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Von glasierten Dachziegeln kann eine für den Nachbarn unzumutbare Blendwirkung und damit eine Beeinträchtigung i.S. v. §§ 1004 Abs. 1 , 906 Abs. 1 BGB ausgehen.
Die Berufung der Beklagten gegen das am 18.09.2017 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Detmold wird zurückgewiesen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund der Urteile zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Im Übrigen dürfen die Beklagten die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,- € abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Gründe
2A.
3Die Kläger nehmen die Beklagten auf Beseitigung der Blendwirkung in Anspruch, die nach ihrer Darstellung von auf dem Dach des Hauses der Beklagten aufgebrachten glasierten Dachziegeln ausgeht.
4Die Parteien sind Nachbarn. Die Kläger sind Miteigentümer eines auf dem Grundstück G1 (Nweg xx) befindlichen Hauses.
5Die Beklagten sind Miteigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks G2 (Cgasse xx, M).
6Das Wohnzimmer der Kläger, die davor gelegene Terrasse, das Schlafzimmer im Obergeschoss nebst vorgelagertem Balkon und das im Dachgeschoss eingerichtete Büro / Fernsehzimmer sind nach Süden zum Grundstück der Beklagten hin ausgerichtet. Das Wohnhaus der Beklagten liegt etwa 18 Meter von der Terrasse der Kläger entfernt, die nördliche Dachfläche des Hauses ist der Terrasse der Kläger zugewandt.
7Im August / September 2016 ließen die Beklagten ihr Dach mit Dachpfannen der Firma D AG (Modell Futura, Oberfläche Finesse schwarz glasiert) neu eindecken. Die Kläger wiesen die Beklagten bereits während der Dacheindeckungsarbeiten auf eine aus ihrer Sicht bestehende erhebliche Blendwirkung durch die neuen Dachpfannen hin.
8Dass bei Sonneneinstrahlung eine Blendwirkung von den Ziegeln ausgeht, ist im Berufungsrechtszug unstreitig geworden. Streitig ist lediglich das Ausmaß der Blendwirkung.
9Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.09.2016 forderten die Kläger die Beklagten vergeblich auf, geeignete Maßnahmen zur Beseitigung der aus ihrer Sicht unzumutbaren Blendwirkung zu ergreifen. Ein im Anschluss durchgeführtes Schlichtungsverfahren blieb erfolglos.
10Mit ihrer Klage vom 12.04.2017 haben die Kläger behauptet, die auf dem Dach der Beklagten verwendeten Dachpfannen seien hochglanz-glasiert. Bei Sonneneinstrahlung werde das Sonnenlicht von den Pfannen derart reflektiert, dass es in den Monaten April bis Oktober zwischen 10.00 und 16.00 Uhr auf ihrem Grundstück zu einer unzumutbaren Blendwirkung komme. Die Blendwirkung mache zu den genannten Zeiten die Nutzung der Terrasse, des Gartens und der zum Haus der Beklagten hin ausgerichteten Räume nahezu unmöglich.
11Die Kläger haben beantragt,
12die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Blendwirkung, die von den hochglanz-glasierten Dachziegeln ausgeht, die auf der Nordseite der dem Grundstück der Kläger zugewandten Seite des Daches des im Eigentum der Beklagten stehenden Hauses auf dem Grundstück G2 (Anschrift Cgasse xx, M) verlegt sind, durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen.
13Die Beklagten haben beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie haben behauptet, es handele sich bei den neuen Dachpfannen um handelsübliche glasierte Ziegel von geringem Glanzgrad. Eine Blendwirkung trete auf der Terrasse des klägerischen Hauses und in den Räumen der Kläger in allenfalls unerheblichem Umfang auf und müsse klägerseits geduldet werden. Die Verwendung der Pfannen sei als ortsübliche Nutzung anzusehen. In Neubaugebieten seien glasierte Ziegel heute die Regel, so auch in den nahe gelegenen Neubaugebieten Lweg und Hweg.
16Eine etwaige Blendwirkung sei nur durch eine Neueindeckung ihres Dachs zu beseitigen, was ihnen angesichts der erheblichen Kosten nicht zumutbar sei. Die Neueindeckung mit matten Ziegeln werde die Lage für die Kläger auch nicht verbessern, da auch von matten Ziegeln eine vergleichbare Blendwirkung ausgehe.
