenden weiteren derzeit nicht konkret absehbaren immateriellen Schaden sowie allen zukünftigen materiellen Schaden zu ersetzen, soweit dieser nicht auf Träger der Sozialversicherung oder andere Dritte übergegangen ist oder übergehen wird,
113. den Beklagten zu verurteilen, an ihn als Nebenforderung für die vorprozessuale anwaltliche Tätigkeit seines Anwaltes 1.317,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.03.2019 zu zahlen.
12Hilfsweise beantragt der Kläger,
13das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Münster zurückzuverweisen.
14Der Beklagte beantragt,
15die Berufung zurückzuweisen.
16Der Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil und führt dabei im Wesentlichen aus: Das Landgericht habe völlig zu Recht den behaupteten, angeblich letztlich zum Abriss des Ereignisrekorders des Herzschrittmachers des Klägers führenden Schlag des Beklagten als nicht erwiesen angesehen und von einer weiteren Beweiserhebung abgesehen. Selbst wenn ein Sachverständiger bestätigen würde, dass eine Schwellung sich erst nach gewisser Zeit bilden könne, hätten zumindest andere Verletzungszeichen wie etwa eine Rötung, eine Prellmarke oder ein Schmerzempfinden des Klägers unmittelbar nach dem angeblichen starken Schlag festgestellt werden müssen. Derartige objektive Feststellungen habe indes der erstbehandelnde Arzt J ausweislich seiner Angaben bei der Polizei und seines Berichtes vom 06.05.2019 (Bl. 47 ff. der Beiakte) gerade nicht treffen können; auch Unregelmäßigkeiten beim Herzschrittmacher seien damals nicht festgestellt worden. Dass unmittelbar nach einem derartigen Schlag keinerlei objektivierbare Anzeichen zu finden seien, widerspreche aller Lebenserfahrung. Auch eine etwa am 31.01.2019 von der Zeugin T festgestellte Schwellung ließe nicht auf einen tatsächlich am X.X.2019 erfolgten Schlag des Beklagten schließen; in diesem Zusammenhang werde die jetzige Vorlage des Gedächtnisprotokolls auch als verspätet gerügt. Selbst wenn ein Sachverständiger zu dem Ergebnis käme, dass ein Schlag stattgefunden haben könnte, wäre damit ein tatsächlich vom Beklagten ausgeführter Schlag nicht bewiesen, da auch andere ursächliche Lebenssachverhalte denkbar seien, etwa ein Stolpern mit Anstoß der Brust gegen einen faustgroßen Gegenstand. Auch eine nach Monaten festgestellte Verschiebung des Ereignisrekorders des Herzschrittmachers des Klägers spreche nicht für einen ursächlichen Schlag des Beklagten. Sämtliche angeführten Beweismittel des Klägers könnten letztlich die Richtigkeit seiner Darstellung bezüglich des angeblichen Schlags des Beklagten nicht belegen. Sachdienliche Hinweise durch eine Beweisaufnahme könnten hier offensichtlich nicht erwartet werden.
17Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
18Dem Senat lag darüber hinaus die Beiakte 81 Js 921/19 StA Münster zu Informationszwecken vor.
19II.
20Die zulässige Berufung des Klägers führt auf seinen Hilfsantrag zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, da das landgerichtliche Urteil auf einem wesentlichen Verfahrensfehler im Sinne der vorgenannten Vorschrift beruht und die Voraussetzungen dieser Vorschrift auch ansonsten vorliegen.
21Im vorliegenden Fall wird man nicht ohne jegliche Beweisaufnahme zu den vorgetragenen Indizien, insbesondere – mangels eigener, auch vom Landgericht nicht dargelegter Sachkunde – nicht ohne sachverständige Beratung von vornherein davon ausgehen können, dass eine Beweisaufnahme keine sachdienlichen Erkenntnisse erbringen kann und es ausgeschlossen ist, sich bei der gebotenen Gesamtschau aller Umstände und Indizien doch von der Richtigkeit der klägerischen Darstellung bezüglich des Faustschlages des Beklagten und der gesundheitlichen Folgen dieses Schlages zu überzeugen.
22Wenn unmittelbare Zeugen für ein Schadensereignis nicht zur Verfügung stehen, steht einem Geschädigten die Möglichkeit offen, einen Indizienbeweis zu führen. Hierbei darf dem klagenden Geschädigten grundsätzlich nicht verwehrt werden, alle verbleibenden Beweismöglichkeiten auszuschöpfen, um durch den Nachweis von Hilfstatsachen den notwendigen Beweis doch noch führen zu können. Allerdings bedeutet das nicht, dass in einem solchen Fall stets alle angebotenen Beweise erhoben werden müssen. Für die Behandlung von Beweisanträgen im Rahmen einer Indizienbeweisführung gelten im Zivilprozess Besonderheiten. Der Richter ist hier freier gestellt als bei sonstigen Beweisanträgen. Er darf und muss vor der Beweiserhebung prüfen, ob der Indizienbeweis schlüssig ist, ob also die Gesamtheit aller vorgetragenen Indizien – ihre Richtigkeit unterstellt – ihn von der Wahrheit der Haupttatsache gemäß § 286 ZPO überzeugen würde. Führt diese Prüfung zu dem Ergebnis, dass der Nachweis der in Rede stehenden Hilfstatsachen an der Überzeugungsbildung nichts ändern würde, darf ein Beweisantrag, der eine Hilfstatsache betrifft, abgelehnt werden. Die wesentlichen Gesichtspunkte für diese Überzeugungsbildung muss der Tatrichter in den Gründen seiner Entscheidung nachvollziehbar darlegen. Ansonsten setzt die Zurückweisung von Beweisanträgen als ungeeignet voraus, dass es völlig ausgeschlossen ist, dass die Beweismittel zum Beweisthema sachdienliche Erkenntnisse erbringen können (vgl. zum Ganzen allgemein BGH, MDR 2013, 729, Rn. 26 f.; BGH, NJW 2012, 2427, Rn. 45 ff.; BGH, NJW-RR 1993, 443, Rn. 6 ff.; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., Vor § 284, Rn. 9 f. und § 286, Rn. 9 a).
