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Ist ein bei Bauarbeiten entstandener Kabelgraben in einem asphaltierten Gehweg lediglich mit Sand und Schotter verfüllt worden und hat sich im verfüllten Bereich eine in Gehrichtung verlaufende 4 cm hohe Kante gebildet, kann dies eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle darstellen. Ist der Bereich nach Abschluss der Bauarbeiten nicht durch Schilder oder Warnhinweise gekennzeichnet, muss ein Fußgänger regelmäßig nicht davon ausgehen, dass er einen Baustellenbereich mit einem erhöhten Gefahrenpotential betritt. Ist dem Verkehrssicherungspflichtigen bekannt, dass sich in dem Bereich durch Witterungseinflüsse innerhalb kurzer Zeit Unebenheiten entwickeln können, ist er gehalten, die Stelle in kurzen zeitlichen Intervallen zu kontrollieren oder andere zumutbare Maßnahmen – wie z.B. ein Verfüllen mit Kaltasphalt – zu ergreifen, die das kurzfristige Entstehen einer Gefahrenstelle verhindern oder vor ihr warnen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23.09.2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 600,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 08.11.2018 sowie 147,56 € zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 40 % und die Beklagte zu 60 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
2(ohne Tatbestand gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO)
3I.
4Die zulässige Berufung der Klägerin ist nur teilweise begründet.
51.
6Der Klägerin steht aufgrund des Unfallgeschehens vom 22.10.2018 gegen die Beklagte aus § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art 34 GG und §§ 9, 9a, 47 StrWG NRW, 253 Abs. 2 BGB unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 40 % ein Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von 600,- € zu.
7a)
8Die Beklagte hat die ihr unter anderem gegenüber der Klägerin aus §§ 9, 9 a, 47 StrWG NRW obliegenden Verkehrssicherungspflichten schuldhaft verletzt, indem sie den Fußgängerverkehr nicht in hinreichender Weise vor den Gefahren geschützt hat, die am Unfalltag von dem über den Gehweg zum Kindergarten B in I verlaufenden, lediglich mit Schotter und Sand verfüllten Kabelgraben ausgegangen sind.
9aa)
10Die für die Sicherheit der in ihren Verantwortungsbereich fallenden Verkehrsflächen zuständigen Gebietskörperschaften haben im Rahmen des ihnen Zumutbaren nach Kräften darauf hinzuwirken, dass die Verkehrsteilnehmer in diesen Bereichen nicht zu Schaden kommen. Allerdings muss der Sicherungspflichtige nicht für alle denkbaren, auch entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorkehrungen treffen. Eine Sicherung, die jeden Unfall ausschließt, ist praktisch nicht erreichbar. Vielmehr sind Vorsorgemaßnahmen nur dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung anderer ergibt. Dies ist dann zu bejahen, wenn eine Gefahrenquelle trotz Anwendung der von den Verkehrsteilnehmern zu erwartenden eigenen Sorgfalt nicht rechtzeitig erkennbar ist oder diese sich auf die Gefahrenlage nicht rechtzeitig einstellen können. Dabei wird die Grenze zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen ganz maßgeblich durch die sich im Rahmen des Vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt, die sich wesentlich an dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und deren Verkehrsbedeutung orientieren (OLG Hamm, Urteil vom 24.03.2015, I-9 U 114/14 – Rz. 18 m.w.Nw.).
11Was die Beherrschbarkeit von Bodenunebenheiten für Fußgänger angeht, so werden nach gefestigter Rechtsprechung, der auch der Senat folgt, selbst scharfkantig gegeneinander abgesetzte Niveauunterschiede auf asphaltierten, plattierten oder gepflasterten Gehwegen bis zu 2 cm für Fußgänger grundsätzlich als beherrschbar angesehen. Erst darüber hinaus beginnt ein Bereich, in dem Unebenheiten für Fußgänger nicht mehr in jedem Fall hingenommen werden müssen. Dabei stellt der genannte Höhenunterschied von 2 cm indes keine starre Grenze dar, ab der schematisch eine Verpflichtung des Verkehrssicherungspflichtigen zur Gefahrbeseitigung anzunehmen ist. Vielmehr ist in diesen Fällen auf die jeweilige vernünftige Erwartungshaltung der Verkehrsteilnehmer in der konkreten Örtlichkeit unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls abzustellen, wobei dem Gesamteindruck, den die Verkehrsfläche dem Benutzer bietet und aus dem dieser seine Erwartungshaltung vernünftigerweise zu einem wesentlichen Teil herleitet, sowie der Verkehrsbedeutung wesentliche Bedeutung zukommt (OLG Hamm, Urteil vom 25.50.2004, 9 U 43/04, NJW-RR 2005, 255, 256). Von gleichem Gewicht ist das Maß der Ablenkung der Fußgänger, also die Frage, ob der Fußgänger seine Aufmerksamkeit nahezu eingeschränkt der Gehwegfläche widmen kann oder ob diese durch äußere Umstände abgelenkt wird (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Celle, Urteil vom 07.03.2011, 9 U 218/00 – Rz. 6 zitiert nach Juris). Dabei bewirkt ein Höhenversatz von bis zu etwa 3 cm in normalen Fußgängerbereichen ohne Ablenkungsmöglichkeit im Regelfall noch keinen Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht (Senatsbeschluss vom 22.01.2014 in 11 U 44/13; Senatsbeschluss vom 21.11.2014 in I-11 U 112/14; Stein/Itzel/Schwall, Praxishandbuch des Amts- und Staatshaftungsrechts, 2. Auflage, Rdnr. 541).