17Das Landgericht hat die Parteien angehört und Beweis erhoben durch Augenscheinseinnahme der örtlichen Gegebenheiten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll des Ortstermins vom 14.08.2017 (BI. 48 d. A.) Bezug genommen.
18Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, die von den glasierten Dachziegeln ausgehende unzumutbare Sonnenblendwirkung durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen, soweit das Haus der Kläger betroffen ist. Den Klägern stehe gegen die Beklagten ein Anspruch auf Beseitigung der unzumutbaren Blendwirkung aus §§ 1004, 906 BGB zu. Die Blendwirkung stelle eine Beeinträchtigung des Eigentums der Kläger im Sinne des § 1004 BGB dar. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass das Sonnenlicht bei Sonneneinstrahlung in der Mittagszeit von den glasierten Ziegeln reflektiert und aufgrund der Gebäudelage in Richtung des Hauses, der Terrasse und der Fenster der Kläger gelenkt werde. Insoweit liege eine wesentliche Beeinträchtigung des klägerischen Eigentums vor, die nicht auf einer ortsüblichen Benutzung des Grundstücks der Beklagten beruhe.
19Gegen die Entscheidung wenden sich die Beklagten mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Sie rügen, dass das Landgericht ihren Vortrag und ihre Beweisangebote auf Einholung eines Sachverständigengutachtens übergangen habe. Das Landgericht hätte über ihre Behauptung, dass allenfalls eine unerhebliche Beeinträchtigung vorliege, Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erheben müssen. Zudem hätte das Landgericht der Behauptung nachgehen müssen, dass die im Ortstermin festgestellte Blendwirkung gleichermaßen bei Verwendung handelsüblicher matter Dachziegel auftreten würde. Auch habe das Landgericht verkannt, dass die Verwendung glasierter Dachziegel inzwischen ortsüblich sei. Eine Beseitigung sei zudem mit erheblichem Aufwand verbunden, nämlich mit einer neuen Eindeckung des Dachs. Dies sei in Anbetracht der in Rede stehenden Beeinträchtigung unverhältnismäßig und ihnen deswegen nicht zumutbar. Im Übrigen stünden den Kläger zumutbare Maßnahmen des Selbstschutzes zur Verfügung: Im Wohnzimmer könnten Jalousien angebracht werden. In der Mittagshitze müsse und solle man sich nicht draußen aufhalten. In dem Schlafzimmer halte man sich gerade mittags für gewöhnlich auch nicht auf. Im Übrigen gebe es Gardinen, die zugezogen werden könnten. Das im Dachgeschoss eingerichtete Büro / Fernsehzimmer verfüge lediglich über ein Dachfenster, an das man während der Blendzeiten nicht herantreten und hinausschauen müsse. Im Übrigen gebe es in der streitgegenständlichen Region zu wenig Sonnentage, als dass Blendungen erheblich sein könnten. Die zeitlichen Grenzen, die in dem auf Photovoltaikanlagen zugeschnittenen Anhang 2 zu den Hinweisen der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) zur Messung, Beurteilung und Minderung von Lichtimmissionen vom 12./13.09.2012 (nachfolgend: „Lichtrichtlinie“) angegeben seien, wonach die Blendwirkung mindestens 30 Minuten am Tag oder 30 Stunden im Jahr andauern müsse, sei hier nicht überschritten.
20Die Beklagten beantragen,
21unter Abänderung des am 18.09.2017 verkündeten Urteils des Landgerichts Detmold die Klage abzuweisen.
22Die Kläger beantragen,
23die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
24Sie verteidigen das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen.
25Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Bzgl. des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr.-Ing. L vom 02.07.2019 und den Inhalt des Berichterstattervermerks über die mündliche Anhörung des Sachverständigen in der Verhandlung vom 04.05.2020 (Bl. 176 ff. d. A.) Bezug genommen.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
27B.
28I.
29Die zulässige Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig und begründet.
301.
31Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Klageantrag hinreichend bestimmt(§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
32Bei der Abwehr von Immissionen reicht es aus, wenn der Klageantrag – wie hier – die zu beseitigende oder zu unterlassende Störung bezeichnet. Aus der Natur des Anspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB i. V. m. § 906 BGB folgt, dass es dem Störer überlassen ist, wie er die Störung beseitigen will. Ein Anspruch auf die Vornahme einer bestimmten Maßnahme steht dem Anspruchsteller idR nicht zu. Daher erfordert § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nur die bestimmte Bezeichnung der Beeinträchtigung (vgl. BGH, Urteil vom 26.11.2004 – V ZR 83/04, juris Rn. 14).
33Bedenken gegen die vom Landgericht vorgenommene Konkretisierung des Antrags darauf, dass die „unzumutbare“ Sonnenblendwirkung zu beseitigen ist, bestehen nicht. Sie entspricht der Regelung des § 906 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.07.2017 – I-9 U 35/17, juris Rn. 12; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2013 – 9 U 184/11, juris Rn. 14). Dass lediglich die nicht zumutbare Beeinträchtigung beseitigt werden soll, ergibt sich im Ausgangspunkt auch aus dem klägerseitigen Vortrag.
342.
35Die Klage ist auch begründet.
36Die Kläger haben gemäß §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 906 BGB gegen die Beklagten einen Anspruch auf Beseitigung der von den Dachziegeln ausgehenden Blendwirkung auf ihr Grundstück.
37a)
38Die vom Dach der Beklagten ausgehende Blendwirkung stellt eine durch sie als Störer verursachte Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Die Dachziegel führen dem Grundstück der Kläger unwägbare Stoffe im Sinne des § 906 Abs. 1 BGB in Gestalt von Reflexionen des Sonnenlichts zu.
39Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Natureinwirkung.
40Zwar ist das Sonnenlicht für die Blendwirkung durch Lichtreflexion (mit-)ursächlich. Ohne die auf dem Dach der Beklagten neu installierten Dachziegel würde das Sonnenlicht aber nicht zum Grundstück der Kläger umgelenkt; die von den Klägern beanstandete Beeinträchtigung gäbe es dann in der monierten Form nicht (vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom 09.07.2019 – 24 U 27/18, BeckRS 2019, 15556 Rn. 8; OLG Naumburg, Urteil vom 26.06.2018 – 12 U 92/17, juris Rn. 25; OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.07.2017 – I-9 U 35/17, juris Rn. 15; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2013 – 9 U 184/11, juris Rn. 19; OLG Stuttgart, Urteil vom 09.02.2009 – 10 U 146/08, juris Rn. 28).
41b)
42Eine Duldungspflicht der Kläger gem. §§ 1004 Abs. 2, 906 Abs. 1 Satz 1 BGB besteht nicht.
43Gem. § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB kann eine Einwirkung insoweit nicht verboten werden, als sie die Benutzung des Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt.
44Nach dem Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats aber fest, dass die vom Dach der Beklagten ausgehenden Lichtreflexionen wesentliche Beeinträchtigungen darstellen.
45aa)
46Maßgeblich für die Bewertung, ob eine Beeinträchtigung als wesentlich anzusehen ist, ist das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen bezogen auf die konkreten Umstände des Einzelfalles - hier: die Dauer der Blendwirkung, die Intensität der Lichtreflexionen und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Nutzung des betroffenen Grundstücks (OLG Hamm, Urteil vom 09.07.2019 – 24 U 27/18, BeckRS 2019, 15556 Rn. 11; OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.07.2017 – I-9 U 35/17, juris Rn. 17).
47bb)
48Die vorgenannten Anknüpfungstatsachen sind auf Veranlassung des Senats im Rahmen einer ergänzenden Beweisaufnahme durch den Sachverständigen Dr. Ing. L überprüft worden. Wie der Sachverständige mit überzeugender Begründung ausgeführt hat, haben seine Prüfungen zum Ergebnis, dass aus der maßgeblichen Sicht des verständigen Durchschnittsmenschen eine erhebliche Blendwirkung von den Dachpfannen auf dem Haus der Beklagten ausgeht.
49(1)
50Der Sachverständige Dr. Ing. L hat im Ausgangspunkt erläutert, dass für die Blendwirkung, die durch eine Lichtquelle hervorgerufen wird, deren Helligkeit entscheidend ist. Diese werde - so der Sachverständige - durch die physikalische Größe der Leuchtdichte dargestellt, die in Candela pro Quadratmeter (cd/m²) gemessen werde. Überschreite die Leuchtdichte einen bestimmten Bereich (ca. 10.000 bis 160.000 cd/m²), könne beim Betrachter eine sog. „Absolutblendung“ auftreten: Das Sehvermögen sei nicht mehr vorhanden und das Auge reagiere mit Abwehrmaßnahmen wie Tränenfluss oder Blinzeln. Bei längerer Betrachtung könnten Schäden an der Netzhaut und am Glaskörper des Auges auftreten.
