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Ein Vertrag über die Organisation und Abwicklung von Opernaufführungen kann ein Dienstleistungsvertrag im Sinne von Art. 5 Nr. 1 b LugÜ sein. Sollen die Opernaufführungen an unterschiedlichen Orten stattfinden, kann der nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmende Erfüllungsort einer Hauptleistung nicht feststellbar sein. Abzustellen ist dann auf den Sitz oder Wohnsitz des die Leistung erbringenden Auftragnehmers. Liegt dieser in Deutschland, kann dann auch ein in der Schweiz wohnhafter Auftraggeber in Deutschland verklagt werden.
Zuständig ist das Landgericht Essen.
Gründe:
2I.
3Der Kläger nimmt den Beklagten auf Aufwendungsersatz und Vergütung von Planungsleistungen in Anspruch.
41.
5Der Beklagte war Opern- und Generalmusikdirektor des Theaters M. Nach dem für das vorliegende Gerichtsstandbestimmungsverfahren maßgeblichen Vorbringen in der Klageschrift beauftragte er den Kläger, der dort als technischer Direktor angestellt war und zudem seinerzeit ein Planungsbüro in E betrieb und noch betreibt, mit der technischen Abwicklung einer Produktion der Oper „Aida“ von Giuseppe Verdi. Die Premiere fand am 13.09.2014 im Gerry Weber-Stadion in Halle (Westfalen) statt. Geplant waren zudem Aufführungen an elf weiteren Standorten in Deutschland und Österreich. Der Kläger sollte u.a. die Bühnen einrichten, das Bühnenbild beschaffen, den Zuschauerraum ausstatten und bestuhlen, die sicherheitstechnische Planung übernehmen (u.a. Feuerschutz und Fluchtwege), die Kostüme der Darsteller beschaffen und die Transporte zu den insgesamt zwölf Veranstaltungsorten organisieren.
6Die Erstaufführung in Halle (Westfalen) hatte mit nur 2.000 zahlenden Zuschauern nicht den von den Parteien erhofften Erfolg. Die weiteren Termine wurden daraufhin vom Beklagten abgesagt. Das Projekt war damit beendet.
7Mit Zwischenrechnung vom 09.10.2014 stellte der Kläger dem Beklagten über eine von diesem benannte Firma „Q“ mit Sitz in N (Schweiz) 22.707,- € in Rechnung. Darauf erhielt der Kläger eine Abschlagszahlung in Höhe von 10.000,- €. Mit E-Mail vom 20.10.2014 teilte der Beklagte dann allerdings mit, er habe als künstlerischer Direktor der vorgenannten Firma gehandelt, die mittlerweile zahlungsunfähig sei. Weitere Zahlungen leistete er daraufhin nicht mehr.
82.
9Mit seiner am 24.07.2015 beim Landgericht Essen eingegangenen Klage nimmt der Kläger den Beklagten auf Aufwendungsersatz in Höhe 33.228,84 € und Vergütung in Höhe eines Tagessatzes von 450,- € für insgesamt 58,5 Tage in Anspruch, die er im Zeitraum von Oktober 2013 bis September 2014 für den Beklagten tätig gewesen sei, abgerundet einen Betrag von 26.300,- €. Abzüglich der geleisteten Zahlung von 10.000,- € verlangt der Kläger daher insgesamt 49.528,84 € nebst Zinsen von dem Beklagten. Wegen der örtlichen Zuständigkeit hat sich der Kläger in der Klageschrift auf den Gerichtsstand des Erfüllungsorts gem. § 29 Abs. 1 ZPO berufen, da er die Arbeiten absprachegemäß von seinem in E ansässigen Planungsbüro aus erbracht habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageschrift vom 20.07.2015 verwiesen (Bl. 1 ff. d.A.).
10Das Landgericht Essen hat zweimal versucht, dem Beklagten die Klageschrift an seinem Wohnsitz in der Schweiz zuzustellen, der beide Versuche durch seine Prozessbevollmächtigten als nicht prozessordnungswidrig zurückgewiesen hat. Wegen der Einzelheiten wird auf seine Schriftsätze vom 06.04.2016 und 13.10.2017 (Bl. 83 ff., 141 ff. d.A.).
