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Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung ihrer weitergehenden Berufung das am 23. März 2018 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Siegen teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 27.677,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Oktober 2017 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges VW Tiguan Track & Field 2,0 l TDI 103 kW (140 PS) mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ###.
Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 3/10 und die Beklagte zu 7/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 38.985,00 €.
Gründe:
2(§ 540 ZPO)
3I.
4Die Klägerin, eine im Rechtsdienstleistungsregister eingetragene Inkassodienstleisterin, macht aus behauptet abgetretenem Recht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit der Lieferung eines von dem Zeugen I erworbenen VW-Fahrzeuges geltend, welches vom sogenannten "Dieselskandal" betroffen ist.
5Der Zeuge I erwarb aufgrund verbindlicher Volkswagen-Bestellung vom 18. September 2007 bei der C GmbH & Co. KG, einer VW-Vertragshändlerin, einen neuen VW Tiguan Track & Field 2,0 l TDI 103 kW (140 PS), FIN ###, der am 11. Dezember 2017 auf ihn zugelassen wurde. Der Gesamtpreis betrug nach – mit Nichtwissen der Beklagten bestrittenem – Vortrag der Klägerin mindestens 38.985,00 €. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die verbindliche Volkswagen-Bestellung bei der C GmbH & Co. KG vom 18. September 2017 und die Zulassungsbescheinigung Teil I und II aus Dezember 2017 (Anlagenkonvolut K 2 zur Klageschrift) sowie die Rechnung der C GmbH & Co. KG vom 11. Dezember 2007 (GA 917) verwiesen.
6Das Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor mit der herstellerinternen Typenbezeichnung EA 189 EU 4 und ist von der Beklagten vor Auslieferung mit einer Software ausgestattet worden, die den Stickoxidausstoß im Prüfstandbetrieb, sogenannter „Modus 1“, reduziert. Jedenfalls aufgrund dieser Software, die erkennt, dass das Fahrzeug einem Prüfstandtest unterzogen wird, hielt der Motor während des Prüfstandtests die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte ein. Unter realen Fahrbedingungen im Straßenverkehr wird das Fahrzeug anderweitig betrieben, nämlich im sogenannten „Modus 0“ mit einer geringeren Abgasrückführungsrate. Dies hat zur Folge, dass der Stickoxidausstoß höher ist.
7Nach Bekanntwerden der Softwareproblematik gab das Kraftfahrt-Bundesamt der Beklagten mit unangefochtenem Bescheid vom 17. November 2015 Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung des Fahrzeugs des Zeugen I auf, die im Rahmen eines Rückrufes umgesetzt werden sollten.
8Mit Bescheid vom 01. Juni 2016 (Anlage B 2 zur Klageerwiderung vom 21. Dezember 2017) erteilte das Kraftfahrt-Bundesamt die Freigabe für eine technische Überarbeitung für den von dem Zeugen I gefahrenen Fahrzeugtyp, nämlich ein Software-Update. Das seit dem 30. Dezember 2016 zur Verfügung stehende, aufgrund vorstehenden Bescheides freigegebene Software-Update ließ der Zeuge I am 09. Januar 2017 an dem Fahrzeug durchführen.
9Die Klägerin hat erstinstanzlich die Kopie eines Schriftstücks mit Unterschriftsdatum 15. Februar 2017 vorgelegt, das als „Treuhänderische Abtretung“ überschrieben ist und in dem es u.a. heißt:
10„Hiermit trete ich, I, jeweils meine bestehenden und künftigen Ansprüche – insbesondere Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss, aus Prospekthaftung, aus Verletzung eines selbständigen Garantievertrages sowie aus unerlaubter Handlung – gegenüber der Volkswagen AG und/oder, falls abweichend, gegenüber dem Hersteller meines KFZ je in Zusammenhang
111. mit dem gemeinhin als Abgasskandal bekannten Lebenssachverhalt (Täuschung über Einhaltung von Emmissionsschutzwerten, fehlerhafte Motorsteuerung etc.) in Bezug auf mein KFZ mit
12dem amtlichen Kennzeichen ## und
13der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ###
14(mein „KFZ“) und
152. mit den von den Herstellerangaben abweichendem Kraftstoffverbrauch (NEFZ-Normverbrauch und tatsächlichem Praxisverbrauch) in Bezug auf mein KFZ
16an die G GmbH mit Sitz in Q-Platz, ##### I2, zum Zwecke des Forderungseinzugs ab.“
17Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannte Kopie der Abtretungserklärung (GA 471) verwiesen.
18Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe vorsätzlich, systematisch und planmäßig Behörden auf supra-, sub- und nationaler Ebene zur Umgehung der gesetzlichen Anforderungen an das Abgasverhalten der Motoren und Millionen Kunden weltweit und in Deutschland aus reinem Gewinnstreben zulasten ihrer Kunden getäuscht. Verantwortliche Manager der Beklagten hätten die Entwicklung und Verwendung der Abschalteinrichtung angeordnet, wissend, dass ihr Einsatz rechtswidrig sei und in der Annahme, dass er unentdeckt bliebe.
19Die Umrüstung (Software-Update) führe voraussichtlich nicht nur zu erhöhtem Kraftstoffverbrauch und reduzierter Leistung, sondern angesichts der höheren Partikelbelastung bei Erhöhung der Abgasrückführungsmenge auch zu einer Beeinträchtigung der Lebensdauer, Zuverlässigkeit und „Instandhaltbarkeit“ von Motor, Dieselrußpartikelfilter, Abgasrückführungsventil und -kühler sowie des Fahrzeugs im Ganzen.
20Der Zeuge I hätte das Fahrzeug keinesfalls erworben, wenn er von dem Vorhandensein der Manipulationssoftware gewusst hätte; jedenfalls hätte er das Fahrzeug nicht als Erfüllung des Kaufvertrages angenommen und den Kaufpreis bezahlt. Hätte er das Software-Update nicht durchführen lassen, hätte ihm die Stilllegung des Fahrzeugs gedroht.
21Weiter hat sie behauptet, der Zeuge I habe seine Ansprüche wegen des sogenannten VW-Abgasskandals mit Erklärung vom 15. Februar 2017 an sie abgetreten.
22Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der Zeuge hätte Schadensersatz beanspruchen und gemäß § 249 BGB von der Beklagten die Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges verlangen können. Mit der Abtretung seien die Ansprüche auf sie übergegangen. Das Schadensersatzbegehren lasse sich auf folgende Anspruchsgrundlagen stützen: Verletzung eines selbstständigen Garantievertrages, Verletzung eines selbständigen Auskunftsvertrages, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 der EG-FGV, § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB. Das Wissen der Mitglieder des Vorstands und weiterer Verantwortlicher, nämlich der Herren X, N, T, I3, L, E, I4, O, M, T2, Dr. L2, T3, X2 sowie aller sonstigen an der Entwicklung und dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung beteiligten Ingenieure müsse die Beklagte sich zurechnen lassen.
23Das Fahrzeug sei für die Zwecke des Zeugen nicht voll brauchbar. Ein Nutzungsersatz sei nicht abzuziehen.
24Die Klägerin hat mit der seit dem 13. Oktober 2017 rechtshängigen Klage beantragt,
251. die Beklagte zu verurteilen, an sie 38.985,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws VW Tiguan Track & Field 2,0 l TDI mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ### zu zahlen,
26hilfsweise, für den Fall, dass das Gericht den Antrag zu 1. auf Rückzahlung des Kaufpreises abweist:
272. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche entstandenen und künftigen Schäden zu ersetzen, die Herrn I, E2-Straße, ##### M2 aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte den Pkw VW Tiguan Track & Field 2,0 l TDI mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ### in den Verkehr gebracht hat, obwohl dieser mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war und daher keinem genehmigten Fahrzeugtyp entspricht, entstanden sind bzw. entstehen.
28Die Beklagte hat beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Sie hat die behauptete Abtretung und die Übereinstimmung der vorgelegten Kopie und der Urschrift mit dem Original mit Nichtwissen bestritten. Ebenso hat sie bestritten, dass der Zedent trotz der wirksamen Zulassung den Kaufvertrag bei Kenntnis von der streitgegenständlichen Software nicht geschlossen oder diesen rückabgewickelt hätte.
31Unter Verweis auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin (www.N2/agb/ (Stand 21. Dezember 2017), die ihr Inkassozessionsmodell – insoweit unstreitig – unter der Marke „N2“ organisiere, hat sie die Ansicht vertreten, die Klägerin übernehme nicht lediglich eine Inkassodienstleistung, sondern gleichzeitig eine Prozessfinanzierung für die Auftraggeber.
32Weiter hat sie die Auffassung vertreten, das streitgegenständliche Fahrzeug sei technisch sicher und uneingeschränkt gebrauchstauglich. Es halte die von der EG-Typgenehmigung vorausgesetzten Grenzwerte der Abgasnorm EU 4 ein und enthalte insbesondere keine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Übereinstimmungsbescheinigung für das streitgegenständliche Fahrzeug sei richtig und die EG-Typgenehmigung für den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp sei ungeachtet der streitgegenständlichen Software weiterhin wirksam.
33Im Übrigen hat sie vorgebracht, die Ausführungen der Klägerin zum Sachverhalt in den USA, den Feststellungen der US-amerikanischen Umweltbehörde EPA und dem dort festgestellten „defeat device“ seien für den vorliegenden Rechtsstreit sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht ohne Bedeutung. Obwohl es bereits an einer unerlaubten Handlung gegenüber dem Zedenten fehle, habe die Klägerin weder dargelegt noch sei ersichtlich, dass sie – die Beklagte – vorsätzlich gehandelt habe. Derzeit kläre sie die genaue Entstehung der in den EA 189-Motoren zum Einsatz gekommenen Software auf. Die insoweit eingeleiteten umfangreichen, sehr aufwendigen, zeit- und kostenintensiven Ermittlungen dauerten noch an. Erkenntnisse dafür, dass einzelne Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts der Beklagten an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen oder die Entwicklung oder Verwendung der Software der Dieselmotoren EA 189-EU4 bzw. EU5 seinerzeit in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten, lägen nicht vor. Sie bestreite daher, dass Mitglieder ihres Vorstands im Sinne des Aktienrechts seinerzeit von der Entwicklung der Software gewusst hätten.
34Die Beklagte hat zudem in Abrede gestellt, dass das durchgeführte Software-Update sich nachteilig auf die Nutzung des Fahrzeugs auswirke und das Fahrzeug, wie von der Klägerin ausgeführt, vollkommen wertlos sei. Sie hat gemeint, dem Zedenten seien durch die Betroffenheit seines Fahrzeugs von der Umschaltlogik keine wirtschaftlichen Nachteile entstanden. Der Wert des Fahrzeugs sei durch die Ausstattung mit der Umschaltlogik nicht beeinträchtigt worden. Jedenfalls könne ein unterstellter Schadensersatzanspruch der Klägerin nur auf Zahlung des Kaufpreises abzüglich eines Ersatzes für die von dem Zedenten gezogenen Nutzungen gerichtet sein.
35Mit am 23. März 2018 verkündetem Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt, der Hauptantrag sei unschlüssig, weil die Klägerin auf Grundlage der von ihr vertretenen Rechtsansicht davon abgesehen habe, Angaben zu den gefahrenen Kilometern im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu machen und deshalb eine Berechnung des Schadensersatzes selbst vereitelt habe. Der Hilfsantrag sei wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig, aber auch unbegründet, weil die Klägerin zur Geltendmachung der Feststellung nicht aktivlegitimiert sei.
36Im Übrigen wird auf die angefochtene Entscheidung (GA 497 ff.) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
37Gegen diese richtet sich die fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.
38Sie meint mit näheren Ausführungen, dass entgegen der Annahme des Landgerichts ein Abzug für die Nutzung des Fahrzeugs nicht gerechtfertigt sei. Jedenfalls hätte das Landgericht ihren nachgeholten Vortrag zum Kilometerstand aus dem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenem Schriftsatz vom 16. März 2018 berücksichtigen müssen. Den nach § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderlichen prozessleitenden Hinweis habe das Landgericht nicht rechtzeitig erteilt. Auch habe das Landgericht rechtsirrig den Hilfsantrag abgewiesen.
39Höchst vorsorglich trägt sie den Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs bezogen auf den Morgen des 9. Juli 2018 mit 79.333 km vor und führt insoweit weiter aus, bei der Berechnung des Nutzungsersatzes beschränke sich der objektive Wert des Fahrzeugs bei Übergabe an den Zedenten aufgrund der manipulationsbedingt erloschenen Betriebserlaubnis auf seinen reinen Materialwert, der mit dem Schrottwert von ca. 220,00 € anzusetzen sei.
