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1. Das Zusammensein von (nur) drei Personen im öffentlichen Raum kann eine verbotswidrige Ansammlung im Sinne des § 1 Abs. 2, 3 CoronaSchVO NRW darstellen, wenn weder die Erlaubnistatbestände des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 CoronaSchVO noch die Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 3 CoronaSchVO erfüllt sind und auch die übrigen Voraussetzungen für die Annahme einer „Versammlung“ im Sinne der CoronaSchVO vorliegen, nämlich ein gezieltes Zusammensein ohne Einhaltung einer derartig deutlichen räumlichen Trennung bzw. Distanz, dass von vornherein die typische Gefahr der Unterschreitung eines ein Infektionsrisiko ausschließenden Mindestabstands zu verneinen wäre (vgl. zu dieser einschränkenden Auslegung des Begriffs der Ansammlung: Senatsbeschluss vom 08. Februar 2021 - III-1 RBs 2, 4-5/21 -, juris; OLG Hamm, Beschlüsse vom 28. Januar 2021, - III-4 RBs 446/20 - sowie - III-4 RBs 3/21 -, juris).
2. Der private Pkw unterfällt dem Tatbestandsmerkmal „öffentlicher Raum“ in § 1 Abs. 2, 3 CoronaSchVO..
Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen (Alleinentscheidung der Richterin am Oberlandesgericht A als Einzelrichterin).
Die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden übertragen (Alleinentscheidung der Richterin am Oberlandesgericht A als Einzelrichterin).
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
2I.
3Mit Bußgeldbescheid vom 12. Juni 2020 hat der Oberbürgermeister der Stadt B gegen den Betroffenen wegen verbotswidriger Teilnahme an einer Zusammenkunft oder Ansammlung im öffentlichen Raum von mehreren Personen am 28. Mai 2020 nach § 1 Abs. 2 und 3 i.V.m. § 18 Abs. 3 Nr. 1 der in Nordrhein-Westfalen erlassenen Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 in der Fassung vom 08. Mai 2020 (im Folgenden: CoronaSchVO) i.V.m. § 73 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 24 i.V.m. §§ 32, 28 Abs. 1 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionsschutzkrankheiten beim Menschen (im folgenden Infektionsschutzgesetz - IfSG) vom 20. Juli 2000 in der Fassung vom 27. März 2020 eine Geldbuße i.H.v. 200 € festgesetzt.
4Gegen diesen Bescheid hat der Betroffene fristgerecht Einspruch eingelegt.
5Das Amtsgericht Dortmund hat den Betroffenen – in Abwesenheit eines Vertreters der Staatsanwaltschaft Dortmund – mit Urteil vom 10. November 2020 aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Zum Sachverhalt hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
6„Am 28.05.2020 gegen 23:52 Uhr fuhr der Betroffene gemeinsam mit zwei weiteren Personen, den gesondert verfolgten C und D in einem Personenkraftwagen mit dem amtlichen Kennzeichen #-# 151. Sämtliche Mitfahrer in dem Fahrzeug sind Arbeitskollegen und arbeiten gemeinsam im Amazon Logistikzentrum in B. Nach Beendigung ihrer Arbeitsschicht nahm der Fahrzeugführer C den Betroffenen mit, um ihn zum Hauptbahnhof zu fahren, damit er von dort aus die weitere Heimreise antreten konnte. Der Betroffene und die beiden weiteren Mitfahrer stehen in keiner familiären Beziehung zueinander.“
7Zur Begründung des Freispruchs hat das Amtsgericht im Wesentlichen ausgeführt, es handele sich bei drei Personen nicht um „mehrere Personen“ im Sinne von § 1 Abs. 2 CoronaSchVO in der hier anwendbaren ab dem 21. Mai 2020 gültigen Fassung, was sich aus einer Auslegung dieser Vorschrift nach deren Entstehungsgeschichte ergebe. Denn die frühere Regelung der CoronaSchVO vom 22. März 2020 zu Zusammenkünften und Ansammlungen im öffentlichen Raum (§ 12) habe eindeutig bestimmt, dass solche von „mehr als zwei Personen“ untersagt gewesen seien. Diese konkrete Anzahl habe der Verordnungsgeber nicht in die ab dem 21. Mai 2020 gültige Fassung der CoronaSchVO übernommen. Die Entstehungsgeschichte spreche daher für die Annahme des Tatbestandsmerkmals „mehrere Personen“ ab einer Personenzahl von über drei Personen.
