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Auf die Berufungen der Parteien wird das am 16.05.2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 19. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.345,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 23.11.2017 sowie weitere 995,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.02.2018 Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs X , Fahrgestellidentifikationsnummer Y , mit dem amtlichen Kennzeichen XXX sowie Rückgabe der Zulassungsbescheinigung Teil I und Teil II und der zugehörigen Fahrzeugschlüssel zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Verpflichtung zur Rücknahme des genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die T-Versicherungs-AG vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 788,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2017 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die weitergehenden Berufungen der Parteien werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 45% und die Beklagte zu 55%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des gesamten vollstreckbaren Betrages abzuwenden, falls nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Wert für das Berufungsverfahren wird auf 21.425,11 € festgesetzt [Berufung der Klägerin 9.759,62 € (Zahlung von 8.264,51 € + 995,11 € + Feststellung 500,00 €), Berufung der Beklagten 11.665,49 € (Abwehr Zahlungsanspruch 11.365,49 € + Abwehr Feststellungsantrag 300,00 €)].
Gründe
2I.
3Die Parteien streiten um eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten aufgrund des Inverkehrbringens eines nach Ansicht der Klägerin fehlerhaften Motors.
4Wegen des erstinstanzlichen Sachvortrags und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
5Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat das streitgegenständliche Fahrzeug einen Kilometerstand von 147.498 km.
6Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Der Klägerin stehe ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des für den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs verauslagten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von der Klägerin gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Kraftfahrzeuges sowie auf Ersatz vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 958,19 € zu, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2017.
7Weiterhin hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Annahme des Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
8Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Der weitergehende Feststellungsantrag sei unzulässig, da die Klägerin nicht substantiiert dargelegt habe, dass ihr ein weiterer Schaden drohe. Die bloß abstrakte Möglichkeit, dass rückwirkend höhere Kraftfahrzeugsteuern festgesetzt werden könnten, reiche nicht aus.
9Die Beklagte habe durch Inverkehrbringen des manipulierten Motors – unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung - den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Die Optimierung der Motorsteuerungssoftware sei gesetzeswidrig wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007. Es handele sich um eine Abschalteinrichtung, wie das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden KBA) durch Bescheid vom 15.10.2015 festgestellt und aus diesem Grunde den Rückruf angeordnet habe. Jeder Verbraucher habe davon ausgehen dürfen, dass die Schadstoffgrenzen nicht nur im Prüfstandsbetrieb, sondern auch unter Realbedingungen im Straßenverkehr eingehalten würden. Die Sittenwidrigkeit zeige sich darin, dass die Beklagte aus Profitinteresse zentrale Umweltschutzvorschriften umgangen habe, und hierzu ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens geschaffen habe.
10Der klägerische Vortrag, dass der Vorstand der Beklagten von der in dem betroffenen Motor eingebauten streitgegenständlichen Software gewusst habe, sei gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu behandeln. Da die Klägerin keine Kenntnisse der inneren Abläufe der Beklagten habe, obliege der Beklagten eine sekundäre Darlegungslast. Die Beklagte hätte daher zu den Entscheidungsprozessen vortragen müssen, insbesondere hätte sie darlegen müssen, wie eine solch gewichtige Entscheidung ohne Kenntnis des Vorstandes bzw. der verfassungsmäßig berufenen Vertreter habe getroffen werden können.
11Der Schaden der Klägerin bestehe darin, dass sie den ungünstigen Kaufvertrag abgeschlossen habe. Es sei auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen; der Installierung des Softwareupdates komme keine Bedeutung zu. Sie könne daher Rückzahlung des Kaufpreises von 19.630,00 € Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeuges verlangen, habe sich aber die Vorteile aus der Nutzung des Fahrzeuges anrechnen zu lassen. Es sei von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km auszugehen, so dass sich – unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt des Kaufs bereits vorhandenen Fahrleistung von 8.903 km - der Nutzungsvorteil für 131.459 km mit 8.264,51 € ergebe.
12Die Beklagte befinde sich mit der Rücknahme in Annahmeverzug und habe der Klägerin die vorgerichtlichen Kosten – berechnet auf den zugesprochenen Betrag – nebst Zinsen zu erstatten. Es sei mangels anderer Anhaltspunkte davon auszugehen, dass der Rechtsschutzversicherer, der diese Kosten gezahlt habe, die Klägerin zu deren Geltendmachung ermächtigt habe.
13Die weitergehende Klage sei unbegründet. Ein Zinsanspruch auf den Kaufpreis ab dem Tage der Übergabe ergebe sich nicht aus § 849 BGB. Nicht zu erstatten seien auch die Kosten für die Reparatur des Abgasrückführungssystems. Diese Reparatur habe nicht mit der Täuschung in Zusammenhang gestanden, sondern beruhe jedenfalls auch auf der Nutzung. Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die Klägerin und nicht ihr Ehemann diese bezahlt habe.
14Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen beider Parteien.
15Die Klägerin meint – unter grundsätzlicher Verteidigung des Urteils -, ihr Schaden sei ohne Anrechnung der gezogenen Nutzungen zu bestimmen. Dies stehe in Widerspruch zu dem deutschen Rechtssystem wie auch zum Europarecht. Wegen des letzteren Verstoßes sei eine Vorlage an den EuGH angezeigt. Durch die Berücksichtigung des Nutzungsersatzes, der unter Einbeziehung des Bruttokaufpreises berechnet werde, erhalte die Beklagte mittelbar einen Teil des von ihr beabsichtigten Gewinns. Auch der Rechtsgedanke des § 393 BGB stehe entgegen. Das Landgericht habe auch eine zu geringe Laufleistung zugrunde gelegt; es sei von einer solchen von mindestens 350.000 km auszugehen. Das Landgericht hätte mangels eigener Sachkunde ein Sachverständigengutachten einholen müssen, da auch eine Schätzung gesicherte Grundlagen voraussetze.
16Zu ersetzen seien auch Zinsen bereits ab Übergabe des Fahrzeuges.
17Darüber hinaus stehe ihr ein Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 995,11 € nebst Zinsen zu. Mit diesen wäre sie nicht belastet worden, wenn sie das Fahrzeug nicht erworben hätte. Es sei nicht der Kauf eines anderen Fahrzeugs hinzuzudenken.
18Auch die vorgerichtlichen Kosten seien auf den mit der Klage geltend gemachten Betrag zu berechnen.
19Weiterhin meint die Klägerin, die weitergehende Feststellungsklage sei zulässig und begründet. Es sei ausreichend, dass künftige Schadensfolgen möglich seien.
20Die Klägerin beantragt,
211. unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils
22a) die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 8.264,51 € zzgl. Zinsen in Höhe von 4% seit dem 28.06.2013 sowie weitere 995,11 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges X zu zahlen, FIN Y, mit dem amtlichen Kennzeichen XXX , dessen Rückübereignung und Rückgabe der Zulassungsbescheinigung Teil und II und der dazugehörigen Fahrzeugschlüssel zu zahlen,
23b) die Beklagte weiter zu verurteilen, außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von weiteren 213,48 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.11.2017 zu zahlen,
24hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, die Rechtsanwaltskosten insgesamt in Höhe von 921,67 € an die T- Rechtsschutzversicherung AG zu zahlen.
25c) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr alle weiteren Schäden, welche ursächlich mit dem Kaufvertrag über das streitgegenständliche
26Fahrzeug zusammenhängen, zu ersetzen,
272. hilfsweise die Revision zuzulassen,
283. die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
29Die Beklagte beantragt,
30unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils und Zurückweisung der gegnerischen Berufung die Klage insgesamt abzuweisen.
31Sie rügt sowohl eine Feststellung unrichtiger Tatsachen als auch eine Rechtsverletzung.
32Sie vertritt die Ansicht, dass sie bereits nicht passivlegitimiert sei, da sie nicht Verkäuferin des Fahrzeugs gewesen sei und es sich um einen Gebrauchtwagenkauf gehandelt habe.
33Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen Schadensersatzanspruch der Klägerin bejaht. Keine der Tatbestandsvoraussetzungen eines Schadensersatzanspruches lägen vor. Die Beklagte habe die Klägerin nicht aktiv getäuscht, da es schon keinen kommunikativen Akt zwischen ihnen gegeben habe. Eine solche Täuschung liege auch nicht in einem Inverkehrbringen. Mit diesem werde nicht behauptet, dass der streitgegenständliche PKW allen gesetzlichen Bestimmungen entspreche. Im Übrigen sei dies keine Tatsche, sondern eine rechtliche Würdigung. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin über das Abgasverhalten des Kraftfahrzeuges aufzuklären.
34Die Klägerin habe zudem weder dargelegt noch bewiesen, dass die Verwendung der Umschaltautomatik für den Kaufvertragsabschluss Bedeutung erlangt habe. Zu deren Gunsten greife weder ein Anscheinsbeweis noch eine Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens ein. Die Beklagte habe auf den Entscheidungsprozess der Klägerin keinen Einfluss genommen; sie sei gar nicht beteiligt gewesen. Das nachvertragliche Verhalten der Klägerin – Weiternutzen – spreche gegen eine Kausalität.