40Weiter ist sie der Auffassung, dass, sofern eine Pflicht der Klägerin zum Nutzungsersatz angenommen würde, dabei auch die Vorteile in den Blick genommen werden müssten, die der Beklagten durch die Zahlung des Kaufpreises zugeflossen seien. Bei einer Händler-Gesamtmarge von 18 % habe die Beklagte durch den Verkauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs bei einem Nettokaufpreis von 32.760,50 € einen Betrag von netto 26.863,61 € selber vereinnahmt. Das ihr dadurch zugeflossene Kapital habe diese über einen Zeitraum von mehr als 10 Jahren genutzt und reinvestiert bzw. zur Schuldentilgung verwendet. Es sei davon auszugehen, dass sie Nutzungen in Höhe von jährlich mindestens 4 % des investierten Kapitals gezogen habe, woraus sich vom 11. Dezember 2007 bis zum 11. Juli 2018 ein Betrag von 12.219,19 € errechne.
41Mit Schriftsatz vom 08. Juli 2019 hat die Klägerin behauptet, der Zeuge I habe seine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte vorsorglich am 29. Mai 2018, also nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, noch einmal per Abtretung auf sie übertragen.
42Hierzu hat sie auf die Kopie einer Abtretungsvereinbarung vom 29. Mai 2018 Bezug genommen (Anlage BK 1, GA 845), in der es u.a. heißt:
43„G beabsichtigt nunmehr, die Ersatzansprüche vollständig zu erwerben. Vor diesem Hintergrund vereinbaren die Parteien:
441.1 G zahlt an den Kunden einen Betrag in Höhe von 2.500,00 EUR.
451.2. Im Gegenzug verzichtet der Kunde auf jegliche gegenüber G bestehende oder zukünftig entstehende Ansprüche auf Rückabtretung der Ersatzansprüche.
461.3 Vorsorglich tritt der Kunde sämtliche bestehende oder zukünftige Ansprüche im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal in Bezug auf das Fahrzeug mit der FIN: ### hiermit nochmals vollumfänglich an G ab. G nimmt diese Abtretung an.“
47Die Klägerin beantragt abändernd,
481. die Beklagte zu verurteilen, an sie 38.985,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws VW Tiguan Track & Field 2,0 l TDI mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ### zu zahlen,
49hilfsweise, für den Fall, dass das Berufungsgericht den Antrag zu 1. auf Rückzahlung des Kaufpreises abweist:
502. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche entstandenen und künftigen Schäden zu ersetzen, die Herrn I, E2-Straße, ##### M2 aufgrund der Tatsache, dass die Beklagte den Pkw VW Tiguan Track & Field 2,0 l TDI mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ### in den Verkehr gebracht hat, obwohl dieser mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war und daher keinem genehmigten Fahrzeugtyp entspricht, entstanden sind bzw. entstehen.
51Die Beklagte beantragt,
52die Berufung zurückzuweisen.
53Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung unter Wiederholung, Vertiefung und Ergänzung ihres erstinstanzlichen Vorbringens mit näheren Ausführungen und bestreitet u.a., dass der Zeuge Nutzungen in Höhe von 12.219,19 € gezogenen habe und – mit Nichtwissen – einen Nettokaufpreis in Höhe von 32.760,50 €.
54Wegen des weiteren Tatsachenvortrags der Parteien nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
55Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen I. Wegen des Inhaltes und des Ergebnisses der Zeugenvernehmung wird Bezug genommen auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin am 15. Oktober 2019 (GA 885 ff.) sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 15. Oktober 2019 (GA 882 f.).
56II.
57Die Berufung der Klägerin ist überwiegend begründet. Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
581. Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus übergegangenem Recht ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Erstattung des für den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs verauslagten Kaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von dem Zeugen I gezogenen Nutzungen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des in Rede stehenden Kraftfahrzeuges zu (vgl. Urteile des Senats vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris, vom 31. Oktober 2019, 13 U 178/18, nv; vom 10. Dezember 2019, 13 U 86/18, nv).
59a) Gemäß § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, diesem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier in Bezug auf den Zeugen I vor.
60aa) Die Beklagte hat den Zeugen I durch das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit der manipulierenden Motorsteuerungssoftware konkludent getäuscht.
61Mit dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs gibt ein Hersteller nämlich konkludent die Erklärung ab, dass der Einsatz dieses Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist, d.h. insbesondere, dass das Fahrzeug über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris Rdnr. 11; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris Rdnr. 22). Dies war vorliegend nicht der Fall, weil die ursprünglich vorhandene Motorsteuerungssoftware als verbotene Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist (vgl. Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung [EG] Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen [Euro 5 und Euro 6] und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge; ABl. L 171 vom 29. Juni 2007, nachfolgend: VO 715/2007/EG). Dies hat zur Folge, dass ohne das Aufspielen des später von der Beklagten entwickelten Software-Updates ein Widerruf der Typgenehmigung und eine damit einhergehende Stilllegung des Fahrzeuges gedroht hätte.
62Ein Hersteller, der ein neues Fahrzeug zur Nutzung im Straßenverkehr auf den Markt bringen will, ist verpflichtet, das erforderliche Zulassungs- und Genehmigungsverfahren durchzuführen. Er hat beim Kraftfahrt-Bundesamt als zuständiger Behörde gemäß § 2 Abs. 1 Fahrzeuggenehmigungsverordnung (EG-FGV) insbesondere eine „EG-Typgenehmigung“ zu erwirken und für jedes dem genehmigten Typ entsprechenden Fahrzeug eine Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen und dem Fahrzeug beizufügen.
63Stellt das Kraftfahrt-Bundesamt nach Erteilung einer formell wirksamen EG-Typgenehmigung fest, dass ein Fahrzeug nicht die materiellen Voraussetzungen für den genehmigten Typ einhält, kann es zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge entweder gemäß § 25 Abs. 2 EG-FGV Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung anordnen oder gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV die EG-Typgenehmigung ganz oder teilweise widerrufen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) dürfen Fahrzeuge nur in Betrieb gesetzt werden, wenn sie zum Verkehr zugelassen sind. Dies setzt gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 FZV voraus, dass sie einem genehmigten Typ entsprechen. Wird die EG-Typgenehmigung entzogen oder mit Nebenbestimmungen versehen, entspricht das Fahrzeug – im Fall der Nebenbestimmung: bis zur Nachrüstung – keinem genehmigten Typ mehr. Die Zulassungsbehörde kann dem Eigentümer oder Halter dann gemäß § 5 Abs. 1 FZV eine Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris dnr. 12; vgl. nur Hessischer VGH, Beschluss vom 20. März 2019, 2 B 261/19, juris dnr. 10 f.).