8Außerdem könne sich der Betroffene auf den Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 CoronaSchVO berufen, wonach „unvermeidliche Ansammlungen bei der bestimmungsgemäßen Verwendung zulässiger Einrichtungen (insbesondere bei der Nutzung von Beförderungsleistungen des Personenverkehrs sowie seiner Einrichtungen)“ von dem Ansammlungsverbot ausgenommen seien. Der Verordnungsgeber habe mit dieser Vorschrift den Personenverkehr privilegiert, so dass damit sämtliche Einrichtungen gemeint seien, die der Personenbeförderung dienen. Dazu würden auch private Fahrgemeinschaften zählen. Eine Einschränkung darauf, dass nur der öffentliche Personenverkehr damit gemeint gewesen sein sollte, ergebe sich aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht. Zudem würden auch Sinn und Zweck der Regelung der CoronaSchVO dafür sprechen, dass auch private Fahrgemeinschaften von dieser Ausnahmeregelung umfasst seien.
9Schließlich könne sich der Betroffene auch auf die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 3 Nr. 4 CoronaSchVO berufen. Bei der Fahrt in dem Fahrzeug handele es sich für den Betroffenen und seine Mitfahrer um eine zwingende Zusammenkunft, weil ein Arbeitnehmer den Weg zur Arbeit zwingend zurücklegen müsse, um seine Arbeitsleistung am Ort der Arbeitsstätte erbringen zu können.
10Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Dortmund mit der form- und fristgerecht eingelegten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung sie zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für geboten erachtet und mit der unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge ausgeführt wird, die Fahrt am 28. Mai 2020 stelle ein verbotswidriges Zusammentreffen von mehreren Personen aus drei verschiedenen häuslichen Gemeinschaften im öffentlichen Raum dar; Ausnahmetatbestände nach § 1 Abs. 3 CoronaSchVO würden nicht vorliegen.
11Der Betroffene hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 01. Februar 2021 zu der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Stellung genommen. Darin hat er auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen und zudem ausgeführt, der private Pkw, in dem der Betroffene sich am 28. Mai 2020 mit zwei weiteren Arbeitskollegen befunden habe, sei kein „öffentlicher Raum“ i.S.v. § 1 Abs. 2, 3 CoronaSchVO.
12Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft unter näheren Ausführungen beigetreten.
13Der Betroffene hat hierauf mit Verteidigerschriftsatz vom 25. März 2021 erwidert.
14II.
15Die Rechtsbeschwerde war zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) und die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden zu übertragen (§ 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG).
16Die Rechtsfrage, ob die Nutzung eines privaten Personenkraftwagens durch drei Personen aus verschiedenen Haushalten auf dem Weg zu/von der gemeinsamen Arbeitsstätte eine verbotswidrige Ansammlung im öffentlichen Raum i.S.v. § 1 Abs. 2, 3 CoronaSchVO in der ab dem 21. Mai 2020 gültigen Fassung darstellt, ist - soweit ersichtlich - noch nicht höchstrichterlich entschieden und klärungsbedürftig.
17Darüber hinaus ist im Hinblick auf zu erwartende gleichartige Entscheidungen des erkennenden Amtsgerichts sowie divergierender Entscheidungen anderer Amtsgerichte die Zulassung der Rechtsbeschwerde auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die vorgenannten Fragen sind über den entschiedenen Einzelfall hinaus für die Rechtsprechung im Ganzen von Bedeutung.
18III.
