Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28.09.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Detmold teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 31.341,57 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15.08.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs B mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer #123.
Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien können die Zwangsvollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e:
2A.
3Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Kaufvertrag über einen Neuwagen B.
4Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin kaufte gem. Rechnung vom 03.05.2017 (Anlage K1) das streitgegenständliche Fahrzeug des Typs B EU6 zu einem Kaufpreis von 59.946,42 EUR (netto 50.375,14 EUR).
5Der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs wurde von der Beklagten entwickelt und hergestellt. Die Senkung der Stickstoffemissionen des Fahrzeugs erfolgt über die sog. Abgasrückführung und mittels eines SCR-Katalysators. Die Wirkungsweise des AGR-Systems wird in bestimmten Temperaturbereichen reduziert bzw. abgeschaltet (sog. Thermofenster).
6Das Fahrzeug unterliegt einem behördlichen Rückruf wegen einer Aufheizstrategie, durch die in Abhängigkeit von verschiedenen Parametern festgestellt wird, ob sich das Fahrzeug auf einem Rollenprüfstand befindet. Ist dies der Fall, wird der SCR-Katalysator schnell auf Betriebstemperatur gebracht. Im realen Straßenbetrieb ist diese Funktion abgeschaltet und das Fahrzeug stößt dann ein Vielfaches an Schadstoffen aus. Ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update wurde vom Kraftfahrt-Bundesamt mit Bescheid vom 26.11.2018 (Anlage B5) freigegeben. Die Klägerin ließ das angebotene Software-Update an dem streitgegenständlichen Fahrzeug durchführen.
7Mit Schreiben vom 11.03.2020 forderten die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Beklagte zur Erstattung des (Brutto-)Kaufpreises zzgl. Zinsen auf den Kaufpreis in Höhe von 4 % ab Kaufzeitpunkt Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges unter Fristsetzung bis zum 25.03.2020 auf (Anlage K2). Mit Schreiben vom 17.03.2020 (Anlage K3) lehnte die Beklagte die Zurücknahme des Fahrzeugs ab.
8Zunächst hat der Geschäftsführer der Klägerin mit der Klageschrift vom 25.03.2020, der Beklagten zugestellt am 28.04.2020, Schadensersatzansprüche geltend gemacht und diese u.a. darauf gestützt, dass im Prüfzyklus NEFZ eine sog. schadstoffmindernde Aufwärmstrategie anspringe, die überwiegend im realen Verkehr nicht aktiviert werde.
9Mit Schriftsatz vom 10.08.2020, den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugegangen am 14.08.2020, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mitgeteilt, dass die Klägerpartei versehentlich falsch bezeichnet worden sei, und hat hilfsweise einen Parteiwechsel auf Klägerseite beantragt. Das Landgericht hat das Rubrum entsprechend geändert.
