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Zu den Anforderungen an einen schlüssigen Klagevortrag für die Verletzung einer winterlichen Räum- und Streupflicht, wenn ein Fußgänger nach Betreten der Fahrbahn beim Einsteigen in einen Pkw auf sog. Schneematsch ausrutscht.
Der Senat weist nach Beratung darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen 3 Wochen nach Zugang dieses Beschlusses zu dem Hinweis Stellung zu nehmen oder die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.
Gründe:
2I.
3Die Klägerin begehrt von der beklagten Stadt Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen eines Sturzes, der sich nach ihrem Vortrag am 00.01.2019 gegen 16.45 Uhr in Höhe des Hauses C Platz 0 in F ereignet haben soll. Die Straße C Platz ist aufgrund der ansässigen Sekundarschule im Winterdienst der Beklagten der Prioritätenstufe „A“ zugeordnet. Mitarbeiter der Beklagten hatten am Morgen des 00.01.2019 zwischen 5:50 Uhr und 5:55 Uhr Winterdienstarbeiten im Bereich der der behaupteten Unfallstelle ausgeführt.Die Klägerin hat vor dem Landgericht behauptet, sie sei auf der Straße gestürzt. Sie habe beabsichtigt in einen ordnungsgemäß geparkten Pkw auf der Beifahrerseite einzusteigen. Dazu sei sie vom Bordstein des Fußgängerwegs auf die Fahrbahn getreten, dort sei sie gestürzt und habe sich schwere Verletzungen am rechten Bein zugezogen. Erst nach dem Sturz habe sie Schneematsch auf dem Boden bemerkt.Die Beklagte ist dem Klagebegehren entgegen getreten und hat geltend gemacht, ihrer Streupflicht ausreichend nachgekommen zu sein. Sie hat unter Vorlage eines Routenprotokolls behauptet, die Straße C Platz auch am Nachmittag des 00.01.2019 zwischen 14:15 und 14:20 Uhr winterdienstlich behandelt zu haben. Ferner hat sie die Ansicht vertreten, dass im Bereich der Fahrbahn ohnehin keine Räum- und Streupflicht zugunsten des Fußgängerverkehrs bestünden.Das Landgericht hat die Klägerin persönlich angehört und hiernach die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, eine Amtspflichtverletzung der beklagten Stadt könne nicht festgestellt werden. Im Bereich der Sturzstelle habe keine Streupflicht bestanden. Streupflichten betreffend die Fahrbahn dienten nicht dem Schutz der Fußgänger. Fahrbahnen müssten für Fußgänger nur im Bereich unentbehrlicher und belebter Fußgängerüberwege gestreut werden, Parkbuchten müssten grundsätzlich nicht abgestreut werden. Daher bestehe nicht an jeder Stelle, an der ein Fußgänger die Fahrbahn betreten könne, eine Streuplicht. Dies gelte insbesondere für den Randbereich der Straße. Das Räumen und Streuen zwischen geparkten Autos und dem Bordstein sei dem Sicherungspflichtigen nicht zumutbar.
