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In Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Gütersloh vom 11.06.2019 werden die zur Begründung des weiteren Hilfsantrags der Beteiligten zu 1) bis 3) vom 05.11.2018 erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.
Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Gütersloh wird angewiesen, der Beteiligten zu 2) einen Erbschein mit folgendem Inhalt zu erteilen: Der am 00.00.2018 verstorbene B A, geboren am 00.00.1937 in C, ist von der Beteiligten zu 2) als Alleinerbin beerbt worden.
Die Beschwerden der Beteiligten zu 1), 4), 6), 7), 8) und 9) werden zurückgewiesen.
Die Gerichtsgebühren für den Erbscheinsantrag trägt die Beteiligte zu 2). Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 2) werden den Beteiligten zu 1), 4), 6), 7), 8) und 9) auferlegt. Darüber hinaus findet eine Kostenerstattung nicht statt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.515.058,02 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Der am 00.00.1937 geborene und am 00.00.2018 verstorbene Erblasser B A war ledig und kinderlos. Sein am 00.00.2018 nachverstorbener Bruder D A ist durch seine Ehefrau und seine beiden Söhne, die Beteiligten zu 5) bis 7) beerbt worden. Die am 00.00.2019 nachverstorbene Schwester des Erblassers E ist durch ihre drei Kinder, die Beteiligten zu 4), 8) und 9) beerbt worden.
4Die Beteiligte zu 2) und der Erblasser kannten sich seit etwa 1985. Bis zum Jahr 2012 und erneut ab dem Jahr 2017 lebte sie mit ihrer Tochter, der Beteiligten zu 3), auf dem Hof des Erblassers und unterstützte diesen in zwischen den Beteiligten streitigem Umfang im Haushalt. Der Beteiligte zu 1) war ab dem Frühjahr 2015 der behandelnde Hausarzt des Erblassers.
5Im Jahr 1982 übertrug der Vater des Erblassers diesem den am Fstraße 00 in C gelegenen Hof in einer Größe von damals ca. 8,36 ha. Diesen Hof bewirtschaftete der Erblasser zunächst selbst. Zum 01.02.1996 gab er den landwirtschaftlichen Betrieb auf und verpachtete die landwirtschaftliche Nutzfläche an einen benachbarten Landwirt. Die Betriebsaufgabe hatte eine steuerliche Belastung des Erblassers in Höhe von ca. 670.000 DM zur Folge.
6In den Jahren 2014 und 2015 veräußerte der Erblasser Teilflächen des Grundbesitzes, bei denen es sich mittlerweile um Bauland handelte, zu Kaufpreisen in Höhe von insgesamt 734.610,00 €. Bei weiteren Teilflächen des Grundbesitzes handelt es sich um Bauerwartungsland, ein Bebauungsplan liegt insoweit bislang nicht vor.
7Am 22.01.2016 schloss der Erblasser mit den Beteiligten zu 1), 2) und 3) vor dem Notar G in C (UR-Nr. 20/2016) einen Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrag.
8Ausweislich der Präambel zu diesem Vertrag war der Erblasser von dem Verhalten seiner Verwandtschaft schwer enttäuscht und wollte sicherstellen, dass seine medizinische, pflegerische sowie sonstige Versorgung gewährleistet ist. Zu diesem Zweck verpflichtete sich der hiesige Beteiligte zu 1) gegenüber dem Erblasser zur Erbringung der konkret aufgeführten, über die reine ärztliche Versorgung hinausgehenden Leistungen, z.B. Beratungen, Hausbesuche, telefonische Erreichbarkeit, Betreuung im häuslichen Bereich und ggf. in Angelegenheiten von Post und Finanzen. Die hiesige Beteiligte zu 2) verpflichtete sich gegenüber dem Erblasser zur Erbringung der aufgeführten Leistungen im Zusammenhang mit der Haushaltsführung und medizinischen, sowie pflegerischen Versorgung. Die hiesige Beteiligte zu 3) verpflichtete sich gegenüber dem Erblasser, ihre Mutter im Rahmen ihrer Möglichkeiten nach besten Kräften zu unterstützen.
9Im Gegenzug bestimmte der Erblasser, dass die Beteiligten im Falle seines Todes als Gegenleistung seinen näher bezeichneten Grundbesitz in einer Größe von 2,3073 ha – Beteiligter zu 1) – und insgesamt 3,3077 ha – Beteiligte zu 2) und 3) zu je 1/2 - erhalten sollten.
10Sodann enthält der Vertrag folgende Formulierung:
11„Den Parteien ist bewusst, dass Leistung und Gegenleistung gegebenenfalls in einem erheblichen Missverhältnis zueinander stehen können z. B. dann, wenn der Erschienene zu 1.) kurzfristig verstirbt.
12Alle Beteiligten erklärten sich allerdings bereit, dieses Risiko auf sich nehmen zu wollen.“
13Wegen des konkreten Wortlauts im Übrigen wird auf die Vertragsurkunde Bezug genommen.
14Bei dem in dem Vertrag vom 22.01.2016 aufgeführten Grundbesitz handelt es sich um den, dem Erblasser nach den Teilverkäufen in 2014/2015 verbliebenen Grundbesitz des väterlichen Hofes. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses verfügte der Erblasser zudem über Kontoguthaben in Höhe von ca. 160.000,00 €.
15Am 11.03.2016 errichtete der Erblasser vor dem gleichen Notar ein notarielles Testament (UR-Nr. 83/2016) mit im Wesentlichen folgendem Inhalt:
16„Am 22.01.2016 habe ich zur UR-Nr. 20/2016 vor dem amtierenden Notar einen Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrag geschlossen. Dieser Vertrag soll voll inhaltlich Bestand haben. Dieser Vertrag beinhaltet im Wesentlichen eine Regelung bezüglich meines Grundbesitzes.
17Im Hinblick auf mein weiteres Vermögen, insbesondere mein Barvermögen, setze ich Frau H, geb. am 00.00.1952, wohnhaft Istraße 00, C, zur Alleinerbin ein.
18Ersatzerbin soll deren Tochter, Frau J, geb. am 00.00.1980, wohnhaft ebenfalls Istraße 00, C, sein.“
19Im Zeitpunkt der Testamentserrichtung verfügte der Erblasser neben dem o. g. Grundbesitz über Kontoguthaben in einer Höhe von ca. 144.000,00 €.
20Der Erblasser verstarb am 00.00.2018. Sein Nachlass besteht im Wesentlichen aus dem im Grundbuch des Amtsgerichts Gütersloh von Gütersloh Blatt Bl01 verzeichneten Grundbesitz in einer Größe von ca. 5,6 ha sowie Kontoguthaben in Höhe von insgesamt 22.225,33 €.
21In der notarieller Urkunde vom 08.05.2018 haben die Beteiligten zu 1) bis 3) gestützt auf den Vertrag vom 22.01.2016 die Erteilung eines quotenlosen Erbscheins zu ihren Gunsten beantragt. Hilfsweise haben sie mit Schriftsatz vom 05.11.2018 die Erteilung eines Erbscheins nur zugunsten der Beteiligten zu 2) und 3), weiter hilfsweise nur zugunsten der Beteiligten zu 2) beantragt.