10Nach teilweiser Klagerücknahme hat die Klägerin beantragt,
111. die Beklagte zu verurteilen, an sie 34.239,96 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.05.2017 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges B mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ##123;
122. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet;
133. die Beklagte zu verurteilen, sie von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.736,60 EUR freizustellen.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien erster Instanz sowie ihrer Anträge wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
17Durch das angefochtene Urteil vom 28.09.2020 hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Klägerin stehe gegen die Beklagte kein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises für das streitgegenständliche Fahrzeug Zug um Zug gegen dessen Rückgabe und Rückübereignung zu. Ein solcher Anspruch folge nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, denn die Klägerin habe jedenfalls ein vorsätzliches Verhalten der Beklagten i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB durch die Verwendung des streitgegenständlichen Thermofensters nicht substantiiert dargelegt. Eine Beurteilung sei im hiesigen Fall in Ermangelung konkreten Vortrags der insoweit darlegungsbelasteten Klägerin zur genauen Funktionsweise des Thermofensters ohnehin nicht abschließend möglich gewesen. Unabhängig davon, ob das Thermofenster aber tatsächlich zum Bauteilschutz erforderlich und damit zulässig gewesen sei, sei eine solche Annahme der Beklagten bzw. von deren verfassungsmäßig berufenen Vertretern respektive Ingenieuren jedenfalls nicht von Vornherein von der Hand zu weisen und stelle sich auch aus Sicht des Gerichts als mögliche Auslegung im Rahmen von Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO (EG) 715/2007 dar. Auch im Hinblick auf die von der Klägerin angeführten weiteren Funktionen der Aufheizstrategie und der Einschränkung der AdBlue-Einspritzung fehle es jedenfalls an der konkreten Darlegung eines vorsätzlichen Verhaltens der Beklagten. Aus dem Vortrag der Klägerin zur näheren Beschreibung der sog. Aufheizstrategie folge noch nicht einmal, dass durch deren Abschaltung die gesetzlich einzuhaltenden Grenzwerte für den Schadstoffausstoß im vorliegenden Fall nicht eingehalten worden wären. Im Übrigen habe sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht ergeben, dass sich diese Funktion sowie der vielfach angeführte Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt tatsächlich auf das klägerische Fahrzeug bezogen hätten. In Anbetracht des nicht hinreichenden Vortrags der Klägerin zu diesen beiden Funktionen, der dem Gericht noch nicht einmal die Prüfung ermögliche, ob es sich um unzulässige Abschalteinrichtungen handele, habe sich daraus für die Beklagte auch kein Vorwurf eines vorsätzlichen täuschenden Verhaltens ergeben. Davon abgesehen fehle es im Rahmen der für die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes des § 263 Abs. 1 StGB erforderlichen Bereicherungsabsicht auch an dem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Stoffgleichheit zwischen dem von der Beklagten beabsichtigten Schaden der Klägerin und dem Vermögensvorteil der Beklagten. Ein Anspruch der Klägerin ergebe sich auch nicht aus § 826 oder § 831 BGB. Auch insoweit fehle es an der hinreichenden Darlegung des in diesem Zusammenhang erforderlichen Vorsatzes von verfassungsmäßig berufenen Vertretern der Beklagten. Auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 12, 18 RL (EG) 46/2007, §§ 4,6, 25, 27 Abs. 1 EG-FGV ergebe sich kein Rückabwicklungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte, denn die Vorschriften stellten keine Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB dar.
18Die Klägerin wendet sich gegen dieses Urteil mit ihrer Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge (mit Ausnahme eines Teils der Zinsen) weiterverfolgt. Sie macht geltend, entgegen der Auffassung des Landgerichts habe sie mit ihrem Schriftsatz vom 10.08.2020 hinreichend zur Funktionsweise des Thermofensters, der Prüfstanderkennung und der manipulierten AdBlue-Einspritzung vorgetragen. Gemäß ihrem Vortrag sei jede Abschalteinrichtung unzulässig. Ob sie zu erhöhten und Grenzwertüberschreitungen (hier des NOx) führe, sei schon unerheblich. Deshalb sei auch die sogenannte Prüfstanderkennung per se, auf jeden Fall aber in der behaupteten Verknüpfung mit einem veränderten Abgasverhalten, erfasst. Die Relevanz der Abschalteinrichtung für die erteilte Typengenehmigung und die Möglichkeit der Betriebsuntersagung wegen abweichenden Abgasverhaltens im realen Fahrbetrieb seien im erstinstanzlichen Vortrag begründet worden. Die vom Bundesgerichtshof aufgestellten strengen Voraussetzungen für eine Behauptung „ins Blaue hinein“ lägen hier nicht vor. Das erstinstanzliche Gericht habe verkannt, dass sie mangels eigener Sachkunde und hinreichenden Einblicks in die Konzeption und die Funktionsweise des in ihrem Fahrzeug eingebauten Motors und des Systems zur Verringerung des Stickoxidausstoßes keine genauen Kenntnisse von dem Vorhandensein und der konkreten Wirkung der Abschalteinrichtung haben könne. Es reiche vielmehr aus, dass sie greifbare Umstände anführe, auf die sie den Verdacht gründe, dass ihr Fahrzeug eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen aufweise. Dies sei im Vortrag erster Instanz geschehen. Das Landgericht wolle einen Pflichtrückruf zu Regulierung des Abgasverhaltens des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Frage stellen. Indes sei unstreitig gewesen, dass dies der Fall sei. Das Landgericht hätte daher ausgehend vom unstreitigen Vortrag bereits zu einer antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten gelangen müssen, jedenfalls hätte es aber bei Berücksichtigung ihrer Beweisangebote die Überzeugung von der Richtigkeit ihrer Beweisbehauptungen gewonnen und der Klage stattgegeben.
