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Bei einer Verurteilung wegen Sozialleistungsbetruges müssen die tatrichterlichen Entscheidungsgründe in nachvollziehbarer Weise zu erkennen geben, dass und inwieweit auf die zu Unrecht erbrachten Leistungen nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen tatsächlich kein Anspruch bestand.
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Brilon zurückverwiesen.
Gründe
2I.
3Das Amtsgericht Brilon hat gegen den Angeklagten mit Urteil vom 30. November 2020 wegen Betruges eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt.
4Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht dabei u. a. folgende Feststellungen getroffen:
5„Mit Sozialleistungsantrag vom 08.07.2019 beantragte der Angeklagte für sich Sozialleistungen. Mit Sozialleistungsbescheid vom 24.07.2019 bewilligte das Jobcenter A für den Zeitraum vom 01.08.2019 bis zum 31.07.2020 dem Angeklagten Sozialleistungen.
6Auf Vermittlung des Jobcenters nahm der Angeklagte am 04.09.2019 eine Tätigkeit bei der Firma B auf, die bis zum 02.10.2019 befristet lief.
7Bis zum 13. November 2019 war der Angeklagte dann arbeitslos. Infolge Eigeninitiative nahm er dann am 14.11.2019 bei der bekannten Firma B erneut eine – diesmal unbefristete – Tätigkeit auf, die er bis zum 29.02.2020 ausübte. Von der (erneuten) Arbeitsaufnahme bei der Firma B informierte er das Jobcenter entgegen seiner Pflicht, alle Änderungen in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die für den Leistungsbezug erheblich sind, unverzüglich und unaufgefordert mitzuteilen, nicht. …
8Mit Datenabgleich vom 19.02.2020 wurde dem Jobcenter offenbar, dass der Angeklagte, der nach wie vor im Sozialleistungsbezug stand, seit dem 14.11.2019 bei der Firma B arbeitete.
9Mit Schreiben vom 09.03.2020 forderte das Arbeitsamt daraufhin den Angeklagten auf, den Arbeitsvertrag sowie die Lohnabrechnung zu übersenden. Eine Reaktion seitens des Angeklagten folgte hierauf nicht. Darauf wurden die Leistungen eingestellt. Kurz nach der Einstellung der Leistung meldete sich der Angeklagte am 07.05.2020 sodann telefonisch beim Arbeitsamt.
10Nach Vorhergesagtem hatte der Angeklagte im Zeitraum vom 14.11.2019 bis zum 29.02.2020 zu Unrecht Sozialleistungen in Höhe von 1.520,20 € bezogen, wobei er es vorsätzlich unterlassen hat, dem Jobcenter der Stadt A seine Arbeitsaufnahme in dem genannten Zeitraum anzuzeigen. Infolge der Verrechnung mit einem dem Angeklagten zustehenden Anspruch sowie der Zahlung einiger Schadensraten besteht gegenwärtig noch ein offenener Schaden in Höhe von ca. 1000,00 €.
11Die Überzahlungen im einzelnen betragen:
12 Dezember 2019: 168,40 €
13 Januar 2020: 675,90 €
14 Februar 2020: 675,90 €“
15Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der von ihm form- und fristgerecht eingelegten Sprungrevision, die er unter näheren Ausführungen mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet hat.
16Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, wie vom Senat erkannt worden ist.
17II.
18Die Revision des Angeklagten ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entsprechend führt bereits die vom Angeklagten erhobene Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen.
19Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag wie folgt begründet:
20„Die gem. § 335 StPO statthafte (Sprung-)Revision des Angeklagten ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden. Ihr bleibt ein - zumindest vorläufiger - Erfolg in der Sache nicht versagt.
21Bereits die auf die allgemeine Sachrüge hin vorzunehmende Überprüfung des Urteils führt zu seiner Aufhebung, da die Feststellungen des Gerichts den Schuldspruch wegen Betruges durch Unterlassen nicht tragen.
22In Fällen des sogenannten Sozialleistungsbetrugs hat das Tatgericht nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften selbständig zu prüfen, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand. Um den Eintritt eines Schadens zu belegen, muss aus den Feststellungen in nachvollziehbarer Weise hervorgehen, dass und inwieweit nach den tatsächlichen Gegebenheiten auf die sozialrechtliche Leistung kein Anspruch bestand; mit einer allgemeinen Verweisung auf behördliche Schadensaufstellungen darf sich das Urteil nicht begnügen (zu vgl. nur BGH, Beschluss vom 22.03.2016 – 3 StR 517/15 –, m.w.N., zitiert nach juris).
