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Einem Bahnreisenden stehen nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter keine vertraglichen Schadensersatzansprüche gegen ein Infrastrukturunternehmen der DB zu, mit dem der Reisende keinen Beförderungsvertrag abgeschlossen hat. § 1 HPflG eröffnet keine Haftung der Eisenbahn, wenn ein Reisender auf dem Weg zum Taxistand beim Verlassen des Bahnsteigs infolge Glätte zu Fall kommt. Einen deliktischen Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Verkehrssicherungspflichtverletzung kann der Reisende nicht durchsetzen, wenn ihm der Nachweis misslingt, dass auf dem Bahnhofsgelände keine hinreichenden Streumaßnahmen durchgeführt wurden. Den Nachweis der Pflichtverletzung selbst erleichtert kein Anscheinsbeweis.
Die Berufung des Klägers gegen das am 6. März 2020 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern die Beklagten vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
2I.
3Der Kläger nimmt die Beklagten wegen eines Glatteisunfalls, den er nach seinem Behaupten am 07.01.2017 auf dem Bahnhofsgelände in N erlitten haben will, aus dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung als Gesamtschuldner auf Zahlung eines angemessenen, seiner Vorstellung nach sich zumindest auf den Betrag von 10.000,- € belaufenden Schmerzensgeldes, Ersatz eigener unfallbedingter materieller Schäden in Höhe von 745,48 € sowie aus abgetretenem Recht der L GmbH auf weiteren Schadenersatz in Höhe von 15.745,71 € in Anspruch. Darüber hinaus begehrt er die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für alle ihm zukünftig noch aus dem Unfallereignis entstehenden materiellen und immateriellen Schäden.
4Die Beklagte zu 1.) unterhält als Infrastrukturunternehmen den Bahnhof in N und ist für diesen unstreitig verkehrssicherungspflichtig. Sie hat die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Winterdienstes auf dem Bahnhofsgelände auf die Beklagte zu 2.) übertragen, wobei sie dieser allerdings genaue Vorgaben dazu gemacht, welche Flächen auf dem Bahnhofgelände winterdienstlich zu behandeln sind. Die Beklagte 2.) entscheidet, wann auf diesen Flächen Winterdienstmaßnahmen durchgeführt werden. Mit der eigentlichen Durchführung der Winterdienstmaßnahmen hat sie ihrerseits die Beklagte zu 3.) beauftragt.
5Der Kläger hat in erster Instanz behauptet, am 07.01.2017 gegen 20:30 Uhr beim Verlassen des Bahnhofsgeländes noch unter dem überdachten Bereich des Bahnsteiges des Gleises 11 auf dem Weg zu zwei auf dem Bahnhofsvorplatz auf ihn und seine Familie wartenden Taxis infolge Glatteis gestürzt zu sein. Er sei kurz vor dem auf den Lichtbildern der Anlage zur Klageschrift zu sehenden Gullideckel an der dort jeweils mit einem Kreuz gekennzeichneten Stelle gestürzt. Zum Unfallzeitpunkt habe eine allgemeine Glättebildung vorgelegen. Der betreffende Bereich sei nicht winterdienstlich behandelt, insbesondere nicht mit Splitt oder Salz abgestreut gewesen, obgleich bereits am Morgen des Unfalltages laut der örtlichen Presse vom Deutschen Wetterdienst für den Lauf des Tages vor Eisregen gewarnt worden sei. Infolge des Sturzes habe er eine distale Radiusfraktur des rechten Handgelenks erlitten, die operativ habe versorgt werden müssen. Er sei wegen des Unfalls bis zum 25.05.2017 arbeitsunfähig krank gewesen und habe seine Geschäftsführertätigkeit in der Fa. L GmbH bis auf wenige Restarbeiten nicht ausüben können, weshalb die Firma auf die Einstellung von Ersatzkräften angewiesen gewesen sei. Für die von ihm unfallbedingt erlittenen Verletzungen und Verletzungsfolgen hat der Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,- € für angemessen erachtet. Ferner hat er behauptet, dass ihm durch den Unfall für Zuzahlungen und Fahrten zur stationären und ambulanten Heilbehandlung Kosten in Höhe von insgesamt 745,48 € entstanden sein. Darüber hinaus hat der Kläger aus abgetretenem Recht der Fa. L GmbH Zahlung weiteren Schadensersatzes in Höhe von 15.745,71 € begehrt mit dem Behaupten, dass der Firma L GmbH wegen seines unfallbedingten Ausfalls in dieser Höhe Aufwendungen für Lohnfortzahlung und Aushilfskräfte sowie von Drittfirmen berechnete Verladekosten entstanden sein.
6Die Beklagte zu 1.) bis 3.) haben den streitgegenständlichen Unfall nach Hergang, Ort, Ursachen und Folgen vollumfänglich bestritten. Die Beklagte zu 1.) hat darüber hinaus gemeint, dass die von ihr für den Winterdienst vorgegebenen Flächen dafür ausreichend gewesen sein, den Fahrgästen ein gefahrloses Begehen des Bahnhofsgeländes zu ermöglichen. Weiter hat sie behauptet, die Beklagten zu 2.) und 3.) sorgfältig ausgewählt und in hinreichender Weise überwacht zu haben. Zudem seien die von ihr vorgegebenen Flächen auch zum Unfallzeitpunkt von der Beklagten zu 3.) ordnungsgemäß abgestreut gewesen sein. Hilfsweise hat sich die Beklagte zu 1.) den Vortrag des Klägers zu eigen gemacht, dass er innerhalb der nach ihren Vorgaben abzustreuenden Flächen gestürzt sei. Die Beklagte zu 2.) und 3.) haben ebenfalls behauptet, dass die von der Beklagten 1.) vorgegebenen Flächen am 07.01.2017 von Beklagten zu 3.) in der Zeit zwischen 13:59 Uhr und 14:12 Uhr vorsorglich mit einem Splitt-/Salzgemisch abgestreut worden sein. Wenn der Kläger tatsächlich infolge von Glatteis gestürzt sein sollte, müsse sich deshalb sein Sturz außerhalb der abgestreuten Flächen ereignet haben. Die Beklagte zu 2.) hat darüber hinaus behauptet, die Beklagte zu 3.) sorgfältig ausgewählt und überwacht zu haben. Jedenfalls wäre ein ihr etwaig anzulastende Überwachungsverschulden nicht für den Sturz des Klägers ursächlich geworden, weil dieser durch auch eine ordnungsgemäße Kontrolle nicht verhindert worden wäre.
