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Der Senat schließt sich der Auffassung an, dass die Dreijahresfrist gemäß § 111i Abs. 5 StPO a.F. für einen staatlichen Auffangrechtserwerb gehemmt ist, solange dem Verletzten die Einzelzwangsvollstreckung infolge eines Insolvenzverfahrens rechtlich unmöglich ist.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
2I.
3Die Staatsanwaltschaft Dortmund führte im Jahr 2013 gegen die Verurteilte (im Folgenden: Beschwerdeführerin) ein Ermittlungsverfahren wegen Untreue zum Nachteil der Stadt E. Auf den Antrag der Staatsanwaltschaft Dortmund erließ das Amtsgericht Dortmund am 25. April 2013 einen dinglichen Arrest in das Vermögen der Beschwerdeführerin i.H.v. 381.991,40 €. Aufgrund des dinglichen Arrestes brachte die Staatsanwaltschaft Dortmund Pfändungen sämtlicher bestehender und künftiger Forderungen der Beschwerdeführerin gegenüber der S -bank AG am 27. April 2013, der J AG am 29. April 2013 und der C Bausparkasse am 30. April 2013 aus. Zudem ließ sie Sicherungshypotheken in den hälftigen Miteigentumsanteil der Beschwerdeführerin an dem Grundbesitz, eingetragen im Grundbuch von E Grundstück G 01 sowie Grundstück G 02 eintragen.
4Am 11. März 2016, rechtskräftig seit dem 13. Oktober 2017, verurteilte das Landgericht Dortmund die Beschwerdeführerin wegen Untreue in 105 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren. Der Verurteilung lagen Taten aus den Jahren 2008 bis 2012 zugrunde. Die große Strafkammer stellte zudem gemäß § 111i Abs. 2 StPO (hier und nachfolgend stets in der Fassung vom 17. Juli 2015) fest, dass die Beschwerdeführerin aus den abgeurteilten Taten insgesamt 378.511,50 € erlangt hat und lediglich deshalb nicht auf den Verfall von Wertersatz erkannt wird, weil dem die Ansprüche der Verletzten entgegenstehen.
5Mit Beschluss vom selben Tag ordnete das Landgericht Dortmund gemäß § 111i Abs. 3 StPO die Aufrechterhaltung des dinglichen Arrestes des Amtsgerichts Dortmund vom 25. April 2013 i.H.v. 378.511,50 € für die Dauer von 3 Jahren an und bezeichnete die erfolgten Pfändungs- und Sicherungsmaßnahmen.
6Mit Beschluss vom 31. August 2017 (Az. 254 IK 97/17) eröffnete das Amtsgericht Dortmund das Insolvenzverfahren gegen die Beschwerdeführerin wegen Zahlungsunfähigkeit und ernannte Rechtsanwältin G I in E zur Insolvenzverwalterin. Das Insolvenzverfahren ist derzeit noch nicht abgeschlossen.
7Auf den Antrag der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 10. November 2020 hat das Landgericht Dortmund nach Anhörung des Oberbürgermeisters der Stadt E als Tatverletzten mit Beschluss vom 17. Dezember 2020 festgestellt, dass nach Ablauf von 3 Jahren seit Rechtskraft des in diesem Verfahren ergangenen Urteils, mithin mit Ablauf des 13. Oktober 2020, der Staat die mit Beschluss der Kammer vom 11. März 2016 bezeichneten Vermögenswerte sowie einen Zahlungsanspruch i.H.v. 378.511,50 € erworben hat.
8Gegen diesen der Stadt E sowie der Beschwerdeführerin am 22. Dezember 2020 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin mit am 29.12.2020 bei dem Landgericht Dortmund eingegangenem Schreiben ihres Verteidigers vom selben Tag sofortige Beschwerde eingelegt.
9Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat unter dem 11. Februar 2021 Stellung genommen und beantragt wie erkannt.
10II.
11Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.
121.
13Die sofortige Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluss ist gemäß § 111i Abs. 6 S. 3 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie fristgemäß eingelegt worden. Die Beschwerdeführerin ist durch den Beschluss beschwert, auch wenn über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
142.