11Mit Verfügung vom 27.04.2018 hat das Landgericht Essen den Kläger darauf hingewiesen, dass Bedenken an seiner internationalen Zuständigkeit bestünden (Bl. 155 f. d.A.). Eine Zuständigkeit des Landgerichts Essen komme nur nach Art. 5 Nr. 1 Buchstabe a) des Lugano-Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30.10.2007 (LugÜ) in Betracht. Nach dieser Bestimmung könne bei Ansprüchen aus einem Vertrag Klage vor dem Gericht des Ortes erhoben werden, wo eine Verpflichtung erfüllt werden müsse. Für die Bestimmung dieses Orts sei nach der Rechtsprechung des EuGH das internationale Privatrecht des Staates maßgeblich, dessen Gericht angerufen worden sei, also nunmehr Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b) Rom I-VO, wonach Dienstleistungsverträge dem Recht des Staates unterliegen, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe. Daher komme deutsches Recht zur Anwendung und sei entscheidend, wo sich der Leistungsort im Sinne von §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 1, Abs. 4 BGB befinde, also der Beklagte im Zeitpunkt des Vertragsschlusses seinen Wohnsitz unterhalten habe. Dazu fehle bislang Vortrag des Klägers. Die von ihm mit der Klageschrift vorgelegten Dokumente sprächen dafür, dass der Beklagte bereits damals bei einer Firma in der Schweiz tätig gewesen sei. Sollte dies zutreffen, dürfte das Landgericht Essen international nicht zuständig sein.
12Zu diesem Hinweis hat der Kläger mit Schriftsatz vom 08.11.2018 Stellung genommen und unter Bezugnahme auf die Klageschrift darauf hingewiesen, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses als Opern- und Generalmusikdirektor bei der Theater M gGmbH angestellt gewesen sei. Bis zum Ende seines Engagements im Sommer 2014 sei er in M wohnhaft gewesen (Bl. 164 d.A.).
13Mit Verfügung vom 28.01.2019 hat das Landgericht Essen sodann ergänzend darauf hingewiesen, dass die Frage des Erfüllungsorts nach deutschem Recht zu beurteilen sei und allein wegen des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in Deutschland begründeten Wohnsitzes des Beklagten noch nicht von einem gemeinsamen Leistungsort im Sinne von §§ 269 Abs. 1, 270 Abs. 1, Abs. 4 BGB auszugehen sei. Da die Oper nach der ursprünglichen Planung des Beklagten an zwölf Standorten stattfinden sollte, könne ein örtlicher Schwerpunkt am Ort der Erstaufführung in Halle (Westfalen) nicht ausgemacht werden. Auch der Sitz des Planungsbüros des Klägers in E komme als gemeinsamer Leistungsort nicht in Betracht, da der Schwerpunkt der Tätigkeit offensichtlich in der Durchführung der Produktionen am jeweiligen Aufführungsort gelegen habe. Daher habe es bei der Trennung der Leistungsorte zu verbleiben mit der Folge, dass der Beklagte seine Leistungspflicht – die Bezahlung des Klägers – an seinem damaligen Wohnort in M zu erbringen habe. Örtlich zuständig sei daher das Landgericht Lübeck (Bl. 169 f. d.A.).
14Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 26.02.2019 die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Lübeck beantragt (Bl. 174 d.A.).
153.
16Das Landgericht Essen hat zwischenzeitlich eine Auskunft aus dem Melderegister eingeholt, wonach der Beklagte vom 15.05.2006 bis zum 01.07.2012 in M wohnhaft war (Bl. 181 d.A.).
17Sodann hat es mit Verfügung vom 03.04.2019 zunächst darauf hingewiesen, dass eine Verweisung an das Landgericht Lübeck nicht in Betracht komme, da der Beklagte zum maßgeblichen Zeitpunkt, als die ersten Vertragsgespräche stattgefunden hätten, bereits in die Schweiz verzogen sei (Bl. 185 f. d.A.).
18Dazu hat der Kläger mit Schriftsatz vom 04.06.2019 ergänzend vorgetragen, der Beklagte sei bis Sommer 2014 in wesentliche Projekte der Theater M gGmbH als Opern-, Generalmusikdirektor und musikalischer Leiter eingebunden gewesen. Während dieser Zeit habe er sich weiterhin ganztätig in M aufgehalten. Daraus ergebe sich jedenfalls der Gerichtsstand des Aufenthaltsorts gemäß § 20 ZPO (Bl. 191 f. d.A.).