4Es könne auch nicht festgestellt werden, dass sich am Fahrbahnrand Schneematsch angehäuft hätte, den die Beklagte hätte beseitigen müssen. Nach dem Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung sei ohnehin zweifelhaft, ob überhaupt eine allgemeine Glättebildung vorgelegen habe, die eine Streupflicht habe begründet habe.Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes, der in erster Instanz gestellten Klageanträge und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf das angefochtene Urteil verwiesen (§ 540 Abs.1 ZPO).Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung.Sie macht geltend, die der Beklagten obliegende Räum- und Streupflicht erfasse auch das Schneeräumen auf Fahrbahnen sowie das Bestreuen gefährlicher Stellen auf der Fahrbahn. Dass es zum Unfallzeitpunkt stark geschneit habe, sei zwischen den Parteien unstreitig. Für den Umstand, dass die Klägerin auf Schneematsch ausgerutscht sei, den die Beklagte dort angehäuft habe, sei Beweis angeboten worden, diesen Beweis hätte das Landgericht erheben müssen. Die Räumung der Fahrbahn dürfe nicht dazu führen, dass für Fußgänger zusätzliche Gefahren dadurch geschaffen wurden, dass Schneereste am Fahrbahnrand oder zwischen geparkten Fahrzeugen aufgehäuft würden. Im vorliegenden Fall hätten die Schneereste am rechten Fahrbahnrand auf einer schraffierten Fläche (Halteverbot) gesammelt werden können.Sie beantragt,
5unter Abänderung des angefochtenen Urteils
61. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, welches einen Betrag von 50.000,00 € nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.05.2019 zu zahlen;
72. die Beklagte zu verurteilen, an sie 845,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.05.2019 zu zahlen;
83. die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.350,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.05.2019 zu zahlen;
94. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche ihr aus dem Unfallereignis am 00.01.2019 am C Platz in Höhe Hausnummer 0 in 00000 F entstanden sind und/oder noch entstehen werden; immaterielle Schäden dabei nur insoweit, als sie derzeit noch nicht vorhersehbar sind, materielle Schäden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übertragen werden.
10Die Beklagte beantragt,
11die Berufung zurückzuweisen.
12II.
13Die zulässige Berufung der Klägerin hat nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Auch eine mündliche Verhandlung, von der neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind, ist nicht geboten, § 522 Abs.2 S.1 ZPO.Das Landgericht hat die auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehen gegen die beklagte Stadt keine Ansprüche aus § 839 BGB, i.V.m. Art.34 GG, §§ 9, 9a, 47 Abs.1 StrWG NRW, § 1 Abs.2 StrReinG NRW aufgrund des Unfallereignisses vom 00.01.2019 zu.Der Klägerin obliegt es nach den Regeln über die Darlegungslast, die Voraussetzungen der Streupflicht und deren schuldhafte Versäumung darzutun und erforderlichenfalls zu beweisen (vgl. BGH, Urt. v. 12.06.2012, VI ZR 138/11, Tz.9, juris; Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 823 Rn.230). Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin weder das Bestehen einer Streupflicht am Unfalltag noch deren Verletzung schlüssig dargelegt hat. Auf Beweisfragen kommt es deshalb nicht an.1. Die winterliche Räum- und Streupflicht beruht auf der Verantwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, d.h. eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. Schneebelag voraus. Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättestellen (st. Rspr. des BGH, vgl. nur BGH, Beschl. v. 21.01.1982, III ZR 80/81; BGH, Urt. v. 12.06.2012, VI ZR 138/11, Tz.10 m.w.N., juris). Ist eine Streupflicht gegeben, richten sich Inhalt und Umfang nach den Umständen des Einzelfalls. Danach sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs (BGH, Urt. v. 20.12.1990, III ZR 21/90, Tz.13; BGH, Urt. v. 12.06.2012, VI ZR 138/11, Tz.10; OLG Brandenburg, Urt. 02.03.2010, Az.: 2 U 6/08 Tz.24, juris).a) Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das Landgericht zu Recht darauf verwiesen, dass nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Klägerin schon erhebliche Zweifel daran bestehen, ob eine Streupflicht der Beklagten aufgrund einer allgemeinen Glättebildung bestand. Entgegen der Berufung war im erstinstanzlichen Verfahren nicht unstreitig, dass es am Unfalltag stark geschneit hatte. Die Klägerin hat zu den allgemein herrschenden Straßenverhältnissen im erstinstanzlichen Verfahren nicht konkret vorgetragen. Sie hat lediglich geltend gemacht, auf vorhandenem Schneematsch ausgerutscht zu sein. Dazu, wann es zuletzt geschneit hat und ob im Ortsgebiet der Beklagten eine allgemeine Glätte geherrscht hat, hat sie nicht vorgetragen. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin vielmehr angegeben, dass Bürgersteig und Straßen „frei“ waren. Dem Vortrag der Beklagten kann zu den am 00.01.2019 herrschenden Straßenverhältnissen nichts entnommen werden. Sie hat lediglich behauptet, dass die Straße C Platz am 00.01.2019 zweimal winterdienstlich bearbeitet worden ist. Offen geblieben ist jedoch, ob dies aufgrund einer konkreten Glättebildung geschehen oder wegen der nahe gelegenen Schule rein vorsorglich erfolgt ist.Im Übrigen könnte die Klägerin aus einer Verletzung der für die Fahrbahn des C Platzes geltenden Räum- und Streupflicht aufgrund allgemeiner Glättebildung ohnehin nichts Günstiges für sich herleiten. Die für den öffentlichen Straßenraum geltenden Grundsätze zur Räum- und Streupflicht sind nicht auf den Fußgängerverkehr übertragbar. Die Klägerin, die als Fußgängerin die Fahrbahn betreten hat, fällt nicht in den Schutzbereich einer eventuell bestehenden Amtspflicht, die Fahrbahn für den Fahrzeugverkehr zu räumen (vgl. OLG München, Beschl. v. 09.01.2007, Az.: 1 U 5665/06; OLG München, Beschl. v. 13.06.2007, Az.: 1 U 2311/07, juris; Senat, Beschl v. 25.07.2018, 11 U 63/18 [unveröffentlicht]).b) Es kann auch nicht festgestellt werden, dass an der konkreten Unfallstelle eine Räum- und Streupflicht der Beklagten deshalb bestand, weil es Anhaltspunkte dafür gab, dass an der Unfallstelle eine ernsthaft drohende Gefahr aufgrund einer vereinzelten Glättestelle bestand (vgl. hierzu BGH, Urt. v.02.07.2019, VI 184/18, Tz.10, juris). Daher muss nicht geklärt werden, ob auf der Fahrbahn am Fahrbahnrand Schneematsch lag, auf dem die Klägerin ausgerutscht ist.Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass der Verkehrssicherungspflichtige nicht gehalten ist, Fahrbahnen so zu räumen und abzustreuen, dass sie von Fußgängern über die gesamte Breite und an jeder beliebigen Stelle gefahrlos genutzt werden können. Nach der Rechtsprechung des BGH sind für Fußgänger innerhalb der geschlossenen Ortschaft auf der Fahrbahn nur die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege, bei denen es sich nicht unbedingt um besonders gekennzeichnete Überwege i.S. d. § 26 StVO handeln muss, zu streuen und zu räumen (BGH, Urt. v. 20.12.1990, III ZR 21/90, Tz.18). Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass es sich bei der Unfallstelle um einen belebten und unentbehrlichen Fußgängerüberweg handelte. Deswegen musste die Beklagte nicht dafür Sorge tragen, dass der Fahrbahnrand im Bereich der Unfallstelle frei von Eis und Schnee war.Die Klägerin hat auch keinen anderen besonderen Grund dafür vorgetragen, weshalb für die Beklagte die Pflicht bestanden haben sollte, etwa vorhandenen Schneematsch gerade an der konkreten Unfallstelle zu beseitigen. Eine solche Pflicht ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass sich die Unfallstelle in der Nähe einer Schule befindet und deshalb – möglicherweise – im Bereich der Unfallstelle damit zu rechnen ist, dass regelmäßig Fußgänger in Fahrzeuge steigen oder diese verlassen. Auch in diesem Fall müssen sich PKW-Insassen bei Aufsuchen oder Verlassen ihrer Fahrzeuge mit gesteigerter Eigensorgfalt auf der Straße bewegen (vgl. Senat Beschl. v. 25.07.2018, 11 U 63/18).
14Die Berufung wurde nach dem erteilten Hinweis zurückgenommen.