12bb)
13Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte vorliegend die ihr für den zum Kindergarten B führenden Fußgängerweg obliegenden Verkehrssicherungspflicht dadurch verletzt, dass sie den Fußgängerverkehr nicht in hinreichender Weise vor den Gefahren geschützt hat, die am Unfalltag von dem quer über den Gehweg verlaufenden, lediglich mit Schotter und Sand verfüllten Kabelgraben ausgegangen sind.
14(1)
15Nach den mit der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts war es nach der im Februar 2019 erfolgten Verfüllung des Kabelgrabens durch Ausspülen und Herausfahren des Füllmaterials zur Bildung von Unebenheiten gekommen. Ausweislich der zu den Akten gereichten Lichtbilder Blatt 69 bis 72 der Akten hatte sich dadurch bis zum Unfalltag seitlich neben einem in dem Kabelgraben zurückgelassenen Teil der alten Asphaltdecke eine in Gehrichtung des Fußgängerverkehrs verlaufende Kante von bis zu 4 cm Höhe gebildet, die eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle darstellte. Die Höhe der Kante von 4 cm lag nicht mehr in dem Bereich von Niveauunterschieden, mit denen ein durchschnittlicher Fußgänger auf normalen innerstädtischen Gehwegen ohne besonderes Ablenkungspotential durch Schaufenstereinlagen und dergleichen rechnen muss. Die Höhe der Kante zwischen dem Asphaltstück und dem angrenzenden Füllmaterial war andererseits aber auch nicht so hoch, dass die Beklagte davon hätte ausgehen können, dass die Kante den Fußgänger quasi vor sich selbst als Gefahrenstelle warnt. Eine Einschränkung der Verkehrssicherungspflicht allein wegen der Erkennbarkeit der Bodenunebenheit kommt allein für außergewöhnlich hohe Niveauunterschiede im Gehwegbereich in Betracht. Denn entscheidendes Kriterium für die Bildung eines Grenzwerts ist, ob der Niveauunterschied im Gehwegbelag eine Größenordnung erreicht, die auch bei einem normal sorgfältigen Gehen Ursache eines Sturzes sein kann. Der Niveauunterschied muss sich in einer Größenordnung bewegen, bei der – extrem hohe Niveauunterschiede ausgenommen – eine solche Kante bei normaler Sorgfalt, die bei einem Begehen ebener Flächen nicht gezielt auf jeden Schritt gerichtet ist und auch nicht gerichtet sein braucht, häufig überhaupt nicht oder nicht als für die Gehsicherheit gefährliche Unebenheit erkannt wird (OLG Hamm, Urteil vom 18.07.1986, 9 U 328/85 = VersR 1988, 467). Letzteres ist aber bei einem Höhenunterschied von lediglich 4 cm ohne weiteres zu bejahen, zumal wenn er – wie hier – längst zur Gehrichtung des Fußgängerverkehrs verläuft.
