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Die Berufung des Klägers gegen das am 12.02.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Arnsberg wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe:
2I.
3Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aufgrund eines Kaufvertrags über einen gebrauchten Pkw T (..) TDI 2.0, der – vermeintlich – vom sogenannten Abgasskandal betroffen ist. Der Kläger verfolgt seine vom Landgericht abgewiesenen Klageanträge im Berufungsverfahren weiter.
4Der Kläger erwarb am 22.08.2017 von dem T Zentrum A D GmbH den streitgegenständlichen Pkw der Marke T (..) TDI 2.0 l EU6, FIN: FIN01, Erstzulassung: 00.10.2016, als Gebrauchtfahrzeug zu einem Kaufpreis in Höhe von 33.960,00 € brutto mit einem Kilometerstand von 26.673 km. Wegen der weiteren Einzelheiten des Kaufs wird auf die Rechnung vom 22.08.2017 (Anlage K 1) verwiesen. Zur Finanzierung des Fahrzeugkaufs nahm der Kläger neben der Inzahlunggabe seines Altfahrzeugs gegen eine vom Hersteller zu leistende Umweltprämie von 7.500,00 € bei der T Bank, Zweigniederlassung der X Bank GmbH, zur Vertragsnummer darlehennummer01 ein Darlehen über 26.460,00 € netto bzw. 27.742,18 € brutto auf. Danach war der Kläger zum Ausgleich von Zinsen und Tilgung verpflichtet. Seit dem 12.10.2017 waren 36 Raten i.H.v. monatlich 312,00 € zu zahlen sowie eine Schlussrate zum 12.09.2020 i.H.v. 16.510,18 € zu entrichten. Der Zinsaufwand für das Darlehen beläuft sich in Summe auf 1.282,18 €.
5Das Fahrzeug verfügt unstreitig über einen Motor der Baureihe EA 288. Die Beklagte ist die Herstellerin des Fahrzeugs, die X AG diejenige des darin verbauten Dieselmotors. Bei diesem handelt es sich um das Nachfolgemodell des – ebenfalls von der X AG hergestellten - Dieselmotors mit der herstellerinternen Typenbezeichnung EA 189, der von dem sog. X-Diesel-Abgasskandal betroffen ist. Der Motor des Pkw des Klägers verfügt unstreitig über eine Motorsteuerungssoftware, die als „Thermofenster“ bezeichnet wird, wobei das Fahrzeug bisher nicht von einer Rückrufaktion des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) betroffen gewesen ist.
6Mit Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 08.01.2019 (Anlage K 9) ließ der Kläger die X AG auffordern, bis zum 22.01.2019 den Kaufpreis für das Fahrzeug in Höhe von 26.460,00 € zzgl. Kreditkosten in Höhe 1.282,18 € Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung unter Berücksichtigung der gezogenen Nutzungen in Form von gefahrenen Kilometern im Zeitpunkt der Rückgabe bezogen auf eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von 350.000 km zu erstatten. Das Fahrzeug wurde zur Abholung angeboten und darauf hingewiesen, dass bei Nichtabholung des Fahrzeuges Annahmeverzug eintrete. Für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs wurde angekündigt, dass dem Kläger zur Klageerhebung geraten werde.
7In dem vorliegenden Rechtsstreit, anhängig seit dem 22.02.2019 und rechtshängig seit dem 25.03.2019, hat der Kläger Schadensersatz i.H.v. 35.242,18 € abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs nebst Delikts- und gesetzlichen Zinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass das Fahrzeug über unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinne von Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verfüge. Insbesondere sei das von der Beklagten in der Motorsteuerungssoftware hinterlegte sog. Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung, ebenso die AdBlue-Dosierstrategie des SCR-Katalysators. Darüber hinaus erkenne das Fahrzeug die Fixierung von Vorderrädern im Prüfstand und schalte in der Folge „nur für die Prüfstandanordnung in den gesetzlich vorgeschriebenen sauberen Modus, während auf der Straße die Abgasreinigungssysteme weitestgehend ausgeschaltet bleiben" (Lenkwinkelerkennung). Zudem besitze das Fahrzeug einen Temperatursensor. Dieser messe „die Temperatur und erkennt, wenn die Umgebungstemperatur über einen der Prüfstandanordnung vorausgehenden Zeitraum konstant 20 Grad Celsius beträgt" (Temperaturerkennung). Auch erfasse das streitgegenständliche Fahrzeug die Dauer der Messung und wechsele nur „für diesen Zeitraum in einen Fahrmodus, der den gesetzlich vorgeschriebenen Abgaswerten gerecht wird" (Zeiterfassung). Schließlich verfüge es über ein unzulässiges OBD-System.
8Der Kläger hat beantragt, wie folgt zu erkennen:
91. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 35.242,18 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 23.08.2017 bis zum 22.01.2019 und seither 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungs-entschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs T (..) 2.0 TDI, Fahrgestellnummer FIN01 zu zahlen.
102. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 23.01.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1.) bezeichneten Gegenstandes in Annahmeverzug befindet.
113. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsver-folgung in Höhe von 1.698,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2019 zu zahlen.
12Die Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Die Beklagte hat behauptet, die von der X-Dieselabgasthematik betroffene Motorbaureihe EA 189 (EU5) einerseits und der Nachfolgemotor des Typs EA 288 (EU6 plus), mit dem das streitgegenständliche Fahrzeug – unstreitig – ausgestattet sei, unterschieden sich technisch wesentlich voneinander. Insbesondere erfülle der letztgenannte Motortyp die strengeren Anforderungen der Abgasnorm EU6. Das Fahrzeug des Klägers, das – unstreitig - keiner behördlich vom KBA angeordneten Rückrufaktion hinsichtlich des Emissionsverhaltens unterliege, sei von der in der Klagebegründung aufgeführten Thematik bzgl. des Motors EA 189 überhaupt nicht betroffen. Das KBA habe keinen Bescheid erlassen, der in diesem Motor eine als unzulässig qualifizierte Abschalteinrichtung im Hinblick auf das Emissionsverhalten feststelle. Die vom Kläger monierten Softwaresteuerungseinrichtungen (OBD-System, Thermofenster, Lenkwinkelerkennung, Temperaturerkennung und Zeiterfassung) stellten allesamt keine unzulässigen Abschalteinrichtungen dar. Zudem liege keine vorsätzliche sittenwidrige Täuschung von ihrer – der Beklagten – Seite vor, ebenso kein ersatzfähiger Schaden. Angesichts der Finanzierung des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei der Kläger schließlich schon gar nicht aktivlegitimiert.
15Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 31.01.2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die zulässige Klage unbegründet sei. Ein Anspruch auf die begehrte Rückabwicklung des Kaufvertrages und Feststellung des Annahmeverzugs bestehe unter keinem Gesichtspunkt. Alle in Betracht kommenden Ansprüche, auch § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB, setzten die Kenntnis des Vorstandes oder eines Vorstandsmitgliedes der Beklagten von dem Einbau der vermeintlichen „Schummelsoftware" und deren Wirkweise voraus. Wann welches Vorstandsmitglied zu welcher Zeit konkrete Kenntnisse von dem Einbau und der Wirkweise der Software des streitgegenständlichen 2,0-Liter-Motors erlangt habe, sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Zu beachten sei hierbei, dass der betroffene Motor nicht von der Beklagten hergestellt, sondern lediglich eingebaut worden sei. Die Herstellung sei durch die X AG erfolgt. Eine etwaige Kenntnis deren Vorstandes könne der Beklagten nicht zugerechnet werden. Selbst wenn man eine solche Kenntnis der Beklagten unterstelle, habe der Kläger gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB noch aus § 823 Abs. 2 i. V. m. § 263 StGB, § 16 UWG oder Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Es könne dahinstehen, ob es sich bei dem in der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs vorhandenen sog. Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 (VO) EG Nr. 715/2007 handele. Jedenfalls lasse sich nicht feststellen, dass die Beklagte durch die Verwendung eines solchen sog. Thermofensters gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen habe. Das Gericht erkenne in der Verwendung von sog. Thermofenstern, die bei Dieselfahrzeugen aller Hersteller weit verbreitet sei, keine besondere Verwerflichkeit. Im „Bericht der Untersuchungskommission „X" habe das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) bei allen Herstellern Abschalteinrichtungen gem. der Definition in Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 festgestellt. Die Verwendung von sog. Thermofenstern sei den Zulassungsbehörden bekannt. Außerdem lasse sich dem Bericht der Untersuchungskommission „X" entnehmen, dass das BMVI gegen die grundsätzliche Verwendung von sog. Thermofenstern keine Bedenken habe, soweit diese zum Motorschutz erforderlich seien. Vor diesem Hintergrund könne allein aus der Verwendung von sog. Thermofenstern nicht auf eine besondere Verwerflichkeit geschlossen werden, auch nicht im Verhältnis zum Kläger. Die Beschränkung der Abgasreinigung auf bestimmte Temperaturbereiche diene gerade dem Schutz und der Dauerhaltbarkeit von Motorbauteilen. Zu weiteren im streitgegenständlichen Fahrzeug verwendeten Abschalteinrichtungen trage der Kläger nicht hinreichend substantiiert vor. Allein der Umstand, dass die Beklagte - nach Ansicht des KBA - unzulässige Abschalteinrichtungen in Motoren des Typs EA 189 verwendet habe, begründe keinen Generalverdacht gegen die Beklagte. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens entspräche insoweit einer Ausforschung des Sachverhalts. Der Bericht der Untersuchungskommission „X" berücksichtige das streitgegenständliche Model (T (..) 2.0 TDI EA 288) und ordne das Fahrzeug in die Bewertungsgruppe 1 ein (alle Fahrzeuge, die ein unauffälliges Verhalten zeigten oder bei denen die Hersteller gewisse Auffälligkeiten in der Höhe der NOx-Werte technisch plausibel und akzeptabel hätten darstellen können). Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Testungen auch Straßenmessungen umschlössen. Vor diesem Hintergrund gebe es keinerlei Anhaltspunkte für die behauptete Lenkwinkelerkennung. Weiter sei auch zu berücksichtigen, dass der „Prüfzyklus 2 - NEFZ warm" aufzeigen solle, ob eine unerlaubte Optimierung der Emissionswerte angewendet werde, indem beispielsweise nach 1180 Sekunden auf eine Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen umgeschaltet werde. Vor diesem Hintergrund gebe es keinerlei Anhaltspunkte für die behauptete unzulässige Zeiterfassung. Soweit der Kläger einen Temperatursensor beanstande, erschließe sich die Relevanz nicht. Auch die klägerseitigen Ausführungen zu der AdBlue-Thematik seien unerheblich, denn das streitgegenständliche Fahrzeug verfüge nicht über einen SCR-Katalysator. Der Kläger habe gegen die Beklagte auch keinen Schadensersatzanspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG oder gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. Es fehle bereits an der Schutzgesetzeigenschaft des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. Mangels Vorliegens eines Hauptanspruchs des Klägers gegen die Beklagte bestehe auch kein Anspruch auf die begehrten Nebenforderungen.
16Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit welcher er seine erstinstanzlichen Klageanträge zunächst in vollem Umfang weiterverfolgt hat. Inzwischen hat er die Klage bzgl. der Deliktszinsen zurückgenommen. Zur Begründung seines Rechtsmittels macht der Kläger im Wesentlichen Folgendes geltend:
17 Das Landgericht habe den von ihm – dem Kläger – vorgetragenen Sachverhalt nicht hinreichend gewürdigt und somit übersehen, dass er gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB habe.
18 Das Landgericht habe die Anforderungen an die Darlegungslast verkannt und hätte sich mit dem Vortrag zum Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Fahrzeug auseinandersetzen und ggf. Beweis erheben müssen. In der unzureichenden Auseinandersetzung mit seinem – des Klägers – Vortrag liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Er habe nämlich die Mängel und das Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen substantiiert dargelegt. Er habe jedenfalls in der Replik zu dem im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten Motortyp greifbare Anhaltspunkte angeführt, die auf das Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen schließen ließen.
19 Bei dem verbauten Dieselmotor des Typs EA 288 der X AG finde neben der NSK-Technologie, bei welcher das Fahrzeug Abgase mit Hilfe eines NOx-Speicherkatalysators aufbereite, auch die SCR-Technologie Anwendung, welche für eine Reduktion von Stickoxiden mit Hilfe eines SCR-Katalysators sorge. Entgegen der den Parteivortrag falsch würdigenden Feststellung des Urteils des Landgerichts verfüge sein – des Klägers – Fahrzeug über einen SCR-Katalysator.
20 Das Motorsteuerungsgerät sei aufgrund der darauf installierten Software in der Lage, den Prüfzyklus NEFZ zu erkennen und daraufhin entsprechende „Abgasnachbehandlungsevents“ zu platzieren, welche auf dem Prüfstand für eine kurzzeitige Optimierung der Abgasnachbehandlung sorgten. Hierfür sprächen interne Planungspapiere der Abteilung „Technische Entwicklung“ der X AG. Diese habe von Beginn an beabsichtigt, die Grenzwerte für NOx im Realbetrieb deutlich zu überschreiten.
21 Aufgrund eines Schreibens der X AG an das KBA (Herrn B) vom 29.12.2015 (Anlage K 2.2) gehe das OLG Köln davon aus, dass der klägerische Anspruch aus § 826 BGB auch bei dem Motor EA 288 begründet sei, soweit die Beklagte sich lediglich auf ein pauschales Bestreiten des Vorliegens einer Abschalteinrichtung zurückziehe.
22 Folgende Prüfzykluserkennungsmodi würden bei Fahrzeugen mit EA288-Dieselmotor und SCR-Abgasnachbehandlungstechnologie ab der 22. KW 2016 – und somit auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug – implementiert: Lenkwinkelerkennung, Temperaturerkennungssensor und Zeiterfassung (1180 Sekunden) für den Prüfstandbetrieb.
23 Als Abschalteinrichtungen seien implementiert: eine AdBlue-Dosierstrategie und ein sog. Thermofenster, das in seiner konkreten Ausgestaltung nicht im Typengenehmigungsverfahren offengelegt worden sei. Dadurch werde in dem streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasreinigung bereits unter 17 Grad Celsius zurückgefahren (Abrampung) und unter 5 Grad Celsius (nahezu) vollständig abgeschaltet. Nicht jedes Thermofenster sei per se unzulässig. Werde das Fenster aber gezielt auf den Temperaturbereich, welcher auf dem Rollenprüfstand herrsche, ausgerichtet, werde die Abschalteinrichtung i.S.d. VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässig. Der Vortrag der Beklagten ergebe keine sachliche und technische Rechtfertigung für das Thermofenster, sodass diese ihrer primären bzw. sekundären Darlegungs- und Beweislast nicht gerecht geworden sei.