64Vor diesem Hintergrund kann der Käufer eines Kraftfahrzeugs, der es im Straßenverkehr verwenden will, nicht nur davon ausgehen, dass im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs die notwendige EG-Typgenehmigung formal vorliegt. Ebenso kann er auch erwarten, dass keine nachträgliche Rücknahme oder Änderung der Typgenehmigung droht, weil die materiellen Voraussetzungen bereits bei deren Erteilung nicht vorgelegen haben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris Rdnr. 13; OLG Köln, Beschluss vom 16. Juli 2018, 27 U 10/18, juris Rdnr. 4 f.). Über eine dauerhaft ungefährdete Betriebserlaubnis verfügte das von dem Zeugen I erworbene Fahrzeug schon deshalb nicht, weil die installierte Motorsteuerungssoftware eine „Umschaltlogik“ enthielt, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren ist (zur Einordnung als unzulässige Abschalteinrichtung siehe BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019, VIII ZR 225/17, juris Rdnr. 5 ff.). Aus diesem Grund lagen die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer EG-Typgenehmigung nicht vor (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019, VIII ZR 225/17, juris Rdnr. 5 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris Rdnr. 15; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris Rdnr. 27 f.). Dem entspricht es, dass es dem für Streitigkeiten der vorliegenden Art zuständigen Senat aus einer Vielzahl von Verfahren gerichtsbekannt ist, dass Haltern der vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeuge die Stilllegung ihrer Fahrzeuge droht, falls sie das von der Beklagten entwickelte Software-Update nicht auf ihr Fahrzeug aufspielen lassen.
65bb) Durch diese Täuschung hat der Zeuge I einen Vermögensschaden erlitten, der in dem Abschluss des Kaufvertrages zu sehen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris Rdnr. 17; OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris Rdnr. 80; Heese, NJW 2019, 257, 260).
66§ 826 BGB knüpft nicht an die Verletzung bestimmter Rechte und Rechtsgüter an, weshalb der nach dieser Norm ersatzfähige Schaden weit verstanden wird. Schaden ist danach nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (BGH, Urteile vom 19. November 2013, VI ZR 336/12, juris Rdnr. 28; vom 21. Dezember 2004, VI ZR 306/03, juris Rdnr. 17; vom 19. Juli 2004, II ZR 402/02, juris Rdnr. 41).
67Nach diesen Grundsätzen kommt es nicht darauf an, ob das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs im Hinblick auf die unzulässige Abschalteinrichtung einen geringeren Marktwert hatte. Der Schaden des in die Irre geführten Käufers liegt in der Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit, nicht erst in dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteilen. Entscheidend ist allein, dass der abgeschlossene Vertrag, nämlich die Eigenschaften des Kaufgegenstands, nicht den berechtigten Erwartungen des Getäuschten entsprach und überdies die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH, Urteil vom 28.Oktober 2014, VI ZR 15/14, juris Rdnr. 16 ff.). Beide Voraussetzungen waren im – maßgeblichen – Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses gegeben, weil vorliegend dem bestellten Fahrzeug nach Auslieferung an den Zeugen I bzw. Zulassung auf ihn wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung die Entziehung der EG-Typgenehmigung drohte bzw. die Anordnung von Nebenbestimmungen sowie bei deren Nichterfüllung die Stilllegung des Fahrzeugs. Wegen des zur Rechtswidrigkeit der EG-Typgenehmigung führenden und damit die Zulassung des Fahrzeugs gefährdenden Mangels war der Hauptzweck des Fahrzeugs, dieses im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, bereits vor einer tatsächlichen Stilllegung unmittelbar gefährdet. Denn wird die EG-Typgenehmigung entzogen, droht die Stilllegung, werden Nebenbestimmungen angeordnet, ist die fortdauernde Nutzbarkeit von einer Nachrüstung des Fahrzeugs durch den Hersteller abhängig.
68Für die Beurteilung der Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, kommt es allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses an. Der Schaden entfällt nicht durch die – nach Auslieferung durchgeführte – Installation des von der Beklagten zur Erfüllung der vom Kraftfahrt-Bundesamt angeordneten Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung entwickelten Software-Updates, weil dadurch die ungewollte Belastung mit einer Verbindlichkeit nicht beseitigt worden ist. Das Update ist lediglich als Angebot zur Verhinderung weiterer Nachteile zu bewerten (vgl. Senatsurteile vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris Rdnr. 52; vom 10. Dezember 2019, 13 U 86/18, nv; OLG München, Urteil vom 15. Oktober 2019, 24 U 797/19, juris Rdnr. 76; OLG Naumburg, Urteil vom 27. September 2019, 7 U 24/19, BeckRS 2019, 24547 Rdnr. 49 f.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris Rdnr. 20; siehe auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris Rdnr. 98).
69cc) Die schädigende Handlung war auch kausal für die Willensentschließung des Zeugen I, den streitgegenständlichen Kaufvertrag abzuschließen.
70(1) Der Zeuge I hat, was er im Senatstermin vom 15. Oktober 2019 glaubhaft und unmittelbar nachvollziehbar bekundet hat, einen Vertrag abgeschlossen, den er nicht abgeschlossen hätte, wenn er von den Manipulationen der Beklagten an der Motorsteuerungssoftware und deren Folgen für die Zulassung seines Kraftfahrzeugs Kenntnis gehabt hätte. Hierzu schilderte der auch nach seinem persönlichen Eindruck überzeugende Zeuge, dass er das Fahrzeug u.a. dazu genutzt hatte, den täglichen Hin- und Rückweg zu seiner etwa 35 km entfernten Arbeitsstätte zurückzulegen und es ihm darauf ankam, ein vernünftiges Alltagsfahrzeug – auch für die Straßenverhältnisse im Sauerland und im Winter – zu erwerben. Unumwunden gab er an, dass für ihn die Schadstoffwerte zu dem damaligen Zeitpunkt nicht so relevant gewesen seien, allerdings der Verbrauch. Das Auto habe ihm gefallen und letztlich habe der Preis, den er durch seinen Schulkameraden, der Seniorinhaber der C GmbH & Co. KG sei, angeboten bekommen habe, den Ausschlag bei der Markenauswahl gegeben. Er hätte das Fahrzeug auf jeden Fall nicht gekauft, wenn ihm die Umschaltlogik und das Stilllegungsrisiko bekannt gewesen wären. Diese anschaulichen und lebensnahen Schilderungen des Zeugen überzeugen den Senat von der Richtigkeit seiner Angaben.