35Der Klägerin sei auch kein Schaden entstanden. Der Kaufvertrag sei zu keinem Zeitpunkt nachteilig gewesen. Weder habe die Klägerin eine messbare Vermögenseinbuße im Sinne eines rechnerischen Minus erlitten noch sei die Brauchbarkeit des Fahrzeuges für die Zwecke der Klägerin eingeschränkt oder aufgehoben gewesen. Es sei nicht ausreichend, dass der Vertragsabschluss „ungewollt“ gewesen sei.
36Das Fahrzeug habe objektiv keinen Wertverlust erlitten, als der Einbau der Software bekannt geworden sei. Dazu habe die Beklagte bereits erstinstanzlich vorgetragen und (Gegen)Beweis angeboten. Die Restwerte seien erst ab dem Jahr 2017 gefallen, als mögliche Fahrverbote aufgrund der EG-Richtlinien zur Luftreinhaltung diskutiert worden seien.
37Die streitgegenständliche Software habe keinen Einfluss auf Zulassung oder Zulassungsfähigkeit gehabt; es habe auch keine Stilllegung gedroht. Die EG-Typengenehmigung sei weiterhin wirksam und nicht aufgehoben worden; vielmehr habe das KBA durch Bescheid vom 15.10.2015 den Zeit- und Maßnahmenplan im Wege einer nachträglichen Nebenbestimmung für verbindlich erklärt. Die EG-Übereinstimmungsbescheinigung sei jederzeit gültig gewesen und das Fahrzeug habe mit dem genehmigten Typ übereingestimmt. Nach dem Bescheid des KBA sei eine Stilllegung nur noch möglich gewesen, wenn sich ein Halter geweigert habe, das Update aufspielen zu lassen; dann wäre aber die Kausalkette durch dessen eigenverantwortliches Handeln unterbrochen worden.
38Der angebliche Schaden sei auch nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst, da die Klägerin nur mittelbar betroffen sei.
39Dass das Fahrzeug für die Klägerin uneingeschränkt brauchbar gewesen sei, zeige sich auch daran, dass sie mit diesem bis zum erstinstanzlichen Termin 131.459 km zurückgelegt habe. Die Beklagte beruft sich auf ein Leistungsverweigerungsrecht, solange der Kilometerstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht festgestellt worden sei. Es sei nur von einer Gesamtlaufleistung von 200.000 – 250.000 km auszugehen.
40Ein Schaden bestehe jedenfalls im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht mehr, da das Update aufgespielt worden sei. Nunmehr entspreche das Fahrzeug demjenigen, das die Klägerin habe erwerben wollen. Das durchgeführte Update habe keine negativen Auswirkungen auf die Lebensdauer der von diesem berührten Bauteile.
41Die Beklagte habe sich auch nicht in Annahmeverzug befunden, da die Klägerin die Leistung nicht so wie geschuldet angeboten habe.
42Ein Zahlungsanspruch wegen der vorgerichtlichen Kosten scheide aus. Die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien nicht erforderlich gewesen, da die Bevollmächtigten der Klägerin gewusst hätten, dass die Beklagte nicht bereit war, Zahlungen zu leisten. Deren Beauftragung sei daher nicht zweckmäßig gewesen.
43Der Senat hat die Klägerin persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses ihrer Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk (Bl. 598 f. d.A.) Bezug genommen.
44Wegen der weitergehenden Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
45II.
46Die Berufungen beider Parteien sind nur in geringem Umfang begründet. Eine Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang allein wegen der nach Verkündung des landgerichtlichen Urteils durch die Klägerin weiter gezogenen Nutzungen sowie der ihr entstandenen Reparaturkosten zu erfolgen.
471.
48Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des für den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs verauslagten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von ihr gezogenen Nutzungen sowie auf Ersatz der Reparaturkosten Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die Beklagte zu.
49Die Beklagte hat der Klägerin in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt, den sie ihr zu ersetzen hat (§ 826 BGB).
50a)
51Die Beklagte hat die Klägerin durch das Inverkehrbringen eines Motors mit einer manipulierten Steuerungssoftware konkludent getäuscht.
52Mit dem Inverkehrbringen eines Motors gibt ein Hersteller für dessen gesamte Lebensdauer konkludent die Erklärung ab, dass der Einsatz dieses Motors entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist, d.h. insbesondere, dass das Fahrzeug, in welchem der Motor verbaut ist, über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris-Rn 11; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris-Rn 22). Dies war vorliegend nicht der Fall, weil die Manipulationen an der Motorsteuerungssoftware als verbotene Abschalteinrichtung zu qualifizieren sind (vgl. Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007, nachfolgend: VO 715/2007/EG)). Dies hat zur Folge, dass ohne das Aufspielen des später von der Beklagten entwickelten Softwareupdates ein Widerruf der Typengenehmigung und eine damit einhergehende Stilllegung des Fahrzeuges gedroht hätten. Denn stellt das Kraftfahrtbundesamt nach Erteilung einer formell wirksamen EG-Typengenehmigung fest, dass ein Fahrzeug nicht die materiellen Voraussetzungen für den genehmigten Typ einhält, kann es zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge entweder gemäß § 25 II EG-FGV Nebenbestimmungen zur EG-Typengenehmigung anordnen oder gemäß § 25 III EG-FGV die EG-Typengenehmigung ganz oder teilweise widerrufen (OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 45-47).