24 Auch das Aufspielen eines Software-Updates ändere daran nichts. Soweit das KBA hierzu betreffend den Motor EA288 am 10.01.2020 einen Bericht veröffentlicht habe, sei dies so kurzfristig vor Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt, dass der neue Tatsachenvortrag in zweiter Instanz zuzulassen sei.
25 Den bei ihm – dem Kläger – eingetretenen Schaden habe die Beklagte zumindest billigend in Kauf genommen. Mit dem Vorliegen des objektiven Mangels und des objektiv sittenwidrigen Handelns werde das subjektive Verschulden vermutet. Zudem habe die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast weitere Angaben zu machen als in erster Instanz erfolgt, sodass die von ihm – dem Kläger – erstinstanzlich erfolgte Benennung von Zeugen an sich nicht notwendig sei.
26 Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig, wobei exekutive Entscheidungen des KBA oder einer Strafverfolgungsbehörde hierfür unerheblich seien.
27 In einem Parallelverfahren habe der dortige Kläger im Februar 2020 eine Rückrufnachricht erhalten, welche auf den Rückruf der EA288-Fahrzeuge zurückzuführen sei (Anlage BB 8). Grund seien unzulässige Abschalteinrichtungen. Gemäß Anlage BB 9 habe X im Februar 2020 eine „freiwillige Servicemaßnahme Software-Update Dieselmotor“ gestartet, in deren Zuge die Fahrkurve aus dem Motorsteuerungsgerät entfernt werden solle.
28 Entgegen der Auffassung des Landgerichts seien die Messwerte im Realbetrieb und nicht die Einhaltung der Grenzwerte im Prüfstandbetrieb maßgeblich.
29 Zudem ergebe sich der Anspruch auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den Vorschriften der VO (EG) Nr. 715/2007. Sollte der Senat dies anders und die europarechtlichen Normen nicht als Schutzgesetze sehen, werde beantragt, diese Fragestellung gem. Art. 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens vorzulegen.
30 Des Weiteren sei der Anspruch aus § 831 BGB begründet.
31 Der Abzug einer Nutzungsentschädigung finde im vorliegenden Fall nicht statt.
32 Der Hilfsantrag zu 1) auf Aufhebung und Zurückverweisung werde gestellt, weil das Landgericht fast seinen – des Klägers – Sachvortrag ignoriert habe und es zivilprozessual nicht vorgesehen sei, dass der Senat zur zweiten Tatsacheninstanz mutiere und alles erstmals selbst beurteile. Ferner kämen umfangreiche Beweiserhebungen in Betracht und es sei nicht Aufgabe des Senats, diese nachzuholen.
33 Die Zulassung der Revision werde beantragt, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung habe.
34Der Kläger beantragt nach Teil-Klagerücknahme, wie folgt zu erkennen:
35Unter Abänderung des angefochtenen Urteils:
361. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 33.960,00 € zzgl. 1.282,18 € (Finanzierungskosten) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2019 abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer FIN01 zu zahlen.
37Hilfsweise:
38Die Beklagte wird verurteilt, Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und Abtretung des Anspruchs auf Rückübereignung des Fahrzeugs T (..) mit der Fahrgestellnummer FIN01 aus dem Darlehensvertrag der T-Bank mit der Vorgangsnummer darlehennummer01 an den Kläger 17.484,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2019 abzgl. einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung zu zahlen und den Kläger von seinen Verbindlichkeiten aus dem Darlehensvertrag bei der T-Bank (Nr. darlehennummer01) freizustellen.
392. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 23.01.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
403. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsver-folgung in Höhe von 1.698,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.01.2019 zu zahlen.
41Hilfsweise,
42das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Arnsberg, I-2 O 77/19, verkündet am 12.02.2020 und zugestellt am 18.02.2020, aufzuheben und zur erneuten Verhandlung zurück zu verweisen,
43hilfsweise,
44die Revision zuzulassen.
45Die Beklagte stimmt der teilweisen Klagerücknahme nicht zu und beantragt,
46die Berufung zurückzuweisen.
47Die Beklagte verteidigt das Urteil unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags gegen die Berufungsangriffe des Klägers und macht hierzu im Wesentlichen Folgendes geltend:
48 Das Landgericht habe die Klage frei von Rechtsfehlern abgewiesen. Der Kläger habe seine Behauptungen, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien, lediglich ins Blaue hinein aufgestellt, ohne seine Ausführungen näher zu substantiieren. Die Klageabweisung ohne Beweisaufnahme sei daher verfahrensfehlerfrei.
49 Soweit der Kläger sich neben seinem erstinstanzlichen Vortrag auf neuen Sachvortrag stütze, benenne er teilweise schon keine Zulassungsgründe für solchen neuen Vortrag i.S.d. § 529 Abs. 2 ZPO. Solche Gründe seien auch nicht ersichtlich.
50 Der Verweis auf das Thermofenster in beiden Instanzen sei von vornherein nicht geeignet, die geltend gemachten Ansprüche zu begründen, denn die Verwendung eines solchen entspreche dem Stand der Technik, sei zum Motorenschutz erforderlich und rechtlich zulässig.
51 Selbst wenn man das Thermofenster für rechtlich unzulässig hielte, sei insoweit keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung und kein Schaden ersichtlich, weil das Inverkehrbringen auf einer vertretbaren Auslegung des Gesetzes beruhe und einer gängigen, von der zuständigen Zulassungsbehörde nicht beanstandeten Praxis entspreche. Dem KBA sei bereits im Januar 2016 das in den EA288-Motoren zum Einsatz kommende Thermofenster offengelegt worden, ohne dass dieses als unzulässig beanstandet worden sei.
52 Seit Bekanntwerden der EA189-Thematik im September 2015 habe das KBA den Dieselmotor EA288 mehreren eigenen Untersuchungen unterzogen, aber keinerlei Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung festgestellt, wie auch das BMVI in einer öffentlichen Meldung am 12.09.2019 bestätigt habe (Anlage B 1).
53 In einem Parallelverfahren betreffend den Motor EA288 habe auf Anfrage des dortigen Gerichts das KBA zudem per amtlicher Auskunft vom 28.09.2020 bestätigt, dass das KBA umfangreiche Untersuchungen an Fahrzeugen im Zusammenhang mit den Motoren EA288 durchgeführt und keine als unzulässig einzustufenden Abschalteinrichtungen festgestellt habe (Anlage B 1). Es bestehe seitens des KBA weder ein Verdacht, noch liege ein Hinweis bzgl. als unzulässig einzustufender Abschalteinrichtungen in Bezug auf Fahrzeuge mit verbauten Motoren des EA288 vor (Anlage B 2). Vereinzelte Konformitätsabweichungen seien technisch und rechtlich vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden und böten gerade keinen diesbezüglichen Anhaltspunkt (Anlage B 3). Die Auskunft des KBA zeige ebenso wie die Meldung des BMVI, dass die klägerischen Behauptungen schlichtweg aufs Geratewohl erfolgt und daher prozessual unbeachtlich seien.
54 Der Motor EA288 weise auch keine unzulässige Umschaltlogik auf. Betreffend die als unzulässige Abschalteinrichtung behauptete Fahrkurvenerkennung habe die X AG, die den Motor entwickelt habe, die vom Kläger als Anlage K 2.2 vorgelegte „Applikationsanweisung“ Schreiben vom 29.12.2015 dem KBA vorgelegt, sodass die konkrete Applikation dem KBA bekannt sei, ohne dass eine unzulässige Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem gerügt worden sei.