16Auch der Umstand, dass in dem Bereich des Kabelkanals für jeden durchschnittlichen Fußgänger erkennbar der Bodenbelag von Asphalt auf Schotter und Sand wechselte, führt nicht dazu, dass in diesem Bereich vom Fußgängerverkehr höhere Niveauunterschiede als 3 cm hinzunehmen gewesen wären. Denn in Fußgängerzonen und auf Bürgersteigen (so z.B. im Bereich von Straßenecken oder Grundstückszufahrten) kommt es vielfach zu einem Wechsel des Bodenbelages (etwa von Platten auf Verbundsteinpflaster, kleingliedrigen Kopfsteinpflaster oder Asphalt). Solche Übergänge, die innerhalb des dem Fußgängerverkehr vorbehaltenen Verkehrsbereichs liegen, sind nicht vergleichbar mit Übergängen wie etwa Bordsteinkanten, wo der Fußgänger vom Gehweg auf die Straße wechselt und umgekehrt und bei denen er durchaus mit höheren Niveauunterschieden als nur 3 cm rechnen muss (Senatsurteil vom 10.04.2013, 11 U 90/12). Das vorliegend die Oberfläche des verfüllten Kabelgraben aus Schotter und Sand bestand, rechtfertigt entgegen der Ansicht der Beklagten ebenfalls keine abweichende Beurteilung. Insbesondere kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass der Fußgängerverkehr den betreffenden Gehwegabschnitt als Baustellenbereich hätte erkennen und bewerten müssen, in dem mit größeren Bodenunebenheiten als sonst gerechnet werden muss. Denn zum Unfallzeitpunkt waren die Bauarbeiten nach dem eigenen Vortrag der Beklagten schon seit Monaten abgeschlossen. Es waren von der Beklagten an der betreffenden Stelle des Gehweges auch keine Schilder oder Warnhinweise aufgestellt worden, aufgrund derer der durchschnittliche Gehwegbenutzer davon hätte ausgehen müssen, dass es sich bei dem betreffenden Bereich noch um einen Baustellenbereich mit einem erhöhten Gefahrenpotential handelt. Von daher konnte der durchschnittliche Gehwegbenutzer auch diesen Bereich des Gehweges mit der berechtigten Verkehrserwartung betreten, dass der vormalige Baustellenbereich von der Beklagten wieder so hergestellt worden ist, dass er genauso gefahrlos zu benutzen ist wie der sonstige Gehweg.
17(2)
18Das Vorliegen der abhilfebedürftigen Gefahrenstelle am Unfalltag begründet auch den Vorwurf einer schuldhaften Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte. Zwar fällt dem Verkehrssicherungspflichtigen bei erst im Laufe der Zeit entstehenden Bodenunebenheiten im Gehwegbelag in aller Regel erst dann der Vorwurf einer Verkehrssicherungspflichtverletzung zur Last, wenn er die Unebenheit bei den von ihm turnusmäßig durchzuführenden Gehwegkontrollen hätte erkennen und beseitigen müssen. Allerdings hat die Beklagte im Berufungsverfahren selbst vorgetragen, es sei allgemein bekannt, dass sich im Bereich einer Schotterdecke insbesondere „durch Witterungseinflüsse leicht und auch schon innerhalb kurzer Zeit Unebenheiten entwickeln können, weil ein Teil des eingebrachten Materials herausgespült oder an vom Regen aufgeweichten Stellen herausgefahren wird“ und genau dies auch im vorliegenden Fall passiert sei. Wenn aber die Verwendung von Schotter und Sand als Füllmaterial nach dem eigenen Vortrag der Beklagten von vornherein die Gefahr in sich barg, dass sich schon innerhalb kurzer Zeit durch Witterungseinflüsse darin Unebenheiten von bis zu 4 cm Tiefe oder mehr bilden können, dann hätte die Beklagte entweder bei der von ihr gewählten Art der Verfüllung des Kabelgraben mit Schotter und Sand den Gehweg in sehr kurzen zeitlichen Intervallen von allenfalls 2 Wochen Länge auf seine Gefahrlosigkeit hin kontrollieren müssen, was nach den Angaben ihres Prozessbevollmächtigten im Senatstermin indes nicht geschehen ist, weil danach die letzte Kontrolle des Gehweges vor dem streitgegenständlichen Unfall im März oder April 2018 erfolgte. Oder die Beklagte hätte – was deutlich näher liegt – zur Erfüllung ihrer Verkehrssicherungspflicht von vornherein andere Maßnahmen ergreifen müssen, um der Gefahr des kurzfristigen Entstehens von größeren Bodenunebenheiten als 3 cm zu begegnen. Solche Maßnahmen wären ihr ohne weiteres möglich und auch in wirtschaftlicher Hinsicht zumutbar gewesen. So hätte für die Beklagte die Möglichkeit bestanden, den Kabelkanal nach Abschluss der Bauarbeiten mit einem anderen, geeigneteren Material wie beispielsweise Kaltasphalt zu verfüllen bzw. verfüllen lassen, das nicht so leicht und schnell durch Witterungseinflüsse oder Fahrzeuge weggetragen wird. Für den Fall, dass ihr der damit verbundene Kostenaufwand im Hinblick auf die seinerzeit von ihr geplante grundhafte Erneuerung des Weges tatsächlich hoch erschienen sein sollte, hätte sie auch eine Stahlplatte über den Kabelgraben legen lassen können. Als kostengünstige Maßnahme wäre schließlich auch das Aufstellen eines Baustelleschildes oder Gefahrenhinweisschildes in Betracht gekommen.