19Die Klägerin beantragt,
201. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Detmold vom 28.09.2020 zum Aktenzeichen 4 O 86/20 die Beklagte zu verurteilen, an sie 34.239,96 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges B mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ##123;
212. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet;
223. die Beklagte zu verurteilen, sie von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 3.736,60 EUR freizustellen.
23Die Beklagte beantragt,
24die Berufung zurückzuweisen.
25Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen. Hilfsweise wendet sie ein, auch bei einer vorsteuerabzugsberechtigten Partei sei der Nutzungsersatz ausgehend vom Bruttokaufpreis zu berechnen.
26Der Senat hat mit Verfügung vom 08.03.2021 die Einholung einer amtlichen Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes angeordnet, die das Kraftfahrt-Bundesamt unter dem 17.06.2021 erteilt hat und die den Parteien übermittelt wurde.
27Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Gerichtsakten gereichten Unterlagen verwiesen.
28B.
29Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache teilweise Erfolg.
30I. Zulässigkeit der Klage
31Die Klage ist zulässig. Die „Berichtigung“ des Rubrums auf Klägerseite stellt einen zulässigen Parteiwechsel dar, durch die der bisherige Kläger A aus dem Rechtsstreit ausschied und Rechtshängigkeit hinsichtlich der jetzigen Klägerin mit Zugang des bestimmenden Schriftsatzes vom 10.08.2020 eintrat. Einer Einwilligung der Beklagten bedurfte es nicht, da noch nicht mündlich verhandelt worden war (BGH, Zwischenurteil vom 29.08.2012, XII ZR 154/09, Rn. 15, juris).
32II. Begründetheit der Klage
33Die Klage ist hinsichtlich des Berufungsantrags zu 1) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Hinsichtlich der Berufungsanträge zu 2) und 3) ist die Klage unbegründet.
341) Berufungsantrag zu 1): Zahlungsantrag Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs B
35Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB. Die Beklagte beging eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klägerin, indem sie den in dem von der Klägerin erworbenen B eingebauten Motor mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung in den Verkehr brachte.
36a) schädigende Handlung
37Die Schädigungshandlung liegt darin, dass die Beklagte das Fahrzeug mit einem Dieselmotor herstellte und in Verkehr brachte, dessen Steuerungssoftware mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen war. Dies begründete die Gefahr eines Widerrufs bzw. einer Rücknahme der EG-Typgenehmigung, so dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages die uneingeschränkte Nutzbarkeit des Fahrzeugs nicht gewährleistet war.
38(1) Für den Senat steht mit Bindungswirkung (§§ 314, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) fest, dass das Fahrzeug der Klägerin einem behördlich angeordneten Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterlag. Die Klägerin hat bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, die Motorsteuerungssoftware ihres Fahrzeugs erkenne anhand bestimmter Parameter, ob sich das Fahrzeug im NEFZ befinde, und richte das Emissionsverhalten des Fahrzeugs danach aus. Die Beklagte hat den hinreichend substantiierten Vortrag der Klägerin zum Hintergrund der behördlichen Maßnahmen nicht bestritten. Sie hat lediglich eingeräumt, dass sie auf Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamtes eine Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs zur „Anpassung des Emissionsverhalten“ vornehme. Einzelheiten zur Funktionsweise der beanstandeten Software hat die Beklagte nicht mitgeteilt. Auch den Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes hat sie trotz der Auflage in der Terminverfügung des Senats vom 29.12.2020 nicht vorgelegt. Der Sachvortrag aus der Klageerwiderung vom 30.06.2020 und aus der Berufungserwiderung vom 02.06.2020 „Nach Auffassung des KBA war beim B (EU6) die Bedatung der vom KBA beanstandeten Softwarebestandteile zu ändern bzw. aufzuweiten, um einen breiteren Anwendungsbereich im Straßenbetrieb zu gewährleisten.“ betrifft allerdings senatsbekannt die Manipulationen im Zusammenhang mit der sog. schnellen Motoraufwärmfunktion bzw. Aufheizstrategie.