51In der Regel – so der Sachverständige – trete ab einer Leuchtdichte von 100.000 cd/m² eine Absolutblendung auf. Zu diesem Schluss gelangt der Sachverständige unter Bezugnahme auf den vom 13.11.2015 stammenden, Empfehlungen zur Ermittlung, Beurteilung und Minderung der Blendwirkung von großflächigen Freiflächen-Photovoltaikanlagen im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren zum Inhalt habenden Anhang 2 zu der LAI – Lichtrichtlinie (dort: Ziffer 4). Auf diese Empfehlungen könne nach Darstellung des Sachverständigen in Bezug auf die von glasierten Dachziegeln ausgehende Blendwirkung zurückgegriffen werden, weil bei den Dachziegeln ebenso wie bei den Photovoltaikanlagen eine glasierte Oberfläche verwendet werde, die das Sonnenlicht gerichtet reflektiert.
52(2)
53Nach den Ermittlungen des Sachverständigen wird der vorstehend genannte Grenzwert auf dem Grundstück der Kläger bei Sonneneinstrahlung im Frühling, Hochsommer und Spätsommer deutlich überschritten.
54Bei von dem Sachverständigen vorgenommenen Messungen auf dem Grundstück der Kläger konnten am 18.09.2018 in der Zeit von 11:30 Uhr bis 15:00 Uhr im Erdgeschoss (Garten, Terrasse, Wohnzimmer) Messwerte zwischen 280.000 cd /m² und 2.229.000 cd/m² sowie am 17.06.2019 in der Zeit zwischen 12:00 Uhr und 14:45 Uhr im Obergeschoss und im Dachgeschoss zwischen 168.000 cd/m² und 797.000 cd/m² ermittelt werden.
55Diese den Grenzwert von 100.000 cd/m² sämtlich übersteigenden Messergebnisse sind – so der Sachverständige im Senatstermin vom 04.05.2020 – Stellvertreterwerte. Die Ergebnisse vom 18.09.2018 stehen danach für den Spätsommer und den Frühling; das Ergebnis vom 17.06.2019 für den Hochsommer. Das hat der Sachverständige schlüssig damit begründet, dass sich die Sonnenstände aus dem Frühjahr, die vor der Sommersonnenwende liegen, nach der Sommersonnenwende wiederholen (Seite 6 des Gutachtens).
56Das klägerische Grundstück ist damit jedenfalls in sechs Monaten des Jahres bei Sonnenschein vom Dach der Beklagten ausgehenden Reflexionen ausgesetzt, die zu einer Absolutblendung führen. Dass dabei die dem Anhang 2 der Lichtrichtlinie zu entnehmenden zeitlichen Orientierungswerte, bei denen von einer erheblichen Beeinträchtigung ausgegangen werden kann (30 Minuten täglich oder 30 Stunden kalenderjährlich) auf dem klägerischen Grundstück ohne weiteres erreicht werden, ergibt sich im Hinblick auf die tägliche Belastung schon aus dem schriftlichen Gutachten und ist von dem Sachverständigen auch im Übrigen im Senatstermin bekräftigt worden.
57(3)
58Die Reflexionen schränken die Nutzbarkeit des klägerischen Grundstücks massiv ein, ohne dass das durch zumutbare Selbstschutzmaßnahmen von den Klägern verhindert werden könnte.