19Der Beklagte hat dem mit Schriftsatz vom 03.07.2019 entgegengehalten, er habe bereits während dieser Zeit und bis heute mit seiner Ehefrau und zwei minderjährigen Kindern seinen einzigen Wohnsitz in der Schweiz unterhalten. Als weltweit gefragter Künstler sei er zu zahlreichen, unterschiedlichen Projekten gependelt. Es sei nicht auszuschließen, dass er dabei auch einmal am Theater M mit dem Kläger zusammengetroffen sei. Dabei habe es sich jeweils um projektbedingte, ab und an stattfindende Aufenthalte innerhalb eine Zeitraums einiger Wochen gehandelt, die in keinem Zusammenhang mit dem vom Kläger behaupteten Auftrag gestanden hätten. Ob sich daraus ein vorübergehender Aufenthaltsort i.S.v. § 20 ZPO ergebe, sei für die Frage der örtlichen und internationalen Zuständigkeit nicht von Belang; für diese komme es allein auf die Frage des Wohnsitzes an (Bl. 193 ff. d.A.).
204.
21Mit Beschluss vom 04.09.2019 hat sich das Landgericht Essen nunmehr für örtlich unzuständig erklärt und hat den Rechtsstreit an das Landgericht Lübeck verwiesen (Bl. 202 ff. d.A.).
22Nach dem Klägervortrag sei der Beklagte bis zum 31.07.2013 bei der Theater M gGmbH beschäftigt gewesen. Der Kläger habe daher davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte seine Zahlungsverpflichtungen von seinem beruflichen Aufenthaltsort in M aus erfüllen würde. Denn aufgrund der Entfernung von M in das Tessin sei der Beklagte nicht in der Lage gewesen, täglich an seinen Wohnort zurückzukehren. Er müsse daher in diesem Zeitraum noch über eine Übernachtungsmöglichkeit in M verfügt haben. Ob es sich dabei um einen Zweitwohnsitz oder nur einen Aufenthaltsort zur Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit gehandelt habe, sei unerheblich. Das Landgericht Lübeck sei auch international zuständig. Dies ergebe sich aus Art. 5 Nr. 1 Buchstabe a) LugÜ in Verbindung mit Art. 4 Abs. 1 Buchstabe b) Rom I-VO, da der Kläger hier seinen gewöhnlichen Aufenthalt habe und sich nach deutschen Recht der Erfüllungsort in M befinde.
235.
24Nachdem die Akte bei ihm eingegangen ist, hat sich das Landgericht Lübeck mit Beschluss vom 23.01.2020 seinerseits für örtlich unzuständig erklärt und die Akte dem Oberlandesgericht Hamm zur Gerichtsstandbestimmung vorgelegt (Bl. 233 ff. d.A.).
25Eine Zuständigkeit des Landgerichts Lübeck ergebe sich nicht aus § 29 Abs. 1 ZPO, da der Beklagte die streitige „Zahlungsschuld“ an seinem damaligen Wohnsitz in der Schweiz habe erfüllen müssen. Dass er zum Zeitpunkt der Vertragsschlusses noch einen Zweiwohnsitz in M unterhalten habe, habe das Landgericht Essen nicht festgestellt, sondern offengelassen, ob es sich dabei lediglich um einen tatsächlichen Aufenthaltsort gehandelt habe.
26Auch sei der Verweisungsbeschluss vom 04.09.2019 nicht bindend im Sinne von § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Dies ergebe sich schon daraus, da er nicht vom gesetzlichen Richter erlassen worden sei, da originär der Einzelrichter gemäß § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO zuständig gewesen sei. Zudem bestehe die Bindungswirkung deshalb nicht, weil das Landgericht Essen die zur Ermittlung des Erfüllungsorts im Sinne von § 29 Abs. 1 ZPO erforderliche Aufklärungsarbeit unterlassen und dadurch zu einer mit dem Willkürverbot nicht zu vereinbarenden Annahme der Zuständigkeit des Landgerichts Lübeck gekommen sei. Das Landgericht habe dabei gegen den allgemein anerkannten Grundsatz verstoßen, dass auf den Aufenthaltsort des Schuldners nur abgestellt werden dürfe, wenn kein Wohnsitz vorhanden sei. Bei der Annahme, der Beklagte müsse sich auch nach seinem Umzug in die Schweiz (weiterhin) in M aufgehalten, handle es sich zudem um eine Mutmaßung, die nicht durch Tatsachen gestützt sei. Es könne genauso gut zugetroffen haben, dass der Beklagte im maßgeblichen Zeitpunkt täglich von Hamburg, Kiel oder Mecklenburg-Vorpommern nach M angereist sei.
276.