19Die Rechtsbeschwerde hat mit der Sachrüge - zumindest vorläufig - Erfolg, weil die gemeinsame Fahrt des Betroffenen mit zwei weiteren aus unterschiedlichen häuslichen Gemeinschaften stammenden Personen in einem privaten Pkw am 28. Mai 2020 nach der Bewertung des Senats (objektiv) eine verbotswidrige Ansammlung von Personen im öffentlichen Raum i.S.v. § 1 Abs. 2, 3 CoronaSchVO (hier und im Folgenden stets in der ab dem 21. Mai 2020 gültigen Fassung) darstellt, weshalb der durch das Amtsgericht allein auf rechtliche Gründe gestützte Freispruch des Betroffenen keinen Bestand haben kann.
201.
21Das für den öffentlichen Raum bestimmte Verbot von Ansammlungen und Zusammenkünften in § 1 Abs. 2, 3 CoronaSchVO ist sowohl formell als auch materiell rechtmäßig. Der Senat verweist insofern auf seine zu dem in § 12 Abs. 1 CoronaSchVO in der Fassung vom 30. März 2020 bestimmten Verbot von Zusammenkünften und Ansammlungen im öffentlichen Raum von mehr als zwei Personen ergangene Entscheidung vom 08. Februar 2021 (III-1 RBs 2, 4-5/21 - veröffentlicht bei juris). Die dortigen Erwägungen zu der Wirksamkeit des Ansammlungsverbots im öffentlichen Raum haben auch für die im Mai 2020 weiterhin vorherrschende Pandemielage Bestand und sind auf die hier gegenständliche Regelung in § 1 Abs. 2, 3 CoronaSchVO übertragbar.
222.
23Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts kann das Zusammensein von (nur) drei Personen im öffentlichen Raum eine verbotswidrige Ansammlung im Sinne des § 1 Abs. 2, 3 CoronaSchVO darstellen, wenn weder die Erlaubnistatbestände des § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 CoronaSchVO noch die Ausnahmetatbestände des § 1 Abs. 3 CoronaSchVO erfüllt sind und auch die übrigen Voraussetzungen für die Annahme einer „Versammlung“ im Sinne der CoronaSchVO vorliegen, nämlich ein gezieltes Zusammensein ohne Einhaltung einer derartig deutlichen räumlichen Trennung bzw. Distanz, dass von vornherein die typische Gefahr der Unterschreitung eines ein Infektionsrisiko ausschließenden Mindestabstands zu verneinen wäre (vgl. zu dieser einschränkenden Auslegung des Begriffs der Ansammlung: Senatsbeschluss vom 08. Februar 2021 - III-1 RBs 2, 4-5/21 -, juris; OLG Hamm, Beschlüsse vom 28. Januar 2021, - III-4 RBs 446/20 - sowie - III-4 RBs 3/21 -, juris).
24§ 1 Abs. 2 CoronaSchVO formuliert positiv, wann „mehrere Personen“ im öffentlichen Raum zusammenkommen dürfen. Demgegenüber normiert § 1 Abs. 3 CoronaSchVO, dass alle anderen Ansammlungen und Zusammenkünfte „von Personen“ im öffentlichen Raum bis auf weiteres unzulässig sind. Beide Begriffe lassen die Auslegung zu, dass hiervon eine Personenzahl von - wie hier - drei Personen erfasst ist, wovon auch das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil zunächst zutreffend ausgeht. Auch der Wortlaut des Begriffes „Ansammlung“ erfasst das Zusammensein einer Menschenmenge von drei Personen (vgl. Senat a.a.O., zitiert nach juris Rn. 32, m.w.N.). Nach Auffassung des Amtsgerichts spricht die Entstehungsgeschichte der Regelung jedoch dafür, dass das Tatbestandsmerkmal „mehrere Personen“ erst ab einer Anzahl von mehr als drei Personen verwirklicht ist.