39(2) Dies korrespondiert mit dem Inhalt der Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 17.06.2021, in der mitgeteilt wird, in dem betroffenen Fahrzeug werde eine Art Warmlaufstrategie mit vergleichsweise hohen Raten der Abgasrückführung (AGR) nahezu ausschließlich unter den Bedingungen der Prüfung Typ 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 genutzt und außerhalb der gesetzten Bedingungen abgeschaltet, ohne dass ein triftiger Ausnahmegrund vorliege. Bereits zum Starten der Strategie werde eine Vielzahl von Initialisierungsparametern verwendet, die über eine UND-Verknüpfung miteinander verbunden seien. D. h. alle Bedingungen müssten gleichzeitig vorliegen, dann werde die Strategie genutzt. Die zu den Parametern gehörenden Werte (Schaltbedingungen) seien so eng eingrenzend, dass die Strategie nahezu ausschließlich im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und den dort definierten Prüfbedingungen wirke. Mit Nutzung der Strategie werde der Emissionsgrenzwert für Stickoxide eingehalten. Schon kleine Abweichungen in Fahrprofil und Umgebungsbedingungen führten zur Abschaltung der Strategie. Dadurch würden die Rate und damit die Wirkung der Abgasrückführung verringert und die Stickoxidwerte erhöhten sich. Im Falle der betroffenen Fahrzeugkonzepte könne dieser Anstieg der Emissionen auch nicht über das NOx-Nachbehandlungssystem (SCR-Katalysator) kompensiert werden, d. h. ohne die Nutzung erhöhter AGR-Raten im NEFZ werde der Grenzwert für NOx-Emissionen überschritten.
40(3) Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass in dem Fahrzeug der Klägerin vor dem Aufspielen des Software-Updates eine Technik zum Einsatz kam, die planmäßig, systematisch und zielgerichtet zu einer Verminderung der Emissionen im Prüfstandbetrieb führte, während die Aufheizstrategie und damit eine reguläre Abgasreinigung im normalen Fahrbetrieb nicht zum Einsatz kam. Denn es waren Parameter für die Motoraufwärmfunktion vorgegeben, die auf den Prüfstand zugeschnitten waren und gewährleisteten, dass die Funktion dort wirkte. Demgegenüber wirkte die Funktion im realen Straßenbetrieb nur dann, wenn zufällig der seltene Ausnahmefall eintrat, dass die engen Parameter dort ebenfalls erfüllt waren. Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, dass die Funktion im realen Straßenverkehr überhaupt eine echte schadstoffmindernde Wirkung haben sollte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich der eigentliche Sinn der Funktion darin erschöpfte, auf dem Prüfstand niedrige NOx-Werte zu erzielen und dabei vorzutäuschen, diese Werte würden auch im realen Straßenverkehr erreicht. Die gesamte Konstruktion war daher darauf ausgelegt, über die Manipulation zu täuschen (OLG Frankfurt, Urteil vom 24.02.2021, 4 U 257/19, Rn. 31, juris). Der Sachverhalt ist daher ebenso zu beurteilen wie die sog. Umschaltlogik in den Motoren des Typs EA 189 (Senat, Urteil vom 23.11.2020, 8 U 43/20, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 05.06.2020, 8 U 1803/19, juris; OLG Oldenburg, Urteil vom 16.10.2020, 11 U 2/20, juris und Urteil vom 04.03.2021, 14 U 185/20, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 24.02.2021, 4 U 257/19, Rn. 31, 32, juris).
