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Der Ort, an dem der Schaden aus einem unmittelbar gegen das Vermögen als Ganzes gerichteten deliktischen Eingriff eingetreten ist, liegt regelmäßig am Wohnsitz bzw. Sitz des Geschädigten.
Um einen solchen Eingriff in das Vermögen als Ganzes handelt es sich, wenn der Schaden bereits in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung liegt.
Liegt der Vermögensschaden bereits im Vertragsabschluss, kommt es für die Bestimmung des Schadensorts nicht darauf an, wo und wie das nach dem Vertrag geschuldete Entgelt im Einzelfall geleistet worden ist.
Das Landgericht Dortmund wird für örtlich zuständig erklärt.
G r ü n d e
2I.
3Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen des Kaufs eines nach seinem Vortrag von dem sog. „Abgasskandal“ betroffenen Dieselfahrzeuges in Anspruch.
41.
5Der in W wohnende Kläger verlangt mit der bei dem Landgericht Dortmund eingereichten Klage von dem Beklagten zu 1), einer in Dortmund ansässigen Z-Vertragshändlerin, die Rückabwicklung eines in Dortmund geschlossenen Kaufvertrages über ein Dieselfahrzeug der Marke Z Y 3,0 l Diesel. Von der Beklagten zu 2), der in X ansässigen Z AG, verlangt der Kläger als Herstellerin des Fahrzeuges die Feststellung der Einstandspflicht für aus der Beschaffenheit der Abgasreinigungseinrichtungen des Fahrzeuges resultierenden Schäden.
6Der Kläger erwarb nach seinem Vortrag am 16.06.2014 bei der Beklagten zu 1) ein von der Beklagten zu 2) hergestelltes Fahrzeug der Marke Z Y 3,0 l Diesel zu einem Kaufpreis in Höhe von 76.150,44 €.
7Der Kläger meint, das streitgegenständliche Fahrzeug sei von dem sog. „Abgasskandal“ betroffen, weil es bereits bei der Übergabe mit einer Software ausgestattet gewesen sei, die die Emissionskontrollsysteme manipuliert habe. Hierbei handele es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung.
8Der Kläger macht geltend, er habe das als der Schadstoffklasse EURO 6 zugehörig ausgewiesene Fahrzeug aufgrund von Angaben der Beklagten zu Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch erworben. Die Beklagte zu 2) habe ihre Kunden und Behörden getäuscht.
92.
10Das Landgericht Dortmund hat den Kläger mit Verfügung vom 20.01.2020 darauf hingewiesen, es dürfe nach der zitierten Rechtsprechung des Senats (u. a. Beschlüsse vom 26.10.2018 zu den Aktenzeichen 32 SA 30/18, 32 SA 32/18 und 32 SA 46/18) für die Frage der örtlichen Zuständigkeit nach § 32 ZPO maßgeblich darauf ankommen, wo die Erfüllungshandlung i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB erfolgt sei. Erforderlich zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit sei ein Vortrag dazu, wann und wie konkret der Kaufpreis für das streitgegenständliche Fahrzeug gezahlt worden sei. Anhaltspunkte für eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Dortmund für die gegen die in X ansässige Beklagte zu 2) bestünden nicht.
11Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 26.02.2020 die Ansicht vertreten, das Landgericht Dortmund sei hinsichtlich der Klage gegen die Beklagte zu 1) gem. § 17 ZPO zuständig. Es sei zweckmäßig, die Klage gegen die Beklagte zu 2) mit zu verhandeln, weil die Parteien Streitgenossen seien. Hilfsweise hat der Kläger beantragt, eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO vorzunehmen und die Sache dem Oberlandesgericht Hamm vorzulegen.
12Der Kläger hat nach weiterem Hinweis des Landgerichts, sein Vortrag zu der Überweisung des Kaufpreises müsse konkretisiert werden, mit Schriftsatz vom 10.09.2020 mitgeteilt, er habe den Kaufpreis per Online-Banking von seinem Wohnort aus überwiesen.
13Das Landgericht Dortmund hat das Verfahren mit Beschluss vom 23.12.2020 dem Oberlandesgericht Hamm gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit vorgelegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagten hätten unterschiedliche allgemeine Gerichtsstände gem. §§ 12, 17 ZPO. Die Beklagte zu 1) habe ihren Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Dortmund, die Beklagte zu 2) im Bezirk des Landgerichts Stuttgart. Ein gemeinsamer Gerichtsstand der Beklagten lasse sich nicht feststellen. Es bestehe kein besonderer Gerichtsstand, der entweder für eine der Beklagten am allgemeinen Gerichtsstand der jeweils anderen Beklagten begründet sei. Noch bestehe ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für beide Beklagte. Insbesondere ergebe sich kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand aus § 32 ZPO bei dem Landgericht Dortmund. Der Kläger behaupte keinen Eingehungsbetrug, der einen Gerichtsstand gem. § 32 ZPO am Ort des Kaufvertragsschlusses begründen könne. Soweit es auf die Erfüllungshandlung ankomme, sei diese durch Online-Überweisung am Wohnort des Klägers in W erfolgt. Dies führe zu einer Zuständigkeit des Landgerichts Paderborn.
