Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Im Rahmen der Erwägungen zu der Frage, inwieweit das Arbeitsverhältnis eines Verurteilten im Hinblick auf das Vollzugsziel der sozialen Integration förderungswürdig ist bzw. eine schützenswerte Rechtsposition des Betroffenen darstellt, welches bei der Ladung zum Strafantritt ein Abweichen vom Vollstreckungsplan rechtfertigt, ist es zwar zulässig, auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses und den Zeitpunkt seines Zustandekommens (hier: 2 Wochen nach Rechtskraft der Anlassverurteilung) abzustellen. Es ist jedoch ermessensfehlerhaft, dabei nicht zu berücksichtigen, wenn der Betroffene sich vor der Urteilsverkündung in Untersuchungshaft befunden hat, weshalb ihm die Aufnahme einer Arbeit nach diesem Zeitpunkt überhaupt erst möglich gewesen ist.
Auf den Antrag des Betroffenen vom 13. Mai 2021 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 08. April 2021 in Gestalt des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf vom 05. Mai 2021 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04. August 2021
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm und des Betroffenen bzw. seines Verfahrensbevollmächtigten
b e s c h l o s s e n :
Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat den Antrag des Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Die Landeskasse trägt die dem Betroffenen zur Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Auslagen.
Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Der Betroffene ist durch Urteil des Landgerichts Duisburg vom 06. November 2020, rechtskräftig seit dem 14. November 2020, wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt worden. In der Zeit vom 12. April 2020 bis zum 22. Oktober 2020 befand er sich in dieser Sache in Untersuchungshaft.
4Mit Verfügung vom 25. November 2020 hat die Staatsanwaltschaft Duisburg den Betroffenen in die Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne - offener Vollzug - Hafthaus Ummeln geladen. Sein Verfahrensbevollmächtigter hat daraufhin mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2020 beantragt, den Betroffenen zur Aufrechterhaltung seines bestehenden Arbeitsverhältnisses und um einer sozialen Entwurzelung vorzubeugen heimatnah in die Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen zu laden. Bereits zuvor hatte der Betroffene zusammen mit einem „Merkblatt über die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung an der bisherigen Arbeitsstelle bei Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im offenen Vollzug“ einen Arbeitsvertrag über ein seit dem 01. Dezember 2020 bestehendes Arbeitsverhältnis als Fachkraft für Lagerlogistik bei der Firma A GmbH in C sowie eine Bescheinigung dieser Firma vorgelegt, dass sie den Betroffenen im Rahmen einer Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen weiterbeschäftigen werde.
5Mit Schreiben vom 15. Januar 2021 an den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen hat die Staatsanwaltschaft Duisburg eine Abweichung vom Vollstreckungsplan abgelehnt. Mit Schreiben vom 21. Januar 2021 hat sie unter stillschweigender Gewährung von Vollstreckungsaufschub (gleichwohl) die Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen um Zustimmung zur Abweichung vom Vollstreckungsplan ersucht, welche diese mit der Begründung versagt hat, der Antrag des Betroffenen erscheine nicht förderungswürdig, weil das Arbeitsverhältnis erst nach Rechtskraft des Urteils zustande gekommen sei. Auf Bitte der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 17. März 2021, die Ablehnung der Zustimmung zur Abweichung vom Vollstreckungsplan noch einmal zu überprüfen, hat die Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen mitgeteilt, dass sie dem Antrag weiterhin nicht zustimme, weil ein Arbeitsverhältnis bei der Prüfung einer Abweichung vom Vollstreckungsplan nur dann förderungswürdig und schützenswert sein könne, wenn es - wie hier nicht - deutlich vor Rechtskraft des Urteils begründet worden sei.
6Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat sodann dem Betroffenen mit Bescheid vom 08. April 2021 mitgeteilt, dass sein Antrag auf Abweichung vom Vollstreckungsplan abgelehnt werde. Angesichts der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten müsse grundsätzlich mit einer sozialen Entfremdung von dem Umfeld und der Familie gerechnet werden. Ein Abweichen vom Vollstreckungsplan wegen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses komme nur dann in Betracht, wenn dieses förderungswürdig und schützenswert sei. Diese Voraussetzungen lägen zum Beispiel dann vor, wenn das Arbeitsverhältnis längere Zeit bestehe, was hier nicht der Fall sei.