53Vor diesem Hintergrund kann der Käufer eines Kraftfahrzeugs, das er im Straßenverkehr verwenden will, nicht nur davon ausgehen, dass im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs die notwendige EG-Typengenehmigung formal vorliegt. Ebenso kann er auch erwarten, dass keine nachträgliche Rücknahme oder Änderung der Typengenehmigung droht, weil die materiellen Voraussetzungen bereits bei deren Erteilung nicht vorgelegen haben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris-Rn 13; OLG Köln, Beschluss vom 16. Juli 2018, 27 U 10/18, juris-Rn 4 f.). Über eine dauerhaft ungefährdete Betriebserlaubnis verfügte das von der Klägerin erworbene Fahrzeug schon deshalb nicht, weil die installierte Motorsteuerungssoftware eine "Umschaltlogik" enthielt, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1, 2 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren ist (zur Einordnung als unzulässige Abschalteinrichtung siehe BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019, VIII ZR 225/17, juris-Rn 5 ff.). Aus diesem Grund lagen die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer EG-Typengenehmigung nicht vor (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019, VIII ZR 225/17, juris-Rn 5 ff., OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 48; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris-Rn 15; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris-Rn 27 f.).
54b)
55Durch diese Täuschung hat die Klägerin einen Vermögensschaden erlitten, der in dem Abschluss des Kaufvertrages zu sehen ist (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 49; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris-Rn 17; OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris-Rn 80; Heese, NJW 2019, 257 (260)). § 826 BGB knüpft nicht an die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter an, weshalb der nach dieser Norm ersatzfähige Schaden weit verstanden wird. Schaden ist danach nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (BGH, Urteile vom 19. November 2013, VI ZR 336/12, juris-Rn 28; vom 21. Dezember 2004, VI ZR 306/03, juris-Rn 17; vom 19. Juli 2004, II ZR 402/02, juris-Rn 41; OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 50).
56Angesichts dessen kommt es nicht darauf an, ob das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs im Hinblick auf die unzulässige Abschalteinrichtung einen geringeren Marktwert hatte. Der Schaden des in die Irre geführten Käufers liegt in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit, nicht erst in dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteilen. Entscheidend ist allein, dass der abgeschlossene Vertrag, nämlich die Eigenschaften des Kaufgegenstands, nicht den berechtigten Erwartungen des Getäuschten entsprach und überdies die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014, VI ZR 15/14, juris-Rn 16 ff.). Beide Voraussetzungen waren im – maßgeblichen – Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses gegeben, weil vorliegend wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung die Entziehung der EG-Typgenehmigung drohte bzw. die Anordnung von Nebenbestimmungen sowie bei deren Nichterfüllung die Stilllegung des Fahrzeugs. Wegen des zur Rechtswidrigkeit der EG-Typgenehmigung führenden und damit die Zulassung des Fahrzeugs gefährdenden Mangels war der Hauptzweck des Fahrzeugs, dieses im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, bereits vor einer tatsächlichen Stilllegung unmittelbar gefährdet. Denn wird die EG-Typgenehmigung entzogen, droht die Stilllegung; werden Nebenbestimmungen angeordnet, ist die fortdauernde Nutzbarkeit von einer Nachrüstung des Fahrzeugs durch den Hersteller abhängig (OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 51).
57Da es für die Beurteilung der Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses ankommt, entfällt der Schaden nicht durch die – nach Vertragsschluss durchgeführte – Installation des von der Beklagten zur Erfüllung der vom Kraftfahrtbundesamt angeordneten Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung entwickelten Softwareupdates, weil dadurch die ungewollte Belastung mit einer Verbindlichkeit nicht entfällt. Das Update ist insoweit nicht zu berücksichtigen und rechtlich lediglich als Angebot zur Verhinderung weiterer Nachteile zu bewerten (OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 52; OLG Karlsruhe, Urteil vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris-Rn 20; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris-Rn 98).