59(a)
60Unter Berücksichtigung der Messergebnisse sind im Spätsommer und Frühling bei Sonnenschein in der Zeit von 11:30 Uhr bis 15:00 Uhr Leuchtdichten von bis zu 2.229.000 cd/m² zu erwarten. Bei diesen Werten können beim Betrachter ohne weiteres Gesundheitsschäden eintreten (Seite 8 des Gutachtens). Das müssen die Kläger nicht hinnehmen. Dass sie der Gesundheitsgefährdung auch nicht vorbeugen müssen, indem sie den gartenseitigen Außenbereich ihres Hauses im Frühling und Spätsommer in der Zeit zwischen 11.30 – 15.00 Uhr meiden, liegt auf der Hand. Eine Markise haben die Kläger zum Schutz vor der Sonneneinstrahlung bereits angebracht; auch diese verhindert aber die schädliche Blendwirkung – wie das Foto 1 auf Seite 9 des schriftlichen Sachverständigengutachtens anschaulich zeigt – nicht. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, versagen Schutzmechanismen wie Sonnenschirm oder Markise vor Ort, weil die Blendungen von dem Dach der Beklagten „aus sehr niedrigen Winkeln kommen“ (Seite 13 des Gutachtens).
61Das vorgenannte Foto, mit dem der Blick vom Wohnzimmer der Kläger in den Gartenbereich eingefangen wird, verdeutlicht zudem, dass die Problematik nicht auf den Außenbereich begrenzt ist. Vielmehr sind die Reflexionen ausweislich des Gutachtens „auch in größeren Raumtiefen feststellbar“ (Seite 8 des Gutachtens) und betreffen folglich auch das Wohnzimmer. Ein Herablassen von Jalousien und damit ein „Wohnen im Dunkeln“ kann von den Klägern entgegen der Einschätzung der Beklagten wegen des damit verbundenen Verlusts an Lebensqualität nicht erwartet werden.
62(b)
63Im Ober- und Dachgeschoss sind nach den Feststellungen des Sachverständigen im Hochsommer in der Zeit von 12.00 Uhr bis 14:15 (OG) beziehungsweise 14:45 Uhr (DG) erhebliche Überschreitungen des Grenzwertes von 100.000 cd/m² zu verzeichnen. Das Schlafzimmer kann damit nur bei einer ausreichenden Verdunkelung gefahrlos genutzt werden. Diese mag zwar angemessen sein, wenn tatsächlich geschlafen werden soll. Es sind aber auch weitere Nutzungsmöglichkeiten naheliegend, die nicht mit einem Ausschluss von Tageslicht verbunden sind, wie eine Nutzung als Lese- oder Rückzugsraum. Ein Verzicht auf Tageslicht zu Gunsten von Kunstlicht ist auch aus finanziellen und ökologischen Gründen nicht zumutbar. Im Übrigen sind die Reflexionen analog dem Erdgeschoss auch im Obergeschoss in größeren Raumtiefen feststellbar (Seite 8 des Gutachtens), was das Bild 2 auf Seite 9 des Gutachtens veranschaulicht. Damit ist etwa auch der Weg vom Flur zum Schlafzimmerfenster betroffen. Um Gefahren auszuschließen, müsste eine Verdunkelung des Schlafzimmers letztlich vor Beginn der Absolutblendungsphase erfolgen. Dazu bedarf es vorausschauender Planung, was einer spontanen Nutzung des Zimmers entgegensteht. Das vorgenannte Bild 2 veranschaulicht zudem, dass der Lichteinfall auch für die Ausleuchtung des Treppenhauses von Relevanz ist. Aufgrund der Tiefenwirkung der Blendung und den damit verbundenen Gefahren („Orientierungslosigkeit“) sind auch hier Nutzungseinschränkungen die Folge. Dem Schlafzimmer ist zudem ein Balkon vorgelagert, der ebenfalls von den Reflexionen betroffen ist.
64Unter Berücksichtigung dieser massiven Beeinträchtigungen im Erd- und Obergeschoss kommt es auf die Verhältnisse im Dachgeschoss letztlich nicht mehr entscheidend an.
65cc)
66Entgegen der Einschätzung der Beklagten reicht das Ergebnis der bisherigen Beweisaufnahme als Grundlage für die maßgeblichen Feststellungen aus; die Durchführung eines (weiteren) Ortstermins ist nicht geboten.
67Wenn – wie im Streitfall – erstinstanzlich ein Ortstermin abgehalten wurde, sind im Berufungsverfahren grundsätzlich die hierbei getroffenen und im Protokoll oder im erstinstanzlichen Urteil enthaltenen Feststellungen zu Grunde zu legen. Eine Wiederholung des Augenscheins durch das Berufungsgericht ist nur dann veranlasst, wenn die erstinstanzlichen Feststellungen lückenhaft oder widersprüchlich sind oder wenn schlüssig – etwa durch Vorlage von Lichtbildern – andere tatsächliche Verhältnisse dargelegt werden (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 25.07.2014 – 12 U 162/13, NJW-RR 2015, 148, 149 Rn. 24; Heßler, in: Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 529 ZPO Rn. 5). Das ist vorliegend weder ersichtlich, noch von den Beklagten mit Substanz dargetan worden.