19cc)
20Der Beklagten fällt hinsichtlich der Amtspflichtverletzung auch ein Verschulden in Gestalt fahrlässigen Verhaltens zur Last. Denn dass der Kanalgraben nach Abschluss der Bauarbeiten entweder engmaschiger hätte kontrolliert oder den von ihm ausgehenden Gefahren von vornherein durch andere geeignete Maßnahmen hätte begegnet werden müssen, wäre für die Beklagte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ohne weiteres erkennbar gewesen.
21b)
22Die schuldhafte Amtspflichtverletzung der Beklagten ist auch für den von der Klägerin erlittenen Schaden ursächlich geworden. Der Senat hat nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Klägerin keinen Zweifel daran, dass die Klägerin am Unfalltag infolge des Höhenunterschiedes von 4 cm zwischen dem im Kanalgraben zurückgelassenen Asphaltstück und dem angrenzenden Füllmaterial zu Fall gekommen ist und dadurch die in der Klageschrift dargelegten Verletzungen und Verletzungsfolgen erlitten hat. Die Klägerin hat bei ihrer persönlichen Anhörung durch den Senat geschildert, dass sie am Unfalltag ihre ältere Tochter in den Kindergarten B zur Betreuung gebracht hat. Auf dem Rückweg habe sie ihr jüngeres Kind im Maxi Cosi vor sich hergetragen und habe deshalb nur eine eingeschränkte Sicht auf den unmittelbar vor ihr gelegenen Gehweg gehabt. Im Bereich des verfüllten Kabelgrabens sei sie dann mit dem rechten Fuß auf die Kante zwischen dem im Kanalgraben zurückgelassenen Asphaltstück und dem angrenzenden Füllmaterial getreten und mit dem Knöchel umgeknickt. Nach dem Unfall sei ihr Knöchel stark angeschwollen, weshalb sie einen Arzt aufgesucht habe. Dieser habe nach Röntgen des Fußes dann einen Sprunggelenkbandanriss festgestellt habe. Sie habe deshalb sechs Wochen lang einen speziellen Schuh tragen müssen. Ferner habe sie für die Dauer einer Woche nicht schwer tragen dürfen, weshalb es ihr nicht möglich gewesen sei, in ihrem Haus mit ihrer kleinen Tochter Treppen zu laufen, und insoweit auf Hilfe einer Freundin angewiesen gewesen sei. Auch heute noch schwelle ihr Fuß bei Belastung an.
23Der Senat hat keinen Anlass an der Richtigkeit der Angaben der Klägerin zu zweifeln. Die Unfallschilderung der Klägerin, infolge des Betretens der längs zur Gehrichtung verlaufenden Kante mit ihrem rechten Fuß umgeknickt zu sein, ist für den Senat nachvollziehbar und plausibel. Die von der Klägerin geltend gemachte Primärverletzung ist mit der von ihr zu den Akten gereichten ärztlichen Bescheinigung des Dr. Med. L vom 26.10.2018 (Blatt 18 der Akten) mit der Diagnose „S93 2RG/Kapselaussenbandruptur OSG“ belegt. Der Senat hat schließlich auch keinen Zweifel an der Richtigkeit der Angaben der Klägerin, dass ihr ärztlicherseits für 6 Wochen das Tragen eines speziellen Schuhs sowie für die Dauer von 1 Woche das Vermeiden schweren Tragens verordnet worden sei. Dem Senat ist aus einer Vielzahl anderer Verfahren hinlänglich bekannt, dass bei Sprunggelenksverletzungen dem Verletzten das Tragen eines den Fuß stützenden Hilfsmittels wie einer Aircast Orthese und das Vermeiden für den Heilungsprozess abträglichen schweren Tragens verordnet wird. Darüber hinaus hat die Klägerin für den Senat keinerlei Tendenz zu einer übertriebenen Darstellung ihrer unfallbedingt erlittenen Beschwerden erkennen lassen.