22Sie haben die Ansicht vertreten, bei der in dem Erbvertrag enthaltenen Zuwendung von Grundstücken handele es sich um ihre Erbeinsetzung, weil es sich bei den Immobilien um das wesentliche Vermögen des Erblassers gehandelt habe. Das spätere Einzeltestament sei nach § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam. Der Erbvertrag sei weder aufgrund einer Sittenwidrigkeit noch einer Testierunfähigkeit des Erblassers nichtig. Der Erbvertrag sei auch nicht nach § 134 BGB nichtig, da es sich zum einen bei der Musterberufsordnung für Ärzte nicht um ein Verbotsgesetz handele und die erbvertragliche Zuwendung zum anderen keinen Verstoß gegen § 32 der Musterberufsordnung darstelle.
23Die übrigen Beteiligten sind dem Erbscheinsantrag entgegen getreten.
24Die Beteiligten zu 6) und 7) haben die Ansicht vertreten, der Erbvertrag sei gem. §§ 138, 139 BGB als sittenwidrig und damit nichtig anzusehen. Es bestehe ein krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Vermögensvorteil. Bei dem Grundbesitz handele es sich in weiten Teilen um Bauerwartungsland, dessen Wert mutmaßlich mehrere Millionen Euro betrage. Es liege eine dreiste Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit des offensichtlich psychisch und physisch angegriffenen Erblassers vor.
25Sie haben weiter die Ansicht vertreten, der Erbvertrag sei infolge einer Geschäftsunfähigkeit des Erblassers nichtig. Hierzu haben sie behauptet, der Erblasser sei als Landwirt kaum jemals mit rechtlich komplizierteren Sachverhalten beschäftigt gewesen und sei relativ einfach strukturiert gewesen. Er habe sich immer dann, wenn es tatsächlich oder rechtlich schwieriger geworden sei, an seinen ehemaligen Vertrauten, Herrn K gewandt. Der Erblasser habe mit Sicherheit nicht nachvollziehen können, dass er am 22.01.2016 in irgendeiner Form einen Erbvertrag unterschreibe. Dieser sei intellektuell zu keiner Zeit in der Lage gewesen, eine Abwägung der aufgeführten Leistungen vorzunehmen oder auch nur nachzuvollziehen, dass es wohl um eine Erbeinsetzung habe gehen sollen. Der Erblasser sei seit frühester Kindheit in psychiatrischer Behandlung gewesen, weil er unter Verfolgungswahn gelitten und immer geglaubt habe, jemand wolle ihn vergiften oder ihm körperliches Leid zufügen. Deshalb habe der Erblasser anfallartig auch Personen aus seinem engsten Umkreis verdächtigt und brüsk zurückgewiesen, wofür er sich später in lichten Momenten entschuldigt habe.
26Darüber hinaus sei der Vertrag nach §§ 134, 139 BGB gesamtnichtig, da er gegen § 32 der Muster-Berufsordnung für Ärzte verstoße, wobei es sich um ein Verbotsgesetz handele. Ferner sei die Urkunde wegen eines Verstoßes gegen § 2302 BGB nichtig, weil der Erbvertrag nicht Teil eines gegenseitigen Vertrages sein dürfe.
27Der Beteiligte zu 8) hat ebenfalls die Ansicht vertreten, der Erbvertrag sei wegen Sittenwidrigkeit nichtig. Er hat weiter behauptet, der Erblasser habe seit seiner Kindheit unter psychischen Problemen in Form von Wahnvorstellungen gelitten und sei deshalb dauerhaft zunächst von seinen Eltern und nach deren Tod von seinen Geschwistern unterstützt worden. Der Erblasser sei wegen der Erkrankung fortlaufend ärztlich betreut worden und habe sich mehrfach stationären Behandlungen in der L Klinik unterziehen lassen müssen. Aufgrund eigener demenzieller Erkrankungen hätten sich die Geschwister des Erblassers ab 2014 / 2015 nicht mehr in gleichem Maß um diesen kümmern können. Der Erblasser habe die Beteiligte zu 2) engagiert und sei von seinem langjährigen Hausarzt M zu dem Beteiligten zu 1) gewechselt. Die Beteiligten zu 1) bis 3) hätten die Notsituation des Erblassers ausgenutzt, um sittenwidrig eine Erbeinsetzung zu erreichen. Die Sittenwidrigkeit ergebe sich auch aus einem Vergleich des Wertes der vertraglich übernommenen Verpflichtungen und des Erbes, bei dem es sich um hochwertiges Bauerwartungsland handele.
28Durch den angefochtenen Beschluss vom 11.06.2019 hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Gütersloh die zur Begründung des Hilfsantrages der Beteiligten zu 2) und 3) erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet.
29Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Beteiligten zu 2) und 3) seien aufgrund des Erbvertrages vom 22.01.2016 Erben des Erblassers geworden. Eine Geschäftsunfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt des Vertragsschlusses sei nicht festzustellen. Das Vorbringen der Beteiligten zu 6) und 7) hinsichtlich der intellektuellen Fähigkeiten des Erblassers sei nicht genügend, um eine Geschäftsunfähigkeit anzunehmen oder näher zu prüfen. Auch der Umstand, dass sich der Erblasser bei der Klärung finanzieller oder rechtlicher Angelegenheiten Rat geholt haben soll, spreche nicht für eine Geschäftsunfähigkeit. Dass der Erblasser krankhaft durch den Willen der Antragsteller beherrscht worden sein soll, sei nicht hinreichend dargelegt worden. Das gelte auch für die von dem Beteiligten zu 8) behauptete psychische Erkrankung des Erblassers.
30Der Erbvertrag sei jedoch hinsichtlich der Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) aufgrund eines Verstoßes gegen § 32 MBO-Ä gem. § 134 BGB nichtig. Mit der Zuwendung des Grundbesitzes in dem Vertrag vom 22.01.2016 habe der Beteiligte zu 1) von seinem Patienten einen Vorteil angenommen. Jedenfalls habe der Beteiligte zu 1) mit Abschluss des Erbvertrages eine tatsächliche Aussicht auf die versprochenen Vermögenswerte erhalten. Allein die Höhe der Zuwendung führe dazu, dass aus Sicht eines objektiven Beobachters konkrete Bedenken an der Unabhängigkeit der ärztlichen Entscheidungen des Beteiligten zu 1) bestünden. In Kenntnis aller Umstände sei anzunehmen, dass dieser als Arzt bewusst oder unbewusst seine Entscheidungen im Zusammenhang mit der zu erwartenden Zuwendung treffe. Bei der Berufsordnung für Ärzte handele es sich auch um ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB.
31Diese Nichtigkeit führe nicht zu einer Gesamtnichtigkeit des Erbvertrages. Eine solche käme nach §§ 2279, 2085 BGB nur in Betracht, wenn anzunehmen wäre, dass der Erblasser die übrigen Verfügungen ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde. Das sei nicht anzunehmen, weil keine Verknüpfung zwischen der Verfügung zugunsten des Beteiligten zu 1) und der Verfügung zugunsten der Beteiligten zu 2) und 3) bestehe.
32Hiergegen wenden sich der Beteiligte zu 1) und die Beteiligten zu 4,) 6), 7), 8) und 9) mit ihren Beschwerden.
