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Die Berufung des Beklagten gegen das am 12.12.2018 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
2I.
3Die Parteien streiten um Pflichtteilsansprüche nach ihrer am 00.00.2017 verstorbenen Mutter, Frau B A.
4Die Erblasserin war mit dem am 00.00.2003 vorverstorbenen Ehemann, Herrn C A, verheiratet. Aus der Ehe sind der am 00.00.1961 geborene Kläger sowie der am 00.00.1963 geborene Beklagte und die am 00.00.1973 geborene Tochter D, geb. A, hervorgegangen. Die Erblasserin ließ am 31.08.2015 durch den Zeugen, Notar E, ein notarielles Testament beurkunden. In § 2 dieses Testaments setzte sie den Beklagten zu ihrem alleinigen Erben ein. Weiter heißt es in dem Testament:
5„Zur Begründung weise ich darauf hin, dass mein Sohn F seit dem Jahr 2007 meine Pflege und Betreuung übernommen hat. Hierzu führe ich im einzelnen aus: Ich bin seit spätestens Oktober 2007 pflegebedürftig und bedarf der häuslichen Pflege. Diese Pflege wird ausschließlich allein von meinem Sohn F durchgeführt, … Er verwaltet darüber hinaus auch das Mehrfamilienhaus und kümmert sich allein um die Grabpflege des Grabes meines verstorbenen Ehemannes. Aus den vorgenannten Gründen sollen die beiden anderen Kinder lediglich ihren Pflichtteil erhalten, wobei ich darauf hinweise, dass mein Sohn G A zur Anrechnung auf den Pflichtteil bereits 10.000 € am 18.11.2010 erhalten hat. Ich füge eine Quittung als Anlage bei, die mein Sohn G unterschrieben hat.“
6Der Nettonachlass der Erblasserin beträgt 337.249,29 €. Nachdem der Kläger gegen den Beklagten einen Pflichtteil i.H.v. 56.208,21 € geltend gemacht hatte, zahlte der Beklagte einen Teilbetrag i.H.v. 14.541,55 € und lehnte eine weitere Zahlung unter Hinweis auf einen ihm zustehenden Ausgleichsanspruch gemäß § 2057 a BGB ab.
7Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Pflichtteilsanspruch i.H.v. 41.666,66 € geltend gemacht. Dazu hat er vorgetragen, die Ausgleichsregelung für die vom Beklagten übernommene Pflege der Erblasserin sei in dem notariellen Testament dadurch ausgeschlossen worden, dass der Beklagte als Alleinerbe eingesetzt und dadurch gegenüber seinen Geschwistern bevorzugt worden sei. Der Ausschluss der Ausgleichspflicht sei auch im Rahmen von § 2316 BGB zu berücksichtigen. Die Mitarbeit des Beklagten im Haushalt der Erblasserin sei schließlich auch nicht unentgeltlich erfolgt.
8Der Beklagte hat vorgetragen, der Wert der von ihm unstreitig erbrachten Pflegeleistungen sei mit 250.000 € anzusetzen. Er habe die Erblasserin bis zu ihrem Tod durchgehend gepflegt, das Mehrfamilienhaus verwaltet und sich um die Pflege des Grabes des verstorbenen Ehemannes der Erblasserin gekümmert. Er habe – was der Kläger mit Nichtwissen bestreitet – auch Reparaturarbeiten an dem Mehrfamilienhaus und an einzelnen Wohnungen vorgenommen. Wegen der Pflege der Erblasserin habe der Beklagte einer Berufstätigkeit nicht nachgehen können. Die Erblasserin habe den Ausgleichsanspruch gemäß § 2057 a BGB nicht abbedingen können und wollen. Wenn sie den Ausgleich hätte ausschließen wollen, hätte sie dies gegenüber dem beurkundenden Notar auch geäußert. Der Notar hätte die entsprechende Erklärung selbstverständlich beurkundet. Es sei auch nicht von einem Vermächtnis auszugehen, denn die Erblasserin habe den Geschwistern keinen Vermögensvorteil zukommen lassen wollen. Die Nichtberücksichtigung der Pflegeleistungen verstoße gegen die guten Sitten im Sinne von § 138 BGB. Die Vorschrift des § 2057 a BGB sei auch gemäß § 2052 BGB bei gewillkürter Erbfolge anzuwenden. Hier komme die Vorschrift nach § 2316 Abs. 1 S. 1 BGB zur Anwendung. Durch das Testament habe die Erblasserin nicht rückwirkend einen Ausgleich für bereits geleistete Pflege ausschließen können. Dass der Ausgleichsanspruch zu berücksichtigen sei, erschließe sich auch aus der Hilfsüberlegung, dass bei Anwendung der gesetzlichen Erbfolge die Berücksichtigung der Leistungen des Beklagten dazu führen würde, dass dem Kläger nur noch ein Anspruch i.H.v. 2.134,04 € zustünde.