41(4) Dies stellt ein Verhalten dar, das einer bewussten arglistigen Täuschung zumindest gleichsteht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 25, juris; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, Rn. 11, juris). Denn der Käufer eines derart bemakelten Fahrzeug, gleichgültig, ob er das Fahrzeug neu oder gebraucht erwirbt, geht arglos davon aus, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Ein Fahrzeugkäufer darf darauf vertrauen, dass das erworbene Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden kann, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt und die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren rechtmäßig durchlaufen worden sind. Tatsächlich enthielt der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs jedoch zum Zeitpunkt des Kaufs eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007, weil der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb gezielt durch Einsatz einer entsprechenden Steuerungssoftware reduziert worden ist. Dies hatte zur Folge, dass die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die für die Zulassung zum Straßenverkehr zuständige Behörde bestand und ein weiterer Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr möglicherweise nicht (mehr) möglich war (BGH, Hinweisbeschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17, juris; BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/10, juris). Dem Senat ist aus mehreren Parallelverfahren der Inhalt der Rückrufbescheide hinsichtlich der streitgegenständlichen Manipulation bekannt, in dem das Kraftfahrt-Bundesamt darauf hinweist, dass für den Fall der Nichtbefolgung der getroffenen Anordnungen – u.a. Umrüstung aller betroffenen Fahrzeuge mittels Einbringung des vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegebenen Datenstandes der Motorsteuerungssoftware – die betroffene Typgenehmigung ganz oder teilweise zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. Der Vortrag der Beklagten, ein Widerruf der bestehenden EG-Typgenehmigung habe nicht gedroht, trifft nicht zu.
42b) Sittenwidrigkeit
43Die Beklagte handelte auch sittenwidrig.
44(1) Sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dabei genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Die Verwerflichkeit kann sich dabei auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 15, juris; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, Rn. 29, juris).
45(2) Der vorliegende Sachverhalt ist ebenso zu beurteilen wie das Verhalten der C AG in Bezug auf das Aggregat EA 189. Denn auch die Beklagte hat auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung bei der Motoren- und Getriebeentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes systematisch Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Steuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit gingen einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16 ff., juris; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, Rn. 33, juris).
46c) objektive Zurechnung des Verhaltens (§ 31 BGB) und Schädigungsvorsatz
47Dieses schädigende Verhalten der Organe ist der Beklagten gem. § 31 BGB zuzurechnen. Diese handelten mit Schädigungsvorsatz.
48(1) Die Klägerin hat bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgetragen, aufgrund der im Corporate Governance Bericht der Beklagten dargestellten Berichts- und Kontrolldichte und des implementierten Risikomanagementsystems habe der Vorstand der Beklagten Kenntnis vom Einsatz dieser Abschalteinrichtung, wodurch sich die Haftung der Beklagten begründe. Auch müsse bei lebensnaher Betrachtung unterstellt werden, dass strategische Entscheidungen von derartiger Tragweite grundsätzlich nicht ohne Kenntnis des Vorstands getroffen würden. Sie – die Klägerin – könne aus eigenem Wissen nicht darlegen, in welcher Organisationseinheit der Beklagten die Motorsteuerungssoftware/Abschalteinrichtung entwickelt, verwendet oder verbaut worden sei, wer die Entscheidung hierüber getroffen habe und wie diese Entscheidung bei der Beklagten kommuniziert worden ist. Demgegenüber sei es der Beklagten nicht nur möglich, dies aufzuklären, sondern bestehe aus Compliance-Grundsätzen auch eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten. Insoweit treffe sie eine sekundäre Darlegungslast, zu den internen Vorgängen im Zusammenhang mit der Abschalteinrichtung vorzutragen. Aber auch ohne Kenntnis des Vorstands sei über § 831 BGB eine Haftung der Beklagten für ihre Mitarbeiter gegeben, da diese die Motorsteuerungssoftware entweder selbst programmiert oder deren Programmierung veranlasst und dabei als Verrichtungsgehilfen der Beklagten gehandelt hätten. Die Beklagte hat dieses Vorbringen in der Klageerwiderung nicht bestritten, sondern sich auf den Standpunkt gestellt, die Klägerin habe den Vorsatz nicht substantiiert dargelegt und habe zu den subjektiven Voraussetzungen der geltend gemachten Ansprüche keinen hinreichend konkreten und einlassungsfähigen Sachvortrag geliefert. Mit der Replik vom 10.08.2020 hat die Klägerin ihren Vortrag vertieft, worauf die Beklagte mit ihrer Duplik vom 21.08.2020 nichts mehr erwidert hat.