33Die Beteiligten zu 6) und 7) beantragen die Zurückweisung der Erbscheinsanträge der Beteiligten zu 1) bis 3). Sie sind der Ansicht, das erstinstanzliche Verfahren leide unter einem wesentlichen Mangel, da entgegen § 26 FamFG keine Ermittlungen zur Frage der Geschäftsfähigkeit des Erblassers angestellt worden seien, obwohl sie hinreichende Anhaltspunkte für ein auffälliges Verhalten des Erblassers vorgetragen und für das Vorliegen der Geschäftsunfähigkeit Beweis angetreten hätten. Aus dem auszugsweise vorgelegten Gutachten des MDK ergebe sich, dass bei dem Erblasser am Begutachtungstag (12.02.2017) kognitive Einschränkungen im Rahmen des Kurzzeitgedächtnisses festgestellt worden seien. Diese müssten nach den Richtlinien des MDK schon seit annähernd 6 Monaten bestanden haben. Es sei davon auszugehen, dass der Erblasser im fraglichen Zeitraum Anfang 2016 bereits kognitiv deutlich, möglicherweise im Rahmen einer beginnenden Demenz, beeinträchtigt gewesen sei. Aussetzer des Kurzzeitgedächtnisses hätten sich schon in den Jahren 2014 / 2015 bei Besuchen des Beteiligten zu 6) gezeigt, bei denen der Eindruck entstanden sei, dass sich der Erblasser nicht erinnert habe, warum sein Neffe da gewesen sei und worüber man habe reden wollen. Der Erblasser habe den Beteiligten zu 6) teilweise barsch des Hofes verwiesen.
34Zudem habe das Nachlassgericht verkannt, dass die Nichtigkeit der Erbeinsetzung des Beteiligten zu 1) nach § 134 BGB i. V. m. § 32 MBO-Ä nach § 139 BGB zur Gesamtnichtigkeit des Erbvertrages und auch des Testaments führe. Die in dem Erbvertrag geregelten Leistungen der Beteiligten zu 1) bis 3) gegenüber dem Erblasser seien untereinander miteinander verknüpft, indem sich der Beteiligte zu 1) u. a. zur Betreuung im häuslichen Bereich bei Zunahme von alterstypischen Veränderungen z. B. Gedächtnisstörungen verpflichtet habe und die Beteiligte zu 2) zu Absprachen mit dem Arzt, also dem Beteiligten zu 1). Ohne die Leistungsverpflichtung des Beteiligten zu 1) hätte der Erblasser den Vertrag nicht nur mit den Beteiligten zu 2) und 3) abgeschlossen. Das Testament setze den Bestand des Erbvertrages voraus und regele ergänzend zu diesem die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) hinsichtlich des weiteren Vermögens. Ohne den Erbvertrag wäre auch das Testament nicht errichtet worden, so dass die Wirksamkeit des Testaments von der Wirksamkeit des Erbvertrages abhängig sei.
35Schließlich habe sich das Amtsgericht nicht mit dem Widerspruch auseinandergesetzt, wo die von dem Erblasser aus dem Verkauf von Bauland erzielten Gelder verblieben seien. Die Beteiligte zu 2) habe den Verbleib erheblicher Summen in Höhe von mindestens 464.255,00 € nicht dargelegt, so dass der Verdacht bestehe, dass sie im Rahmen der ihr erteilten Kontovollmacht bereits über dieses Vermögen verfügt habe.
36Die Beteiligten zu 4), 8) und 9), die ebenfalls weiter insgesamt die Zurückweisung der Erbscheinsanträge der Beteiligten zu 1) bis 3) verfolgen, rügen, das Amtsgericht habe es versäumt, Ermittlungen zur Frage der Geschäfts- und Testierfähigkeit des Erblassers anzustellen. Es sei auch weder gewürdigt noch geklärt worden, dass der Erblasser aufgrund von Grundstücksverkäufen über ein höheres Kontoguthaben hätte verfügen müssen, als die im Erbscheinsantrag angegebenen 20.000,00 €. Schließlich sei eine Sittenwidrigkeit des Erbvertrages nicht geprüft worden.
37Die Beteiligte zu 2) verteidigt den angefochtenen Beschluss und beantragt die Zurückweisung der Beschwerden. Der Erblasser sei weder aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten noch aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung geschäftsunfähig gewesen. In den Jahren 1998 bis 2016 habe er an einer Vielzahl von Grundstücksgeschäften mitgewirkt, ohne dass jemals ein Notar Zweifel an seiner Geschäftsfähigkeit gehabt hätte.
38Das Amtsgericht – Nachlassgericht – Gütersloh hat den Beschwerden mit Beschluss vom 23.08.2019 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
39Der Beteiligte zu 1) verfolgt mit seiner Beschwerde die Erteilung des ursprünglich beantragten Erbscheins weiter. Er ist der Ansicht, das Nachlassgericht habe zu Unrecht eine Unwirksamkeit des Erbvertrages nach § 134 BGB wegen eines Verstoßes gegen § 32 MBO-Ä angenommen. Er trägt vor, der Erblasser habe von ihm eine Art VIP-Betreuung zu Hause und 24-Stunden-Bereitschafsdienst gewünscht, der weder von der Krankenkasse übernommen worden wäre, noch von dem Erblasser mit seinen geringen Renteneinkünften hätte bezahlt werden können. Der Erblasser selbst habe als Vergütung dieser Tätigkeiten eine erbvertragliche Einsetzung nach seinem Tod in den Raum gestellt. Bei der erbvertraglichen Zuwendung handele es sich demnach schon nicht um eine „nicht durch eine adäquate Gegenleistung gedeckte und somit unentgeltliche Zuwendung“, auf die sich § 32 MBO-Ä beziehe.
40Durch Beschluss des Amtsgerichts Wolfratshausen vom 27.12.2019 (IN 189/19) ist über das Vermögen des Beteiligten zu 1) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beteiligte zu 10) zum Insolvenzverwalter bestellt worden.
41Der Senat hat die Akte über die Verfügungen von Todes wegen (17 IV 253/18, Amtsgericht Gütersloh) beigezogen und die Beteiligten zu 1) bis 4), 6), 7) und 9) persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 03.12.2020 (Bl. 549 ff. d. A.) Bezug genommen.
42Darüber hinaus hat der Senat Beweis erhoben über die Frage, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Beurkundung des notariellen Testaments vom 11.03.2016 testierunfähig im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB gewesen ist. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen N vom 09.03.2021 nebst Ergänzungsgutachten vom 13.08.2021 verwiesen.
43II.
44Die zulässigen Beschwerden der Beteiligten zu 1), 4), und 6) bis 9) sind unbegründet.
45Im Ergebnis zu Recht hat das Nachlassgericht nicht dem mit der Beschwerde des Beteiligten zu 1) weiter verfolgten Erbscheinsantrag vom 08.05.2018 entsprochen. Die Erbfolge nach dem Erblasser richtet sich nicht nach dem Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrag vom 22.01.2016, weil dieser keine Erbeinsetzungen enthält.
46Die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 4), 6), 7), 8) und 9) sind unbegründet, da der Erblasser nicht im Wege gesetzlicher Erbfolge, sondern aufgrund seines notariellen Testaments vom 11.03.2016 durch die Beteiligte zu 2) als Alleinerbin beerbt worden ist. Dem weiter hilfsweise gestellten Erbscheinsantrag vom 05.11.2018 war daher zu entsprechen.