71Hinsichtlich der Kaufentscheidung entsprechen die Bekundungen des Zeugen zudem der allgemeinen Lebenserfahrung. In der Regel werden Kraftfahrzeugkäufer vom Kauf eines Fahrzeugs Abstand nehmen, wenn ihnen bekannt wäre, dass das betreffende Fahrzeug zwar formal über eine EG-Typgenehmigung verfügt, aber wegen des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung diese nicht hätte erhalten dürfen, weshalb Maßnahmen der die Typgenehmigung erteilenden Behörde und dem folgend der Zulassungsstelle bis zur Stilllegung des betroffenen Fahrzeugs drohen. Denn Zweck des Autokaufs ist grundsätzlich der Erwerb zur Fortbewegung im öffentlichen Straßenverkehr.
72(2) Der Beweisantritt der Klägerin im Senatstermin vom 16. Juli 2019 auf Vernehmung des Zeugen I war nicht als verspätet unberücksichtigt zu lassen (§§ 530, 531 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO).
73Nachdem die Klägerin sich erstinstanzlich durchgängig auf die hier nicht eingreifende Vermutung beratungsrichtigen Verhaltens gestützt hat, war hinsichtlich der Kausalität ein gerichtlicher Hinweis auf die Darlegungs- und Beweislast der Klägerin erforderlich. Das Landgericht hat diesen Problemkreis – aus seiner Sicht folgerichtig – nicht thematisiert. Im Berufungsverfahren ist diese Rechtsfrage erstmals im Senatstermin vom 16. Juli 2019 erörtert worden.
74dd) Die Täuschungshandlung der Beklagten ist als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB zu qualifizieren. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage getretene Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann sich die Verwerflichkeit auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016, VI ZR 536/15, juris Rdnr. 16 mwN).
75Gemessen an diesen Kriterien ist ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten zu bejahen. Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs kommt allein eine von der Beklagten angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Zwar ist allein ein Handeln aus Gewinnstreben nicht als verwerflich zu qualifizieren. Im Hinblick auf das eingesetzte Mittel der Beklagten erscheint das Verhalten der Beklagten hier aber als verwerflich. Denn das Ausmaß der Schädigung, nämlich der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motor, der millionenfach verkauft wird, mit der damit einhergehenden hohen Zahl getäuschter Käufer rechtfertigt das besondere Unwerturteil. Dabei hat die Beklagte es in Kauf genommen, nicht nur ihre Kunden, sondern auch die Zulassungsbehörden zu täuschen und sich auf diese Weise die Betriebszulassung für die von ihr manipulierten Fahrzeuge zu erschleichen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris Rdnr. 34 f.; OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/18, juris Rdnr. 20 ff.; vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris Rdnr. 45 ff., Heese, NJW 2019, 257, 259, 262).
76ee) In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten als sittenwidrig erscheinen lassen, voraus.
77Der erforderliche Schädigungsvorsatz bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Er enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Es genügt dabei bedingter Vorsatz hinsichtlich der für möglich gehaltenen Schadensfolgen. Für den getrennt davon erforderlichen subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit genügt die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 78. Aufl., § 826 Rdnr. 8).
78Die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt voraus, dass ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat. Dabei müssen die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente kumuliert bei einem Mitarbeiter vorliegen, der zugleich als verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB anzusehen ist und auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016, VI ZR 536/15, juris Rdnr. 13).
79Vorliegend ist davon auszugehen, dass jedenfalls ein verfassungsmäßig berufener Vertreter umfassende Kenntnis von dem Einsatz der manipulierten Software hatte und in der Vorstellung die Erstellung und das Inverkehrbringen der mangelhaften Motoren veranlasste, dass diese unverändert und ohne entsprechenden Hinweis an Kunden weiterveräußert werden würden. Denn es hätte der Beklagten im Rahmen einer sekundären Darlegungslast oblegen, näher dazu vorzutragen, inwieweit ein nicht als „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinne des § 31 BGB tätiger Mitarbeiter für die Installation der Software verantwortlich sein soll. Dem ist sie jedoch nicht nachgekommen.
80Den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei trifft in der Regel eine sekundäre Darlegungslast, wenn die primär darlegungsbelastete Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hat, während dem Prozessgegner nähere Angaben dazu ohne weiteres möglich und zumutbar sind (st. Rspr., etwa BGH, Urteil vom 19. Juli 2019, V ZR 255/17, juris Rdnr. 49 mwN). In diesen Fällen kann vom Prozessgegner im Rahmen des Zumutbaren das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden (st. Rspr., etwa BGH, Beschluss vom 28. Februar 2019, IV ZR 153/18, juris Rdnr. 10).
81Das ist hier der Fall: Steht der Anspruchsteller – wie vorliegend – vollständig außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs, dann reicht es aus, wenn man die allgemeine Behauptung des Anspruchstellers ausreichen lässt und auf eine weitere Substantiierung verzichtet. So liegt es jedenfalls dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für diese Behauptung bestehen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2019, 10 U 134/19, juris Rdnr. 98 f. [zu behaupteten Abgasmanipulationen bei einem anderen Hersteller]). Bei dieser Sachlage genügt die Behauptung der Klägerin, dem Vorstand bzw. einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten seien die – gerichtsbekannt in Millionen Fällen erfolgten – Manipulationen an den Motoren bekannt gewesen. Dies gilt insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass verfassungsmäßig bestellte Vertreter auch Personen sind, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des „Vertreters“ in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt (OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris Rdnr. 75 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris Rdnr. 51 ff. mwN; OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/18, juris Rdnr. 33 ff.; offenlassend, aber für ein unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Juli 2019, 17 U 160/18, juris Rdnr. 115 ff., 119; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2019, 10 U 134/19, juris Rdnr. 98 f.).
82Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware, die für eine Diesel–Motorengeneration konzipiert war, die flächendeckend konzernweit in Millionen Fahrzeugen eingesetzt werden sollte, erscheint es im Übrigen mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands oder eines verfassungsmäßig bestellten Vertreters erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte (vgl. Senatsurteile vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris Rdnr. 73; vom 10. Dezember 2019, 13 U 86/18, nv; Heese, NJW 2019, 257, 260). Dies gilt erst Recht, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidende Personen handelte, wobei dem Handeln eines untergeordneten Konstrukteurs in Anbetracht der arbeitsrechtlichen und strafrechtlichen Risiken kein annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenüber gestanden hätte. Derjenige, der die Zustimmung zur Entwicklung und zum Einsatz einer Software in der Motorensteuerung für Millionen von Neufahrzeugen erteilt, muss eine gewichtige Funktion in einem Unternehmen haben und mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet sein. Soweit es sich dabei nicht um einen Vorstand gehandelt haben sollte, spricht alles dafür, dass es sich um einen Repräsentanten im Sinne des § 31 BGB handelte (Senatsurteile vom 10. September 2019,13 U 149/18, juris Rdnr. 74; vom 10. Dezember 2019, 13 U 86/18, nv; OLG Karlsruhe Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris Rdnr. 56).