7Die gegen diesen ablehnenden Bescheid gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf mit Bescheid vom 05. Mai 2021 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Staatsanwaltschaft habe zutreffend darauf hingewiesen, dass ein besonders schützenswertes Arbeitsverhältnis, welches eine Abweichung vom Vollstreckungsplan erlaube, ein seit längerer Zeit bestehendes Arbeitsverhältnis sei. Das Arbeitsverhältnis des Betroffenen sei indes erst ca. 2 Wochen nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils abgeschlossen worden; zudem dauere die Probezeit an.
8Gegen diesen Beschwerdebescheid hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 13. Mai 2021, beim Oberlandesgericht Hamm am selben Tag per Fax eingegangen, Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gestellt, mit dem er die Ansicht vertritt, die Vollstreckungsbehörde habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt, weil allein auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses abgestellt worden sei. Der Antragsschrift beigefügt waren der Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf und eine Bescheinigung des Arbeitgebers vom 12. Mai 2021.
9Die Generalstaatsanwältin in Hamm hat mit Stellungnahme vom 08. Juli 2021 Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags geäußert und zudem ausgeführt, der Antrag sei jedenfalls unbegründet.
10II.
11Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig und hat auch in der Sache
12- zumindest vorläufig - Erfolg.
131.
14Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23ff EGGVG gegen die abgelehnte Abweichung vom Vollstreckungsplan ist nach Durchführung des Beschwerdeverfahrens gemäß § 21 StVollstrO statthaft und form- und fristgemäß gestellt. Der Antrag genügt auch -noch- den Anforderungen, welche gem. § 24 Abs. 1 EGGVG an seinen Inhalt zu stellen sind. Hiernach ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nur zulässig, wenn er eine aus sich heraus verständliche Sachdarstellung enthält, aus der die Art und das Datum der angefochtenen Maßnahme und der Grund, aus dem sich der Antragsteller gegen sie wendet, hervorgehen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., vor § 23 EGGVG, Rn. 3). Der Antragsteller muss geltend machen, durch die Maßnahme oder ihre Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein und dies muss nach seinem Tatsachenvortrag möglich erscheinen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 24 EGGVG Rn. 1).
15Diesen Anforderungen wird die Antragsschrift jedenfalls in der Zusammenschau mit dem ihr beigefügten Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft und der Bescheinigung des Arbeitgebers, aus denen sich weitere Informationen zum Sachverhalt ergeben, noch gerecht (zur Zulässigkeit der Beifügung und Inbezugnahme von Schriftstücken bei einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 03. Juni 2014 – 2 BvR 517/13 –, Rn. 15, juris).
162.
17Der Antrag ist auch begründet.
18Zwar unterliegt die angefochtene Entscheidung nicht unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, vom Vollstreckungsplan nach § 26 StVollstrO abzuweichen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung fehlerfrei verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zwecke der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Um die gerichtliche Nachprüfung der Ermessensausübung zu ermöglichen, müssen die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die dafür wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Abweichen vom Vollstreckungsplan sprechenden Umstände erkennen lassen (vgl. OLG Stuttgart, NStZ 1996, 359; OLG Frankfurt, NStZ 2007, 173; Senatsbeschluss 22. April 2008 - 1 VAs 20/08 -, juris). Diese eingeschränkte Überprüfung lässt vorliegend besorgen, dass die Vollstreckungsbehörde das ihr eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt hat.