471.
48Der Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrag vom 22.01.2016 enthält insoweit keine ausdrückliche Anordnung, so dass durch Auslegung zu ermitteln ist, ob es sich bei der erbvertraglichen Grundstückszuwendung des Erblassers an die Beteiligten zu 1) bis 3) unter Ziffer 4. des Vertrages um Erbeinsetzungen oder Vermächtnisse handelt.
49a) Ziel der Testamentsauslegung ist die Erforschung des wirklichen Willens des Erblassers, ohne an dem buchstäblichen Sinn der Erklärung zu haften. Bei der Auslegung darf sich das Gericht deshalb nicht auf eine Analyse des Wortlauts der Erklärung beschränken, sondern muss den Wortsinn der verwendeten Formulierung ermitteln. Hierbei sind auch alle dem Gericht aus dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung zugänglichen Umstände außerhalb der Testamentsurkunde zu berücksichtigen (BGH, NJW 2019, 2317 ff., Rn. 15 m. w. N.).
50Bezieht sich die Auslegung auf eine vertragsmäßige Verfügung in einem Erbvertrag, ist sie nicht allein aus der Sicht des Erblassers durchzuführen, sondern auch nach dem Verständnis des Empfängers der Willenserklärung in der konkreten Situation der Vertragserrichtung (BeckOGK/Gierl, 1.12.2021, BGB § 2084 Rn. 12 m. w. N.).
51Bei der Verfügung des Erblassers unter Ziffer 4. des Erbvertrages vom 22.01.2016 handelt es sich um eine vertragsmäßige Verfügung im Sinne des § 2278 Abs. 1 BGB, da die Zuwendungen ausdrücklich als Gegenleistungen für die Leistungen erfolgen sollten, zu denen sich die Beteiligten zu 1) bis 3) als Vertragspartner unter den Ziffern 1. bis 3. des Vertrages verpflichtet hatten.
52b) Die danach durchzuführende Auslegung führt zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Verfügung des Erblassers unter Ziffer 4. des Erbvertrages auch nach dem Verständnis der Beteiligten zu 1) bis 3) lediglich um die Anordnung von Vermächtnissen (§§ 2147, 2174 BGB), nicht aber um Erbeinsetzungen handelt.
53aa) Gegen die Annahme von Erbeinsetzungen spricht bereits der Wortlaut der Verfügung, der den Ausgangspunkt der Auslegung bildet. Denn nach dem Wortlaut hat der Erblasser lediglich angeordnet, dass die Beteiligten zu 1) bis 3) die näher bezeichneten Grundstücke im Falle seines Todes als Gegenleistung „erhalten“ sollen. Wenn es im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Vorstellung der Vertragsparteien gewesen wäre, dass der Erblasser die Bedachten im Gegenzug für die zugesagten lebzeitigen Versorgungsleistungen zu seinen Erben einsetzt, dann wäre eine ausdrückliche Erbeinsetzung zu erwarten gewesen. Dies umso mehr, als der beurkundende Notar nach § 17 Abs. 1 BeurkG verpflichtet ist, den Willen der Beteiligten zu erforschen und ihre Erklärungen klar und unzweideutig in der Niederschrift wiederzugeben. Eine etwaig beabsichtigte Erbeinsetzung hätte auch sprachlich unproblematisch umgesetzt werden können. Die Zuordnung der einzelnen Grundstücke zu dem Beteiligten zu 1) auf der einen und den Beteiligten zu 2) und 3) auf der anderen Seite hätte im Wege von Teilungsanordnungen entsprechend dem Inhalt der Urkunde sichergestellt werden können.
54Der Umstand, dass der notariell beurkundete Erbvertrag keine ausdrückliche Erbeinsetzung enthält, ist vor dem Hintergrund ein gewichtiges Indiz dafür, dass eine solche seinerzeit nicht beabsichtigt gewesen ist.
55bb) Auch der vertragliche Kontext der letztwilligen Verfügung des Erblassers spricht gegen die Annahme einer Erbeinsetzung. Aus der Präambel geht als Hintergrund des Vertragsschlusses hervor, dass der kinderlose Erblasser, der von dem Verhalten seiner Verwandtschaft enttäuscht war, für die Zukunft die bereits seit einiger Zeit praktizierte medizinische, pflegerische und sonstige Versorgung sichergestellt wissen wollte. Nachfolgend haben sich dann zunächst die Beteiligten zu 1) bis 3) zu den näher aufgeführten Tätigkeiten zugunsten des Erblassers verpflichtet, der ihnen seinerseits unter Ziffer 4. als Gegenleistung im Fall seines Todes seinen Grundbesitz zukommen lassen wollte. Bei Abschluss des Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrages stand mithin die Regelung der wechselseitig zu erbringenden Leistungen im Vordergrund, wobei die Beteiligten zu 1) bis 3) erst nach dem Tod des Erblassers Anspruch auf die ihnen zugewandte Gegenleistung haben sollten.
56Der Charakter des Vertrages als Austauschvertrag ist daher ein weiteres Indiz dafür, dass es dem Erblasser mit der letztwilligen Verfügung auch nach dem Verständnis der übrigen Vertragsbeteiligten nur um eine bloße Zuwendung der Grundstücke im Todesfall, nicht aber um eine Erbeinsetzung ging.
57Dass es sich bei der Grundstückszuwendung letztlich nur um eine postmortale Bezahlung von zu Lebzeiten des Erblassers erbrachten Leistungen handeln sollte, ergibt sich auch aus den Angaben des Beteiligten zu 1) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 03.12.2020. Danach habe der Erblasser eine umfangreiche Betreuung gewünscht und unbedingt auf dem Hof bleiben wollen. Um das zu gewährleisten und ihn, den Beteiligten zu 1), und die Beteiligte zu 2) abzusichern, habe es ein Gespräch zwischen ihnen gegeben, dass die Grundstücke zur Bezahlung zur Verfügung stehen sollten.
58cc) Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass es sich bei der erbvertraglichen Zuwendung unter Ziffer 4. des Erbvertrages um den gesamten Grundbesitz des Erblassers in erheblicher Größe von ca. 5,6 ha handelte.
59Zwar ist trotz der Zuwendung nur einzelner Vermögensgegenstände entgegen § 2087 Abs. 2 BGB im Rahmen der Testamentsauslegung regelmäßig dann von einer Erbeinsetzung auszugehen, wenn diese Vermögensgegenstände entweder den Nachlass erschöpfen oder ihr Wert den Wert des übrigen Vermögens so erheblich übertrifft, dass der Erblasser diese Gegenstände offensichtlich als wesentlichen Nachlass angesehen hat. Diese Annahme beruht auf der Überlegung, dass nicht anzunehmen ist, dass ein Erblasser, der praktisch sein gesamtes Vermögen an die Bedachten aufteilt, keinen Erben berufen möchte. Entscheidend ist daher, ob der Erblasser durch die bedachten Personen seine wirtschaftliche Stellung fortgesetzt wissen wollte und ob der Bedachte nach dem Willen des Erblassers gegebenenfalls auch den Nachlass zu regeln hatte. Auszugehen ist dabei von den Vorstellungen, die der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung über die voraussichtliche Zusammensetzung des Nachlasses und den Wert der in diesen fallenden Gegenständen hatte (OLG München, Beschluss vom 19.02.2020, 31 Wx 231/17, 31 Wx 502/19 in BeckRS 2020, 2909, Rn. 9 m. w. N.).