7Wegen der weiteren Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhalts und beiderseitigen Parteivorbringen einschließlich der erstinstanzlichen Anträge wird auf die zwischen den Parteien erstinstanzlich gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen sowie den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Dortmund vom 07.11.2019 Bezug genommen.
8Das Landgericht hat den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen C, S, E, O, T und X. Anschließend hat das Landgericht die Klage mit Begründung abgewiesen, dass schon eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach nicht bestehe. Ein vertraglicher Anspruch des Klägers gegen die Beklagten aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB komme nicht in Betracht, weil der Kläger mit keiner der drei Beklagten den Beförderungsvertrag abgeschlossen habe. Ein Anspruch aus § 1 HPflG scheitere daran, dass sich der behauptete Unfall nicht unmittelbar beim Ein- und Aussteigen aus dem Zug ereignet habe. Dem Kläger stehe aber auch kein Anspruch aus dem rechtlichen Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflichtverletzung gemäß §§ 823 Abs.1, 831 Abs. 1 BGB gegen die Beklagten zu. Der Kläger habe schon nicht habe beweisen können, dass sich sein Sturz aufgrund von Glätte und nicht aus Unachtsamkeit ereignet habe. Weder die Zeugin C noch der Zeuge S hätten positiv bestätigen können, dass Kläger auf einer glatten Fläche ausgerutscht sei. Unabhängig davon habe der Kläger aber auch nicht den Nachweis einer Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten erbringen können. Zur Überzeugung des Gerichts hätten die Beklagten zum Unfallzeitpunkt alle notwendigen und ihnen zumutbaren Vorkehrungen gegen Glättegefahren getroffen gehabt. Nach der Beweisaufnahme hätte der Glatteisregen erst ca. 5-10 Minuten vor dem behaupteten Unfall eingesetzt. Zwar habe es bereits am Morgen eine Glättewarnung gegeben. Zur Überzeugung des Gerichts seien die Beklagten aber ihrer vorbeugenden Streupflicht nachgekommen. Nach Aussage des Zeugen E sei am 07.01.2017 in der Zeit von 13:49 Uhr bis 14:12 Uhr von vier Mitarbeitern der Beklagten zu 3.) ein Splitt-Salz-Gemisch im Verhältnis von 1:3 ausgebracht worden. Die Aussage sei für das Gericht glaubhaft, auch wenn der Zeuge E die Breite des entlang der Gebäudewand abgestreuten Streifens bei seiner ersten Vernehmung zunächst mit 2 m und erst später mit 1,5 m angegeben habe. Der Zeuge O habe ebenfalls bezeugt, dass am 07.01.2017 Winterdienst geleistet und gestreut worden sei. Die Aussagen C und S stünden dem nicht entgegen. Beide hätten zwar angegeben, keine Streumittel im Bereich des Bahnhofes und Bahnhofsvorplatzes gesehen zu haben. Der Zeuge S habe jedoch in seinem Taxi gesessen. Auch die Zeugin C sei nach der Lebenserfahrung nach dem Sturz des Klägers nicht darauf fokussiert gewesen, zu sehen, ob Streumittel ausgebracht gewesen sei oder nicht. Dass nach ihren Angaben der Bahnhofsvorplatz insgesamt glatt gewesen sei, sei irrelevant, weil der Kläger in diesem Bereich nicht gestürzt sein will, sodass eine etwaige für diesen Bereich vorliegende Verkehrssicherungspflichtverletzung für den vom Kläger behaupteten Sturz jedenfalls nicht kausal gewesen sei. Es sei den Beklagten auch nicht möglich und zumutbar gewesen, zwischen dem Einsetzen des Eisregens und dem Unfall des Klägers das Bahnhofsgelände noch einmal abzustreuen. Ob sich der Sturz des Klägers innerhalb oder außerhalb des von der Beklagten zu 3.) nach dem Streuplan abzustreuenden Bereiches ereignet habe, sei letztlich irrelevant. Sofern sich der Sturz innerhalb dieses Bereiches ereignet habe, würde es aus den genannten Gründen schon an einer Verkehrssicherungspflichtverletzung fehlen. Soweit sich der Sturz dagegen außerhalb des abzustreuenden Bereiches ereignet habe, käme eine Haftung der Beklagte zu 3.) schon deshalb nicht in Betracht, weil sie lediglich nach den Vorgaben der Beklagten zu 2.) habe tätig werden müssen und ansonsten keine eigenen Kontrollpflichten übernommen habe. Auch eine Haftung der Beklagten zu 1.) und 2.) komme dann nicht in Betracht, weil der von ihnen vorgelegte Streuplan den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht genüge. Nach diesen seien ca. 1,5 m breiten Streifen an den Bahnsteigen sowie Querverbindungen zu streuen, auf denen für die Besucher sämtliche Bereiche des Bahnhofs gefahrlos zu erreichen sein.
9Wegen der weiteren Einzelheiten der Urteilsbegründung des Landgerichts wird das angefochtene Urteil erster Instanz Bezug genommen.
10Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Klageanträge in vollem Umfang weiter. Er wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Sachvortrag und trägt ergänzend vor, nach seinem Aussteigen aus dem Zug keinerlei Splitt auf dem Bahnsteig unter seinen Füßen bemerkt zu haben. Sein Körper habe nach seinem Sturz auch keinerlei von Splitt herrührende Verletzungen aufgewiesen. Er, der Kläger, habe bei seiner Ankunft in N keine nähere Kenntnis über die dortigen Wetterverhältnisse gehabt. Aufgrund der diffusen Lichtverhältnisse und den unterschiedlichen Asphaltsorten sei für ihn die Erkennbarkeit der Glätte erschwert gewesen. Darüber hinaus rügt der Kläger, vom Landgericht sei verkannt worden, dass es sich bei sämtlichen Beklagten um Erfüllungsgehilfen des Beförderungsunternehmens handele. Es sei auch absolut normal, dass den Bahnhof verlassende Fahrgäste auf sie abholende Personen achten würden. Entgegen dem Landgericht falle den Beklagten auch eine Verkehrssicherungspflichtverletzung zur Last. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass er infolge vorhandener Glätte gestürzt sei und am Unfalltag von der Beklagten zu 3.) kein Splitt-/Salz-Gemisch ausgebracht worden sei. Am Nachmittag des Unfalltages aufgebrachtes Salz/Splitt-Gemisch hätte nicht schon durch einen nur 5-minütigen Regen seine Wirkung verloren gehabt. Die Aussage des Zeugen E sei wegen dessen Nähe zur Inhaberin der Beklagten zu 3.) mit einer gewissen Skepsis zu sehen, zumal der Zeuge auch widersprüchliche Angaben zur Streubreite und zur Entfernung des Gullideckels von der Gebäudewand gemacht habe. Die beiden von der Beklagten zu 3.) vorgelegten Winterdienstberichte würden nicht zusammenpassen, so dass einer von ihnen ein „Fake“ sein müsse. Weiter meint der Kläger, dass sowohl dem Zeugen E als auch den bei den Beklagten zu 1.) und 2.) Verantwortlichen hätte auffallen müssen, dass der grafische Räumplan und der schriftliche Winterdienstplan voneinander abwichen. Die nach Angaben des Zeugen E von der Beklagten zu 3.) abgestreuten Flächen entsprächen nicht den Vorgaben aus dem grafischen Räumplan. Eine 1,50 m breite Querung vor dem Bahnhofsgebäude sei nicht dafür ausreichend, dass sich auf ihr abreisende und ankommende Fahrgäste mit Koffern begegnen könnten. Es könne bei der Beklagten zu 2.) auch nicht von einer sorgfältigen Auswahl der Beklagten zu 3.) gesprochen werden, weil der Beklagten zu 3.) erst am 10.11.2017 eine Restschuldbefreiung erteilt worden sei.
11Der Kläger beantragt,
12unter Abänderung des am 06.03.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Bielefeld (8 O 400/17)
131. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld anlässlich des Unfalls vom 07.01.2017 auf dem Bahnsteig am Gleis 11 zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
142. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, für materielle Schäden des Klägers insgesamt Schadensersatz in Höhe von 745,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie an den Kläger aus abgetretenem Recht der Firma L GmbH 15.745,71 € € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
153. festzustellen, dass die Beklagten auch für zukünftige materielle und immaterielle Schäden des Klägers als Gesamtschuldner haften, soweit diese im Zusammenhang mit dem Schadensereignis vom 07.01.2017 stehen,
164. die Beklagte weiterhin als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.358,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
17Die Beklagten beantragen,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil mit näheren Ausführungen als richtig und rügen den vom Kläger in der Berufungsinstanz ergänzend gehaltenen Sachvortrag als verspätet.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
21Der Senat hat am 15.01.2021 den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen S, C, T, X und E. Wegen des Ergebnisses der Parteianhörung sowie der Zeugenvernehmung wird auf den Berichterstattervermerk vom 15.01.2021 Bezug genommen.
22II.
23Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
24A.
25Dem Kläger stehen wegen des von ihm am 07.01.2017 auf dem Gelände des Bahnhofs in N erlittenen Sturzes keine Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten zu 1.) bis 3.) zu.
261.
27Vertragliche Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten zu 1.) bis 3.) kommen nach den zutreffenden Ausführungen des Landgerichts schon mangels eines zwischen dem Kläger und einem der Beklagten zustande gekommenen Vertragsverhältnisses nicht in Betracht. Der vom Kläger aus Anlass seiner Zugreise am Unfalltag eingegangene Beförderungsvertrag wurde unstreitig mit keinem der drei Beklagten abgeschlossen.
28Eine vertragliche Haftung der Beklagten lässt sich auch nicht aus der vom Kläger angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.01.2012 (X ZR 59/11) herleiten. Darin hat der Bundesgerichtshof allein ausgeführt, dass ein Eisenbahnverkehrsunternehmen auch nach der durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens vom 27.12.1993 erfolgten Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur aufgrund des mit dem Fahrgast geschlossenen „Beförderungsvertrages“ dazu verpflichtet ist, diejenigen Bahnanlagen wie Bahnhöfe und Bahnsteige, die der Fahrgast vor und nach der Beförderung benutzen muss, verkehrssicher bereitzustellen, und es, wenn es sich zur Erfüllung dieser vertraglichen Nebenpflicht eines Infrastrukturunternehmens als Erfüllungsgehilfe bedient, dessen Verschulden in gleicher Weise zu vertreten hat wie ein eigenes Verschulden (BGH a.a.O. – Rz. 10, 13, 14). Diese Ausführungen vermögen allein eine vertragliche Haftung des Eisenbahnbeförderungsunternehmens zu begründen, mit dem der Kläger am Unfalltag den Beförderungsvertrag abgeschlossen hatte.