55 Unabhängig davon verfüge das streitgegenständliche Fahrzeug nicht über einen NOx-Speicherkatalysator (NSK), sodass die entsprechenden Folien aus der „Applikationsanweisung“, auf die sich der Kläger auf S. 16 der Berufungsbegründung beziehe, bereits aus diesem Grund an den Tatsache vorbei gehe.
56 Entgegen der Behauptung des Klägers finde in dem streitgegenständlichen Fahrzeug auch keine unzulässige Harnstoffdosierung statt. Es komme zu keiner unterschiedlichen AdBlue-Einspritzung in EA288-Fahrzeugen auf dem Prüfstand und auf der Straße, wie die Ergebnisse des Untersuchungsberichts der Kommission „X“ aus April 2016 zeigten.
57 Soweit der Kläger in der Berufung seine Behauptungen im Zusammenhang mit einer Lenkwinkelerkennung, einer Temperaturerkennung und einer Zeiterfassung wiederhole, habe das Landgericht darin zutreffend keinen substantiierten Vortrag zu einer unzulässigen Abschalteinrichtung gesehen. Nunmehr stütze der Kläger sich insoweit auf Testergebnisse aus einem Bericht der (..) „Umweltverein, Anm. d. Redaktion“ vom 00.00.2019. Der Verweis hierauf liefere keine Rückschlüsse für die klägerischen Behauptungen und sei gem. § 530 ZPO präkludiert.
58 Unstreitig liege kein Bescheid des KBA für EA288-Fahrzeuge wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vor, behördliche Beanstandungen anderer Motortypen seien irrelevant, und höhere Emissionen im realen Fahrzeugbetrieb begründeten keinen regulatorischen Verstoß.
59 Jedenfalls schulde der Kläger im Falle der Zug-um-Zug-Verurteilung im Wege des Vorteilsausgleichs Ersatz der bis zum Tag der Rückgabe gezogenen Nutzungen.
60Im Verhandlungstermin vor dem Senat vom 07.12.2020 haben die Parteien nach Vorlage eines Fotos durch den Kläger einen Kilometerstand des betroffenen Pkw am Tage der Verhandlung von 86.808 km unstreitig gestellt. Der Kläger hat mündlich vorgetragen, dass er inzwischen alle Finanzierungsraten einschließlich der Schlussrate beglichen habe. Die Beklagte hat ein an das Oberlandesgericht Stuttgart gerichtetes Schreiben des KBA vom 13.11.2020 zu den Akten gereicht.
61Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Gerichtsakten gereichten Unterlagen verwiesen.
62II.
63Die Berufung des Klägers ist (noch) zulässig, aber begründet.
64A. Zulässigkeit der Berufung:
65I. Die Berufung des Klägers ist gemäß § 511 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO gegen das in erster Instanz ergangene Endurteil des Landgerichts, das ihn mit mehr als 600,- € beschwert, statthaft. Sie ist auch fristgerecht innerhalb der Monatsfrist des § 517 ZPO schriftlich beim Oberlandesgericht eingelegt worden (§ 519 Abs. 1 ZPO) und innerhalb der verlängerten Begründungsfrist des § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO vor dem Senat begründet worden.
66II. Bei wohlwollender Betrachtung genügt der Inhalt der Berufungsbegründung auch noch so eben den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, 3 ZPO.
671. Der Kläger bringt hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass und warum er die tatsächlichen Feststellungen und Rechtsauffassungen des Landgerichts zu der Zulässigkeit des sog. Thermofensters und der anderen monierten Systeme für unrichtig hält (vgl. zu den Anforderungen BGH, Beschluss vom 11.02.2020, VI ZB 54/19, juris, Rn. 5; Beschluss vom 25.08.2020, VI ZB 67/19, juris, Rn. 7).
682. Problematisch ist allerdings, dass das Landgericht seine Entscheidung, dass dem Kläger kein Schadensersatzanspruch zustehe, auf zwei alternative Begründungen gestützt hat, die jede für sich genommen die Klageabweisung tragen. Denn es hat nicht nur eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Klägers durch die Beklagte verneint, sondern auch beanstandet, dass der Kläger nicht vorgetragen habe, wann welches Vorstandsmitglied zu welcher Zeit konkrete Kenntnisse von dem Einbau und der Wirkweise der Software des streitgegenständlichen 2,0-Liter-Motors erlangt habe, wobei der betroffene Motor nicht von der Beklagten hergestellt, sondern lediglich eingebaut worden sei. Die Herstellung sei durch die X AG erfolgt. Eine etwaige Kenntnis deren Vorstandes könne der Beklagten nicht zugerechnet werden.
69a) In einem solchen Fall liegt eine hinreichende Berufungsbegründung nur vor, wenn beide die Entscheidung alternativ tragenden Gründe – in für sich ausreichender Weise – angegriffen werden (Zöller-Heßler, ZPO, 33. Aufl., § 520 Rn. 37a; BGH, Beschluss vom 11.02.2020, VI ZB 54/19, juris, Rn. 6). Dies ist vorliegend so gerade noch der Fall. Mangels Auseinandersetzung mit der Begründung des angefochtenen Urteils allein nicht ausreichend ist der Vortrag auf S. 39 der Berufungsbegründung, dass die Beklagte den beim Kläger eingetretenen Schaden zumindest billigend in Kauf genommen habe, was aus den geschilderten objektiven Umständen geschlussfolgert werden könne.
70b) Jedoch hat der Kläger auf S. 40 der Berufungsbegründung dargelegt, dass das Landgericht bzgl. des Schädigungsvorsatzes und der Sittenwidrigkeit eine fehlerhafte Beweislastverteilung angenommen habe, weil die sekundäre Darlegungslast der Beklagten nicht gesehen worden sei. Dieser Vortrag kann so verstanden werden, dass der Kläger meint, dass er entgegen der Darlegung des Landgerichts von vornherein nicht näher dazu habe vortragen müssen, inwieweit welches Vorstandsmitglied der Beklagten von der Wirkungsweise des von der X AG hergestellten Motors und seiner Software konkrete Kenntnisse gehabt habe.
71B. Begründetheit der Berufung:
72Die Berufung des Klägers ist jedoch jedenfalls unbegründet, weil das Landgericht die Klage in der Hauptsache und bzgl. der Nebenforderungen zu Recht abgewiesen hat.
73I. Zulässigkeit der Klage:
74Zwar ist die Klage zulässig.
751. Das rechtliche Interesse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO für den Klageantrag zu 2) auf Feststellung des Annahmeverzuges der Beklagten folgt aus der hierdurch gem. den §§ 756, 765 ZPO bewirkten Vollstreckungserleichterung.
762. Der beim Zahlungsantrag zu 1) gleichzeitig gestellte Hilfsantrag des Klägers käme im Rahmen einer zulässigen innerprozessualen Bedingung nur zum Zuge, wenn der Senat im Falle der Annahme einer Haftung dem Grunde nach bei der Rechtsfolge nicht einen vollständigen Zahlungsanspruch, sondern teils nur einen Freistellungsanspruch für begründet hielte.
773. Anderweitige Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht, die vom Landgericht angenommene örtliche und sachliche Zuständigkeit unterliegt gem. § 513 Abs. 2 ZPO nicht der Überprüfung durch den Senat.
78II. Begründetheit der Klage:
79Die Klage ist jedoch unbegründet.