28Nach Eingang der Akten beim Oberlandesgericht Hamm hat der Senat die Parteien mit Verfügung vom 07.02.2020 erneut zur internationalen und örtlichen Zuständigkeit angehört sowie zur Frage der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Essen vom 04.09.2018 gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO (Bl. 240 d.A.).
29Der Kläger hat den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Essen verteidigt. Wegen der Einzelheiten wird auf seinen Schriftsatz vom 27.02.2020 Bezug genommen (Bl. 241 ff. d.A.).
30Der Beklagte hat sich ebenfalls im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren geäußert und seine Auffassung bekräftigt, dass die die Voraussetzungen für eine Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Lübeck nicht vorgelegen hätten und der Verweisungsbeschluss nicht bindend sei. Insoweit wird auf den Schriftsatz vom 06.03.2020 verwiesen (Bl. 262 f. d.A.).
31II.
32Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Nach dieser Vorschrift wird das zuständige Gericht durch das zunächst höhere bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.
331.
34Die Landgerichte Essen und Lübeck haben sich mit den vorgenannten Beschlüssen vom 04.09.2019 und 23.01.2020 jeweils rechtskräftig im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt, da die Beschlüsse den Parteien gegenüber jeweils übermittelt und bekanntgegeben worden sind. Dadurch haben sie jeweils hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, dass sie sich für unzuständig halten und daher nicht gewillt sind, sich der Sache inhaltlich anzunehmen.
352.
36Das Oberlandesgericht Hamm ist nach § 36 Abs. 2 ZPO für die vorliegende Entscheidung zuständig, da die Landgerichte Essen und Lübeck zu verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken gehören und daher der Bundesgerichtshof das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht ist. Der Senat ist folglich zur Entscheidung berufen, da die Klage vor dem Landgericht Essen erhoben worden ist und dieses zum Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm gehörende Gericht daher zuerst mit der Sache befasst war.
373.
38International und örtlich zuständig ist das Landgericht Essen. Die internationale und auch die örtliche Zuständigkeit folgen aus Art. 5 Nr. 1 Buchstabe a) und b) LugÜ.
39Gem. Art. 5 Nr. 1 Buchstabe a) LugÜ kann eine Person mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn Ansprüche aus einem Vertrag Gegenstand des Verfahrens bilden, die in dem anderen Mitgliedstaat erfüllt worden sind oder zu erfüllen wären. Art. 5 Nr. 1 Buchstabe b) LugÜ konkretisiert den Erfüllungsort u. a. für Dienstleistungsverträge. Erfüllungsort für alle Ansprüche aus dem Vertrag ist dann der Ort, an dem die Dienstleistung nach dem Vertrag erbracht worden ist oder zu erbringen war.
40a) Der Begriff der Dienstleistungsverträge im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchstabe b) LugÜ ist autonom auszulegen und nicht auf der Grundlage des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten (Thode in BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 35. Edition 01.01.2020, Brüssel Ia-VO Nr. 7 Rn. 50, auch Geimer in Zöller, a.a.O., Art. 7 EuGVVO Rn. 9). Er umfasst jede entgeltliche handwerkliche, freiberufliche oder gewerbliche und kaufmännische Tätigkeit, die von einem wirtschaftlich und sozial selbstständigen Dienstleistungserbringer im Wesentlichen in freier Zeiteinteilung erbracht wird (Thode, a.a.O. Rn. 55; vgl. auch Gottwald in Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2017, Brüssel Ia-VO Art. 7 Rn. 27). Geschäftsbesorgungsverträge, Dienst- und Werkverträge nach deutschem Recht, Werklieferungsverträge gehören dazu; auch gemischte Verträge sind als Dienstvertrag im Sinne der Norm zu qualifizieren, wenn diese den Schwerpunkt des jeweiligen Vertragsverhältnisses bildet (Thode, a.a.O. Rn. 58).
41Gemessen an diesen Maßstäben handelt es sich bei dem zu beurteilenden Vertrag um einen Dienstleistungsvertrag im Sinne der genannten Vorschrift. Nach dem insoweit maßgeblichen Klagevorbringen lag der Schwerpunkt der vom Kläger zu erbringenden Leistungen in von ihm zu organisierenden Dienst- und Werkleistungen Dritter sowie seiner hierauf gerichteten persönlichen Dienstleistung. Vertraglich geschuldet waren insbesondere das Einrichten der Bühnen und des Zuschauerraums sowie die Organisation der Aufführung im Hinblick auf Technik, Orchester, Chor und Solisten. Den Dienstleistungscharakter zeigt auch der Umstand, dass persönliche Dienstleistungen des Klägers mit einem gesondert vereinbarten Tagessatz von 450,- € zu vergüten und im Übrigen Aufwendungsersatz zu leisten war.