24c)
25Allerdings muss sich die Klägerin ein anspruchsminderndes Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls von 40 % anrechnen lassen. Zwar braucht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Fußgänger auf dem Gehweg einer Stadt seine Augen nicht ständig nach unten zu richten. Wenn er Unebenheiten in der Pflasterung übersieht, ist ihm daraus allein der Vorwurf einer „besonderen“ Unaufmerksamkeit nicht zu machen (BGH, Urteil vom 10.05.2007, III ZR 115/06, NJW 2007, 3211 – Rz. 9 bei Juris). Ein untergeordnetes oder gleichwertiges Mitverschulden schließt das aber nicht aus. Dies gilt vorliegend umso mehr, als der Klägerin nach ihren eigenen Angaben im Senatstermin aufgrund vorheriger Besuche des Kindesgartens schon vor dem streitgegenständlichen Unfall der mit Schotter und Sand verfüllten Teilabschnitts des Gehwegs bekannt war. Zwar führt der Wechsel des Bodenbelags – wie oben ausgeführt – nicht dazu, dass der Fußgängerverkehr an der besagten Stelle generell höhere Niveauunterschiede als 3 cm hinzunehmen hatte. Jedoch kann von einem Fußgänger, der sich der streitgegenständlichen Unfallstelle nähert, aus dem Gesichtspunkt der gebotenen Eigensorgfalt erwartet werden, dass er zumindest im Bereich des Wechsels des Bodenbelages kurz vor sich auf den Boden schaut. Dabei hätte die Klägerin allerdings ausweislich der zu den Akten gereichten Lichtbilder erkennen können, dass es bereits zu einem Materialaustrag aus dem Kanalgraben gekommen war. Andererseits ist bei der Bemessung des Mitverschuldensanteils der Klägerin aber auch zu berücksichtigen, dass die zum Unfall führende Gefahrenstelle vorliegend von der Beklagten selbst geschaffen wurde, indem sie ein Material für die Verfüllung des Kanalgrabens gewählt hat, bei dem sich selbst innerhalb kurzer Zeit durch Witterungseinflüsse Bodenunebenheiten von mehr als 3 cm bilden konnten, ohne den Fußgängerverkehr vor dieser Gefahr in geeigneter Weise zu schützen. Bei Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile am Zustandekommen des Unfalls wiegen nach Auffassung des Senats im Ergebnis derjenige der Beklagten leicht schwerer, weil sie die Erstursache für den Unfall gesetzt hat und ihr als Fachbehörde die mit dem Füllmaterial verbundenen Gefahren eher hätten bekannt sein müssen als der Klägerin.
26d)
27Für die von ihr unfallbedingt erlittenen Verletzungen und Verletzungsfolgen steht die Klägerin gemäß § 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeld zu, welches der Senat unter Berücksichtigung aller vorgenannten und sonst noch für die Bemessung des Schmerzensgeldes relevanten Umstände einschließlich des der Klägerin zur Lasten fallenden Mitschuldens von 40 % und in der Vergangenheit von Rechtsprechung für vergleichbare Verletzungen zuerkannten Schmerzensgeldbeträge (AG Rottweil, Urteil vom 30.05.2007, 2 C 2267/07 = Nr. 637 in Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2020, 38. Auflage) mit insgesamt 600,- € bemessen hat.
282.
29Der Zinsanspruch der Klägerin auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten aus 600,- € seit dem 08.11.2018 folgt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Die Beklagte befindet sich aufgrund der ihr im vorprozessualen Schreiben der Klägerin vom 22.10.2018 gesetzten Frist zur Zahlung eines Vorschusses von 1.000,- € bis zum 07.11.2017 mit der Erfüllung des der Klägerin zustehenden Schmerzensgeldanspruchs seit dem 08.11.2018 im Verzug.
303.
31Darüber hinaus steht die Klägerin aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art 34 GG und §§ 9, 9a, 47 StrWG NRW sowie § 249 BGB ein Anspruch auf Erstattung ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € zu. Die Klägerin kann von der Beklagten nur insoweit Ersatz ihrer vorprozessualen Rechtsanwaltskosten verlangen, als sich diese ausgehend von einem Gegenstandswert von 600,-€ errechnen, weil der von ihr vorprozessual geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch aus den vorstehend dargelegten Gründen nur in dieser Höhe begründet ist. Ausgehend von einem Gegenstand von 600,- € errechnen sich bei Ansatz einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr sowie einer Pauschale nach Nr. 7002 VV zum RVG von 20,- € und 19 % Umsatzsteuer erstattungsfähige vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 €.
32II.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.