25Dem folgt der Senat nicht. Bereits die Anknüpfung des Amtsgerichts allein an den Wortlaut des § 1 Abs. 2 CoronaSchVO ist fehlerhaft, denn es übersieht hierbei den abweichenden Wortlaut des § 1 Abs. 3 CoronaSchVO, der das eigentliche Verbot ausspricht. Aber auch im Übrigen erweist sich die Auslegung des Amtsgerichts als fehlerhaft. Zwar trifft es zu, dass der Verordnungsgeber erstmals in der CoronaSchVO vom 08. Mai 2020 die in früheren Verordnungen jeweils in § 12 verwendete Formulierung „Zusammenkünfte und Ansammlungen im öffentlichen Raum von mehr als 2 (Hervorhebung durch den Senat) Personen sind untersagt“ aufgegeben hat. Das hiermit eine allgemeine Lockerung im Hinblick auf die für eine Ansammlung im Sinne der Verordnung erforderliche Mindestpersonenzahl verbunden sein sollte, lässt sich indes nicht annehmen. Aus dem Wortlaut von § 1 Abs. 2 und Abs. 3 CoronaSchVO lässt sich dies - wie dargelegt - nicht herleiten. Der Wortlaut des Absatz 3 spricht sogar eher für eine Verschärfung, weil der verbliebene Begriff „von Personen“ auch bereits das Zusammensein von zwei Personen erfasst. Aber auch die der Änderung zugrunde liegenden Motive des Verordnungsgebers sprechen nicht für eine allgemeine Lockerung des Ansammlungsverbots im öffentlichen Raum. Der auch von dem Amtsgericht in Bezug genommenen Pressemitteilung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 06. Mai 2020 (veröffentlicht unter: https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/ministerpraesident-armin-laschet-stellt-nordrhein-westfalen-plan-vor) ist vielmehr (lediglich) zu entnehmen, dass die bestehenden Kontaktbeschränkungen ab dem 11. Mai 2020 so weiterentwickelt werden sollten, dass es möglich wird, dass die Angehörigen zweier Haushalte sich im öffentlichen Raum treffen. Eine entsprechende Lockerung der zuvor in § 12 Abs. 1 Nr. 2 CoronaSchVO a.F. enthaltenen Regelung hat der Verordnungsgeber sodann in § 1 Abs. 2 Nr. 2 CoronaSchVO vom 08. Mai 2020 aufgenommen. Des Weiteren ist der Pressemitteilung zu entnehmen, dass Veranstaltungen und Versammlungen ebenso wie der Sport- und Trainingsbetrieb in gewissen Grenzen wieder zugelassen werden sollten, was in der CoronaSchVO vom 08. Mai 2020 ebenfalls umgesetzt wurde. Flankierend hat der Verordnungsgeber mit § 1 Abs. 3 Nr. 2 (Teilnahme an zulässigen Veranstaltungen und Versammlungen) und Nr. 3 (zulässige sportliche Betätigung) dieser Verordnung zwei neue Ausnahmetatbestände eingeführt, was ebenfalls eine Lockerung des Ansammlungsverbots im öffentlichen Raum gegenüber der früheren Regelung in § 12 CoronaSchVO a.F. bedeutete. Dafür, dass der Verordnungsgeber darüber hinausgehend das außerhalb der alten und neuen Erlaubnis- bzw. Ausnahmetatbestände fortbestehende Ansammlungsverbot im öffentlichen Raum allgemein lockern wollte, bietet allein die Änderung der Formulierung „von mehr als zwei Personen“ in „von Personen“ keinen hinreichenden Anhaltspunkt.
26Das von dem Amtsgericht in diesem Zusammenhang ebenfalls herangezogene Argument einer „besonders bürgerfreundlichen Auslegung“ erscheint angesichts des hochdynamischen Pandemiegeschehens und der Notwendigkeit einer effektiven Gefahrenabwehr verfehlt. Etwaigen Irrtümern der Betroffenen kann bei der Frage nach dem Vorliegen eines schuldhaften Verstoßes gegen das in § 1 Abs. 2, 3 CoronaSchVO normierte Ansammlungsverbot im öffentlichen Raum hinreichend Rechnung getragen werden.
273.
28Der private Pkw unterfällt dem Tatbestandsmerkmal „öffentlicher Raum“ in § 1 Abs. 2, 3 CoronaSchVO (a.A.: AG Stuttgart, Beschluss vom 08. September 2020 - 4 OWi 177 Js 68534/20 -, beck-online; AG Reutlingen, Beschluss vom 09. Dezember 2020 - 4 OWi 23 Js 16246/20 -, beck-online, mit zustimmender Anmerkung von Merz; AG Salzgitter, Urteil vom 14. Dezember 2020 - 11a OWi 123 Js 40670/20 -, beck-online).
29Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu in ihrer dem Betroffenen und seinem Verteidiger bekannt gemachten Stellungnahme vom 03. März 2021 ausgeführt:
30„Erstmalig mit der CoronaSchVO vom 30.10.2020 hat der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW in § 1 der Verordnung allgemeine Grundsätze formuliert. In § 1 Abs. 5 dieser CoronaSchVO heißt es entsprechend: „Öffentlicher Raum im Sinne dieser Verordnung sind alle Bereiche mit Ausnahme des nach Art. 13 Absatz 1 des Grundgesetzes geschützten Bereichs“. Mit diesen allgemeinen Grundsätzen wollte der Verordnungsgeber nicht nur für künftige, sondern auch klarstellend für vergangene Sachverhalte formulieren, wie bestimmte Rechtsbegriffe der CoronaSchVO zu verstehen sind, obwohl sich dies nach hiesiger Rechtsansicht auch zuvor bei verständiger Würdigung des Sinns und Zwecks der Maßnahmen erschlossen hat.
31Es entspricht zunächst höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass der Begriff der Wohnung im Sinne des Art. 13 Grundgesetz nicht Verkehrsmittel wie den privaten Kraftwagen umfasst (zu vgl. BGH, Beschluss vom 11.4.1997 - 1 BGs 88/97 - m.w.N.; zitiert nach juris). Ziel der Verordnung ist die Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-COV2. Hierzu beschränkt § 1 der CoronaSchVO Ansammlungen und Zusammenkünfte von Personen in weitem Maße. Lediglich die zum einen nicht kontrollierbaren zum anderen vom hohen Grundrechtsschutz des Art. 13 GG umfassten Bereiche sollten hiervon ausgenommen werden.
32Die Übertragung des Coronavirus erfolgt insbesondere im Wege der Tröpfcheninfektion von Mensch zu Mensch. In einem Personenkraftwagen ist der den einzelnen Personen zur Verfügung stehende Raum naturgemäß eng umgrenzt, die Ansteckungsgefahr daher besonders hoch. Würde hier die Möglichkeit einer privaten „Enklave“ im öffentlichen Straßenverkehr geschaffen, liefe dies dem Ziel der Verordnung vollständig zuwider. Der öffentliche Raum ist daher nach immobiliaren Grundsätzen zu definieren. Die Verlagerung des privaten Raums in den öffentlichen Straßenverkehr durch die kraftfahrzeugbedingte „Ummantelung“ von mehreren Personen ist so vom Verordnungsgeber nicht bezweckt.“
33Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht diese zur Grundlage seiner Entscheidung. Ein Hinweis darauf, dass nach dem Willen des Verordnungsgebers auch bereits unter der Geltung der CoronaSchVO in der ab dem 21. Mai 2020 gültigen Fassung der private Pkw dem Begriff des öffentlichen Raums zuzuordnen ist, ergibt sich aus dieser Verordnung selbst. Denn in § 8 Abs. 5 CoronaSchVO hat der Verordnungsgeber den Betrieb von Autokinos zugelassen und hierzu bestimmt: „für die Insassen der Fahrzeuge gilt § 1 Absatz 2“. Der Existenz der Vorschrift als solcher ist demgegenüber nicht etwa zu entnehmen, dass im Rahmen des allgemeinen Straßenverkehrs für Insassen von Pkw die Vorschrift des § 1 Abs. 2 CoronaSchVO nicht gelten solle, da der auf den ersten Blick möglicherweise dafür sprechende Gedanke, die Vorschrift des § 8 Abs. 5 CoronaSchVO sei überflüssig, wenn § 1 Abs. 2 CoronaSchVO ohnehin stets für alle Pkw-Insassen gelte, nicht überzeugt. Wäre das der Wille des Verordnungsgebers gewesen, würde dies auf den konkreten Fall der Autokinos bezogen dazu führen, dass mehrere haushaltsfremde Personen auf dem Weg dorthin in einem Pkw sitzen, jedoch die Vorstellung nicht mehr gemeinsam verfolgen dürften. Das Verbot der Zusammenkunft in einem Pkw allein auf den bei Gesamtbetrachtung eher unbedeutenden Fall der Autokinos zu beschränken ergäbe zudem keinen Sinn und führt dazu, der Vorschrift des § 8 Abs. 5 CoronaSchVO einen lediglich klarstellenden Charakter beizumessen.