15Die sofortige Beschwerde ist ferner begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
16Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Stellungnahme vom 11. Februar 2021 ausgeführt:
17„Ein Rechtserwerb des Landes Nordrhein-Westfalen, welcher nach § 111i Abs. 5 StPO kraft Gesetzes eintritt, ist noch nicht zum 13.10.2020 erfolgt. Der angefochtene Beschluss gemäß § 111i Abs. 6 StPO hat zwar nur deklaratorische Wirkung, da er jedoch der Rechtsklarheit dient und ihm als Vollstreckungstitel Bedeutung zukommen kann, ist er aufzuheben.
18Das Landgericht Dortmund hat zunächst zutreffend festgestellt, dass gemäß § 14 EGStPO das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13.04.2017 (Bundesgesetzblatt I Seite 872) nicht für Verfahren gilt, in denen bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes im Urteil - wie hier - festgestellt wurde, dass deshalb nicht auf Verfall erkannt wird, weil Ansprüche eines Verletzten im Sinne des § 73 Abs. 1 S. 2 des Strafgesetzbuches entgegenstehen. Es ist daher das Verfahrensrecht in der Fassung vom 17.07.2015 anzuwenden.
19Gemäß § 111i Abs. 6 S. 1 StPO stellt das Gericht des ersten Rechtszuges den Eintritt und den Umfang des staatlichen Rechtserwerbs nach § 111i Abs. 5 S. 1 StPO (deklaratorisch) durch Beschluss fest. Nach dieser Vorschrift erwirkt der Staat bei Taten, die nach dem 01.01.2007 beendet waren (zu vgl. BGH wistra 2008,189; BGH NStZ-RR 2009, 56) nach Ablauf von 3 Jahren ab Rechtskraft des Urteils die nach § 111i Abs. 2 StPO bezeichneten Vermögenswerte entsprechend § 73e Abs. 1 StGB (alte Fassung) sowie einen Zahlungsanspruch in Höhe des nach § 111i Abs. 2 StPO festgestellten Betrages, soweit nicht die Voraussetzungen des §§ 111i Abs. 5 Nr. 1 - 4 StPO vorliegen. Bei dem Auffangrechtserwerb des Staates handelt es sich um einen aufschiebend bedingten Verfallsanspruch des Fiskus (zu vgl. BGH, NStZ, 2008, 295).
20Die Frage, ob ein staatlicher Rechtserwerb nach § 111i Abs. 5 StPO erfolgen kann, wenn - wie hier - noch vor Ablauf der Dreijahresfrist im Sinne des § 111i Abs. 3 StPO das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Verurteilten eröffnet worden ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
21Wird vom Staat für die Tatverletzten außerhalb der Monatsfrist des § 88 InsO (Rückschlagsperre) und der Anfechtungsfristen der §§ 130 ff. InsO Vermögen durch dinglichen Arrest gemäß § 111d StPO sichergestellt, entsteht ein echtes, insolvenzfestes Pfandrecht. Für derartige Pfändungspfandrechte gilt § 80 Abs. 2 S. 2 InsO, sodass sie trotz der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Verurteilten Bestand haben und gemäß den §§ 49, 50 InsO i.V.m. den §§ 165 ff. InsO zu einer abgesonderten Befriedigung berechtigen.
22Problematisch erscheint insoweit jedoch, dass der Tatverletzte in die insolvenzfesten Pfandrechte des Staates nicht nachrangig vollstrecken kann, solange ein Insolvenzverfahren gegen den Schuldner andauert, § 89 InsO. Es widerspräche sodann der gesetzgeberischen Intention der Stärkung des Opferschutzes, wenn zum einen während der Dauer des Insolvenzverfahrens die sog. Rückgewinnungshilfe für den Tatverletzten rechtlich unmöglich ist und nach Ablauf von 3 Jahren lediglich der staatliche Auffangrechtserwerb übrig bliebe. Mit den hierzu kontrovers diskutierten Rechtsauffassungen haben sich mehrere Strafsenate des Oberlandesgerichts Hamm – im Ergebnis wohl gleichlautend – befasst.
23Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 20.06.2013 - III-2 Ws 80/13 - zunächst die Ansicht vertreten, nach dem Sinn und Zweck der Rückgewinnungshilfe sei § 111i Abs. 5 S. 1 StPO dahingehend einschränkend auszulegen, dass die Dreijahresfrist gehemmt sei, solange Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen der Verletzten aus Rechtsgründen unmöglich seien. Die Hemmung der Frist würde den Verletzten den exklusiven Zugriff auf das arrestierte Vermögen nach Abschluss des Insolvenzverfahrens wieder ermöglichen, sodass der Intention des Gesetzes, dem Opferschutzgedanken einerseits und der Vermeidung der Zurückerlangung von Vermögenswerten an den Täter andererseits am ehesten Rechnung getragen werde.
24Diesen Erwägungen ist auch der Senat mit Beschluss vom 28.07.2015 - III-1 Ws 102/15 - gefolgt.
25Schließlich hat der 5. Strafsenat in dem Beschluss vom 28.06.2016 - III-5 Ws 190/16 - nochmals umfassend zum Streitstand Stellung genommen und ist ebenso nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Hemmung der Frist des § 111i Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 5 S. 1 StPO dem Gesetzeszweck am ehesten gerecht werde. Insoweit wird auf die zutreffenden Beschlussgründe zugenommen.
26Dies hat zur Folge, dass die Frist für den Auffangrechtserwerb des Staates mit Blick auf die Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Verurteilten am 31.08.2017 noch nicht läuft, da das Urteil erst am 13.10.2017 rechtskräftig geworden ist und das Insolvenzverfahren derzeit noch nicht abgeschlossen ist.
27Der staatliche Rechtserwerb ist somit noch nicht erfolgt. Der deklaratorische Beschluss vom 17.12.2020 ist daher aufzuheben.“
28Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie nach eigener Prüfung zur Grundlage seiner Entscheidung, wobei allerdings anzumerken ist, dass sich der Senat zu der Frage einer einschränkenden Auslegung des § 111i Abs. 5 S. 1 StPO dahingehend, dass die Dreijahresfrist gehemmt ist, solange dem Verletzten die Einzelzwangsvollstreckung infolge eines Insolvenzverfahrens rechtlich unmöglich ist, in seiner Entscheidung vom 28. Juli 2015 nicht geäußert hat, weil hierzu keine Veranlassung bestanden hat. Der Senat hatte sich ausschließlich mit der Frage zu befassen, ob der zur Rückgewinnungshilfe angeordnete und vollzogene strafprozessuale dingliche Arrest mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners aufzuheben ist, weil die Rückgewinnungshilfe aus Rechtsgründen (§ 89 InsO) nicht mehr durchgeführt werden könne und damit (vermeintlich) obsolet geworden sei, was er verneint hat. Auch der hiesige 2. Strafsenat hat die Frage einer einschränkenden Auslegung des § 111i Abs. 5 S. 1 StPO in seiner Entscheidung vom 20. Juni 2013 zwar aufgegriffen, jedoch nicht abschließend beantwortet, weil es hierauf im Ergebnis nicht ankam. Er hat eine einschränkende Auslegung des § 111i Abs. 5 S. 1 StPO in dem o.g. Sinne lediglich unter dem - von ihm ebenfalls nicht abschließend befürworteten - Postulat, dass es dem Verletzten während der Dauer der Dreijahresfrist ununterbrochen rechtlich möglich gewesen sein muss, die erforderliche Einzelzwangsvollstreckung zu betreiben, für „näherliegend“ erachtet.
29Der hiesige 5. Strafsenat hat indes in seiner Entscheidung vom 28. Juni 2016 die einschränkende Auslegung des § 111i Abs. 5 S. 1 StPO dahingehend, dass die Dreijahresfrist für die Dauer eines die Einzelzwangsvollstreckung des Verletzten hindernden Insolvenzverfahrens gehemmt ist, in tragender Weise befürwortet.
30Dem schließt der Senat sich an, weil damit - wie die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat - dem mit der Rückgewinnungshilfe vorrangig verfolgten Opferschutzgedanken am ehesten Rechnung getragen wird. Gegenüber den Interessen des Verletzten ist der - ansonsten stattfindende - Auffangrechtserwerb des Staates nachrangig, denn dieser soll lediglich verhindern, dass das durch die Straftat Erlangte oder dessen Wert wieder an den Täter zurückfällt, nur weil die Verletzten unbekannt sind oder ihre Ansprüche nicht geltend machen (vgl. BT-Drs. 16/700, S. 9).
31III.
32Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 3 StPO.