29Eine vertragliche Haftung der Beklagten zu 1.) bis 3.) könnte sich deshalb allenfalls nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ergeben, nach denen ausnahmsweise auch einem am Vertrag unbeteiligten Dritten ein vertraglicher Schadensersatzanspruch aus §§ 280, 241 BGB gegen eine der beiden Vertragsparteien zustehen kann, wenn er in den Schutzbereich des Vertrages mit einbezogen ist (Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Auflage 2020, § 328 Rn. 19), Vorliegend sind jedoch die Voraussetzungen für eine Einbeziehung des Klägers in den Schutzbereich des zwischen den Eisenbahnbeförderungsunternehmen und der Beklagten zu 1.) geschlossenen Vertrages und/oder der zwischen den Beklagten untereinander geschlossenen Verträge nicht erfüllt. Denn für eine Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich eines zwischen anderen Vertragsparteien geschlossenen Vertrages muss dieser schutzbedürftig sein. An der Ausdehnung des Vertragsschutzes muss nach Treu und Glauben ein Bedürfnis bestehen, weil der Dritte ansonsten nicht ausreichend geschützt wäre. Ein zusätzlicher Drittschutz ist deshalb ausgeschlossen, wenn der Dritte wegen des Sachverhalts, aus dem er seinen Anspruch herleitet, einen inhaltsgleichen vertraglichen Anspruch gegen den Gläubiger oder einen anderen hat (Palandt-Grüneberg, a.a.O. – Rn. 19 m.w.Nw.). Dies wäre hier aber bei Zugrundelegung des Klagevortrages der Fall. Denn wenn den Beklagten zu 1.) bis 3.) tatsächlich Pflichtverletzungen bei der ihnen jeweils vertraglich übertragenen Verpflichtung, für den verkehrssicheren Zustand des Bahnhofsgeländes Sorge zu tragen, zur Last fielen, hätte dafür nach der vorstehend zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs letztlich das Eisenbahnbeförderungsunternehmen einzustehen, mit dem der Kläger am Unfalltag den Beförderungsvertrag abgeschlossen hatte.
302.
31Dem Kläger stehen wegen des streitgegenständlichen Unfallereignisses auch keine Ansprüche nach dem Haftpflichtgesetz zu.
32Zwar dürfte zumindest die Beklagte zu 1.) noch im Sinne des § 1 HPflG zu dem „Betriebsunternehmer“ der vom Kläger am Unfalltag genutzten Schienenbahn gehören. Denn erst durch das Zusammenwirken von Eisenbahnverkehrsunternehmen und Eisenbahninfrastrukturunternehmen wird der Bahnbetrieb, mit dem das die strenge Gefährdungshaftung nach dem Haftpflichtgesetz rechtfertigende erhöhte Gefahrenpotential geschaffen wird, überhaupt erst ermöglicht (Kaufmann in: Geigel, Haftpflichtprozess 28. Auflage 2020, Kap. 26 Rn. 14). Es fehlt vorliegend jedoch der weiteren Tabestandsvoraussetzung des § 1 HPflG, dass sich der Unfall „bei dem Betrieb“ der Schienenbahn ereignet hat.
33Das Haftpflichtgesetz hat den Sinn, die Betroffenen vor den spezifischen Auswirkungen der dem Bahnbetrieb eigentümlichen Gefahren schadlos zu stellen. Ein Schadensfall ist nur dann dem Bahnbetrieb zuzurechnen und damit als Betriebsunfall anzusehen, wenn entweder ein innerer Zusammenhang mit einer dem Bahnbetrieb eigentümlichen Gefahr besteht, d. h. wenn sich bei dem Unfall eine der dem Bahnbetrieb eigentümlichen Gefahren verwirklicht hat, oder wenn zwar kein innerer, jedoch ein unmittelbarer äußerer örtlicher und zeitlicher ursächlicher Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang oder einer Betriebseinrichtung besteht. Ein solcher unmittelbarer äußerer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang liegt (nur) dann vor, wenn sich der Unfall bei der eigentlichen Beförderungstätigkeit ereignet (Kaufmann, a.a.O., Rn. 22; BGH, Urteil vom 16.10.2007, VI ZR 173/06 – Rz. 12 juris). Es muss mithin ein kausaler Zusammenhang mit den wirklich ablaufenden Beförderungsvorgängen bestehen (OLG Saarbrücken, Urteil vom 23.01.2014, 4 U 387/12 – Rz. 115 juris). Ein Unfall, der allein durch eine Betriebsanlage und nicht etwa durch den Bahnbetrieb als solchen verursacht wird, ist kein Betriebsunfall (Kaufmann, a.a.O., Rn. 24). Unfälle beim Ein- und Aussteigen aus einem haltenden Zug stellen deshalb nur dann einen Betriebsunfall dar, wenn sie sich unmittelbar im Zusammenhang mit dem Ein- und Aussteigevorgang ereignet haben. Daran fehlt es, wenn zum Zeitpunkt des Unfalls das eigentliche Ein- oder Aussteigen bereits beendet gewesen ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.07.1987, 10 U 3/87 = Versicherungsrecht 1988, 583). Entsprechend hat das OLG Frankfurt a.M. in einem Fall, in dem ein Reisender auf dem Weg zu einem Anschlusszug auf einer verunreinigten glatten Stelle des Bahnsteigs ausgerutscht und dadurch zu Fall gekommen war, das Vorliegen eines Betriebsunfalls verneint (OLG Frankfurt, Urteil vom 20.06.1985, 1 U 202/84 = Versicherungsrecht 1987, 77). Dagegen wäre in dem genannten Fall ein Betriebsunfall zu bejahen gewesen, wenn der Reisende durch das Gedränge von Mitreisenden, die ebenfalls ihre Anschlusszüge erreichen wollten, zu Fall gekommen wäre (Kaufmann, a.a.O., Rn. 24).
34Ausgehend von diesen Grundsätzen hat sich der streitgegenständliche Unfall nicht bei dem Betrieb der vom Kläger genutzten Schienenbahn ereignet. Denn nach seiner gegenüber dem Landgericht abgegebenen Unfallschilderung war der Kläger bereits aus dem Zug ausgestiegen und mit dem Gepäck weiter in Richtung des Bahnhofsvorplatzes gegangen, ehe er stürzte. Der eigentliche Aussteigevorgang war damit zum Unfallzeitpunkt schon beendet gewesen. Infolge des Gedränges anderer Mitreisender zu Fall gekommen zu sein, behauptet der Kläger selbst nicht. Er will vielmehr allein wegen einer am Ende der Überdachung des Bahnsteiges 1 vorhandenen Vereisung gestürzt sein. Damit fehlt es hier aber an dem für einen Betriebsunfall erforderlichen unmittelbarer zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zwischen Unfall und dem Betriebsvorgang. Allein der Umstand, dass sich der Unfall auf dem Bahnhof ereignet hat, reicht zur Begründung einer Haftung nach § 1 HPflG nicht aus.