14Der Senat hat den Parteien mit Verfügung vom 19.01.2021 Gelegenheit zur Stellungnahme zur Zuständigkeitsbestimmung eingeräumt. Stellungnahmen der Parteien sind nicht eingegangen. Der Kläger hat jedoch mit Schriftsatz vom 16.04.2021 die Klage gegen die Beklagte zu 1) zurückgenommen.
15II.
16Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor. Nach dieser Vorschrift wird das zuständige Gericht durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt, wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit in gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist.
171.
18Der Senat ist gem. § 36 Abs. 2 ZPO für das Verfahren zur Gerichtsstandbestimmung zuständig, da die Antragsgegner ihren allgemeinen Gerichtsstand in zwei verschiedenen Landgerichtsbezirken, nämlich im Bezirk der Landgerichte Dortmund und Stuttgart haben (§§ 12, 17 ZPO), die in unterschiedlichen Oberlandesgerichtsbezirken liegen. Das nächst höhere gemeinsame Gericht wäre der Bundesgerichtshof. In solchen Fällen wird das zuständige Gericht gem. § 36 Abs. 2 ZPO durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört. Die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Hamm ergibt sich mithin daraus, dass das im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm liegende Landgericht Dortmund als erstes mit der Sache befasst war.
192.
20Die Voraussetzungen für die beantragte Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
21a)
22Der beantragten Bestimmung steht nicht entgegen, dass der Kläger die Klage gegen die Beklagte zu 1) zwischenzeitlich zurückgenommen hat. Denn es muss weiterhin gem. § 269 Abs. 4 S. 1 ZPO vom Landgericht über die durch die Klagerücknahme nach § 269 Abs. 3 eintretende Wirkung entschieden werden, weil die Rücknahme der Klage vor dem Landgericht erfolgt ist.
23b)
24Der beantragten Gerichtsstandbestimmung steht ebenfalls nicht entgegen, dass ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand für eine gegen beide Beklagte gerichtete Klage begründet ist. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist zwar grundsätzlich nur dann anwendbar, wenn für mehrere als Streitgenossen am allgemeinen Gerichtsstand zu verklagende Personen hinsichtlich sämtlicher Klagegründe kein gemeinschaftlicher allgemeiner oder besonderer Gerichtsstand im Inland gegeben ist (Zöller/Schultzky, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 36 Rn. 23; Patzina in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 36 Rn. 26). Eine Bestimmung kommt in solchen Fällen aber aus prozessökonomischen Gründen ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das Gericht des gemeinsamen besonderen Gerichtsstands bereits erhebliche Zweifel an seiner Zuständigkeit geäußert hat (Patzina, a.a.O.; Heinrich in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 36 Rn. 18).
25Ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand ist bei dem Landgericht Dortmund begründet. Eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist aus prozessökonomischen Gründen veranlasst.
26aa)
27Das Landgericht Dortmund ist für die gegen die Beklagte zu 1) gerichtete Klage örtlich zuständig, weil diese ihren allgemeinen Gerichtsstand in Dortmund hat.
28Für beide Beklagte ist zudem ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand gem. § 32 ZPO in Dortmund begründet. Der Kläger hat hinreichende Tatsachen vorgetragen, nach denen – seinen Vortrag als richtig unterstellt – die Tatbestandsmerkmale des § 826 BGB erfüllt sind. Gerichtsstand der deliktischen Handlung sind sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort, so dass eine Zuständigkeit wahlweise dort gegeben ist, wo die Verletzungshandlung begangen, und dort, wo in ein geschütztes Rechtsgut eingegriffen wurde (BGH, Urt. v. 28.02.1996, XII ZR 181/93, BGHZ 132, 111, zit. nach juris, Rn. 26; Urt. v. 02.03.2010, XI ZR 23/09, BGZ 184, 313, Rn. 12, Urt. v. 13.07.2010, VI ZR 34/07, NJW-RR 2008, 516, Rn. 24; Patzina in: Münchener Kommentar, ZPO, a.a.O, § 32 Rn. 20, m.w.N.). Gerichtsstand der unerlaubten Handlung ist ferner der Ort des Schadenseintritts, wenn dieser selbst zum Tatbestandsmerkmal der Rechtsverletzung gehört. (Zöller/Schultzky, a.a.O., § 32 Rn. 19 m.w.N.).