49(2) Das Vorbringen der Klägerin gilt damit als zugestanden, § 138 Abs. 2 ZPO. Da hinreichende Anhaltspunkte für ein deliktisches Verhalten vorliegen, trifft die Beklagte in Bezug auf ihre internen Entscheidungsstrukturen eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht nachgekommen ist (BGH, Urteil vom 25.05.2029, VI ZR 252/19, Rn. 37 ff., juris). Auch in der Berufungsinstanz hat die Beklagte ihren Sachvortrag zu diesem Punkt nicht ergänzt.
50(3) Abgesehen davon haftet die Beklagte nach §§ 826, 831 BGB auch für die Tätigkeit anderer Mitarbeiter, die in die Verwendung der illegalen Software eingebunden waren, so dass für die Frage einer sittenwidrigen Schädigung durch diese Personen letztlich nichts grundsätzlich anderes gelten würde als für Repräsentanten und den Vorstand (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 43, juris).
51d) kausaler Vermögensschaden
52Der Klägerin entstand durch die Verletzungshandlung ein Schaden (§§ 826, 249 BGB), denn sie ging aufgrund des sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten eine ungewollte Verbindlichkeit in Gestalt des Kaufvertrages über das bemakelte Fahrzeug ein.
53(1) Im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage, ob der Käufer den Kaufvertrag in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung nicht geschlossen hätte, hat der Bundesgerichtshof die Anwendung eines Erfahrungssatzes gebilligt, wonach auszuschließen ist, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder ‑untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 49 ff., juris). Auf einen solchen Erfahrungssatz hat sich auch die Klägerin berufen, indem sie behauptet hat, dass sie das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn sie von der Manipulation und der drohenden Betriebsuntersagung gewusst hätte. Die Anwendung der Vermutung aufklärungsgerechten Verhaltens führt zu dem Ergebnis, dass die Klägerin von dem Erwerb des Fahrzeugs Abstand genommen hätte, wenn sie gewusst hätte, dass der Motor des Fahrzeugs eine auf Täuschung aller Verbraucher, Händler und Behörden angelegte Steuerung aufweist. Die Frage, ob es der Klägerin bzw. ihrem Geschäftsführer bei dem Erwerb des hochmotorisierten Fahrzeugs auf eine besondere Umweltfreundlichkeit ankam, ist daher für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich.
54(2) Durch das Aufspielen des angebotenen Software-Updates entfällt der Schaden nicht. Der im Mai 2017 unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der Klägerin sittenwidrig herbeigeführte ungewollte Vertragsschluss, der im Rahmen des § 826 BGB den Schaden begründet, wird durch die Durchführung eines Software-Updates – zumal angesichts einer anderenfalls drohenden Betriebsuntersagung – nicht rückwirkend zu einem gewollten Vertragsschluss (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 58, juris).
55e) Umfang des Schadensersatzanspruchs
56(1) Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, der Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu erfüllen ist. Denn die Beklagte hat nach § 249 Abs. 1 BGB den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.