35Der streitgegenständliche Unfall ist schließlich auch nicht etwa deshalb als Betriebsunfall zu qualifizieren, weil der Kläger nach seinem Behaupten zum Zeitpunkt seines Sturzes nach dem von ihn vorbestellten Taxis Ausschau gehalten und einem Taxifahrer zugewunken haben will. Denn auch dieser Vorgang steht nicht mehr in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zum eigentlichen Beförderungsvorgang. Bei ihm handelt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht um eine gerade dem Bahnbetrieb eigentümliche Gefahr. Dass am Bahnhof ankommende Fahrgäste nach sie abholenden Personen Ausschau halten und deshalb möglicherweise nicht in der gebotenen Weise auf den von ihnen liegenden Weg achten, hat mit dem eigentlichen Bahnbetrieb nichts mehr zu tun. Zu entsprechenden Aufmerksamkeitsdefiziten kann es auch in anderen Situationen kommen, denen keine Beförderung mit einer Schienenbahn vorausgegangen ist wie etwa bei der Abholung durch Taxi nach einer privaten Feier oder einem Theaterbesuch. Sie sind mithin nicht, wie von § 1 HPflG gefordert, gerade dem Bahnbetrieb eigentümlich.
363.
37Den Kläger stehen die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche aber auch nicht wegen einer den Beklagten anzulastenden schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 831 Abs. 1 BGB zu.
38a)
39Allerdings scheitert ein dahingehender Anspruch des Klägers nicht schon an Fehlen einer entsprechenden Verkehrssicherungspflicht der Beklagten. Denn allen drei Beklagten hat vorliegend für das Bahnhofsgelände eine Verkehrssicherungspflicht oblegen. Die Beklagte zu 1.) war als Betreiberin des Bahnhofs N dafür verantwortlich, dass die Fahrgäste bei Schnee- und Eisglätte gefahrlos zu den Zügen gelangen bzw. das Bahnhofsgelände verlassen können. Sie hat ihre Verkehrssicherungspflicht nur zum Teil auf die Beklagte zu 2.) übertragen, indem sie sich die Entscheidung, wo von dieser im Bedarfsfall auf dem Bahnhofsgelände Winterdienstarbeiten durchzuführen sind, vorbehalten hat. Lediglich die Entscheidung, wann und durch wen die Winterdienstarbeiten auf dem Bahnhofsgelände durchzuführen sind, wurde von der Beklagten zu 1.) auf die Beklagte zu 2.) übertragen. Auch die Beklagte zu 2.) hat ihre Versicherungspflicht nur zum Teil auf die Beklagten zu 3.) weiterübertragen, indem sie sich die Entscheidung, wann von dieser auf dem Bahnhofsgelände Winterdienstarbeiten durchzuführen sind, vorbehalten hat. Der Beklagten zu 3.) oblag schließlich insoweit die Verkehrssicherungspflicht für das Bahnhofsgelände, als sie sich gegenüber der Beklagten zu 2.) vertraglich zur Ausführungen der von den Beklagten zu 1.) und 2.) angeordneten winterdienstlichen Maßnahmen verpflichtet hatte.
40b)
41Der Senat hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch keinen Zweifel daran, dass es zum Unfallzeitpunkt im Bereich des Bahnhofs N zu einer allgemeinen Glättebildung gekommen war. Der Zeuge S hat sich eingangs seiner Vernehmung durch den Senat auf seine bereits in erster Instanz vor dem Landgericht geleistete Zeugenaussage bezogen. Dort hatte der Zeuge S ausgesagt, dass es zum Unfallzeitpunkt bereits 5 bis 10 Minuten lang geregnet gehabt habe und der Regen auf dem Boden zu Eis gefroren sei. Die Passanten hätten große Schwierigkeit gehabt, zu den Taxis zu kommen. Auch für die Taxifahrer sei es schwierig gewesen, bei der Glätte zu fahren. Diese Angaben hat der Zeuge S bei seiner erneuten Vernehmung durch Senat im Wesentlichen noch einmal bestätigt. Ergänzend hat er ausgesagt, dass die Glätte auf dem gesamten Bahnhofsvorplatz geherrscht habe. Die Richtigkeit der Angaben des Zeugen S wird die Aussage der Zeugin C bestätigt, dass sie wegen der vorhandenen Glätte ca. 5 Minuten von der Sturzstelle des Klägers bis zu dem Taxi benötigt habe. Aus beiden Zeugenaussage wird deutlich, dass es zum Unfallzeitpunkt nicht nur einzelne Glättestellen auf dem Bahnhofsgelände gegeben hat, sondern es infolge des Glatteisregens nicht nur auf dem gesamten Bahnvorplatz, sondern auch im umliegenden Stadtgebiet zu einer Glättebildung gekommen war. Dies korrespondiert auch mit der von der Beklagten zu 2.) vorgelegten allgemeinen Glättevorhersage der Fa. MeteoGroup (Blatt 126 der Akten), in der für den Raum N für den Samstag den 07.01.2017 ab 18 Uhr vor Eisbildung auf den Straßen gewarnt worden war.
42c)
43Eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 831 Abs. 1 BGB wegen schuldhafter Verkehrssicherungspflichtverletzung scheitert vorliegend jedoch daran, dass der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht den ihm obliegenden Beweis dafür erbringen konnte, dass entgegen dem Behaupten der Beklagten nicht schon am Nachmittag des Unfalltages von der Beklagten zu 3.) hinreichende Streumaßnahmen auf dem Bahnhofsgelände durchgeführt worden waren.
44(1)
45Dabei kann dahinstehen, ob die von der Beklagten zu 3.) am Unfalltag auf dem Bahnhofsgelände durchgeführten Streumaßnahmen in jeder Hinsicht den von den Beklagten zu 1.) und 2.) mit dem graphischen Räumplan und schriftlichen Winterdienstplan gemachten Vorgaben entsprachen und welcher der beiden graphischen Räumpläne Blatt 126 a und 126 b der Akten am Unfalltag galt. Denn die Beklagten hätten bereits mit den Streumaßnahmen, welche nach den Angaben des Zeugen E im Senatstermin am Nachmittag des 07.01.2017 von der Beklagten zu 3.) am ausgeführt worden sein sollen, ihre gegenüber dem Kläger obliegende Verkehrssicherungspflicht erfüllt, weshalb auch davon auszugehen ist, dass sich alle Beklagten diese für sie günstigen Angaben des Zeugen E hilfsweise zu eigen gemacht haben.