83Folge der sekundären Darlegungslast ist zum einen, dass der Anspruchsgegner sich nicht mit einem einfachen Bestreiten begnügen kann, sondern die Behauptungen des Gegners in zumutbarem Umfang durch substantiierten Vortrag entgegentreten muss. Genügt er dem nicht, gilt der Vortrag der Klagepartei als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO. Zum anderen beziehen sich die Anforderungen an die Substantiierung der primären Darlegung des Anspruchstellers auf die allgemeine Behauptung der maßgebenden Tatbestandsmerkmale (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/18, juris Rdnr. 34; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris Rdnr. 61). Würde man nämlich darauf bestehen, dass der Anspruchsteller die handelnden Personen präzise benennen muss, würden die Grundsätze der sekundären Darlegungslast regelmäßig leerlaufen.
84Der nach diesem Maßstab reduzierten primären Darlegungslast genügt das Vorbringen der Klägerin. Denn diese hatte vorgetragen, dass mindestens ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne von § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand von § 826 BGB verwirklicht hat.
85Danach wäre es Sache der Beklagten gewesen, durch konkreten Tatsachenvortrag Umstände darzulegen, aufgrund derer eine Kenntnis des Vorstands oder sonstigen Repräsentanten ausscheidet. Dies hätte vorliegend konkret die Benennung derjenigen Personen im Unternehmen notwendig gemacht, die die Entwicklung der streitgegenständlichen Softwarefunktion beauftragt bzw. welche diese bei einem Zulieferer bestellt hat sowie die Darstellung der üblichen Abläufe bei einer solchen Beauftragung und der Organisation von Entscheidungen solcher Tragweite. Sofern die Beklagte sich dann auf einen Handlungsexzess eines untergeordneten Mitarbeiters hätte berufen wollen, hätte sie Umstände vortragen müssen, die geeignet gewesen wären, einen solchen Ablauf ohne Kenntnis weiterer insbesondere leitender Mitarbeiter hinreichend wahrscheinlich erscheinen zu lassen.
86Diesen Anforderungen genügt das Bestreiten der Beklagten nicht. Ihr Vortrag erschöpft sich im Wesentlichen darin vorzutragen, dass nach dem derzeitigen Stand der internen Ermittlungen, die noch nicht abgeschlossen seien, Vorstände im Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Kenntnis von der Entwicklung oder Verwendung der Software gehabt hätten bzw. keine Erkenntnisse dafür vorlägen. Konkreter Vortrag zu den Ergebnissen der internen Ermittlungen fehlt vollständig.
87Die Kenntnis einer entweder der Unternehmensleitung angehörenden Person oder eines sonstigen Repräsentanten von der serienmäßigen rechtswidrigen Verwendung der Software schließt zwangsläufig die Billigung der Schädigung sämtlicher Erst- und Folgeerwerber der damit ausgestatteten Fahrzeuge ein. Ein entsprechender Vorsatz ergibt sich zudem schon aus der Art der Vorgehensweise (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2019, V ZR 244/17, juris Rdnr. 37), die nach der Wirkweise der Software auf Verheimlichung angelegt war (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30. Juli 2019, 10 U 134/19, juris Rdnr. 79 f.). Auch die maßgeblichen Umstände für die Bewertung dieses Vorgehens als sittenwidrig sind bei dieser Sachlage der entscheidenden Person bekannt gewesen (Senatsurteile vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris Rdnr. 79; vom 10. Dezember 2019, 13 U 86/18, nv).
88ff) Der Schadensersatzanspruch scheitert – entgegen der von den Oberlandesgerichten Braunschweig (Urteil vom 19. Februar 2019, 7 U 134/17, juris Rdnr. 186 ff.) und München (Beschluss vom 9. Mai 2019, 32 U 1304/19, juris Rdnr. 9) vertretenen Auffassung – nicht aufgrund des Schutzzwecks des § 826 BGB (OLG Oldenburg, Urteil vom 21. Oktober 2019, 13 U 73/19, BeckRS 2019, 25843 Rdnr. 13; OLG München, Urteil vom 15. Oktober 2019, 24 U 797/19, BeckRS 2019, 25424 Rdnr. 52 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 25. September 2019, 17 U 45/19, juris Rdnr. 24 ff.; Senatsurteile vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris Rdnr. 81 f.; vom 31. Oktober 2019, 13 U 178/18, nv; vom 10.12.2019, 13 U 86/18, nv; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18 juris Rdnr. 39 f., OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019, 18 U 70/19, juris Rdnr. 39 ff.).
89Um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, ist allerdings auch im Bereich des § 826 BGB der Haftungsumfang nach Maßgabe des Schutzzwecks der Norm zu beschränken (BGH, Urteil vom 11. November 1985, II ZR 109/84, juris Rdnr. 15; siehe auch BGH, Urteil vom 3. März 2008, II ZR 310/06, juris Rdnr. 15 mwN). Ein Verhalten kann hinsichtlich der Herbeiführung bestimmter Schäden, insbesondere auch hinsichtlich der Schädigung bestimmter Personen, als sittlich anstößig zu werten sein, während ihm diese Qualifikation hinsichtlich anderer, wenn auch ebenfalls adäquat verursachter Schadensfolgen nicht zukommt. Die Ersatzpflicht beschränkt sich in diesem Fall auf diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen (BGH, Urteil vom 11. November 1985, II ZR 109/84, juris Rdnr. 15; vgl. MünchKommBGB/Wagner, 7. Aufl., § 826 Rn. 46 mwN). Mithin kommt es darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 7. Mai 2019, VI ZR 512/17, juris Rdnr. 8 mwN).
90Durch das Inverkehrbringen des Motors mit der unzulässigen Software ist aber – wie ausgeführt – gerade der jeweilige Käufer durch den ungewollten Vertragsschluss in sittenwidriger Weise geschädigt (vgl. Senatsurteile vom 10. September 2019, 13 U 149/18, juris Rdnr. 82; vom 31. Oktober 2019, 13 U 178/18, nv; vom 10. Dezember 2019, 13 U 86/18, nv).