344.
35Die Teilnahme an einer privaten Fahrgemeinschaft erfüllt entgegen der Annahme des Amtsgerichts weder den Ausnahmetatbestand der Nr. 1 noch der Nr. 4 des § 1 Abs. 3 CoronaSchVO.
36a)
37§ 1 Abs. 3 Nr. 1 CoronaSchVO nimmt „unvermeidliche Ansammlungen bei der bestimmungsgemäßen Verwendung zulässiger Einrichtungen (insbesondere bei der Nutzung von Beförderungsleistungen des Personenverkehrs sowie seiner Einrichtungen“ von dem Ansammlungsverbot im öffentlichen Raum aus. Das Amtsgericht hat seine Auslegung dieser Vorschrift zu Unrecht im Wesentlichen an dem Begriff des „Personenverkehrs“ ausgerichtet und dabei den weiteren Kontext, in den dieser Begriff eingebettet ist, nicht hinreichend beachtet. Danach muss es sich um eine „Nutzung“ von „Beförderungsleistungen“ des Personenverkehrs handeln. Bereits diese Wortwahl macht deutlich, dass hiermit die Inanspruchnahme eines allgemein zugänglichen Leistungsangebots im Beförderungswesen gemeint ist. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist es gänzlich unüblich, derartige Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer privaten Fahrgemeinschaft zu verwenden.
38Dafür, dass der Verordnungsgeber (lediglich) den öffentlichen Personenverkehr privilegieren wollte, spricht auch der Oberbegriff der „Einrichtung“. In Anlehnung an den im Verwaltungsrecht verwendeten Begriff der „öffentlichen Einrichtung“ lässt sich hierunter jede Zusammenfassung personeller Kräfte und sächlicher Mittel, die für bestimmte Zwecke unterhalten wird und die der bestimmungsgemäßen Nutzung durch einen in der Zweckbestimmung festgelegten Personenkreis zugänglich gemacht wird, verstehen (vgl. zum Begriff der „öffentlichen Einrichtung“ Peters in BeckOK KommunalR NRW, 15. Ed. 01.03.2021, GO NRW § 8 Rn. 7, m.w.N.). Dieser begrifflichen Definition entspricht eine private Fahrgemeinschaft nicht.
39b)
40Die Teilnahme an einer privaten Fahrgemeinschaft zur Bewältigung des Weges zu bzw. von der Arbeitsstätte stellt keine „zwingende berufliche Zusammenkunft“ nach § 1 Abs. 3 Nr. 4 CoronaSchVO dar. Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 03. März 2021 diesbezüglich darauf hingewiesen, dass zwingende berufliche Zusammenkünfte bei einem Arbeitnehmer nur solche sein können, auf die der Arbeitgeber aufgrund seiner Weisungsbefugnis auch Einfluss hat. Insofern mag ein Arbeitnehmer zwar gezwungen sein, den Weg zur Arbeit zurückzulegen. Die Entscheidung, wie er diesen Weg zurücklegt, ob durch Teilnahme an einer privaten Fahrgemeinschaft oder auf andere Art und Weise, steht ihm hingegen frei.
41IV.
42Das angefochtene Urteil erweist sich aus den dargestellten Gründen im Rechtsfolgenausspruch als fehlerhaft. Da es zudem keine tatrichterlichen Feststellungen zu der Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes der verbotswidrigen Ansammlung von Personen im öffentlichen Raum durch den Betroffenen enthält, war das Urteil insgesamt aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Amtsgericht Dortmund zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).