46Der Zeuge E hat bei seiner Vernehmung durch den Senat angegeben, dass am Nachmittag des 07.01.2017 von Mitarbeitern der Beklagten zu 3.) innerhalb der in den beiden Winterdienstnachweisen Blatt 118 und 125 der Akten genannten Zeit zwischen 13:58 Uhr und 14:12 Uhr auf dem Bahnhofsgelände N vorbeugend Winterdienstarbeiten durchgeführt worden sein. Dabei sei entsprechend den Vorgaben in dem schriftlichen Winterdienstplan Blatt 252 der Akten unter anderen am Bahnsteig des Gleises 11 ein Streifen von 1,8 m Breite entlang der Bahnsteigkante sowie beginnend von Gleis 1 bis hinüber zum Gleis 11 ein 1,5 m breiter Streifen entlang der südlichen Gebäudewand des Bahnhofsgebäudes mit einem Splitt/Salzgemisch abgestreut worden war. Ferner sei ein 2 m breiter, mittig über den Bahnhofsvorplatz verlaufender Streifen abgestreut worden. Auf Nachfrage hat der Zeuge E ergänzend angegeben, dass die Mitarbeiter der Beklagten zu 3.) die nach dem schriftlichen Winterdienstplan winterdienstlich zu behandelnden Flächen nicht per Hand, sondern mit einem Streuwagen abstreuen würden und mit diesem je nach Gehgeschwindigkeit seines Benutzers ein Streifen von etwas mehr oder weniger als 1,8 m Breite abgestreut werde.
47Sofern die vom Zeugen E dargestellten Streumaßnahmen entsprechend dem Behaupten der Beklagten am Nachmittag des Unfalltages von der Beklagten zu 2.) durchgeführt worden sein sollten, hätten die Beklagten damit ihre gegenüber dem Kläger obliegende Verkehrssicherungspflicht erfüllt. Zu weitergehenden Streumaßnahmen waren die Beklagten nicht verpflichtet. Denn es wäre jedem auf den Gleis 11 ankommenden Fahrgast möglich gewesen, den Bahnsteig und das Bahnhofsgelände auf den von der Beklagten zu 3.) abgestreuten Wegen zu verlassen und so u.a. zu den auf dem Bahnhofsplatz stehenden Taxis zu gelangen. Der Ansicht des Klägers, dass es ankommenden und abfahrenden Fahrgästen nicht möglich sei, sich mit Koffern auf einem nur 1,5 m breiten abgestreuten Gehweg zu begegnen, vermag der Senat nach eigener Anschauung nicht zu folgen. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass sich zwei Fahrgäste bei Mitführung von Koffern auf einen nur 1,5 m breiten Gehweg relativ dicht aneinander vorbeigehen müssen. Jedoch ist es ihnen, wenn sie entweder ihren mit der Hand getragenen Koffer dicht hinter an ihrem Körper führen oder den auf Rollen mitgeführten Koffer hinter ihren Körper herziehen, doch möglich, auch mit Koffern aneinander vorbeigehen. Unabhängig davon ist aber aufgrund der Angaben des Zeugen E, dass die Mitarbeiter der Beklagten zu 3.) die Gehwege mit einem Streuwagen abstreuen würden, davon auszugehen, dass bei Ausführung der behaupteten Streumaßnahmen zum Unfallzeitpunkt den Fahrgästen entlang der südlichen Gebäudewand des Bahnhofs ein ca. 1,8 m breiter begehbarer Streifen zur Verfügung gestanden hat, der in jedem Fall breit genug dafür ist, dass sich auf ihm Fahrgäste auch mit Koffern begegnen können.
48Die von dem Zeugen E geschilderten Streumaßnahmen mit dem Splitt-Salzgemisch wären für die Fahrgäste auch bei Einhaltung der gebotenen Aufmerksamkeit erkennbar gewesen. Insoweit ist zu beachten, dass vom Fußgängerverkehr im Winter bei entsprechender Kälte und Niederschlag stets mit Glätte gerechnet muss. Dies gilt erst recht, wenn es wie hier bei niedrigen Temperaturen regnet oder kurz vorher geregnet hat. Unter diesen Umständen kann von den am Bahnhof ankommenden und abfahrenden Fahrgästen erwartet werden, dass sie sich nach ihrer Ankunft am Bahnhof darüber vergewissern, ob dort Glätte herrscht und welche Bereiche des Bahnhofsgeländes eventuell schon winterdienstlich behandelt worden sind.
49(2)
50Damit hätte aber der Kläger mit dem Beweismaß des § 286 ZPO den Nachweis erbringen müssen, dass die vom Zeugen E geschilderten Streumaßnahme am Nachmittag des Unfalltages nicht von der Beklagten zu 3.) durchgeführt wurden.
51Auf einen Anscheinsbeweis kann sich der Kläger insoweit nicht berufen. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei feststehender Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ein Anscheinsbeweis dafür sprechen, dass es ohne die Pflichtverletzung nicht zu einem Unfall gekommen wäre. Ein Anscheinsbeweis für die Pflichtverletzung selbst, kann hingegen nicht schon angenommen werden, wenn es innerhalb der räumlichen und zeitlichen Grenzen der Räumpflicht zu einem Unfall gekommen ist. Insofern bleibt es vielmehr bei der vollen Darlegungs- und Beweislast des Geschädigten für die Pflichtverletzung (BGH, Urteil vom 20.06.2013, III ZR 326/12 – Rz. 16 juris).