29Daraus folgt, dass der Kläger nicht auf den Ort beschränkt ist, an dem nach seinem Vortrag die Tathandlung begangen worden ist. Ihm steht vielmehr ein Wahlrecht zu, das er nach Belieben auszuüben berechtigt ist. Er kann auch dann am Erfolgsort klagen, wenn der Begehungsort woanders liegt. Ebenso kann er an jedem Erfolgsort klagen, wenn dieser in verschiedenen Gerichtsbezirken liegt (vgl. nur Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd. 1, 23. Aufl. 2014, § 32 Rn. 26 m.w.N.). Wird die Haftung auf die Erfüllung des Betrugstatbestandes gem. § 823 Abs. 2 S. 1 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB gestützt, ist der Erfolgsort dort, wo die Täuschungshandlung einen Irrtum erregt oder die schädigende Vermögensverfügung ausgelöst hat. Wird ein Anspruch aus § 826 BGB geltend gemacht, gehört zum Tatbestand der unerlaubten Handlung der Eintritt eines Vermögensschadens (vgl. Toussaint, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 29. Edition (01.07.2018), § 32 Rn. 12.1 m.w.N.). Das nach § 32 ZPO zuständige Gericht ist daher in diesen Fällen nicht nur anhand des Ortes zu bestimmen, in dem der Täter gehandelt hat, sondern auch dort begründet, wo der Rechtsgutseingriff erfolgt und der Schaden entstanden ist (vgl. Smid/Hartmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, Bd. 1/2, 4. Aufl. 2015, § 32 Rn. 40 m.w.N.).
30In den gegen den Hersteller gerichteten Verfahren über Individualklagen aus Anlass des sog. „Abgasskandals“ wird eine Zuständigkeit nach § 32 ZPO sowohl bei dem Gericht am Sitz des Herstellers, am Sitz des Händlers als auch am Wohnsitz des Käufers bejaht (Heinrich in: Musielak/Voit, ZPO,18. Aufl. 2021, § 32 Rn. 16 m.w.N.; BayObLG, Beschluss vom 22.01.2019, 1 AR 23/18, Rn. 18; OLG München, Beschluss vom 13.8.2019 – 34 AR 111/19, Rn. 13). Neben dem Wohnsitz des Klägers kommt also auch der Sitz des Händlers als Erfolgsort in Betracht, wenn der Geschädigte die zum Abschluss des Kaufvertrags führende Erklärung dort abgegeben hat (vgl. Zöller/Schultzky, a.a.O., § 32 Rn. 20.1; BayObLG, Beschluss vom 10.02.2021, 101 AR 161/20 Rn. 30 m.w.N.).
31Der Kläger konnte somit an drei verschiedenen Orten Klage gegen die Beklagte zu 2) einreichen. Im vorliegenden Fall hat der Kläger den Kaufvertrag am Sitz des Beklagten zu 1) in Dortmund und damit im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Dortmund geschlossen. Durch die Erhebung seiner Klage bei dem Landgericht Dortmund hat er von dem ihm nach § 35 ZPO zustehenden Wahlrecht Gebrauch gemacht.
32Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass er seine bisherige Rechtsprechung zur Bestimmung des Gerichtsstands in Fällen des § 32 ZPO (vgl. etwa Beschlüsse vom 26.10.2018, 32 SA 30/18, 32/18, 46/18, vom 14.12.2018, 32 SA 53/18, vom 09.05.2019, 32 SA 21/19, und vom 03.09.2019, 32 SA 54/19) nicht aufrecht erhält und sich der abweichenden, ganz herrschenden Meinung anschließt. Danach liegt der der Ort des Schadenseintritts bei Abschluss eines Kaufvertrages über ein vom sog. „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeuges regelmäßig am (Wohn-)Sitz des Geschädigten, wenn sich der Eingriff unmittelbar gegen das Vermögen als Ganzes richtet. Um einen solchen Eingriff handelt es sich, wenn der Schaden bereits in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung liegt. Auf die Frage, wo und wie der Kaufpreis in einem solchen Fall bezahlt wurde, kommt es – entgegen der bisher vom Senat vertretenen Auffassung – nicht an. Denn die Erfüllung der Kaufpreisforderung perpetuiert den bereits durch den Vertragsschluss entstandenen Schaden nur (vgl. BayObLG, Beschlüsse vom 10.02.2021, 101 AR 161/20 und 25.06.2020, 1 AR 57/20, Rn. 17; OLG München, Beschluss vom 11.03.2020, 34 A 235/19, Rn. 12).
33bb)
34Eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist aus prozessökonomischen Gründen trotz des gemeinsamen Gerichtsstands beider Beklagten bei dem Landgericht Dortmund ausnahmsweise geboten, weil das Landgericht Dortmund erhebliche Zweifel an seiner Zuständigkeit artikuliert hat.