57(a) Der ersatzfähige Schaden der Klägerin besteht aufgrund ihrer unstreitigen Vorsteuerabzugsberechtigung im Ausgangspunkt nur in dem Nettokaufpreis in Höhe von 50.375,14 EUR. Die Umsatzsteuer ist für die Klägerin als Unternehmerin nur ein gewinn- bzw. verlustneutraler durchlaufender Posten, sodass bei ihr im Umfang der anteiligen Umsatzsteuer von dem Bruttokaufpreis des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 59.946,42 EUR kein nach den §§ 249, 251 BGB ersatzfähiger Schaden verbleibt. Die Klägerin berücksichtigt dies bei ihrer Schadensberechnung und hat im Zuge des Parteiwechsels die Klage hinsichtlich des auf die Umsatzsteuer entfallenden Betrags zurückgenommen.
58(b) Von dem geleisteten Kaufpreis ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 64, ff., juris; Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, Rn. 11, juris; Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, Rn. 34, juris), der sich der Senat anschließt, ein Anspruch der Beklagten gegen die Klägerin auf Nutzungsersatz unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung abzuziehen.
59(aa) Der Bundesgerichtshof hat dabei eine Schätzung nach § 287 ZPO im Wege der zeitanteiligen linearen Wertminderung gebilligt. Maßgeblich für die Höhe der anzurechnenden Vorteile ist die zu erwartende Gesamtlaufleistung, die der Senat für das streitgegenständliche Fahrzeug in ständiger Rechtsprechung mit 300.000 km ansetzt.
60(bb) Bei einer vorsteuerabzugsberechtigten Partei ist der Nutzungsersatz ausgehend vom Nettokaufpreis zu berechnen. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg, dass auch in diesem Fall der Kaufpreis inklusive Mehrwertsteuer maßgeblich für die Berechnung der gezogenen Nutzungen sei (OLG Oldenburg, Urteil vom 04.03.2021, 14 U 185/20, Rn. 52, juris). Die von dem Oberlandesgericht Oldenburg zur Begründung seiner Entscheidung herangezogenen Urteile des Bundesgerichtshofs betreffen die Berechnung des Nutzungsersatzes nach der Rückabwicklung eines Kaufvertrages im Rahmen des Sachmängelgewährleistungsrechts. In diesem Zusammenhang ist es sachgerecht, den zwischen den vereinbarten (Brutto-)Kaufpreis als Bewertungsmaßstab für den Wert der von dem Käufer erlangten Gebrauchsvorteile heranzuziehen (BGH, Urteil vom 09.04.2014, VIII ZR 215/13, juris), und zwar auch bei der Beteiligung eines vorsteuerabzugsberechtigten Käufers (BGH, Urteil vom 26.06.1991, Rn. 12 ff., juris). Die Rückerstattung der vom Verkäufer gezahlten Umsatzsteuer im Falle der Wandelung, so der Bundesgerichtshof, biete für einen solchen Unterschied keine Rechtfertigung, denn sie trete auch dann ein, wenn die Kaufsache an einen nichtabzugsberechtigten Käufer veräußert gewesen sei (BGH, Urteil vom 26.06.1991, Rn. 14, juris). Hintergrund dieser Sichtweise ist damit letztlich die Erwägung, dass es für den am vereinbarten Kaufpreis orientierten Wert der gezogenen Nutzungen nicht entscheidend darauf ankommt, ob der Käufer vorsteuerabzugsberechtigt ist oder nicht. Diese Begründung trifft aber auf das Verhältnis der Parteien, die nur durch eine deliktische Schadensersatzpflicht miteinander verbunden sind, nicht zu; die Beklagte war an dem Abschluss des Kaufvertrages nicht beteiligt. Die Vorteilsausgleichung durch Abzug einer Nutzungsentschädigung dient dazu, einen gerechten Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeizuführen. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 65, juris). Im Rahmen der Vorteilsausgleichung kommt es auf die aus dem erworbenen Fahrzeug (tatsächlich) gezogenen Vorteile an. Die vom Bundesgerichtshof gebilligte Schätzung im Wege der zeitanteiligen linearen Wertminderung basiert auf dem Kauf des tatsächlich erworbenen Fahrzeugs und stellt mithin unmittelbar auf das schädigende Ereignis ab. Dabei berücksichtigt sie einerseits die dem jeweiligen Käufer zugeflossenen Nutzungsvorteile und andererseits über den wertbildenden Faktor der Laufleistung auch den Wertverlust des Fahrzeugs (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 81, 82, juris). Da der Schaden der Klägerin hier nicht durch die Höhe des zwischen den Kaufvertragsparteien vereinbarten Bruttopreises bestimmt wird, sondern nur in Höhe des Nettokaufpreises besteht, hält der Senat es für sachgerecht, dass sich auch der für die Berechnung des Nutzungsvorteils maßgebliche Gebrauchswert an dem Kaufpreis ohne Umsatzsteuer orientiert. Eine andere Betrachtungsweise würde zu einer nicht gerechtfertigten Entlastung der Beklagten führen.