19Nach § 26 Abs. 1 S. 1 StVollstrO kann von den Bestimmungen des Vollstreckungsplans bezüglich der örtlichen oder der sachlichen Vollzugszuständigkeit von Amts wegen oder auf Antrag aus den Gründen der Behandlung, der Wiedereingliederung, zur sicheren Unterbringung oder soweit dies aufgrund landesgesetzlicher Vorschriften zulässig ist, abgewichen werden. Während nach Beginn des Vollzuges eine solche Abweichung im Wege der Verlegung möglich ist, erfolgt die Abweichung vor Beginn des Vollzuges durch Einweisung (§ 26 Abs. 2 S. 1 StVollstrO). Damit kann dem grundrechtlich geschützten Resozialisierungsinteresse des Verurteilten, soweit dieses durch die Unterbringung in einer bestimmten Anstalt oder in einem bestimmten Anstaltstyp berührt ist, nicht erst im Stadium des Vollzuges, sondern bereits im Vollstreckungsverfahren auch dann Rechnung getragen werden, wenn der Vollstreckungsplan eine entsprechende Flexibilität nicht aufweist (vgl. Senat, a.a.O.). Insofern ist anerkannt, dass der Verlust eines bestehenden Arbeitsplatzes bei Gefangenen, die nach den Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes objektiv die Voraussetzungen für eine Weiterarbeit im Freigang erfüllen, nach Möglichkeit vermieden werden soll, weil Arbeit ein wichtiges Mittel der sozialen Integration ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. September 2007 - 2 BvR 725/07 -; Senat, a.a.O.).
20Zwar haben die Staatsanwaltschaft Duisburg und die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf diese Grundsätze ihrer Entscheidung jeweils im Ansatz zutreffend zugrunde gelegt. Im Rahmen ihrer Erwägungen zu der Frage, inwieweit das Arbeitsverhältnis des Betroffenen im Hinblick auf das Vollzugsziel der sozialen Integration förderungswürdig ist bzw. eine schützenswerte Rechtsposition des Betroffenen darstellt, haben sie indes allein auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses und den Zeitpunkt seines Zustandekommens nach Rechtskraft der Anlassverurteilung abgestellt und dabei nicht berücksichtigt, dass der Betroffene sich in der Zeit vom 12. April 2020 bis zum 22. Oktober 2020 in Untersuchungshaft befunden hat, weshalb ihm die Aufnahme einer Arbeit nach diesem Zeitpunkt überhaupt erst möglich gewesen ist. Dies bedingt angesichts der anschließend sehr zeitnah erfolgten Ladung des Betroffenen zum Strafantritt (25. November 2020) die erst kurze Dauer des vom ihm mit der Firma A GmbH eingegangenen Arbeitsverhältnisses. Nach der Entlassung des Betroffenen aus der Untersuchungshaft vergingen zudem bis zum Eintritt der Rechtskraft des Urteils (14. November 2020) lediglich gut drei Wochen. In dieser kurzen Zeitspanne dürfte es dem Betroffenen kaum möglich gewesen sein, eine Arbeitsstelle zu finden und anzutreten. Diese zeitlichen Abläufe, die von dem Betroffenen nicht beeinflussbar waren, hat die Vollstreckungsbehörde zumindest nicht erkennbar in ihre Ermessenserwägungen einfließen lassen, weshalb sich diese als lückenhaft erweisen.
21Demzufolge waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Staatsanwaltschaft Duisburg zur Neubescheidung zu verpflichten. Bei der erneuten Entscheidung wird auch von Bedeutung sein, dass der Betroffene ausweislich der im Anlassurteil getroffenen Feststellungen zu seinem Lebenslauf und seinen persönlichen Verhältnissen über eine abgeschlossene Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik verfügt, mit der seine aktuelle Tätigkeit bei der Firma A GmbH in Einklang steht, und dass er auch vor seiner Inhaftierung einer geregelten Arbeit nachgegangen ist, was gegen die Annahme eines bloß in Ansehung der bevorstehenden Strafhaft geschlossenen Arbeitsverhältnisses sprechen dürfte.
22III.
23Die Entscheidung über die Gerichtsgebührenfreiheit folgt aus den §§ 1 Abs. 2 Nr. 19, 22 GNotKG i.V.m. Nrn. 15300, 15301 KV-GNotKG. Die Auslagenentscheidung beruht auf § 30 Abs. 1 S. 1 EGGVG. Es entspricht der Billigkeit, die notwendigen Auslagen des Antragstellers der Landeskasse aufzuerlegen. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG i. V. m. § 1 Abs. 2 Nr. 19 GNotKG.