801. Antrag zu 1): Anspruch auf Zahlung von 35.242,18 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des T (..)
81a) Hauptsacheanspruch
82aa) Anspruch aus §§ 826, 31, 249, 251 BGB
83Es besteht kein Hauptsacheanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus den §§ 826, 31, 249, 251 BGB, denn der Senat vermag nicht festzustellen, dass die Beklagte eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zum Nachteil des Klägers begangen hat. Eine solche Schädigung hätte die Beklagte nur begehen können, indem sie den von der X AG entwickelten und hergestellten Motor EA288, der in dem von dem Kläger erworbenen T (..) verbaut ist, mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (Motorsteuerungssoftware) in Verkehr gebracht und dabei zumindest billigend in Kauf genommen hätte, dass ein Autokäufer wie der Kläger ungewollt eine kaufvertragliche Verbindlichkeit im Gegenzug für ein Auto eingehen würde, welches infolge einer unzulässigen Abschalteinrichtung vom Entzug der Typengenehmigung und/oder von einer Betriebsbeschränkung oder –untersagung bedroht wäre. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs in den Grundsatz-Urteilen zur Betroffenheit des Vorgängermotors EA189 vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) und vom 30.07.2020 (VI ZR 397/19 und VI ZR 367/19).
84(1) Objektiver Tatbestand: Zurechenbare sittenwidrige Schädigung:
85Der Senat vermag nicht festzustellen, dass der Kläger das Vorliegen einer den Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung begründenden unzulässigen Abschalteinrichtung hinreichend dargelegt hat.
86(a) rechtlicher Anknüpfungspunkt
87Nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 für Typengenehmigungen von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen ist eine Abschalteinrichtung „ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird“. Der Begriff des Emissionskontrollsystems ist in der Verordnung nicht definiert.
88Die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen regelt Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007, der lautet:
89„Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig. Dies ist nicht der Fall, wenn:
90- die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten;
91- die Einrichtung nicht länger arbeitet, als zum Anlassen des Motors erforderlich ist;
92- die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind.“
93(b) Hinreichend konkreter Sachvortrag:
94Der Senat lässt letztlich im Ergebnis offen, ob der Kläger hinreichend substantiiert dargetan, dass sein Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise. Jedenfalls nämlich lässt sich bzgl. der Motorsteuerungssysteme, bzgl. derer das Vorliegen einer solchen Einrichtung grundsätzlich in Betracht käme, ein objektiv sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht feststellen.
95(aa) Anforderungen an Sachvortrag:
96Der Senat orientiert sich bei der Prüfung grundsätzlich an den Vorgaben des 8. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 28.01.2020 (VIII ZR 57/19, juris), wobei zu berücksichtigen ist, dass es sich um ein obiter dictum zum Sachmängelgewährleistungsrecht handelt. Soweit die Berufungserwiderung eventuell zu Recht die Frage aufwirft, ob die dort dargelegten Grundsätze wirklich in gleicher Weise der rechtliche Ausgangspunkt für die Haftung aus § 826 BGB sind, wie es z.B. das OLG Köln bei einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation (Haftung nach § 826 BGB für einen T (..), 3.0 l Motor, Abgasnorm Euro 5) auf den BGH-Beschluss bezogen angenommen hat (Urteil vom 12.03.2020, 3 U 55/19, juris, Rdnr. 34), lässt der Senat vorliegend offen..
97(bb) Sachvortrag des Klägers im Rechtsstreit:
98Gemessen an den rechtlichen Vorgaben bestehen Bedenken, ob der Kläger auf das streitgegenständliche Fahrzeug zugeschnittene greifbare Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen hat und ob sein ergänzender Vortrag in zweiter Instanz am Maßstab der §§ 529-531 ZPO noch zu berücksichtigen ist; letzteres lässt der Senat letztlich offen, weil sich jedenfalls kein Verdikt der Sittenwidrigkeit treffen lässt.
99(aaa) Klageschrift:
100Soweit der Kläger in der Klageschrift behauptet hat, dass der Motor EA288 ebensolche Motorsteuerungsmanipulierungssoftware und unzulässige Abschalteinrichtungen aufweise wie der von dem X-Dieselabgasskandal betroffene Motor EA189 und deshalb von einem Rückruf des KBA vom 08.03.2017 betroffen sei (Anlage K 2), hat er diesen Vortrag auf die zutreffenden Einwände der Klageerwiderung vom 24.05.2019 nicht länger aufrechterhalten. Entgegen dem Klagevorbringen ist bereits in erster Instanz unstreitig geworden, dass der betroffene Motor, der der EU-Abgasnorm Euro6 plus unterfällt, nicht von einer durch Bescheid des KBA veranlassten Rückrufaktion betroffen ist. Insoweit darf entscheidend nicht unberücksichtigt bleiben, dass das Fahrzeug T (..) mit dem Dieselmotor 2.0 l TDI Euro6plus seit der Erstzulassung vom 00.10.2016 über mehr als vier Jahre nicht von einem Bescheid des KBA oder eine Rückrufaktion betroffen war. Vielmehr hat sich – wie unten noch zu vertiefen sein wird – das KBA frühzeitig ab Ende 2015/Anfang 2016 in Feldversuchen mit dem Motor EA288 – dem Nachfolgemotor des EA189 – befasst und dabei keine beanstandungswürdigen unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt. Dies ist ein gewichtiges Indiz für die Annahme, dass für den Kläger während der Dauer der Nutzung des Pkw nie das ernsthafte Risiko einer Stilllegungsverfügung für den Fall des Nichtaufspielenlassens eines etwaigen Motorsoftware-Updates gedroht hat.
101(bbb) Replik vom 07.01.2020 und Berufungsbegründung:
102In der erstinstanzlichen Replik vom 07.01.2020 hat der Kläger eingeräumt, dass der streitgegenständliche Motor bisher nicht Gegenstand einer Rückrufaktion gewesen ist, jedoch auf der anderen Seite seinen tatsächlichen, insbesondere technischen Vortrag zu den im Motor EA288 eingebauten Emissionskontrollsystemen und deren jeweiligen Wirkungsweisen deutlich substantiiert. Mit der Berufungsbegründung hat der Kläger den diesbezüglichen tatsächlichen, insbesondere technischen, und rechtlichen Vortrag weiter vertieft, ohne dass es entscheidungserheblich auf die Zulassung der teils neuen Tatsachen am Maßstab der §§ 529-531 ZPO ankommt. Die vertieften und unter Zeugen- sowie Sachverständigenbeweis gestellten Angaben zu der technischen Wirkungsweise der behaupteten Systeme stellen jedenfalls keinen hinreichend substantiierten Sachvortrag des Klägers für das Vorliegen objektiv sittenwidrig in den Verkehr gebrachter möglicher unzulässiger Abschalteinrichtungen dar.