60Hier lässt sich schon nicht feststellen, dass der Erblasser seinen durch den Erbvertrag zugewandten Grundbesitz offensichtlich als seinen wesentlichen Nachlass angesehen hat. Es ist – auch mangels einer Wertangabe in dem Erbvertrag – schon nicht bekannt, von welchem Wert des Grundbesitzes der Erblasser bei Abschluss des Erbvertrages ausgegangen ist. Es handelt sich bei dem Grundbesitz um ein landwirtschaftliches Anwesen bestehend aus dem ehemaligen Wohnhaus des Erblassers, Nebengebäuden und umliegender landwirtschaftlicher Nutzfläche. Nach dem Anfangsbericht des Nachlasspflegers vom 23.04.2020 waren die landwirtschaftlichen Nutzflächen auch im Zeitpunkt des Erbfalls noch an einen Landwirt verpachtet. Nach Auskunft der Stadt C seien diese Flächen im Flächennutzungsplan lediglich teilweise als Bauerwartungsland ausgewiesen, ein Bebauungsplan, der die Flächen als Bauland ausweise, liege nicht vor.
61Die Beteiligten zu 1) bis 3) haben den Wert des Grundbesitzes in ihrem Erbscheinsantrag vom 08.05.2018 in Höhe von insgesamt 230.000 € angegeben, was in etwa dem Wert der Flächen bei Ansatz eines reinen Ackerlandpreises entsprechen dürfte. Demgegenüber hat der Nachlasspfleger den Wert des Grundbesitzes vorläufig in Höhe von 1,5 Mio. € geschätzt, wobei sich diese Schätzung an den in den Jahren 2014 und 2015 erzielten Kaufpreisen für die als Bauland verkauften Teilflächen orientiert haben dürfte. Von welchem Wert des Grundbesitzes der Erblasser bei Vertragsschluss ausgegangen ist, vermag angesichts dieser Spannweite der in Betracht kommenden Werte ebenso wenig beurteilt zu werden wie die Frage, ob der Erblasser den Grundbesitz bei Vertragsschluss trotz seines Kontoguthabens in Höhe von ca. 160.000 € als seinen wesentlichen Nachlass angesehen hat.
62Dies kann letztlich dahinstehen, da sich jedenfalls aus der ausdrücklichen Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) in dem Testament vom 11.03.2016 ergibt, dass der Erblasser zum einen davon ausging, seine Erbfolge durch den Vertrag vom 22.01.2016 noch nicht abschließend geregelt zu haben, und er zum anderen den Beteiligten zu 1) nicht als seinen Rechtsnachfolger angesehen hat, sondern nur die Beteiligte zu 2), ersatzweise deren Tochter.
632.
64In dem notariellen Testament vom 11.03.2016 ist die Beteiligte zu 2) hingegen ausdrücklich als Alleinerbin eingesetzt worden.
65Anhaltspunkte dafür, dass die Alleinerbeneinsetzung der Beteiligten zu 2) entgegen dem klaren Wortlaut des Testaments nicht dem Willen des Erblassers entsprochen haben könnte, liegen nicht vor. Solche ergeben sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass die Erbeinsetzung nur in Bezug auf das über den Grundbesitz hinausgehende, weitere Vermögen des Erblassers erfolgt ist. Denn über seinen Grundbesitz hatte der Erblasser bereits erbvertraglich bindend – wie dargelegt - durch die Anordnung von Vermächtnissen verfügt. Dies war ihm ausweislich der Präambel unter Ziffer I. des Testaments auch bewusst, so dass eine Erbeinsetzung nur in Bezug auf das weitere Vermögen erforderlich war.
663.
67Die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) in dem notariellen Testament vom 11.03.2016 ist wirksam.
68a) Der Wirksamkeit des Testaments steht nicht § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB entgegen, denn die spätere Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) beeinträchtigt die Stellung der Beteiligten zu 1) bis 3) als erbvertraglich bedachte Vermächtnisnehmer nicht.
69b) Das Testament ist nicht infolge einer Testierunfähigkeit des Erblassers nichtig, denn es war nicht zur Überzeugung des Senats festzustellen, dass der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig im Sinne des § 2229 Abs. 4 BGB gewesen ist.
70aa) Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
71Daraus folgt, dass nicht jede geistige Insuffizienz zur Annahme einer Testierunfähigkeit führt. Hinzukommen muss, dass der Erblasser nicht in der Lage ist, sich über die Tragweite seiner Anordnungen, insbesondere über ihre Auswirkungen auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen und die Gründe der Verfügungen ein klares Urteil zu bilden (Einsichtsfähigkeit) und nach diesem Urteil frei von Einflüssen Dritter zu handeln (Handlungsfähigkeit). Immer kommt es darauf an, ob durch die krankhafte Störung der Geistestätigkeit, Geistesschwäche oder Bewusstseinsstörung die freie Willensbildung des Erblassers in der konkreten Situation ausgeschlossen war. Eine geistige Erkrankung ist deshalb unerheblich, wenn sie mit der letztwilligen Verfügung nicht in Verbindung steht und sie daher nicht beeinflusst (MüKoBGB/Sticherling, 8. Aufl. 2020, BGB § 2229 Rn. 33).
72Da die Störung der Geistestätigkeit die Ausnahme bildet, ist der Testator so lange als testierfähig anzusehen, wie nicht die Testierunfähigkeit zur Gewissheit des Gerichts nachgewiesen ist. Für die gerichtliche Feststellung der Testierunfähigkeit ausreichend ist ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Solange nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts, eventuell auch nach einer Beweisaufnahme, die Testierunfähigkeit nachgewiesen ist, also nicht behebbare Zweifel bleiben, muss es von der Testierfähigkeit des Erblassers ausgehen. Im Zivilprozess liegt die Beweislast, wenn die Testierunfähigkeit nicht nachgewiesen werden kann, als eine das Erbrecht vernichtende Tatsache bei demjenigen, der sich auf die Testierunfähigkeit beruft. Dasselbe gilt für die Feststellungslast im Erbscheinverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wenn dort trotz Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten eine sichere Feststellung zur Testierunfähigkeit nicht getroffen werden kann (Bauermeister in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 2229 BGB (Stand: 03.04.2020), Rn. 19; MüKoBGB/Sticherling, 8. Aufl. 2020, BGB § 2229 Rn. 73).
73bb) Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass die freie Willensbildung des Erblassers am 11.03.2016 aufgrund einer geistigen Erkrankung ausgeschlossen gewesen ist.
74Der Sachverständige N, dessen Fachkompetenz dem Senat aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt ist, hat nach gründlicher Auswertung der Angaben der Beteiligten sowie der beigezogenen Behandlungsunterlagen und Pflegegutachten betreffend den Erblasser keine ausreichenden Belege für die Annahme einer Testierunfähigkeit des Erblassers am 11.03.2016 vorgefunden. Diese gut begründete und nachvollziehbare Einschätzung wird durch den Senat geteilt.