61(cc) Da die Klägerin keinen tagesaktuellen Kilometerstand mitgeteilt hat, hat der Senat die Laufleistung des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 05.07.2021 anhand der aktenkundigen Kilometerstände geschätzt (§ 287 Abs. 1 ZPO).
62(dd) Ausgehend von dem Kaufpreis von 50.375,14 EUR und der Fahrleistung, die nach der Schätzung des Senats zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bei 113.351 km lag, im Verhältnis zu einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung im Erwerbszeitpunkt von 300.000 km ermittelt sich ein Nutzungsersatz in Höhe von 19.033,57 EUR.
63(c) Der Betrag von 19.033,57 EUR ist von dem Nettokaufpreis in Höhe von 50.375,14 EUR abzuziehen, so dass sich der ausgeurteilte Betrag in Höhe von 31.341,57 EUR errechnet.
64(2) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz BGB. Verzug trat einen Tag nach dem Zugang des Schriftsatzes vom 10.08.2020 bei den Prozessbevollmächtigten der Beklagten ein, da die Schadensersatzforderung in diesem Schriftsatz erstmals von der Klägerin (und nicht mehr von ihrem Geschäftsführer) geltend gemacht wurde.
652) Berufungsantrag zu 2): Feststellung des Annahmeverzugs
66Der Antrag ist unbegründet, da die Klägerin das Fahrzeug nicht zu richtigen Bedingungen anbietet (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 85, juris und Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, Rn. 30, juris). Sie macht die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs von einem überhöhten Zahlungsbegehren abhängig, da sie die bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung eine zu hohe Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs (350.000 km anstelle von 300.000 km) ansetzt.
673) Berufungsantrag zu 3): Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten
68Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Es ist bereits nicht dargetan, dass sie mit einer derartigen Verbindlichkeit belastet ist. Das außergerichtliche Schreiben vom 11.03.2020 (Anlage K2) wurde nach seinem Inhalt nicht im Auftrag der Klägerin, sondern im Auftrag ihres Geschäftsführers A verfasst und versandt. Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05.07.2021 auf diesen Umstand hingewiesen, ergänzender Vortrag ist nicht erfolgt.
69III.
70Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1, 269 Abs. 3 Satz 2. Der ausgeschiedene Kläger war an der Kostenentscheidung nicht zu beteiligen. Durch den Klägerwechsel im erstinstanzlichen Verfahren sind keine ausscheidbaren Mehrkosten entstanden, die ohne den Parteiwechsel nicht angefallen wären (BGH, Urteil vom 14.10.2014, X ZR 35/11, Rn. 126 ff. juris). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
71Der Senat hat die Revision nach § 543 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 ZPO zugelassen. Die Zulassung beschränkt sich auf die Höhe der im Rahmen der Vorteilsausgleichung abzuziehenden Nutzungsentschädigung. Der Senat weicht hinsichtlich der Bemessung des Nutzungsersatzes bei vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Oldenburg ab. Zugleich ist diese Frage aufgrund der Vielzahl vergleichbarer Fälle von grundsätzlicher Bedeutung.