103(aaaa) Thermofenster:
104Es ist zwar unstreitig, dass der streitgegenständliche Motor über ein Thermofenster verfügt, durch das die Abgasrückführung des streitgegenständlichen Fahrzeugs außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs zurückgefahren wird. Der Senat lässt jedoch offen, ob der Kläger grundsätzlich eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem konkret betroffenen Motor hinreichend substantiiert dargelegt hat. Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 28.09.2020, I-8 U 17/20) rechtfertigt das Inverkehrbringen des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Motors nämlich nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit, selbst wenn die Einrichtung von der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 a) der Verordnung (EG) 715/2007 nicht unterfallen sollte, wie der Kläger behauptet. Eine Sittenwidrigkeit kommt allenfalls in Betracht, wenn über die bloße Kenntnis der Beklagten von der Verwendung der Software mit der in Rede stehenden Funktionsweise in dem streitgegenständlichen Motor hinaus auch Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Installation in dem Bewusstsein geschah, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen. Das lässt sich hier nicht feststellen. Die Auslegung der genannten Vorschrift über die Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen war und ist keineswegs eindeutig. So weist die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Untersuchungskommission „X“ in ihrem Bericht zur Auslegung der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 a) VO (EG) 715/2007 darauf hin, dass die Verwendung von Abschalteinrichtungen mit der Begründung der Fahrzeughersteller, dass eine Abschaltung erforderlich sei, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, angesichts der Unschärfe der Bestimmung, die auch weite Interpretationen zulässt, möglicherweise nicht gegen die Verordnung verstoße (BMVI, Bericht der Untersuchungskommission X, Stand April 2016, S. 123). Unter diesen Umständen erscheint eine Auslegung, wonach eine temperaturabhängige Abschaltung zum Schutz des Motors als zulässig angesehen wird, nicht gänzlich unvertretbar, was dem Verdikt der Sittenwidrigkeit entgegensteht (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020, 5 U 110/19, juris). Dass das von der Beklagten zur Begründung der Thermofenster vorgebrachte Ziel des Schutzes der Motoren vor Versottung von vornherein nur vorgeschoben wird, lässt sich nicht feststellen.
105Bei der Beurteilung der sogenannten Thermofenster ist zudem festzustellen, dass wesentliche Umstände, die im Zusammenhang mit der Umschaltlogik des Motors EA189 zur Annahme der Sittenwidrigkeit geführt haben (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, Rn. 30, juris), vorliegend fehlen. So kann nicht von einer bewussten und gewollten Täuschung des KBA ausgegangen werden. Dieses war, wie oben dargelegt, frühzeitig über den Einbau des Thermofensters in den Motoren des Typs EA288 unterrichtet und hat dies bis heute nicht beanstandet. Deshalb fehlen greifbare Anhaltspunkte für ein „Erschleichen“ der EG-Typengenehmigung mittels des Thermofensters.
106Es gibt auch keine hinreichend belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass Fahrzeuge, die mit einem Thermofenster ausgestattet sind, zum Zeitpunkt ihres Inverkehrbringens oder zu einem späteren Zeitpunkt in der Vorstellung der Beklagten bei Aufdeckung des Sachverhalts von einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung oder gar von einem Entzug der EG-Typengenehmigung bedroht gewesen wären. Spätestens nach Veröffentlichung des oben zitierten Berichts der Untersuchungskommission „X“ im April 2016 ist den zuständigen Behörden in Deutschland bekannt, dass Thermofenster zum Einsatz kommen, ohne dass bisher Maßnahmen ergriffen wurden, unter Androhung sonst zu erwartender Betriebseinschränkungen für die Beseitigung der Thermofenster zu sorgen.
107Soweit der Kläger darauf hinweist, dass durch die Auswahl des Temperaturbereichs, in dem die Abgasrückführung vollständig funktioniere, mittelbar eine Steuerung vorliege, die zwischen Prüfstand und regulärem Fahrbetrieb differenziere, führt auch dies nicht zur Annahme sittenwidrigen Verhaltens. Der Kläger hat zwar vorgetragen, dass ab einer Temperatur von rund 17 Grad Celsius die Abgasrückführung reduziert und ab unter rund 5 Grad Celsius (nahezu) ausgeschaltet werde. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass das KBA, das Motoren des Typs EA288 in einem breit angelegten Feldversuch im Wissen um das Thermofenster untersucht und nicht beanstandet hat, über das Vorhandensein und die konkrete Ausgestaltung des Thermofensters bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug getäuscht und die EG-Typengenehmigung mithin erschlichen wurde. Nach alldem folgt der Senat der Rechtsprechung der Obergerichte, wonach in der Installation sogenannter Thermofenster kein sittenwidriges Verhalten des Herstellers zu sehen ist (vgl. z. B. OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019, 3 U 416/19, OLG Dresden, Urteil vom 16.07.2019, 9 U 567/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, 10 U 134/19; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2020, 5 U 110/19; OLG Hamm, 19. Zivilsenat, Urteile vom 18.02.2020, 19 U 29/19 und 19 U 50/19, jeweils juris).
108(bbbb) NSK/SCR/AdBlue-Technologie:
109Ebenfalls offen lässt der Senat die zwischen den Parteien streitige Frage, ob das Fahrzeug des Klägers über die NSK-Technologie, bei welcher das Fahrzeug Abgase mit Hilfe eines NOx-Speicherkatalysators aufbereitet, neben der SCR-Technologie verfügt, welche zu einer Reduktion von Stickoxiden mit Hilfe eines SCR-Katalysators führen soll, sowie eine AdBlue-Tankgröße und Dosierung, wie sie der Kläger beschreibt. Denn der ausführliche Vortrag des Klägers dazu, wie sehr auf Seiten der Beklagten wirtschaftliche Belange zu Lasten der Implementierung einer den Stickstoffausstoß hinreichend reduzierenden und daher die gesetzlichen Grenzwerte einhaltenden NSK/SCR/AdBlue-Technologie gegangen seien, begründet nach Auffassung des Senats nicht schlüssig, inwieweit in dieser Technologie eine unzulässige Abschalteinrichtung i.S.d. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 liegen soll, jedenfalls nicht ein diesbezügliches sittenwidrig schädigendes Vorgehen.
110Eine Technologie, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, wird schon nicht hinreichend substantiiert behauptet. In der erstinstanzlichen Replik vom 07.01.2020 findet sich insoweit nur folgender pauschaler, nicht unter Beweis gestellter, sondern nur mit einer Fundstelle des OLG Köln (Hinweisbeschluss vom 19.09.2019, 15 U 117/19) unterlegter Vortrag:
111„Eine vom Motorsteuergerät kontrollierte, fehlerhafte Dosierung des Harnstoffmittels „AdBlue" im SCR Katalysator, führt dazu, dass das Fahrzeug weniger Harnstoff verbraucht, als für die Erreichung der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte im realen Fahrbetrieb notwendig wäre. Auf dem Prüfstand hingegen wird dem SCR-Katalysator bewusst eine erhöhte Menge Harnstoff zugeführt, sodass die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten werden und die EG-Typgenehmigung erteilt wird.“
112Das fällt nicht unter die gesetzliche Definition einer „Abschalteinrichtung, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert“.
113Zwar macht der Kläger mit der Berufungsbegründung im Ausgangspunkt zu Recht geltend, dass das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Unrecht davon ausgehe, dass das streitgegenständliche Fahrzeug nicht über einen SCR-Katalysator verfüge. Der Kläger hatte das Gegenteil – wie oben dargelegt – erstinstanzlich mit der Replik vorgetragen und die Beklagte hat auf S. 5-6 der Duplik vom 13.01.2020 am Maßstab des § 138 Abs. 1-4 ZPO gemessen nicht bestritten, dass das klägerische Fahrzeug über ein SCR-System mit AdBlue-Versorgung verfügt.
114Jedoch hat die Beklagte dort ausdrücklich vorgetragen, dass die AdBlue-Dosierung auf dem Prüfstand und im realen Straßenbetrieb gleich sei, diese werde nicht unterschiedlich angesteuert, um Emissionsgrenzwerte einzuhalten. Für seine gegenteilige Behauptung ist der Kläger erstinstanzlich beweisfällig geblieben. Er hat auf das Bestreiten der Beklagten vom 13.01.2020 hin weder in der Verhandlung vom 22.01.2020 seine obige Behauptung weiter substantiiert und unter Beweis gestellt noch Schriftsatznachlass (§ 283 ZPO) beantragt.