52Der Kläger hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch nicht zur vollen Überzeugung des Senats den Beweis dafür erbringen können, dass die vom Zeugen E geschilderten Streumaßnahmen nicht am Nachmittag des Unfalltages von der Beklagten zu 3.) ausgeführt worden waren. Die Aussagen der von ihm benannten Zeugen S und C reichen dem Senat bei Würdigung aller sonst noch in diesem Zusammenhang zu berücksichtigenden Umstände nicht für eine dahingehende Überzeugungsbildung aus.
53Der Zeuge S hat zwar auf Nachfrage des Senats ausgesagt, dass er von seinem Standort aus einen entlang der südlichen Gebäudewand mit Splitt abgestreuten Streifen wohl gesehen hätte. Der Senat vermag dieser Einschätzung des Zeugen aber keine Verlässlichkeit beizumessen. Dies gilt zum einen deshalb, weil der Zeuge S nach seinen Angaben gegenüber dem Landgericht mit seinem Taxi dort gestanden haben will, wo auf dem Lichtbild 5 e der Anlagen zu Klageschrift das Auto ganz links steht. Danach befand sich aber der Zeuge S zum Unfallzeitpunkt mehrere Fahrzeuglängen von der südlichen Gebäudewand des Bahnhofs entfernt, was dem Zeugen aus seiner im Fahrzeug sitzenden Position bereits die Wahrnehmung unmittelbar vor der südlichen Gebäudewand auf den Boden liegenden Splitts erheblich erschwert haben dürfte. Vor allem aber hat der Zeuge S weiter ausgesagt, überhaupt nicht gezielt auf das Vorhandensein von Streumitteln geachtet zu haben.
54Aber auch die Aussage der Zeugin C vermag dem Senat nicht die volle Überzeugung davon zu vermitteln, dass die von Zeugen E genannten Wege nicht von der Beklagten zu 3.) abgestreut worden waren. Zwar hat auch sie ausgesagt, an weder an der Stelle, an der der Kläger gestürzt sei, noch sonst Streumittel bemerkt zu haben. Allerdings hat auch die Zeugin C nach Nachfrage des Senats ausdrücklich eingeräumt, nicht gezielt auf Streumittel geachtet zu haben, weshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Zeugin schon deshalb ein ca. 1,8 m breiter entlang der südlichen Gebäudewand abgestreuter Streifen nicht aufgefallen ist. Dies gilt umso mehr als die Zeugin wiederholt ausgesagt hat, nach dem Sturz des Klägers nur noch auf diesen geachtet zu haben. Soweit die Zeugin C auf Nachfrage des Klägervertreter ausgesagt, dass sie vorhandene Streumittel bemerkt hätte, weil es ja sonst keine Glätte gegeben hätte, so handelt es sich hierbei um einen nicht tragfähigen Rückschluss der Zeugin. Denn die von der Zeugin wahrgenommene Glätte kann auch unmittelbar hinter dem nach Behaupten der Beklagten entlang der südlichen Gebäudewand abgestreuten, 1,8 m breiten Streifen gelegen haben. Nach der Aussage der Zeugin C soll der Kläger nach dem Sturz im Bereich des Gullideckels gelegen haben, der sich aber ausweislich der Lichtbilder Blatt 257 und 259 der Akten zumindest 1,8 m von der südlichen Gebäudewand des Bahnhofs entfernt befindet.
55Das Unfallereignis als solches lässt entgegen der Ansicht des Klägers keinen sicheren Rückschluss darauf zu, dass die von den Beklagten behaupteten Streumaßnahmen nicht durchgeführt wurden. Dabei kann dahinstehen, ob ein am Nachmittag des Unfallstages von der Beklagten zu 3.) ausgebrachtes Salz-/Splittgemisch – wie der Kläger behauptet – nicht schon durch einen 5 bis 10-minütigen Eisregen seine Wirkung verloren hätte. Denn der vom Kläger vorgenommene Rückschluss, dass er gar nicht gestürzt wäre, wenn am Unfalltag von der Beklagten zu 3.) die behaupteten Streumaßnahmen durchgeführt worden wären, wäre nur dann tragfähig, wenn der Kläger innerhalb eines Abstandes von weniger als 1,8 m von der südlichen Wand des Bahnhofsgebäude zu Fall gekommen wäre. Auch hierfür obliegt dem Kläger aber, solange nicht die Verkehrssicherungspflichtverletzung als solche feststeht, die volle Beweislast. Vorliegend hat der Kläger aber nicht mit dem Beweismaß des § 286 ZPO den Nachweis dafür erbringen können, dass er in einem geringeren Abstand als 1,8 m von der südlichen Gebäudewand des Bahnhofsgebäudes gestürzt ist.
56Der Zeuge S hat dazu bei seiner Vernehmung am 15.01.2021 lediglich sagen können, dass der Kläger am Ende der Überdachung des Bahnsteiges am Gleis 11 gestürzt sei. Diese reicht aber ausweislich der als Anlage zur Klageschrift überreichten Lichtbilder deutlich weiter als nur 1,8 m über die südliche Gebäudeseite des Bahnhofsgebäudes hinaus. Angaben dazu, in welchem genauen Abstand zum Gebäude sich der Sturz des Klägers ereignet hat bzw. ob sich dieser in der Nähe eines Gullideckels ereignet hat, vermochte der Zeuge S nicht zu machen.
57Aber auch auf der Grundlage der Zeugin C lässt sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Klägerin in einem geringerem Abstand als 1,8 m von der südlichen Gebäudewand des Bahnhofs gestürzt ist. Der eigentliche Sturz wurde von der Zeugin C nur insoweit beobachtet, als sie gesehen hat, dass plötzlich der Kopf des Klägers in der von ihr befindlichen Personengruppe verschwand. An welcher genauen Stelle der Kläger zu Fall gekommen ist, konnte die Zeugin nicht beobachten, weil sich zwischen ihr und dem Kläger noch andere Personen befanden. Dass der Kläger nach Aussage der Zeugin C später im Bereich des Gullideckels lag, reicht zum Beweis dafür, dass er in einem Abstand von weniger als 1,8 m zur Gebäudewand gestürzt ist, schon deshalb nicht aus, weil der Gullideckel nach dem eigenen Angaben des Klägers bereits 1,8 m von der Gebäudewand entfernt liegt und der Kläger zudem nach seiner Unfallschilderung rückwärts auf den Rücken gestürzt sein will, was bereits die Möglichkeit eröffnet, dass er anschließend ein Stück weit vor der Stelle, an der er mit seinen Füßen ausgerutscht ist, auf dem Boden zu liegen gekommen ist.
