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Die Rechtsbeschwerde wird wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zugelassen.
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Schwerte zurückverwiesen.
Gründe:
2I.
3Das Amtsgericht Schwerte hat den Betroffenen mit Urteil vom 16.09.2019 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße in Höhe von 100,00 Euro verurteilt.
4Das Amtsgericht hat u.a. folgende Feststellungen getroffen:
5„Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts folgender Sachverhalt fest:
6Am 00.11.2018 gegen 11.42 Uhr befuhr der Betroffene außerorts im T Stadtgebiet mit dem PKW der Marke U, amtliches Kennzeichen #-## 0000, aus Richtung I kommend die Autobahn BAB 0 in Fahrtrichtung C.
7Vor der Einfahrt in eine großräumig im Vorfeld ausgeschilderte Baustelle in Höhe Kilometer 332, 450 befand sich am Tattage eine ordnungsgemäß
8geeichte und eingerichtete Messanlage vom Typ PoliScan Speed, die in einem Anhänger, dem sog. Enforcement Trailer, betrieben wurde. Diese war von dem Zeugen PHK J, der zuvor in die Einrichtung und Bedienung der Messanlage im Allgemeinen und deren Einsatz in den Enforcement Trailer eingewiesen worden war, nach der Bedienungsanleitung eingerichtet und geprüft sowie am 00.11.2018 um 9.00 Uhr in Betrieb genommen worden.
9Der genannte Zeuge ist dabei dem Gericht aus einer Vielzahl gleichgelagerter Verfahren als zuverlässig und sachkundig bekannt. Seine Schulungs-nachweise liegen dem Gericht vor.“
10Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 19.09.2019, welchen er mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 07.11.2019 mit der Verletzung rechtlichen Gehörs und materiellen Rechts begründet hat.
11Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 18.12.2019 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
12Der Betroffene hat hierzu mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.01.2020 Stellung genommen.
13II.
14Die Rechtsbeschwerde ist wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt., Abs.2 OWiG zuzulassen.
15Das Rechtsmittel hat mit der in zulässiger Weise erhobenen Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs einen vorläufigen Erfolg.
16Die Feststellung des Amtsgerichts, der Zeuge PHK J sei in der Einrichtung und Bedienung des Messgerätes PoliScan Speed in dem Enforcement Trailer eingewiesen worden, ist nicht Inbegriff der Hauptverhandlung gewesen.
17Durch diesen Verstoß gegen § 261 StPO ist auch das rechtliche Gehör des Betroffenen gemäß Art 103 Abs.1 GG verletzt.
18Die Feststellungen des Amtsgerichts, dass der Zeuge PHK J in der Einrichtung und Bedienung des Messgerätes PoliScan Speed in dem Enforcement Trailer eingewiesen worden sei, ergibt sich aus keiner der in die Hauptverhandlung eingeführten Urkunden oder Augenscheinsobjekte. Zum Inbegriff der Hauptverhandlung ist nur der Schulungsnachweis des Zeugen J in die Handhabung des Geschwindigkeitsmessgerätes Vitronic PoliScan Speed geworden. Aus diesem ergibt sich jedoch nicht, dass er auch in der Einrichtung und Bedienung dieses Messgerätes in dem Enforcement Trailer eingewiesen worden ist. Ein derartiger gesonderter Schulungsnachweis- den es nach Kenntnis des Senats grundsätzlich gibt - über Aufbau, Bedienung etc. des Trailers ist nicht Inbegriff der Hauptverhandlung worden.
19Das Amtsgericht hat demnach seine Überzeugung nicht ausschließlich aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnen und damit gegen § 261 StPO verstoßen.
20Gründet das Gericht seine Überzeugung aber auf Tatsachen, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren, zu denen sich also der Betroffene dem erkennenden Gericht gegenüber nicht abschließend äußern konnte, so verstößt das Verfahren nicht nur gegen § 261 StPO, sondern zugleich auch gegen den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 04.01.2012, DAR 2012, 403; KG, Beschluss vom 14.09.2017, 3 Ws (B) 262/17, juris).
21Das angefochtene Urteil war daher bereits wegen dieses Verfahrensmangels mit den Feststellungen aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Schwerte zurückzuverweisen.
22Ergänzend merkt der Senat an:
23Der wesentliche Inhalt des Beschilderungsplans ist nach der Beweiswürdigung in dem angefochtenen Urteil gemäß § 78 Abs.1 OWiG bekannt gegeben bzw. zur Kenntnis genommen worden. Ausweislich des Sitzungsprotokolls ist der Beschilderungsplan jedoch lediglich lediglich in Augenschein genommen worden. Beschilderungspläne können Augenscheinsobjekte aber auch Urkunden sein (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018, III-4 RBs 21/18, juris). Vorliegend handelt es sich bei dem Beschilderungsplan um eine Urkunde, sodass dieser hätte verlesen werden oder sein wesentlicher Inhalt hätte bekannt gegeben bzw. zur Kenntnis genommen werden müssen, § 78 Abs.1 OWiG
24Es trifft zwar zu, dass das Amtsgericht die auf den Lichtbildern eingetragenen Daten ausweislich des Sitzungsprotokolls und entgegen der Angaben in dem angefochtenen Urteil in der Hauptverhandlung nicht verlesen hat. Vielmehr ergibt sich aus dem mit der Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend wiedergegebenen Hauptverhandlungsprotokoll, dass die Lichtbilder in Augenschein genommen worden sind. Die auf dem Messfoto eingeblendeten Daten sind zwar als Urkunde zu behandeln. Durch die Inaugenscheinnahme einer Urkunde werden regelmäßig nur ihr Vorhandensein und ihre Beschaffenheit belegt, nicht aber ihr Inhalt; zu dessen Erfassung bedarf es grundsätzlich der Verlesung. Diese strenge Differenzierung findet jedoch dann eine Grenze, wenn auch der gedankliche Inhalt der Urkunde gleichsam durch einen Blick auf diese erfasst wird. Erschließt sich der Text bereits aus einem flüchtigen Betrachten, kann dessen Bedeutung nicht ausgeblendet werden und ist mithin Bestandteil der diesbezüglichen Beweisaufnahme. So verhält es sich bei den auf einem Messfoto eingeblendeten Daten (vgl. OLG Koblenz; Beschluss vom 26.04.2017, 2 OWi, 4 SsBs 24/17, juris; KG, Beschluss vom 12.11.2015, NStZ-RR 2016,27).
25Die Rechtsbeschwerde wäre nicht zur Fortbildung des Rechts zuzulassen gewesen, da der Einzelfall keine Veranlassung gibt, für die Auslegung von Rechtssätzen und die rechtsschöpferische Ausfüllung von Gesetzeslücken Leitsätze aufzustellen und zu festigen. Die von dem Betroffenen problematisierte Messung aus einem Enforcement Trailer ist obergerichtlich geklärt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25.04.2019, 1 RBs 75/19, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 12.03.2019, 2 Ss OWi 67/19, juris). Dem Umstand, dass die Messung aus einem Enforcement Trailer vorgenommen worden ist, steht weder der Anerkennung des Geschwindigkeitsmessverfahren PoliScan Speed als standardisiertes Messverfahren entgegen noch gebietet es die Zulassung der Rechtsbeschwerde.