115Erst mit der Berufungsbegründung hat der Kläger sodann mit weitaus detaillierterem Vortrag unter Beweis durch Sachverständigengutachten gestellt, dass die sich im streitgegenständlichen Fahrzeug befindliche SCR-Technologie mit SCR-Katalysator mittels des Motorsteuerungsgeräts die Dosierung der Harnstofflösung (AdBlue) zur Reduktion der emittierten Stickoxide kontrolliere und dieses Gerät aufgrund der darauf installierten Software in der Lage sei, mit Hilfe vorgeschriebener physikalischer Randbedingungen den Prüfzyklus NEFZ zu erkennen und daraufhin entsprechende „Abgasnachbehandlungsevents“ zu „platzieren“, welche wiederum auf dem Prüfstand für eine kurzzeitige Optimierung der Abgasnachbehandlung sorgten.
116Der Senat lässt offen, ob dieser ergänzende Sachvortrag und Beweisantritt im Berufungsverfahren gem. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO als präkludiert anzusehen ist. Jedenfalls ist auch bzgl. der von Herstellern von Dieselfahrzeugen ganz verbreitet in ähnlicher Weise genutzten SCR-/AdBlue-Technologie, die bisher soweit ersichtlich vom KBA nicht beanstandet worden ist, aus den gleichen Gründen wie bei dem Thermofenster nicht von einem sittenwidrig schädigenden Verhalten der Beklagten auszugehen. Die Beklagte hat in beiden Instanzen zutreffend darauf hingewiesen, dass bereits die Ergebnisse des Untersuchungsberichts der Kommission „X“ aus April 2016 zeigten, dass es bzgl. der AdBlue-Einspritzung in EA288-Fahrzeugen nicht zu einer unzulässigen unterschiedlichen Behandlung auf dem Prüfstand und auf der Straße komme; die Beklagte hat also die Technologie und ihre Wirkungsweise frühzeitig offengelegt. Mit einer Beanstandung des KBA mussten und müssen beide Parteien nicht rechnen.
117(cccc) Prüfstanderkennungssoftware:
118Schließlich verhilft auch der in der erstinstanzlichen Replik und vor allem in der Berufungsbegründung sehr tiefgehende Vortrag des Klägers zu weiterer unzulässiger Prüfstanderkennungssoftware (Lenkwinkelerkennung, Temperaturerkennung mittels Sensor, Zeiterfassung 1180 Sekunden, OBD-System) seinem Anspruch nicht zum Erfolg. Zwar ist der Vortrag grundsätzlich in tatsächlicher und technischer Hinsicht substantiiert. Auch er vermag aber keine unzulässigen Abschalteinrichtungen darzulegen, die ein objektiv und subjektiv sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu begründen vermöchten.
119- Lenkwinkel-/Fahrkurvenerkennung, Temperaturerkennung und Zeiterfassung:
120Alle drei vom Kläger im Einzelnen dargelegten Erkennungssysteme, die für die Fahrzeugsoftware erkennen lassen sollen, ob das Fahrzeug sich im NEFZ-Prüfstand oder im Regelbetrieb befindet, stellen nach der obigen gesetzlichen Definition schon keine Abschalteinrichtungen in dem genannten Sinne dar. Vielmehr handelt es sich in erster Linie um bloße Erkenntnisinstrumente, also um Fahrzeugdiagnosesysteme. Eine unzulässige Abschalteinrichtung könnte darin nur dann liegen, wenn aufgrund der Fahrkurven- und Temperaturerkennung sowie der Zeiterfassung das Emissionskontrollsystem verändert, seine Wirksamkeit verringert wird und die Funktion erforderlich ist, um die Grenzwerte im Prüfzyklus einzuhalten. Das scheint nach den bereits vor einigen Jahren anhand zahlreicher repräsentativer EA288-Fahrzeuge durchgeführter Feldprüfungen des KBA indes gerade nicht der Fall zu sein. Es ist daher unzutreffend, von dem bloßen Vorliegen einer Fahrkurvenerkennung, Temperaturerkennung und Zeiterfassung auf eine unzulässige Abschalteinrichtung zu schließen.
121Jedenfalls aber kann bei dem Gesamtverhalten der Beklagten betreffend den Motor EA288 am Maßstab des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 30.07.2020 (V ZR 5/20, juris) gemessen auch bzgl. der Erkennungssysteme kein objektiv sittenwidrig schädigendes Verhalten angenommen werden, unabhängig davon, in welchem Umfang sich die Beklagte und ihre Organe bzw. Mitarbeiter das Verhalten der Organe bzw. Mitarbeiter der X AG bzgl. der Entwicklung und/oder des Herstellens/Inverkehrbringens des Motors EA288 zurechnen lassen müssen (dazu s.u. c). Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass die X AG nach dem im September 2015 öffentlich gewordenen Dieselabgasproblem betreffend den Motor EA189 direkt am 02.10.2015 und sodann nochmals mit Schreiben vom 29.12.2015 – vor der Produktion und dem Einbau des vorliegenden Motors durch die Beklagte in das am 00.10.2016 erstzugelassene Fahrzeug – mit umfassenden Informationen zu den Softwaresystemen u. a. des Nachfolgemotors EA288, dabei insbesondere auch des Thermofensters, der Fahrkurve und des SCR-/AdBlue-Systems an das KBA herangetreten ist. Das KBA hat in diesem Zuge umfangreiche Feldversuche und Messungen eingeleitet und ist bzgl. des Motors EA288 zu dem Ergebnis gelangt, dass keine ausreichenden Anhaltspunkte für einer Umschaltlogik vergleichbare unzulässige Abschalteinrichtungen vorlägen. Entsprechend den zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil hat zudem der im April 2016 – ein halbes Jahr vor der Erstzulassung des streitgegenständlichen Fahrzeugs – veröffentlichte Bericht der Untersuchungskommission „X“ das Modell T (..) 2.0 TDI EA288 berücksichtigt und in die Bewertungsgruppe I zugeordnet, also zu Fahrzeugen, die ein unauffälliges Verhalten zeigten oder bei denen die Hersteller gewisse Auffälligkeiten in der Höhe der NOx-Werte technisch plausibel und akzeptabel darstellten konnten. Allein der Umstand, dass sich bei den Messungen des KBA im Regelbetrieb teils Grenzwertüberschreitungen gezeigt haben, vermag für sich genommen nicht das Überschreiten der hohen Schwelle einer sittenwidrigen Schädigung zu begründen.