75(1) Soweit die Beteiligten zu 6) und 7) in Bezug auf den Vertragsschluss am 22.01.2016 vorgetragen haben, der Erblasser sei intellektuell nicht in der Lage gewesen, die aufgeführten Leistungen abzuwägen oder nachzuvollziehen, dass es sich um eine Erbeinsetzung handele, so ergab sich aus den ausgewerteten Unterlagen kein Hinweis auf eine primäre Intelligenzminderung des Erblassers, die zu einer Testierunfähigkeit hätte führen können. Darüber hinaus führt auch nicht jede Intelligenzminderung automatisch zur Annahme einer fehlenden Testierfähigkeit (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20.05.2003, 15 W 393/01, FamRZ 2004, 659 ff.). Nachdem der Erblasser nach den Angaben der Beteiligten zu 4) eine Regelschule besucht und diese abgeschlossen hat, in den Jahren 1982 bis 1996 den elterlichen Hof trotz fehlender Berufsausbildung geführt hat und sämtliche Behandlungsunterlagen keine Hinweise auf eine Intelligenzminderung enthalten, hat der Sachverständige diese zutreffend als nicht bewiesen angesehen.
76(2) Die weiter durch die Beteiligten zu 4), 6), 7), 8) und 9) angeführte paranoide Schizophrenie, wegen der der Erblasser in den Jahren 1968 und 1969 insgesamt zwei Mal stationär behandelt worden ist, hätte zwar grundsätzlich zu einer Testierunfähigkeit des Erblassers führen können. Allein das Vorliegen einer solchen Erkrankung führt jedoch aufgrund der bestehenden Behandlungsmöglichkeiten nicht ohne weiteres zur Annahme einer Testierunfähigkeit. Das hätte vielmehr zusätzlich die Feststellung vorausgesetzt, dass der Erblasser auch im Zeitpunkt der Testamentserrichtung unter Wahnvorstellungen litt (vgl. hierzu BeckOGK/Grziwotz, 1.10.2021, BGB § 2229 Rn. 24).
77Diese Feststellung kann nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen N jedoch nicht getroffen werden. Dieser hält es bereits für unwahrscheinlich, dass bei dem Erblasser in dem Zeitraum ab 2007 eine dauerhafte paranoide Symptomatik bestand, weil sogar der den Erblasser in der Zeit von März 2007 bis Oktober 2014 behandelnde Facharzt O offenbar nicht den Eindruck gehabt habe, dass bei dem Erblasser eine Schizophrenie oder eine inhaltliche Denkstörung vorgelegen habe, sondern rückblickend von einer vormaligen und gut kompensierten depressiven Störung ausgegangen sei. Das könne auch erklären, warum nicht nur der Beteiligte zu 1) den Erblasser nicht für schizophren gehalten habe, sondern diese Diagnose auch nicht von anderen Ärzten, in Krankenhäusern oder bei der MDK-Begutachtung gestellt worden sei. Auch ein schizophrenes Residuum, also ein chronisches Krankheitsstadium im Verlauf einer schizophrenen Erkrankung, sei aufgrund der zahlreichen fachärztlichen Befundbeschreibungen mit der Angabe u. a. eines normalen Antriebs nicht festzustellen. Es ist danach uneingeschränkt plausibel, dass der Sachverständige N nicht zuletzt aufgrund der umfangreichen Behandlungsunterlagen des O, bei dem der Erblasser in dem vorgenannten Zeitraum regelmäßig vorstellig geworden ist, eine anhaltende Beeinflussung des Denkvermögens durch Wahnvorstellungen bei dem Erblasser für die Zeit von 2007 bis 2014 ausgeschlossen hat.
78Soweit der Sachverständige aufgrund des Vorbringens der Beschwerdeführer zum Verhalten des Erblassers zwar weiterhin keine dauerhafte, sondern nur zeitweise vorhandene Beeinträchtigungen der Urteilsfähigkeit im Zusammenhang mit Impulsivität und Aggressivität für möglich gehalten hat, war jedenfalls nicht festzustellen, dass die Urteilsfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung krankheitsbedingt beeinträchtigt gewesen ist. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass die von ihm ausgewerteten medizinischen Unterlagen keine Anhaltspunkte dafür enthalten, dass sich der Erblasser in der Zeit von Anfang 2016 bis März 2016 in einer wahnhaften Verfassung befunden hätte. Auch in dem nach Beiziehung der Behandlungsunterlagen des Beteiligten zu 1) sowie der vollständigen Pflegegutachten aus den Jahren 2015 und 2017 erstatteten Ergänzungsgutachten vom 13.08.2021 hat der Sachverständige erneut nachvollziehbar ausgeführt, dass aus sämtlichen ausgewerteten Unterlagen nicht darauf geschlossen werden könne, dass es bei dem Erblasser zu vermehrten Verhaltensauffälligkeiten oder erneuten / verstärkten Wahnvorstellungen oder Halluzinationen gekommen sei.
79Solche Verhaltensauffälligkeiten oder Wahnvorstellungen in dem Zeitraum der Testamentserrichtung im März 2016 sind auch von den Beteiligten zu 4), 6), 7), 8) und 9), die insoweit die Feststellungslast tragen, nicht schlüssig vorgetragen worden. In ihrer Stellungnahme vom 12.09.2021 schildern die Beteiligten zu 4), 8) und 9) nur, dass sich der Erblasser im Jahr 2015 mehrfach mit Wahnvorstellungen an ihre Eltern gewandt und bei denen übernachtet habe. Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung am 03.12.2020 hatte die Beteiligte zu 9) hierzu noch angegeben, die Übernachtung bei ihren Eltern sei etwa in 2014 gewesen, als ihre Eltern noch fit gewesen seien. Auch die Beteiligten zu 6) und 7), die ebenso wie die Beteiligten zu 4) und 9) nach eigenen Angaben ab Anfang 2015 keinen persönlichen Kontakt mehr zu dem Erblasser hatten, schildern nur aus ihrer Sicht auffälliges Verhalten des Erblassers im Jahr 2015. Diese vermeintlichen Verhaltensauffälligkeiten in den Jahren 2014 bzw. 2015 lassen Rückschlüsse auf eine wahnhafte Verfassung des Erblassers im März 2016 indes nicht zu.
80Es kann daher dahinstehen, ob die Depot-Medikation des Erblassers mit Fluphenazin durch den Beteiligten zu 1) regelgerecht fortgeführt worden ist, da selbst bei unterstelltem Behandlungsabbruch nicht festzustellen ist, dass sich dieser auf die Testierfähigkeit des Erblassers negativ ausgewirkt hat.
81(3) Es kann weiter nicht festgestellt werden, dass der Erblasser am 11.03.2016 infolge einer Depression testierunfähig gewesen wäre.