42b) Mangels eines vertraglich anderweitig vereinbarten Erfüllungsorts ist der Erfüllungsort für die Ansprüche aus dem Dienstleistungsvertrag, auch für den Anspruch auf Vergütung geleisteter Dienste, gemäß Art. 5 Nr. 1 Buchstabe b) LugÜ nach dem Ort zu bestimmen, in dem die Dienstleistung nach dem Vertrag erbracht worden ist oder zu erbringen war. Existieren mehrere Leistungsorte, ist auf die nach wirtschaftlichen Kriterien zu bestimmende Hauptleistung und ihren Erfüllungsort abzustellen. Ist auch eine Hauptleistung nicht feststellbar, ist Erfüllungsort der nach Art. 59 f LugÜ zu ermittelnde Sitz oder Wohnsitz des Leistungserbringers (Thode, a.a.O. Rz. 61 m. w. Nachw.; auch EuGH, Urteil vom 11. März 2010 – C-19/09 –, LS. 2, Rn. 30 ff., zitiert nach juris).
43Eine Besonderheit des im vorliegenden Fall zu beurteilenden Vertrages liegt darin, dass die Parteien insgesamt zwölf Opernaufführungen an unterschiedlichen Standorten in Deutschland und Österreich ins Auge gefasst hatten, wobei nicht ersichtlich und nicht vorgetragen ist, dass eine der Aufführungen als „Hauptleistung“ im Vordergrund stehen sollte. Mithin ist eine Hauptleistung zur Bestimmung des Erfüllungsortes gemäß Art. 5 Nr. 1 Buchstabe b) LugÜ nicht feststellbar.
44Abzustellen ist daher gem. Art. 59 Abs. 1 LugÜ, § 7 Abs. 1 BGB auf den Wohnsitz des Klägers in E, von dem aus er nebenberuflich sein Planungsbüro betreibt und der im Bezirk des Landgerichts Essen liegt. Hieraus folgt die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Essen für den vorliegenden Rechtsstreit.
454.
46Die Zuständigkeit des Landgerichts Lübeck ist nicht durch den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Essen vom 04.09.2019 begründet worden. Dieser ist für das Landgericht Lübeck nicht verbindlich.
47a) Ein Verweisungsbeschluss ist nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, zwar grundsätzlich bindend. Die Bindungswirkung entfällt allerdings dann, wenn der Verweisungsbeschluss nicht als im Rahmen des § 281 Abs. 1 S. 1 und 2 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt allerdings nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH, Beschl. v. 15.05.2011 – X AZR 109/11 – NJW-RR 2011, 1364, 1365, Rz. 9; Beschl. v. 19.02.2013 – X ARZ 507/12 – NJW-RR 2013, 764, 765, Rz. 7; Beschl. v. 09.06.2015 – X ARZ 115/15 – NJW-RR 2015, 1016, Rz. 9; st. Rspr.).
48b) Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt der Verweisung des Landgerichts Essen die Bindungswirkung.
49aa) Dies ergibt sich allerdings nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen. Entgegen der vom Landgericht Lübeck in seinem Vorlagebeschluss vom 23.01.2020 geäußerten Auffassung ist die Verweisung verfahrensfehlerfrei nach Anhörung des Beklagten ergangen, der sich mit Schriftsatz vom 03.07.2019 zu den maßgeblichen Zuständigkeitsfragen geäußert hat (Bl. 194 ff. d.A.), und vom gesetzlichen Richter beschlossen worden ist.
50Zuständig war die 12. Zivilkammer, die in voller Kammerbesetzung mit dem Vorsitzenden, einer beisitzenden und einem beisitzenden Richter entschieden hat. Dass sie zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei, behauptet der Beklagte nicht und wird auch vom Landgericht Lübeck als Empfangsgericht im Sinne von § 281 Abs. 1 S. 2 ZPO nicht beanstandet. Soweit dieses darauf abstellt, die Kammer hätte gemäß § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO durch einen originären Einzelrichter entscheiden müssen, so ist zum einen darauf hinzuweisen, dass sich die Kammerbesetzung zwischenzeitlich geändert hatte und diese zum Zeitpunkt der Beschlussfassung mit einer erst wenige Monate im Amt befindlichen Proberichterin besetzt war. Daher lagen die Voraussetzungen für eine Übernahme des Rechtsstreits durch die Kammer gemäß § 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2 ZPO vor. Selbst wenn diese Übernahme verfahrensfehlerhaft erfolgt sein sollte, könnte darauf ein Rechtsmittel nicht gestützt werden (§ 348 Abs. 4 ZPO). Daraus folgt erst recht, dass sich auf diesem Umstand - jedenfalls für sich gesehen - nicht der Vorwurf grob fehlerhafter Rechtsanwendung im Sinne objektiver Willkür stützen lässt.