122Zwar ist für die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung nicht zwingend, dass es schon zu einer Rückrufaktion betreffend Fahrzeuge mit dem streitgegenständlich betroffenen Motor gekommen ist. Wegen eines konkreten Verdachts muss diese aber zumindest noch realistisch drohen. Wenn – wie vorliegend – schon vor der Herstellung und dem späteren Erwerb des Fahrzeugs im Hinblick auf öffentliche Prüfungen und Bekanntmachungen, in deren Zuge der Motorhersteller X AG kooperiert hat, praktisch sicher feststeht, dass mit einem Bescheid des KBA und einer Rückrufaktion betreffend das in Streit stehende Fahrzeug nicht zu rechnen ist, kann eine sittenwidrige Schädigung, die sich die Beklagte, die den Motor lediglich eingebaut und das Fahrzeug damit in Verkehr gebracht hat, ggf. zurechnen lassen müsste, nicht angenommen werden. Der Kauf ist vorliegend erst im August 2017 erfolgt. In der nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30.07.2020 (VI ZR 5/20, juris) für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit bei zeitlich gestreckten Vorgängen maßgeblichen Gesamtbetrachtung kann nach der Offenlegung gegenüber dem KBA und der Untersuchungskommission „X“ in 2015/2016 nicht mehr von einer Sittenwidrigkeit ausgegangen werden. Dem Kläger drohte und droht faktisch nie die Stilllegung seines Fahrzeugs oder die Notwendigkeit des Aufspielens eines in seinen technischen Auswirkungen für ihn nicht absehbaren Software-Updates, wie sich insbesondere bzgl. der Fahrkurven-erkennung nicht zuletzt an der von der Beklagten vorgelegten, vom Kläger nicht bestrittenen Antwort des KBA vom 13.11.2020 an das OLG Stuttgart bzgl. eines Pkw mit baugleichen Motor (T Avant 2.0 l TDI 140 kW) zeigt.
123Diese Beurteilung ändert sich auch nicht vor dem Hintergrund der auf Grundlage der Beschlüsse beim „Diesel-Gipfel“ zwischen der Bundesregierung und den Fahrzeugherstellern im Jahr 2017 vereinbarten freiwilligen Rückrufaktion, denn diese vermag ersichtlich nicht ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten zu begründen.
124- OBD-System:
125Schließlich ist auch der Vortrag zu einem vermeintlich unzulässigen OBD-System nicht geeignet, den Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung zu begründen, soweit die Manipulation des OBD-Systems nach Behauptung des Klägers dazu dienen soll, die unzulässige Abschalteinrichtung zu verdecken. Wenn aber bereits nicht festgestellt werden kann, dass eine solche in objektiv als sittenwidrig vorwerfbarer Art und Weise verbaut und in Verkehr gebracht worden ist, gilt dies auch für das OBD-System. Nach dem – wohl unstreitigen – Vortrag beider Parteien stellt das OBD-System selbst keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, sondern ist ein Fahrzeugdiagnosesystem, für das die obigen Feststellungen entsprechend gelten.
126(c) Objektive Zurechnung gem. § 31 BGB analog:
127Zudem scheitert der Anspruch des Klägers jedenfalls auch an der objektiven Zurechnung gem. § 31 BGB analog bei der Beklagten, weil der klägerische Vortrag hierzu unzureichend ist.
128Das Landgericht hat die Klageabweisung explizit und für sich genommen tragend darauf gestützt, dass der betroffene Motor nicht von der Beklagten hergestellt worden sei. Dessen Herstellung sei vielmehr unstreitig durch die X AG erfolgt. Eine etwaige Kenntnis des Vorstands der X AG von etwaigen unzulässigen Abschalteinrichtungen des Motors EA288 könne der Beklagten nicht zugerechnet werden.
129In welchem Umfang die Beklagte eine (sekundäre) Darlegungslast trifft, wenn sie in ein von ihr entwickeltes und hergestelltes Fahrzeug einen – im selben Konzern – von Vorstand und Mitarbeitern der X AG entwickelten und hergestellten, möglicherweise mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motor einbaut (streitig in der obergerichtlichen Rechtsprechung, bejahend OLG Hamm, Urteil vom 14.08.2020, I-45 U 22/19; verneinend OLG Stuttgart, Beschluss vom 29.05.2017, 5 U 46/17, juris, Rn. 30), lässt der Senat im Streitfall offen. Denn es fehlt in beiden Instanzen an hinreichendem konkreten Tatsachenvortrag des Klägers hierzu. In erster Instanz hat er selbst vorgetragen, dass die X AG für die Entwicklung des Motors verantwortlich sei. Im Berufungsverfahren hat er lediglich vorgebracht, dass das Landgericht die Darlegungs- und Beweislast falsch beurteilt habe, ohne konkret vorzutragen, aus welchen Tatsachen auf eine Wissenszurechnung der Kenntnisse der Motorentwickler und des Vorstandes der X AG zu Lasten der Beklagten zu schließen sei. Mangels solchen auch nur hinreichenden primären Vortrags kann eine etwaige sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu substantiiertem Vortrag zu ihrer Entlastung vorliegend nicht zum Tragen kommen.
130(2) subjektiver Tatbestand
131Selbst wenn aber entgegen der vorstehenden Beurteilung der objektive Tatbestand des Anspruchs aus den §§ 826, 31 BGB gegeben wäre, kann ein Schädigungsvorsatz der Beklagten nicht festgestellt werden. Der Senat hat im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür, dass der Einbau der temperaturabhängigen Motorsteuerung und der weiteren o.g. Systeme in den streitgegenständlichen Motor in dem Bewusstsein der hierfür Verantwortlichen der Beklagten geschehen ist, hiermit möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen und diesen Gesetzesverstoß billigend in Kauf zu nehmen. An Vortrag, inwiefern die verantwortlichen Organe der Beklagten Kenntnis hatten, fehlt es ebenso wie oben bzgl. der objektiven Zurechnung. Eine „automatische“ Zurechnung der etwaigen Kenntnis der Organe der X AG zu Lasten der Beklagten findet nicht statt.
132bb) Anspruch aus §§ 831 Abs. 1, 249 BGB
133Aus den gleichen objektiven Gründen wie bei § 826 BGB scheitert auch ein Anspruch aus § 831 Abs. 1 BGB.
134cc) Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Schutzgesetz
135Ansprüche aus den weiteren vom Kläger angeführten Anspruchsgrundlagen scheiden bereits aus Rechtsgründen aus, so dass es in diesem Zusammenhang nicht auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung ankommt:
136aaa) § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB, 31 BGB
137Eine Haftung scheidet mangels stoffgleichen Vermögensschadens aus, denn es besteht keine Stoffgleichheit einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers (Erhalt einer minderwertigen Ware) mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten (§ 31 BGB) für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, juris, Rn. 18 ff., 24).
138bbb) § 823 BGB Abs. 2 i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV
139Die genannten Vorschriften stellen bereits kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB dar, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der genannten Vorschriften liegt (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris, Rn. 72 ff., 76 und Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, juris, Rn. 11).
140ccc) § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 VO (EG) 715/2007
141Das gleiche gilt – höchstrichterlich geklärt – auch für diese Anspruchsgrundlage (BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, juris, Rn. 12).
142Da der Bundesgerichtshof es für die Klärung dieser Fragen nicht als erforderlich angesehen hat, diese zunächst gem. Art. 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen, hat auch der Senat keinen Anlass, diesem Antrag des Klägers nachzugehen.
143b) Hilfsantrag:
144Da der in der Hauptsache geltend gemachte Schadensersatzanspruch schon dem Grunde nach nicht besteht, kommt die innerprozessuale Bedingung für den Hilfsantrag nicht zum Tragen.
145c) Nebenansprüche:
146Mangels Hauptanspruchs bestehen auch die geltend gemachten Nebenansprüche (Zinsen, Feststellung des Annahmeverzugs, Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgung) nicht, ohne dass es auf die Frage der Nichtzustimmung der Beklagten zu der Teil-Klagerücknahme bzgl. der Deliktszinsen ankommt.
147III.
148Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
149Der Senat sieht keinen Anlass, die Revision gem. § 543 Abs. 1 u. 2 ZPO zuzulassen, nachdem die wesentlichen Grundsätze zur Haftung in Verfahren wie dem Vorliegenden durch die zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs höchstrichterlich geklärt sind.