91gg) Der Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 249 ff. BGB richtet sich auf Ersatz des negativen Interesses (Palandt-Sprau, BGB, 78. Aufl., § 826 Rz. 15).
92Auf der Rechtsfolgenseite konnte der Zeuge I also verlangen, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn er den unerwünschten Kaufvertrag nicht geschlossen hätte. Danach stand dem Zeugen I ein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 27.677,41 € zu.
93(1) Hätte der Zeuge I den Kaufvertrag nicht abgeschlossen, hätte er den Preis für das Fahrzeug nicht beglichen.
94(a) Insoweit legt der Senat im Grundsatz den erstinstanzlich und in der Berufungsbegründung vom 11. Juli 2018 (GA 544) vorgetragenen Kaufpreis in Höhe von (insgesamt) 38.985,00 € zugrunde.
95Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 02. Dezember 2019 die Kopie der Rechnung der C Gmbh & Co. KG vom 11. Dezember 2007 über das streitgegenständliche Fahrzeug vorgelegt (GA 916 f.). Zwar ergibt sich aus der Rechnung ein höherer Betrag als die Klageforderung. Der Zeuge I hat aber zur Überzeugung des Senats danach mindestens den geltend gemachten Schaden erlitten. Ob sich aus den tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts eine Bindungswirkung ergibt, kann dahinstehen.
96Soweit die Beklagte im Schriftsatz vom 27. Dezember 2019 erstmals bestreitet, dass der Zeuge I den Kaufpreis an die C GmbH & Co. KG gezahlt hat, kam es für eine Berechnung des auf eine Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises gerichteten Schadensersatzanspruchs der Klägerin ersichtlich entscheidend – auch – darauf an, ob bzw. inwieweit der Kaufpreis tatsächlich geleistet worden war, so dass Einwände hiergegen bereits in erster Instanz vorzubringen waren und das neue Verteidigungsvorbringen jedenfalls verspätet ist (§§ 529 Abs. 1, 531 Abs. 2 ZPO).
97(b) Von der Ersatzfähigkeit ausgenommen sind jedoch Aufwendungen für Überführung und Zulassung des Fahrzeugs, denn hierbei handelt es sich um „Sowieso-Kosten“, die auch angefallen wären, wenn der Kläger ein Fahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung erworben hätte (vgl. Urteile des Senats vom 31. Oktober 2019, 13 U 178/18, nv; vom 10. Dezember 2019, 13 U 86/18, nv). Ausweislich der Rechnung vom 11. Dezember 2007 (GA 917) belaufen sich diese auf insgesamt 666,21 € (462,18 € Überführungspauschale + (7,14 € + 90,52 € =) 97,66 € Zulassungskosten = 559,84 € zzgl. 19 % Umsatzsteuer (106,37 €).
98(2) Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die von dem Zeugen I gezogenen Nutzungen anzurechnen. Der Zeuge I hat das Fahrzeug über einen mehrjährigen Zeitraum genutzt und auf diese Weise einen geldwerten Vorteil erlangt.
99In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dem Geschädigten neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Gleichartige Gegenansprüche sind automatisch zu saldieren (BGH, Urteil vom 12. März 2009, VII ZR 26/06, juris Rdnr. 16; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, Juris Rdnr. 112; Palandt-Grüneberg, BGB, 78. Aufl., Vorb v § 249 Rz. 71). Der Schadensersatzanspruch des Geschädigten ist nur mit dieser Einschränkung begründet. Darauf, ob der Schädiger die Herausgabe des Vorteils verlangt, kommt es nicht an.
100Danach muss sich die Klägerin die Nutzung des Fahrzeugs durch den Zeugen I anrechnen lassen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. November 2019 ,13 U 37/19, juris Rdnr. 105 ff.; OLG Oldenburg, Urteil vom 21. Oktober 2019, 13 U 73/19, BeckRS 2019, 25843 Rdnr. 18; OLG München, Urteil vom 15. Oktober 2019, 24 U 797/19, BeckRS 2019, 25424 Rdnr. 79 ff.; OLG Oldenburg, Urteil vom 2. Oktober 2019, 5 U 47/19, BeckRS 2019, 23205 Rdnr. 34 ff.; OLG Naumburg, Urteil vom 27. September 2019, 7 U 24/19, BeckRS 2019, 24547 Rdnr. 96 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019, 12 U 61/19, juris Rdnr. 69 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019, 5 U 1318/18, juris Rdnr. 102 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 5. März 2019, 13 U 142/18, juris Rdnr. 113 ff.; KG Berlin, Urteil vom 26. September.2019, 4 U 77/18, juris Rdnr. 126 ff.).
101Die Nutzungen des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch den Zeugen I sind mit 10.641,38 € anzusetzen. Seinen glaubhaften Bekundungen im Senatstermin vom 15. Oktober 2019 zufolge belief sich der Kilometerstand des Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt auf 82.613 km. Der Senat schätzt unter Berücksichtigung der Angaben des Zeugen I im Termin vom 15.Oktober 2019, seitdem er in Rente sei, fahre er nicht mehr viel, dass das Fahrzeug des Zeugen in der Zeit vom 15. Oktober 2019 bis zum 30. Dezember 2019 rund 700 km und damit insgesamt 83.312 km zurückgelegt hat (§ 287 ZPO).
102Den Wert der durch den Gebrauch des Kraftfahrzeugs gezogenen Nutzungen schätzt der Senat nach der Methode des linearen Wertschwundes (vgl. zum Gebrauchtwagenkauf BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2014, VIII ZR 196/14, juris Rdnr. 3 mwN; Urteil vom 9. April 2014, VIII ZR 215/13, juris Rdnr. 11 ff. mwN) entsprechend § 287 ZPO auf insgesamt 10.641,38 €.
103Die zu erwartende Laufleistung des Motors schätzt der auf Ansprüche aus Fahrzeugkäufen spezialisierte Senat auf 300.000 km, weil es sich um einen Dieselmotor mit 2,0 Litern Hubraum handelt, der nach den Erfahrungen des Senats in anderen Verfahren entsprechend langlebig ist.
104Bei einem Kilometerstand des Fahrzeugs von 83.312 belaufen sich die von dem Zeugen I gezogenen Nutzungsvorteile nach der Berechnungsformel:
105(Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer) : (Gesamtlaufleistung) auf
106(38.985,00 € – 666,21 € =) 38.318,79 € x 83.312 km = 10.641,38 €.