58Der Senat folgt insoweit nicht der Rechtsprechung des OLG Koblenz (Urteil vom 12.09.2019, 1 U 688/19), nach welcher der konkrete Sachmangel, der zum Minderwert des Fahrzeugs geführt habe, durch das Aufspielen des Softwareupdates entfallen sei. Denn der tatsächliche, vorliegend maßgebliche Schaden – das Eingehen einer ungewollten Verbindlichkeit – wird durch das Softwareupdate nicht beseitigt.
59c)
60Die Täuschung durch die Beklagte als schädigende Handlung war auch kausal für den Kaufentschluss der Klägerin.
61Es liegt auf der Hand, dass die Klägerin das streitgegenständliche Fahrzeug in – tatsächlich nicht vorhandener – Kenntnis der Betroffenheit vom „Dieselskandal“ nicht erworben hätte. Dies hat sie nicht nur glaubhaft und nachvollziehbar gegenüber dem Senat geschildert. Maßgeblich ist auch die Interessenlage der Geschädigten zum fraglichen Zeitpunkt, hier also zum Zeitpunkt der Entscheidung zum Kauf des betreffenden Pkw. Zum Zeitpunkt des Erwerbs des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Juni 2013 war in keiner Weise abzusehen, welche Folgen das Bekanntwerden der manipulierten Motorsteuerungs-Software für die betroffenen Fahrzeuge, insbesondere die hierfür erteilten Typengenehmigungen haben würde. Es ist aus Sicht des Senats offensichtlich, dass sich Käufer ohne triftigen Grund nicht auf eine solche Unsicherheit betreffend die uneingeschränkte Nutzbarkeit des betreffenden Fahrzeugs eingelassen hätten. Die Klägerin hat auch glaubhaft geschildert, dass sie und ihr Ehemann damals auf das erworbene Fahrzeug angewiesen waren, um ihren jeweiligen Arbeitsplatz zu erreichen.
62d)
63Die Täuschungshandlung der Beklagten war sittenwidrig i.S.d. § 826 BGB. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann sich die Verwerflichkeit auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016, VI ZR 536/15, juris-Rn 16 mwN).
64Die besondere Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten ist zu bejahen. Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motors kommt allein eine von der Beklagten angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Zwar ist allein ein Handeln aus Gewinnstreben nicht als verwerflich zu qualifizieren. Im Hinblick auf das eingesetzte Mittel der Beklagten erscheint ihr Verhalten aber als verwerflich. Denn das Ausmaß der Schädigung, nämlich der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motor, der millionenfach verkauft wird, mit der damit einhergehenden hohen Zahl getäuschter Käufer rechtfertigt das besondere Unwerturteil. Dabei hat die Beklagte es in Kauf genommen, nicht nur Neuwagenkäufer, sondern auch eine nicht kalkulierbare Vielzahl weiterer Gebrauchtwagenkäufer sowie daneben die Zulassungsbehörden zu täuschen und auf diese Weise die Betriebszulassung für die mit dem von ihr vertriebenen Motor ausgestatteten Fahrzeuge zu erschleichen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 64; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris-Rn 34 f.; OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/18, juris-Rn 20 ff.; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris-Rn 45 ff., Heese, NJW 2019, 257, 259 (262)).
65e)
66Bei der Beklagten lagen auch der subjektiv erforderliche Schädigungsvorsatz sowie die Kenntnis der Tatumstände vor, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen.
67Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt voraus, dass ein "verfassungsmäßig berufener Vertreter" im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Dabei müssen die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente kumuliert bei einem Mitarbeiter vorliegen, der zugleich als verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB anzusehen ist und auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016, VI ZR 536/15, juris-Rn 13).
68Vorliegend ist davon auszugehen, dass jedenfalls ein verfassungsmäßig bestellter Vertreter der Beklagten umfassende Kenntnis von dem Einsatz der manipulierten Software hatte und in der Vorstellung die Erstellung und das Inverkehrbringen der mangelhaften Motoren veranlasste, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis sowohl an Neuwagen- als auch an Gebrauchtwagenkunden weiterveräußert werden würden. Denn es hätte der Beklagten im Rahmen einer sekundären Darlegungslast oblegen, näher dazu vorzutragen, inwieweit ein nicht als "verfassungsmäßig berufener Vertreter" im Sinne des § 31 BGB tätiger Mitarbeiter für die Installation der Software verantwortlich sein soll (OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 70). Dem ist sie nicht nachgekommen.
69Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der Regel eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar sind (st. Rspr.; etwa BGH, Urteil vom 19. Juli 2019, V ZR 255/17, juris-Rn 49 mwN). In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (st. Rspr., etwa BGH, Beschluss vom 28. Februar 2019, IV ZR 153/18, juris-Rn 10).