68Der Hinweis auf die Entscheidung des 24. Senats des OLG Hamm (24 U 27/18, Urteil vom 09.07.2019) hilft den Beklagten in dem Zusammenhang nicht weiter. In jenem Verfahren waren lediglich Blendwirkungen festzustellen, die unterhalb des Richtwerts von 100.000 cd/m² lagen und sich (deshalb) im Grenzbereich zwischen relativer und absoluter Blendwirkung bewegten. Folgerichtig hat der 24. Senat in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 08.05.1992 in NJW 1992,2019) die Notwendigkeit eines Ortstermins bejaht.
69Eine vergleichbare Konstellation ist im Streitfall nicht gegeben. Vorliegend bewegen sich die Messwerte nicht im Grenzbereich, sondern sie liegen zu den genannten Zeiten deutlich oberhalb des Richtwertes von 100.000 cd/m². Bei Überschreiten dieser Grenze erachtet auch der 24. Senat eine Erheblichkeit „in der Regel“ für gegeben.
70c)
71Die Blendwirkung ist nicht wegen ortsüblicher Benutzung des Grundstücks der Beklagten zu dulden (§§ 1004 Abs. 2, 906 Abs. 2 Satz 1 BGB).
72Die Ortsüblichkeit bestimmt sich nicht nach der abstrakten Art der Nutzung des emittierenden Grundstücks, sondern nach der konkreten Art der davon ausgehenden Beeinträchtigungen der Nachbarschaft. Entscheidend ist, ob eine Mehrheit von Grundstücken in der Umgebung mit einer nach Art und Maß etwa gleichen Wirkung benutzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 23.03.1990 – V ZR 58/89, BGHZ 111, 63, 72 Rn. 19). Dabei kommt es nicht darauf an, ob glasierte Dachziegel als solche, sondern ob von diesen ausgehende vergleichbare Blendwirkungen im betreffenden Wohngebiet ortsüblich sind (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.07.2017 – I-9 U 35/17, juris Rn. 24).
73Entsprechendes ist dem Vortrag der als Störer insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht zu entnehmen. Es mag zwar sein, dass in angrenzenden Neubaugebieten glasierte Dachziegel verwendet werden. Dass davon vergleichbare Blendwirkungen ausgehen, behaupten die Beklagten indes nicht.
743.
75Eine Unmöglichkeit gem. § 275 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Die unzumutbare Blendwirkung kann, was der Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat, jedenfalls durch die Verwendung von nicht glasierten Ton- oder Betonziegeln vermieden werden (Seite 13 des Gutachtens). Die Annahme der Beklagten, bei nicht glasierten Ziegeln trete eine vergleichbare Blendwirkung auf, hat der Sachverständige als aus fachlicher Sicht unzutreffend bewertet. Er hat in der Verhandlung vom 04.05.2020 ergänzend erläutert, dass die von nicht glasierten Betonziegeln ausgehende Blendwirkung lediglich Leuchtdichtewerte zwischen 2.000 und 5.000 cd/m² erreiche.
764.
77Den Beklagten steht auch kein Leistungsverweigerungsrecht gem. § 275 Abs. 2 BGB zu. Der Sachverständige hat den finanziellen Aufwand für den Austausch der Dachziegel nachvollziehbar mit ca. 20.000 € bis 30.000 € kalkuliert. Diese Kosten stehen nicht in einem groben Missverhältnis zu dem klägerseitigen Leistungsinteresse. Denn das Leistungsinteresse ist für die Kläger von überragender Bedeutung, wenn berücksichtigt wird, dass die Kläger ihr Grundstück derzeit bei Sonnenlicht vom Früh- bis zum Spätsommer nur eingeschränkt nutzen können und dauerhaft einer Gefährdung ihrer Gesundheit ausgesetzt sind.
78II.
79Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
80Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
81Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.
82III.
83Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 30.000,- € festgesetzt.