58Aus den vorstehenden Gründen vermag der Senat auch dem Berufungsvortrag des Klägers, dass er nach dem Sturz keine von Splitt herrührende Verletzungen aufgewiesen habe, ungeachtet dessen Unbewiesenheit keinerlei indiziellen Beweiswert beizumessen. Denn nach dem Vorgesagten kann das Fehlen entsprechender Verletzungen bereits darauf beruhen, dass der Kläger außerhalb des von der Beklagten zu 3.) abgestreuten 1,8 m breiten Streifens zu Fall gekommen ist.
59Soweit der Kläger schließlich erstmals mit der Berufung behauptet hat, nach seinem Aussteigen aus dem Zug kein Knirschen unter seinen Schuhen wahrgenommen zu haben, hat er hierfür trotz des Bestreitens der Beklagten zu 3.) schon keinen geeigneten Beweis angetreten. Unabhängig davon erscheint es dem Senat aber auch nicht fernliegend, dass entlang der Bahnsteigkante ausgebrachter Splitt deshalb nicht vom Kläger bewusst wahr genommen wurde, weil er seine Aufmerksamkeit in der von ihm geschilderten damaligen Ankunftssituation, nämlich bei seinem Vorauseilen mit mehreren Koffern zu den von ihm vorbestellten Taxis, auf andere Dinge gerichtet gewesen ist.
60Abgesehen von den vorstehenden Erwägungen sprechen vorliegend aus Sicht des Senats aber auch mehrere Umstände für die tatsächliche Durchführung der von den Beklagten behaupteten Winterdienstmaßnahmen.
61Dies gilt zunächst für die erstinstanzliche Aussage des Zeugen O. Auch wenn das Landgericht in der mündlichen Verhandlung am 13.08.2018 aufgrund von Sprachschwierigkeiten von einer weitergehenden Vernehmung des Zeugen O abgesehen hat, so wurde doch dem Zeugen O zu Beginn seiner Vernehmung ausgesagt, dass er am 07.01.2017 mit Mitarbeitern der Beklagten zu 3.) auch am Bahnhof N war und dort Winterdienst geleistet hat.
62Darüber hinaus ist aber auch den von den Beklagten vorgelegten beiden Winterdienstnachweise Blatt 118 und 125 der Akten und Lichtbildern Blatt 481 bis 483 der Akten ein zumindest indizieller Beweiswert für die Durchführung der beklagtenseitig behaupteten Streumaßnahme beizumessen. Ausweislich der von der Beklagten zu 2.) vorgelegten beiden Winterdienstnachweise Blatt 118 und 125 der Akten wurden am Nachmittag des 07.01.2017 von der Beklagten zu 3.) am Bahnhof N Streumaßnahmen durchgeführt. Aus Sicht des Senats besteht kein Anlass zu der Annahme, dass die Winterdienstnachweise nicht von der Beklagten zu 3.) stammen könnten oder von dieser erst im Nachhinein erstellt wurden, zumal sie im vorliegenden Rechtstreit auch nicht von der Beklagten zu 3.), sondern der Beklagten zu 2.) eingereicht wurden. Aus welchen Gründen für den Winterdiensteinsatz zwei Winterdienstnachweise von der Beklagten zu 3.) erstellt wurden, wurde von dem Zeugen E im Senatstermin plausibel und überzeugend erläutert, wobei die von ihm für die Fertigung des Winterdienstnachweises Blatt 125 der Akten gegebene Erklärung, nämlich dieser sich allein den Bahnhofsvorplatz verhalte, durch die in ihm enthaltene Angabe „Objekt: Bahnhofsvorplatz ##### N“ bestätigt wird. Der Senat hat keinen Anlass, dem Zeugen E nicht zu glauben. Warum von ihm bei seinen erstinstanzlichen Vernehmungen wechselnde Angaben zur Breite des entlang der südlichen Gebäudewand abgestreuten Streifens gemacht wurden, wurde von dem Zeugen im Senatstermin nachvollziehbar erläutert. Allein der Umstand, dass es sich bei ihm um den Ehemann der Inhaberin der Beklagten zu 3.) handelt, vermag berechtigte Zweifel an der Richtigkeit seiner Zeugenaussage nicht zu begründen.
63Der Senat hat schließlich auch keinen Anlass zu der Annahme, dass die Winterdienstnachweise von der Beklagten zu 3.) für den Unfalltag ausgestellt worden sein könnten, ohne dass von dieser tatsächlich die darin genannten Streumaßnahmen durchgeführt worden sind, zumal von der Beklagten zu 3.) auch mit den Lichtbildern Blatt 481 bis 483 der Akten zumindest der Nachweis geführt wurde, dass sich Mitarbeiter von ihr am Unfalltag auf dem Bahnhof in N aufgehalten haben. Dass die Lichtbilder die Uhrzeitangaben 15:06 Uhr und 15.12 Uhr aufweisen, obgleich die Streumaßnahmen nach den beiden Winterdienstnachweisen in der Zeit vom 13.58 Uhr bis 14.12 Uhr ausgeführt worden sein sollen, wurde von dem Zeugen E nachvollziehbar und überzeugend damit erläutert, dass man seinerzeit vergessen habe, die Kamera auf die Winterzeit umzustellen, was der Beklagten zu 3.) allerdings erst später aufgefallen sei.
64B.
65Mangels Schadensersatzverpflichtung der Beklagten erweisen sich damit zugleich der vom Kläger gestellte Feststellungsantrag und die von ihm als Nebenforderung geltend gemachte Ansprüche auf Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen und Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als unbegründet.
66III.
67Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
68Der Ausspruch zur Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10 S. 1 und S. 2, 711 ZPO.