70Die Klägerin steht vorliegend als Anspruchsteller vollständig außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs. Deshalb genügt die Behauptung der Klägerin, dem Vorstand bzw. einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten seien die in Millionen Fällen erfolgten Manipulationen an den Motoren bekannt gewesen. Dies gilt insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass verfassungsmäßig bestellte Vertreter auch Personen sind, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des "Vertreters" in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt (OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 72; OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris-Rn 75 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris-Rn 51 ff. mwN; OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/18, juris-Rn 33 ff.).
71Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware, die für eine Diesel-Motorengeneration konzipiert war, die flächendeckend konzernweit in Millionen Fahrzeugen eingesetzt werden sollte, erscheint es im Übrigen mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands oder eines verfassungsmäßig bestellten Vertreters erfolgte und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben gewesen sein könnte (vgl. Heese, NJW 2019, 257, 260). Dies gilt erst Recht, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen handelte, wobei für einen untergeordneten Konstrukteur in Anbetracht der arbeitsrechtlichen und strafrechtlichen Risiken sich kein annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil ergeben hätte (OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 73).
72Danach wäre es Sache der Beklagten gewesen, durch konkreten Tatsachenvortrag Umstände darzulegen, aufgrund derer eine Kenntnis des Vorstands oder sonstiger Repräsentanten ausscheidet. Dies hätte vorliegend konkret die Benennung derjenigen Personen im Unternehmen notwendig gemacht, welche die Entwicklung der streitgegenständlichen Softwarefunktion beauftragt bzw. welche diese bei einem Zulieferer bestellt haben sowie die Darstellung der üblichen Abläufe bei einer solchen Beauftragung und der Organisation von Entscheidungen solcher Tragweite. Sofern die Beklagte sich dann auf einen Handlungsexzess eines untergeordneten Mitarbeiters hätte berufen wollen, hätte sie Umstände vortragen müssen, die geeignet gewesen wären, einen solchen Ablauf ohne Kenntnis weiterer, insbesondere leitender Mitarbeiter hinreichend wahrscheinlich erscheinen zu lassen (OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 77). Diesen Anforderungen genügt das Bestreiten der Beklagten nicht. Ihr Vortrag erschöpft sich im Wesentlichen darin vorzutragen, dass nach dem derzeitigen Stand der internen Ermittlungen, die noch nicht abgeschlossen seien, keine Erkenntnisse für eine Beteiligung oder Kenntnis einzelner Vorstandsmitglieder oder eines Repräsentanten der Beklagten vorhanden seien, aufgrund derer man davon ausgehen müsste, dass diese von der Entwicklung der Software Kenntnis gehabt hätten. Konkreter Vortrag zu den Ergebnissen der internen Ermittlungen fehlt vollständig.
73Die Kenntnis einer entweder der Unternehmensleitung angehörenden Person oder eines sonstigen Repräsentanten von der serienmäßigen rechtswidrigen Verwendung der Software schließt zwangsläufig die Billigung der Schädigung sämtlicher Erst- und Folgeerwerber der damit ausgestatteten Fahrzeuge ein. Auch die maßgeblichen Umstände für die Bewertung dieses Vorgehens als sittenwidrig sind bei dieser Sachlage der entscheidenden Person bekannt gewesen (OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 79).
74f)
75Die von der Klägerin geltend gemachten Schäden liegen innerhalb des Schutzzwecks der Norm, denn es kommt an dieser Stelle nicht darauf an, welchen Interessen die betreffenden EU-Normen dienen. Maßgeblich ist vielmehr, dass die geltend gemachten Schäden dem in sittlich anstößiger Wese geschaffenen Gefahrenbereich entstammen. Durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit der manipulierten Software wurde – wie der Senat bereits ausgeführt hat – gerade der jeweilige Käufer durch den ungewollten Vertragsschluss in sittenwidriger Weise geschädigt (OLG Hamm, Urteil vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris-Rn 82).
76g)
77Der Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 249 ff. BGB richtet sich auf Ersatz des negativen Interesses (Palandt-Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, § 826 Rz. 15). Die Klägerin kann also verlangen so gestellt zu werden, wie sie stehen würde, wenn sie den streitgegenständlichen Pkw nicht erworben hätte.
78aa) Ihr ist damit der gezahlte Kaufpreis Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeuges zu ersetzen. Allerdings hat sie sich dabei – wie von dem Landgericht bereits zutreffend ausgeführt - nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung den Wert der von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen. Schließlich hat die Klägerin das Fahrzeug im entsprechenden Umfang tatsächlich nutzen können und genutzt.