23Diesen Anforderungen genügen die der Verurteilung durch das Amtsgericht Brilon zugrundeliegenden Feststellungen nicht. Weder teilt das Amtsgericht die Höhe der durch den Angeklagten bezogenen Sozialleistungen noch die Höhe eines etwaig erlangten und dem Job-Center der Stadt A nicht gemeldeten Arbeitsentgeltes mit. Nachvollziehbare Berechnungen, wie sich dieses Arbeitsentgelt auf die Berechtigung des Angeklagten zum Sozialleistungsbezug ausgewirkt haben sollen, fehlen dementsprechend gänzlich. Dem Senat ist auf der Grundlage der wiedergegebenen Äußerung der Zeugin C, die lediglich die angebliche Schadenshöhe betrifft und auf die das Amtsgericht ausweislich der Urteilsgründe allein seine Feststellungen zur Schadenshöhe gestützt hat, eine Prüfung des Schadensumfanges nicht möglich.
24Da das Urteil bereits auf die Sachrüge hin der Aufhebung unterliegt, kann dahingestellt bleiben, ob die weiter erhobenen Verfahrensrügen durchgreifen.“
25Diesen in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Senat an. Ergänzend weist der Senat nochmals auf Folgendes hin:
26Wird einem Angeklagten vorgeworfen, staatliche Sozialleistungen betrügerisch erlangt zu haben, müssen die tatrichterlichen Entscheidungsgründe in nachvollziehbarer Weise zu erkennen geben, dass und inwieweit auf die angeblich „überzahlten“ Beträge nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen tatsächlich kein Anspruch bestand. Im Rahmen der getroffenen Feststellungen darf sich das erkennende Gericht dabei auch nicht mit dem bloßem Verweis auf eine behörliche Schadensaufstellung begnügen. Eine Verurteilung nach § 263 StGB wegen betrügerisch erlangter öffentlicher Leistungen setzt regelmäßig voraus, dass der Tatrichter selbst nach den Grundsätzen der für die Leistungsbewilligung geltenden Vorschriften geprüft hat, ob und inwieweit tatsächlich kein Anspruch auf die beantragten Leistungen bestand (vgl. Senat, Beschluss vom 17. August 2015 in 5 RVs 65/15, Beschluss vom 15. Februar 2011 in 5 RVs 2/11; OLG Hamm, Beschluss vom 16. Mai 2006 in 3 Ss 7/06, Beschluss vom 28. Juni 2005, StV 2005, 612; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. November 2000, StV 2001, 354, Beschluss vom 12. Juli 1991, StV 1991, 520; Kammergericht Berlin, Urteil vom 18. Februar 2013 in 1 Ss 281/12 (341/12); Fischer, StGB, 68. Auflage, § 263, Rdnr. 141).
27Dementsprechend sind detaillierte Ausführungen dazu erforderlich, wie sich die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Angeklagten zu den jeweiligen Tatzeitpunkten darstellten und in welcher Höhe nach den sozialhilferechtlichen Bestimmungen dann jeweils ein Anspruch auf öffentliche Leistungen bestand bzw. eine Überzahlung öffentlicher Leistungen erfolgte. Insoweit ist seitens des erkennenden Gerichts selbst eine – ggfls. auch ins Einzelne gehende – Berechnung der dem Angeklagten zustehenden öffentlichen Leistungen notwendig (vgl. nur Senatsbeschluss vom 17. August 2015 in 5 RVs 65/15).
28Diesen Anforderungen werden die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils ersichtlich nicht gerecht. Das Amtsgericht hat lediglich pauschal festgestellt, dass der Angeklagte zu Unrecht Sozialleistungen in Höhe von 1.520,20 € bezogen hat und wie dieser Betrag sich auf die Monate Dezember 2019, Januar 2020 sowie Februar 2020 verteilt. Weitere Einzelheiten, insbesondere die Berechnung der jeweils überzahlten Beträge, werden nicht mitgeteilt.
29Vorliegend hätte es näherer Feststellung bedurft, wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten während des Tatzeitraums, insbesondere zum Zeitpunkt der Antragstellung, ggfls. unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen, darstellten. Hiervon ausgehend wären die dem Angeklagten zustehenden öffentlichen Leistungen und damit eventuelle Überzahlungen zu berechnen gewesen.
30Insoweit sind unter Beteiligung des für die Gewährung der bezogenen öffentlichen Leistungen zuständigen Trägers die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten zum Tatzeitpunkt zu ermitteln. Hiervon ausgehend sind sodann die ihm bei wahrheitsgemäßer Angabe sämtlicher Fakten eigentlich zustehenden öffentlichen Leistungen zu berechnen. Diese Berechnungen sowie die sich daraus ergebende evtl. Überzahlung von Leistungen im Tatzeitraum sind in nachvollziehbarer Weise im Einzelnen darzulegen.
31Auf Grund der aufgezeigten Mängel ist das angefochtene Urteil nach § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Brilon – auch zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels – gemäß § 354 Abs. 2 StPO zurückzuverweisen.