82Nach den ausführlichen und uneingeschränkt plausiblen Ausführungen des Sachverständigen in beiden Gutachten gibt es schon keine gesicherten Angaben dazu, dass bei dem Erblasser in der Zeit ab 2011 bis zur Testamentserrichtung im März 2016 überhaupt eine depressive Verfassung vorgelegen hat. Während der Behandlung des Erblassers durch O bis Oktober 2014 lag - wie ausgeführt - nur eine vormalige depressive Störung vor, die gut kompensiert gewesen sei und die Kritik- und Urteilsfähigkeit des Erblassers nach der Einschätzung des Behandlers nicht beeinträchtigt habe. In dem Pflegegutachten vom 14.07.2015 sei zwar die Diagnose einer Depression übernommen worden. Eigene Feststellungen zu psychischen Auffälligkeiten des Erblassers, die die Diagnose einer Depression rechtfertigen könnten, enthalte das Gutachten jedoch nicht. Die in dem Pflegegutachten vom 13.02.2017 aufgrund eigener Feststellungen gestellte Diagnose einer Depression lasse wegen des zeitlichen Abstandes keine Rückschlüsse auf den psychischen Zustand des Erblassers und seine Testierfähigkeit im März 2016 zu. Dies umso mehr deshalb, weil auch im September 2016 im Klinikum P bei dem Erblasser unter Verwendung der Kurzversion der Geriatrischen Depressionsskala lediglich der Verdacht auf eine Depression festgestellt worden ist.
83Diesen in sich schlüssigen und anhand der vorliegenden Unterlagen nachvollziehbaren Ausführungen durch den Sachverständigen N sind die Beschwerdeführer nicht inhaltlich entgegen getreten. Soweit die Beteiligten zu 4), 8) und 9) auf das in dem Ergänzungsgutachten zitierte Schreiben des Beteiligten zu 1) vom 04.11.2016 an einen Rechtsanwalt Q Bezug nehmen, so rechtfertigt dies angesichts der jahrelang erhobenen, anderslautenden Befunde durch den Facharzt O nicht die Diagnose einer jahrelang bestehenden Depression.
84(4) Ferner hat der Sachverständige N überzeugend eine Testierunfähigkeit infolge einer Demenz des Erblassers verneint. Aus seinen Ausführungen ergibt sich, dass der Erblasser in einem mehr als 6 Monate nach Testamentserrichtung am 27.09.2016 durchgeführten Mini-Mental-Statustest insgesamt 29 von 30 Punkten erreicht hat, was einem absoluten Normalbefund entspricht. Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser trotz dieses Testergebnisses am 11.03.2016 infolge einer dementiellen Entwicklung in seiner Einsichts- oder Handlungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen wäre, ergeben sich weder aus den umfassend ausgewerteten medizinischen Unterlagen noch dem Vorbringen der Beteiligten.
85(5) Soweit die Beteiligten zu 4), 6), 7), 8) und 9) eine Beeinflussung des Erblassers jedenfalls durch die Beteiligte zu 2) im Zusammenhang mit der Errichtung der letztwilligen Verfügungen vermuten, kann dahinstehen, ob es eine solche Beeinflussung – möglicherweise sogar im Zusammenwirken mit dem Beteiligten zu 1) – gegeben hat. Denn nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen N, dem die Beteiligten insoweit nicht entgegen getreten sind, fehlt es für die Annahme einer Testierunfähigkeit jedenfalls an der nach § 2229 Abs. 4 BGB erforderlichen krankheitsbedingt erhöhten Beeinflussbarkeit des Erblassers.
86c) Die Wirksamkeit der Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) in dem Testament vom 11.03.2016 ist auch nicht abhängig davon, dass die Vermächtnisanordnungen unter Ziffer 4. des Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrags vom 22.01.2016 wirksam sind.
87aa) Zwar drängt sich hier unter Heranziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH NJW 1986, 2360 ff. und NJW-RR 2003, 1175 f.) eine Nichtigkeit der Vermächtnisanordnung zugunsten des Beteiligten zu 1) nach § 134 BGB i. V. m. § 32 Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 15.11.2003 (BerufsO) auf. Das muss vorliegend jedoch nicht abschließend entschieden werden, da eine unterstellte Nichtigkeit der Vermächtnisanordnung zugunsten des Beteiligten zu 1) weder zu einer Gesamtnichtigkeit des Vertrages vom 22.01.2016 noch zu einer Unwirksamkeit des späteren Testaments führt.
88(1) In Bezug auf den Erbvertrag vom 22.01.2016 hat bereits das Nachlassgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt, dass die – hier unterstellte - Teilnichtigkeit der Zuwendung zugunsten des Beteiligten zu 1) nicht nach §§ 2279, 2085 BGB zu einer Gesamtnichtigkeit auch der übrigen einseitigen vertragsmäßigen Verfügungen des Erblassers führt.
89Nach § 2085 BGB hat die Unwirksamkeit einer von mehreren in einem Testament enthaltenen Verfügungen die Unwirksamkeit der übrigen Verfügungen nur zur Folge, wenn anzunehmen ist, dass der Erblasser diese ohne die unwirksame Verfügung nicht getroffen haben würde. Daraus ergibt sich, dass – anders als im Rahmen des § 139 BGB – grundsätzlich die Wirksamkeit der anderen Verfügungen unberührt bleibt, wenn nicht ein anderer Erblasserwille festzustellen ist (MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. 2020, BGB § 2085 Rn. 3). Ein solcher abweichender Erblasserwille ist auch unter Zugrundelegung des Vorbringens der Beschwerdeführer nicht festzustellen. Nach dem ausdrücklichen Inhalt des Vertrages vom 22.01.2016 wollte der Erblasser mit diesem sicherstellen, dass seine medizinische, pflegerische und sonstige Versorgung – wie sie bereits seit einiger Zeit erfolgte – gewährleistet ist. Die Beteiligten gehen im Übrigen übereinstimmend davon aus, dass es der Wunsch des seinerzeit 88 Jahres alten Erblassers war, dauerhaft weiter auf seinem Hof zu leben, was aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen ohne entsprechende Versorgung und Unterstützung durch Dritte nicht mehr möglich gewesen wäre. Ebenso gehen alle Beteiligten davon aus, dass die Angehörigen des Erblassers, insbesondere die Eltern der Beteiligten zu 4), 6), 7), 8) und 9) zu dieser Unterstützung aufgrund ihrer eigenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage gewesen sind, was dem Erblasser zumindest im Ergebnis bekannt war. In dieser Situation drängt es sich auf, dass der Erblasser in Kenntnis einer Nichtigkeit der Verfügung zugunsten des Beteiligten zu 1) gewollt hätte, sich zumindest die künftige Versorgung durch die Beteiligte zu 2) und deren Tochter durch die Vermächtniszuwendung zu sichern. Jedenfalls kann nicht positiv festgestellt werden, was nach § 2085 BGB erforderlich wäre, dass der Erblasser in Kenntnis der unterstellten Nichtigkeit der Zuwendung an den Beteiligten zu 1) auch von der Zuwendung an die Beteiligten zu 2) und 3) Abstand genommen hätte.
90Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 4), 6), 7), 8) und 9) sind die dem Erblasser zugesagten Leistungen des Beteiligten zu 1) auf der einen und die der Beteiligten zu 2) und 3) auf der anderen Seite auch nicht so eng miteinander verknüpft, dass bei einem Wegfall der Leistungen des Beteiligten zu 1) die anderen Leistungen nicht mehr sinnvoll hätten erbracht werden können. Dies gilt ohne jede Einschränkungen für die rein haushaltsbezogenen Leistungen der Beteiligten zu 2) und 3), die unabhängig von der ärztlichen Versorgung erbracht werden konnten. Soweit die Leistungen der Beteiligten zu 2) und 3) eine Kooperation mit dem behandelnden Arzt erforderten, war eine solche jedenfalls in Bezug auf die kassenärztlichen Leistungen möglich, die unabhängig von dem Vertrag vom 22.01.2016 zu erbringen waren.
91(2) Auf das Verhältnis zwischen dem Erbvertrag vom 22.01.2016 und dem Testament vom 11.03.2016 ist § 2085 BGB nicht anwendbar, weil es sich dabei nicht um mehrere Verfügungen in einem Testament handelt.
92Hat ein Erblasser mehrere Testamente errichtet, die nicht in Widerspruch zueinander stehen (§ 2258 Abs. 1 BGB), dann ist bei einer Wirksamkeit des späteren ergänzenden Testaments und einer Unwirksamkeit des früher errichteten Testaments nach den allgemeinen Auslegungsregeln zu ermitteln, ob das spätere Testament nach dem Erblasserwillen unabhängig von dem früheren Testament Geltung haben soll. Bei dieser Auslegung kann der Rechtsgedanke des § 2085 BGB herangezogen werden, so dass bei inhaltlich selbständigen und aus sich selbst heraus verständlichen späteren Testamenten der Erblasserwille im Zweifel dahin geht, dass das spätere Testament unabhängig von der Wirksamkeit des früheren Testaments Bestand haben soll (BeckOGK/Gierl, 1.12.2021, BGB § 2085 Rn. 13-15; MüKoBGB/Leipold, 8. Aufl. 2020, BGB § 2085 Rn. 9; Staudinger/Otte (2019) BGB § 2085, Rn. 17).
93Nach der so vorzunehmenden Auslegung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) nach dem Willen des Erblassers auch ohne die vollständige Wirksamkeit der Vermächtnisanordnungen in dem Erbvertrag vom 22.01.2016 Geltung haben sollte.
94Hierfür spricht bereits der Umstand, dass die testamentarische Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) inhaltlich selbständig und aus sich heraus verständlich ist. Soweit in dem Testament ausdrücklich auf die Verfügung des Erblassers über seinen Grundbesitz in dem Erbvertrag vom 22.01.2016 Bezug genommen wird, folgt hieraus nicht, dass die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) von der Wirksamkeit sämtlicher Verfügungen des Erblassers in dem Erbvertrag abhängig sein sollte. Der Verweis stellt vielmehr lediglich klar, dass sich der Erblasser in Bezug auf sein Grundvermögen bereits als vertraglich gebunden angesehen hat.
95Es gibt auch sonst keine Anhaltspunkte dafür, dass der Erblasser in Kenntnis der hier unterstellten Teilnichtigkeit der Vermächtniszuwendung zugunsten des Beteiligten zu 1) von der Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) Abstand genommen hätte. Im Gegenteil zeigt die Präambel des Erbvertrages, nach der der Erblasser von dem Verhalten seiner Verwandtschaft schwer enttäuscht gewesen ist, dass der Eintritt einer gesetzlichen Erbfolge, zu der es ohne die Erbeinsetzung der Beteiligten zu 2) gekommen wäre, nicht dem Erblasserwillen entsprochen hätte. Zudem bezieht sich die (unterstellte) Teilnichtigkeit des Erbvertrages nur auf die Vermächtnisanordnung zugunsten des Beteiligten zu 1), der nach dem Willen des Erblassers ohnehin nicht sein Erbe werden sollte. Dagegen hat der Erblasser die Beteiligte zu 2), die er bei Testamentserrichtung bereits mehr als 30 Jahre kannte und die ihn zumindest seinerzeit unterstützte, als seine Alleinerbin eingesetzt, obwohl er ihr im Erbvertrag vom 22.01.2016 bereits Grundbesitz in nicht unerheblichem Wert zugewandt hatte. Es ist weder schlüssig vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dieser Wille des Erblassers zur Begünstigung der Beteiligten zu 2) davon abhängig gewesen sein sollte, dass auch die als Gegenleistung gedachte Vermächtniszuwendung des Erblassers an den Beteiligten zu 1) wirksam ist.
96bb) Eine Nichtigkeit der Vermächtnisanordnungen unter Ziffer 4. des Betreuungs-, Versorgungs- und Erbvertrags vom 22.01.2016 ergibt sich dagegen nicht aus § 138 BGB.
97Bei der Prüfung der Frage, ob eine letztwillige Verfügung sittenwidrig ist, ist immer der Grundsatz der Testierfreiheit zu beachten, der über Art. 14 GG verfassungsrechtlich geschützt ist. Dieser Grundsatz darf nur bei Vorliegen besonderer Umstände eingeschränkt werden. Ein solcher besonderer Umstand liegt nicht schon vor, wenn durch eine letztwillige Verfügung Erbansprüche eines aufgrund der gesetzlichen Erbfolge an sich erbberechtigten Angehörigen eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Denn der Gesetzgeber geht davon aus, dass erbberechtigte Angehörige durch das Pflichtteilsrecht grundsätzlich ausreichend geschützt sind. Die Testierfreiheit ermöglicht es einem Erblasser somit, seine letztwillige Verfügung nicht an allgemeinen gesellschaftlichen Anschauungen, sondern nach den eigenen Wünschen auszurichten (Staudinger/Sack/Fischinger (2017) BGB § 138, Rn. 686).
98Der Erblasser hätte daher im Rahmen seiner Testierfähigkeit z. B. auch in einem Testament verfügen können, dass die Beteiligten zu 1) bis 3) die Grundstücke – als Vermächtnis oder Erbeinsetzung – gänzlich ohne Gegenleistung erhalten sollen. Dann muss es ihm – abgesehen von der oben unterstellten Teilnichtigkeit nach § 134 BGB – auch möglich sein, diese Zuwendungen zu treffen, nachdem ihm möglicherweise geringwertigere Leistungen durch die Bedachten versprochen worden sind. Es handelt sich bei dem Erbvertrag gerade nicht um ein synallagmatisches Austauschverhältnis, bei dem ein grobes Missverhältnis zwischen den Werten der geschuldeten Leistungen Anhaltspunkt für eine Sittenwidrigkeit hätte sein können. Unabhängig davon haben die Parteien des Erbvertrages ein solches mögliches Missverhältnis ausdrücklich bewusst in Kauf genommen. Aus diesem Grund scheidet auch eine Nichtigkeit des Erbvertrages nach § 138 Abs. 2 BGB aus.
994.
100Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1, 84 FamFG. Es entspricht billigem Ermessen, die Beteiligte zu 2) mit den Gerichtsgebühren des Erbscheinantrages zu belasten, da sie diese Kosten auch unabhängig von dem Beschwerdeverfahren zu tragen hätte.
101Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die hierfür nach § 70 Abs. 2 Fa-mFG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
102Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf §§ 61 Abs. 1 und 2, 40 Abs. 1 GNotKG und orientiert sich an dem von dem Nachlasspfleger im Anfangsbericht vom 23.04.2020 mitgeteilten Wert des Nachlasses nach Abzug der Nachlassverbindlichkeiten.