79Den Wert der durch den Gebrauch des Kraftfahrzeugs gezogenen Nutzungen schätzt der Senat nach der anwendbaren Methode des linearen Wertschwundes (vgl. zum Gebrauchtwagenkauf BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2014, VIII ZR 196/14, juris-Rn 3 mwN; Urteil vom 9. April 2014, VIII ZR 215/13, juris-Rn 11 ff. mwN) entsprechend § 287 ZPO auf insgesamt 11.284,34 €. Dabei geht der Senat davon aus, dass ein Fahrzeug der streitgegenständlichen Art – X mit einem 1,6l Motor - regelmäßig eine durchschnittliche Gesamtlaufleistung von 250.000 km erreicht.
80Dementsprechend berechnen sich die von der Klägerin gezogenen Nutzungsvorteile nach der geltenden Berechnungsformel (Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer) : (Gesamtlaufleistung abzgl. km-Stand bei Kauf) wie folgt:
8119.630,00 € x [147.498 km – 8.903 km ]
82250.000 km – 8.903 km
83= 11.284,34 €.
84Die Beklagte hat der Klägerin damit noch 8.345,66 € (19.630,00 € - 11.284,34 €) von dem geleisteten Kaufpreis zu erstatten.
85bb) Der Klägerin sind auch die von ihr gezahlten Reparaturkosten in Höhe von 995,11 € zu ersetzen. Nach § 249 Abs. 1 BGB hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Damit ist der Geschädigte wirtschaftlich möglichst so zu stellen, wie er ohne das schadensstiftende Ereignis stünde (vgl. nur BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014, VI ZR 15/14, juris-Rn 25 mwN). Ohne die schädigende Handlung der Beklagten hätte die Klägerin - mangels Erwerbs des Fahrzeugs - keine der Erhaltung oder Wiederherstellung dienenden Aufwendungen auf das hier in Streit stehende Fahrzeug tätigen müssen. Die Ersatzpflicht ist nicht unter dem Gesichtspunkt zu beschränken, dass dieser Schaden nicht dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammt. Die Klägerin ist durch die Täuschung der Beklagten zu dem Erwerb des Fahrzeuges veranlasst worden. Zu dem Gefahrenbereich gehören daher grundsätzlich auch Kosten, die durch notwendige Verwendungen entstehen, soweit diese nicht zu den Kosten des laufenden Betriebs zu rechnen wären, die durch die Nutzungsmöglichkeit aufgewogen werden.
86Hierfür spricht auch, dass sich eine vergleichbare Wertung ebenso für eine Rückabwicklung gem. § 346 BGB ergäbe, bei der die Reparaturkosten gem. § 347 Abs. 2 S. 1 BGB als notwendige Verwendungen erstattungsfähig wären (so auch OLG Hamm, Urteil vom 14. Januar 2020, 34 U 37/19, juris-Rn 101-105; a.A. Urteil vom 05. März 2020, 13 U 326/18, zur Veröffentlichung vorgesehen).
87cc) Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verzugszinsen auf die Forderung zur Erstattung eines Teils des Kaufpreises ab dem 23.11.2017 gem. §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
88(1) Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, sie habe einen Anspruch aus § 849 BGB gegen die Beklagte auf Verzinsung des Kaufpreises in Höhe von 4% ab dem Tag der Kaufpreiszahlung.
89Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 26. November 2007, II ZR 167/06, juris-Rn 5 f.) besteht der Normzweck des § 849 BGB darin, dass der Zinsanspruch den endgültig verbleibenden Verlust an Nutzbarkeit der Sache ausgleichen soll, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann. Dieser Schutzzweck ist hier nicht betroffen, da die Klägerin im Austausch für den gezahlten Kaufpreis das Fahrzeug nutzen konnte.
90(2) Die Klägerin hat nur Anspruch auf Verzugszinsen ab Ablauf der in dem anwaltlichen Schreiben vom 08.11.2017 (Anlage K 7 = Bl. 44ff. d.A.) gesetzten Zahlungsfrist, auch wenn sie in diesem Schreiben den vollen Kaufpreis ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung verlangt und nicht mitgeteilt hat, welche Laufleistung sie mit dem Fahrzeug zurückgelegt hat. Eine Zuvielforderung schließt den Schuldnerverzug aber nicht aus, wenn anzunehmen ist, dass der Schuldner auch bei einer auf die wirkliche Forderung beschränkte Mahnung nicht geleistet hätte (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 2000 – VII ZR 82/99, juris Rn. 43). Hier ist festzustellen, dass die Beklagte zu einer Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nicht bereit gewesen ist. Dies zeigt bereits ihre eigene Verteidigung gegen die Notwendigkeit der vorgerichtlichen Kosten, indem sie selbst vorträgt, dass sie zu Zahlungen nicht bereit gewesen sei, wie auch der Prozessverlauf. Dass die Klägerin zur Annahme von Teilzahlungen nicht bereit gewesen wäre, kann nicht festgestellt werden. Aus ihren Klageanträgen kann kein Rückschluss gezogen werden, da ihr die Verfolgung der weitergehenden Zahlungsansprüche weiterhin möglich gewesen wäre.