51bb) Allerdings wird die Entscheidung des Landgerichts Essen, den Rechtsstreit auf Grundlage des zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Parteivorbringens an das Landgericht Lübeck zu verweisen, ihrem Inhalt nach dem Willkürverbot nicht gerecht.
52(1) Zum einen hat das Landgericht Essen bei der Beurteilung der örtlichen Zuständigkeit Art. 5 Nr. 1 Buchstabe b) außer Acht gelassen und so seine eigene Zuständigkeit grundlegend verkannt.
53(2) Zum anderen ist auch die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit anhand des Erfüllungsortes in Anwendung der im Verweisungsbeschluss genannten Vorschriften der §§ 29 ZPO, 269 BGB fehlerhaft.
54Gemäß § 269 Abs. 1 BGB ist eine Leistung an dem Ort zu erfüllen, an dem der Schuldner zur Zeit der Begründung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte, wenn der Ort der Leistung wieder vertraglich bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen ist. Auf einen (vorübergehenden) Aufenthaltsort des Schuldners stellt die Vorschrift in diesem Zusammenhang nicht ab.
55Im vorliegenden Fall war für die infrage stehende Zahlungsverpflichtung des Beklagten weder ein Erfüllungsort vertraglich vereinbart noch der Natur des Schuldverhältnisses zu entnehmen. Insbesondere ergab sich aus dem in Rede stehenden Vertrag kein Hinweis darauf, dass die Leistungen des Klägers durch den Beklagten an einem Aufenthaltsort in der M zu bezahlen gewesen wären. Die Dienstleistungen waren von dem in E ansässigen Kläger an zwölf unterschiedlichen Veranstaltungsorten zu erbringen und zu organisieren. Warum der seinerzeit in der Schweiz wohnhafte Beklagte diese dann von einem „beruflichen Aufenthaltsort“ in M hätte bezahlen sollen, erschließt sich auch unter Berücksichtigung des Umstandes nicht, dass eine Überweisung von einem Schweizer Konto auf ein deutsches Konto u. U. teurer ist als eine inländische Überweisung. Es fehlt jede nachvollziehbare Verbindung zwischen einem inländischen, durch eine zeitweilige berufliche Tätigkeit bedingten Aufenthaltsort des Beklagten, von dem das Landgericht bei seiner Verweisung offenbar ausgegangen ist, und einem Leistungsort für eine vom Beklagten auf einer anderen vertraglichen Grundlage zu erbringende Zahlung.
56In Anwendung der Vorschrift des § 269 BGB wäre mithin auf den Wohnsitz des Beklagten abzustellen gewesen, den das Landgericht Essen in seiner Entscheidung ausdrücklich als „unerheblich“ offengelassen hat. Im Ergebnis hat das Landgericht einem - nach Aktenlage nicht zu widerlegenden - ausländischen Wohnsitz nebst einem - vorübergehenden - inländischen Aufenthaltsort den Umstand entnommen, das nicht mehr der Wohnsitz, sondern der Aufenthaltsort Leistungsort der Zahlung sein soll, was von der gesetzlichen Regelung des § 269 BGB nicht gedeckt ist.
57(3) Die aufgezeigten Rechtsfehler sind jedenfalls zusammengenommen als grob fehlerhaft und damit nicht mehr als verbindlich einzustufen. Mithin hat der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Essen die Zuständigkeit des Landgerichts Lübeck nicht begründen können.
58III.
59Da der Senat bei der vorliegenden Entscheidung im Hinblick auf keine Rechtsfrage von der Rechtsprechung eines anderen Oberlandesgerichts, des Bayerischen Obersten Landgerichts oder des Bundesgerichtshofs abgewichen ist, bestand kein Anlass für eine Vorlage nach § 36 Abs. 3 S. 1 ZPO.
60Auch eine Kostenentscheidung war nicht nötig, da die Sache bereits rechtshängig ist und im Klageverfahren über ggf. im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren entstandene Kosten mitentschieden werden kann.