23Dass bei Zugrundelegung dieser rechtlichen Grundsätze vorliegend von jeglicher Beweisaufnahme hätte abgesehen werden dürfen, ist weder vom Landgericht nachvollziehbar begründet worden noch sonst ersichtlich. Sicherlich hat ausweislich der Beiakten der erstbehandelnde Arzt J keine äußeren Verletzungsanzeichen festgestellt und ist deshalb zunächst von Röntgenuntersuchungen abgesehen worden. Auf der anderen Seite ist vom Kläger zulässig unter Beweis gestellt worden und ergibt sich zum Teil auch schon aus den Zeugenaussagen im Ermittlungsverfahren, dass der Kläger von Beginn an einen Schlag des Beklagten gegen seine Brust behauptet, Schmerzen im Brustbereich beklagt und Befürchtungen bezüglich einer Beeinträchtigung des Herzschrittmachers geäußert hat. In diesem Zusammenhang hat das Landgericht bei der Würdigung der Angaben der Zeugin U im Ermittlungsverfahren (Bl. 67 d. Beiakte) außer Acht gelassen, dass die Zeugin im weiteren Verlauf noch angegeben hat, der Kläger habe etwas später auch noch ausdrücklich von einem Stoß gegen die Brust gesprochen. Ferner ist zulässig unter Beweis gestellt, dass jedenfalls am Abend des Vorfalltages und auch bei der Untersuchung durch die Hausärztin am 31.01.2019 eine Schwellung im fraglichen Bereich vorgelegen hat. In diesem Zusammenhang geht es nicht an, wenn das Landgericht ohne Befragung der insoweit ausdrücklich als Zeugin benannten Hausärztin in Zweifel gezogen hat, dass diese tatsächlich entsprechende Feststellungen getroffen und nicht nur Auskünfte des Klägers festgehalten hat. Schließlich ist auch zulässig unter Beweis – insbesondere Sachverständigenbeweis – gestellt, dass äußere Verletzungszeichen nach einem Schlag nicht sofort, sondern etwas zeitlich versetzt auftreten können und vor allem die Ende Juli 2019 anlässlich des Austausches des Ereignisrekorders festgestellte erhebliche Dislokation von mehr als 10 cm des Rekorders nicht durch einen schlichten Sturz o.ä. beim Kläger hervorgerufen sein könnte, sondern nur durch eine starke Krafteinwirkung im Sinne eines stumpfen Traumas erklärbar sei, wobei der hier in Rede stehende Faustschlag eine sehr plausible Erklärung darstelle. Bei der Erörterung dieser Frage und der diesbezüglichen Indizwirkung hat sich das Landgericht eine jedenfalls nicht dargelegte eigene Sachkunde angemaßt und auch eine gebotene Gesamtschau aller unter Beweis gestellten Indizien versäumt.
24Insgesamt wird nach alledem erst nach umfassender Sachaufklärung zu den unter Beweisantritt vorgetragenen Indizien durch Erhebung von Zeugen- und Sachverständigenbeweis abschließend beurteilt werden können, ob und wieweit die Richtigkeit der klägerischen Darstellung letztlich festgestellt und eine Haftung des Beklagten angenommen werden kann. Bei Bejahung des Haftungsgrundes wäre dann ggf. auch noch der Umfang der weiteren Gesundheitsfolgen aufzuklären.
25Die danach gebotene Sachaufklärung durch Vernehmung einer Vielzahl von Zeugen – jedenfalls der benannten Nachbarn U und M, der Hausärztin T und auch des erstbehandelnden Arztes J – und vor allem die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens erscheint umfangreich und aufwendig. Bei dieser Sachlage ist es gerechtfertigt und angezeigt, entsprechend dem klägerischen Hilfsantrag gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu verfahren, da es nicht angemessen erscheint, die gebotene weitere aufwendige Sachaufklärung erstmals in zweiter Instanz vorzunehmen und den Parteien dadurch eine Tatsacheninstanz zu nehmen.
26Von daher war das angefochtene Urteil einschließlich des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
27Zudem war das Urteil für vorläufig vollstreckbar zu erklären (vgl. Zöller/Heßler, a.a.O., § 538, Rn. 59).