91Durch die Verteidigung des Urteils hat die Klägerin auch ihren Zinsantrag teilweise konkludent geändert und verfolgt hinsichtlich des titulierten Betrages nicht mehr Zinsen in Höhe von 4%, sondern in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
92dd) Hinsichtlich der Reparaturkosten hat die Klägerin Anspruch auf Prozesszinsen gem. §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
933.
94Die Beklagte befindet sich ungeachtet der zu hohen Forderung der Klägerin in dem vorprozessualen Schreiben vom 08.11.2017 (Anlage K 7, Bl. 44ff. d.A.), den Kaufpreis ohne Anrechnung einer Nutzungsentschädigung zurückzuzahlen, zumindest aufgrund der Zug um Zug erhobenen Klage und des Abweisungsantrages in Annahmeverzug. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin der Auffassung ist, es sei keine Nutzungsentschädigung anzurechnen. Die eine Haftung dem Grunde nach ablehnende Beklagte hat verdeutlicht, dass sie auch bei zutreffend berechneter Forderung die Annahme des Fahrzeugs verweigert hätte. Hat die Zuvielforderung aber keine Auswirkungen auf die Verweigerung der Beklagten und war daher nicht Anlass für die Zurückweisung der Beklagten, besteht grundsätzlich kein Anlass, den Annahmeverzug auszuschließen, weil die Beklagte insoweit nicht schutzwürdig ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. November 2019, 13 U 37/19, juris-Rn 131 f.).
954.
96Auch die angefallenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten hat die Beklagte gem. §§ 826, 249 BGB nebst Zinsen zu erstatten.
97Die nicht rechtskundige Klägerin durfte sich zunächst außergerichtlich beraten lassen. Ihre Bevollmächtigten waren auch nicht gehalten, ihr zu raten, ihnen sofort einen Klageauftrag zu erteilen. Die zunächst erfolgte außergerichtliche Kontaktaufnahme entsprach auch den Geboten anwaltlicher Sorgfalt und Vorsicht, also dem „sichersten Weg“, etwa um durch Fristsetzung und –ablauf dem anderenfalls niemals ganz auszuschließenden prozessualen Risiko des § 93 ZPO begegnen zu können.
98Allerdings geht der Senat in grundsätzlicher Übereinstimmung mit dem angefochtenen Urteil davon aus, dass vorgerichtliche Anwaltskosten – ausgehend von der im Ergebnis berechtigten Hauptforderung, also nunmehr in Höhe von 8.345,66 € – nur wie folgt entstanden und damit erstattungsfähig sind:
99 1,3 Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG 659,10 €
100 Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
101 19% USt Nr. 7008 VV RVG 129,03 €
102788,13 €.
103Nachdem die betreffenden Kosten allerdings nicht von der Klägerin selbst, sondern in Höhe von 921,67 € durch deren Rechtsschutzversicherung gezahlt worden sind, konnte die Klägerin die Ersatzforderung zwar – entsprechend der mit Schreiben vom 06.05.2020 der Klägerin erteilten Ermächtigung (Anlage zum Protokoll des Senatstermin vom 08.05.2020) – im eigenen Namen gegen die Beklagte geltend machen. Die Zahlung hat jedoch entsprechend dem insoweit gestellten Antrag an die T- Rechtsschutz-Versicherungs-AG zu erfolgen.
104Zinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten schuldet die Beklagte aus den zur Hauptforderung ausgeführten Gründen ab dem 23.11.2017 (§§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB).
1055. Die darüber hinausgehende auf Feststellung der Ersatzpflicht der weiteren Schäden gerichtete Klage ist unbegründet. Im Zeitpunkt des Senatstermins ist kein (weiterer) auf der Verletzungshandlung beruhender Schadenseintritt wahrscheinlich. Eine Nacherhebung von Kraftfahrzeugsteuer droht nicht. Die Höhe der Kfz-Steuer bemisst sich gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. b KraftStG nach den von der Zulassungsbehörde mit Bindungswirkung (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 KraftStG) für die Steuerbehörde getroffenen Feststellungen zur Fahrzeugklasse, zu den Kohlendioxidemissionen und zum Hubraum (§ 9 Abs. 1 Ziff. 2 b KraftStG). Diese Feststellungen der Zulassungsbehörde sind im Zusammenhang mit der Zulassung des Updates nicht geändert worden.
106III.
107Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
108Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.