107300.000 km
108Unter Berücksichtigung einer von dem Zeugen I für das Fahrzeug (ohne Überführung und Zulassungskosten) erbrachten Leistung in Höhe von 38.318,79 € besteht nach Abzug einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 10.641,38 € noch ein Anspruch in Höhe von 27.677,41 €.
109(3) Soweit – seitens der Klägerin – prinzipielle Einwände gegen die Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs als Abzugsposten im Rahmen der deliktischen Haftung vorgebracht werden, greifen diese nicht durch (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019, 12 U 61/19, juris Rdnr. 70 ff.; Urteil vom 25. Oktober 2019, 3 U 819/19, juris Rdnr. 99 ff.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. November 2019, 13 U 37/19, juris Rdnr. 110 ff.; KG Berlin, Urteil vom 26. September 2019, 4 U 77/18, juris Rdnr. 123 ff.).
110(4) Es besteht auch kein Anlass, den Nutzungsersatz im Hinblick auf den der Sache anhaftenden Mangel herabzusetzen.
111Die gegenteilige Auffassung der Klägerin, bei der Berechnung des Nutzungsersatzes beschränke sich der objektive Wert des Fahrzeugs bei Übergabe an den Zeugen I aufgrund der manipulationsbedingt erloschenen Betriebserlaubnis auf seinen reinen Materialwert, der mit dem Schrottwert von ca. 220,00 € anzusetzen sei, teilt der Senat nicht. Eine Berücksichtigung des mit dem Mangel verbundenen Minderwerts kommt nur in Betracht, wenn der Mangel die tatsächliche Nutzung erheblich einschränkt. Im vorliegenden Fall war die fortdauernde Nutzbarkeit des Fahrzeugs allein aus Rechtsgründen nicht sichergestellt (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019, 12 U 61/19, juris Rdnr. 76 ff.; vom 25. Oktober 2019, 3 U 819/19, juris Rdnr. 111; OLG Karlsruhe, Urteil vom 6. November 2019, 13 U 37/19, juris Rdnr. 120). Dass das Fahrzeug für seinen Hauptzweck, es im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, wegen der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung und des dadurch bedingten Stilllegungsrisikos in rechtlicher Hinsicht nicht voll brauchbar war, ändert nichts daran, dass der Zeuge das Fahrzeug tatsächlich faktisch über 10 Jahre im Straßenverkehr nutzen konnte und genutzt hat.
112(5) Soweit die Klägerin – erstmals – in der Berufungsbegründung die Ansicht vertritt, bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung seien etwaige von der Beklagten gezogene Kapitalnutzungen zu berücksichtigen, kommt es auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob dieser Vortrag verspätet ist, nicht an. Eine rechtliche Grundlage für einen solchen Anspruch ist nicht ersichtlich. Der in diesem Zusammenhang erfolgte Hinweis des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2019, es handele sich nicht um einen Abschöpfungsanspruch, vielmehr sei der Aspekt im Rahmen der Billigkeit nach § 242 BGB zu berücksichtigen, geht fehl. Zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass im Rahmen des § 249 BGB Vorteile, die dem Schädiger aus dem zum Schadensersatz verpflichtenden Ereignis zugeflossen sind, grundsätzlich unberücksichtigt bleiben, solange diese sich nicht gleichzeitig als Vermögensnachteil auf Seiten des Geschädigten niedergeschlagen haben (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 25. Oktober 2019, 3 U 819/19, juris Rdnr. 120 f.). Einschlägig ist für derartige Fallkonstellationen die Vorschrift des § 849 BGB, der gegenüber allgemeinen Billigkeitserwägungen vorrangig ist. Dessen Eingreifen hat die Klägerin indes weder für sich in Anspruch nehmen wollen, noch greift dieser vorliegend ein. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 26. November 2007, II ZR 167/06, juris Rdnr. 5 f.) besteht der Normzweck des § 849 BGB darin, dass der Zinsanspruch den endgültig verbleibenden Verlust an Nutzbarkeit der Sache ausgleichen soll, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann. Dieser Schutzzweck ist hier nicht betroffen, da der Zeuge I im Austausch für den gezahlten Kaufpreis das Fahrzeug nutzen konnte.
113b) Sämtliche Ansprüche des Zeugen I sind aufgrund der in der Ergänzungsvereinbarung zum Geschäftsbesorgungsvertrag vom 29. Mai 2018 (GA 845 f.) enthaltenen und von der Klägerin angenommenen Abtretungserklärung des Zeugen I, die der Senat nach §§ 533, 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO berücksichtigen konnte, im Rahmen eines Forderungskaufs, der vom Anwendungsbereich des RDG ausgenommen ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2013, IV ZR 137/13, juris Rdnr. 17 f.; BGH, Urteil vom 27. November 2019, VIII ZR 285/18, juris Rdnr. 41), auf diese übergegangen (§ 398 BGB).
114Das mit der Kopie (GA 845 f.) übereinstimmende Original dieser Erklärung hat die Klägerin im Senatstermin vom 15. Oktober 2019 vorgelegt. Der auch in dieser Hinsicht uneingeschränkt glaubwürdige Zeuge I hat hierzu im Senatstermin vom 15. Oktober 2019 bekundet, dass es sich bei der unten rechts aufgebrachten Unterschrift um seine handelt. Der Senat ist aus den bereits unter cc) (1) dargestellten Erwägungen von der Richtigkeit der Bekundungen des Zeugen I überzeugt.
1152. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Prozesszinsen auf die Hauptforderung aus übergegangenem Recht ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB.
1163. Über den Hilfsantrag ist nicht zu entscheiden, da die Klägerin mit dem Hauptantrag auf Rückzahlung des Kaufpreises dem Grunde nach obsiegt hat.
1174. Aus vorstehenden Ausführungen folgt zugleich die Unbegründetheit der weitergehenden Berufung der Klägerin.
1185. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
119Die übrigen prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
1206. Dem von der Beklagten im Senatstermin vom 15. Oktober 2019 gestellten Antrag auf Gewährung einer Stellungnahmefrist zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme war nicht zu entsprechen. Die Beklagte hatte im Rahmen des vorgenannten Termins bereits ausreichend Gelegenheit zu der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen, wovon sie auch Gebrauch gemacht hat. Neue Tatsachen sind bei der Beweisaufnahme nicht zutage getreten.
1217. Die Revision hat der Senat zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für die Beklagte zugelassen (§§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
1228. Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 38.985,00 €.