9Das Landgericht hat den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger 31.666,66 € nebst Verzugszinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe gem. § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB einen Pflichtteilsanspruch in dieser Höhe gegen den Beklagten. Der Beklagte habe keinen Anspruch auf Ausgleich gem. § 2057 a BGB i.V.m. § 2316 BGB. Dieser Anspruch sei durch die Erblasserin wirksam abbedungen worden. Zwar habe die Erblasserin keine eindeutige Aussage in ihrem Testament getroffen. Die Auslegung ergebe jedoch, dass eine Ausgleichspflicht gemäß § 2057 a BGB nicht bestehe. Die Erblasserin habe den Beklagten dadurch belohnen wollen, dass sie ihn zum Alleinerben gemacht habe, während die beiden anderen Kinder „lediglich ihren Pflichtteil erhalten“ sollten. Ein anderer Grund, weshalb die Erblasserin diese Anordnung getroffen habe, sei aus dem Testament nicht ersichtlich. Dies sei auch nicht sittenwidrig, denn der Beklagte erhalte einen doppelt so großen Anteil am Nachlass wie bei der gesetzlichen Erbfolge. Dies sei als Ausgleich angemessen. Der Anspruch des Klägers sei gem. § 2315 BGB aufgrund der Anordnung der Erblasserin in ihrem Testament um die bereits erhaltenen 10.000 € zu kürzen. Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
10Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der an seinem Antrag auf Klageabweisung in vollem Umfang festhält. Zur Begründung trägt er vor, die Erblasserin habe den Ausschluss der gesetzlichen Ausgleichungspflicht gemäß § 2057 a BGB gegenüber dem beurkundenden Notar nicht erklärt. Die Erblasserin habe einen finanziellen Ausgleich für die von ihm erbrachten Pflegeleistungen nicht durch dessen Einsetzung als Alleinerbe schaffen wollen. Da die Erblasserin notariell beraten gewesen sei, spreche die größere Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Notar eine entsprechende Erklärung aufgenommen hätte, wenn die Erblasserin die Ausgleichungspflicht hätte ausschließen wollen. Deshalb hätte das Landgericht den Notar als Zeugen vernehmen müssen. Außerdem hätte der Kläger konkrete Anhaltspunkte vortragen müssen, um die Vermutung der Richtigkeit des Inhalts der Urkunde zu entkräften. Der Auffassung des Gerichts, die Erblasserin könne die Ausgleichungspflicht durch Verfügung von Todes wegen ausschließen oder einschränken, fehle eine gesetzliche Grundlage. Die Erblasserin habe nicht über den Ausgleichungsanspruch des Beklagten letztwillig verfügen können.
11Der Beklagte beantragt,
12das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
13Der Kläger beantragt,
14die Berufung zurückzuweisen.
15Er verteidigt die angefochtene Entscheidung mit näheren Ausführungen.
16Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst An-lagen Bezug genommen.
17Der Senat hat die Parteien gemäß § 141 ZPO persönlich angehört und den Zeugen E gemäß Beweisbeschluss vom 26.05.2020 vernommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle nebst der Berichterstattervermerke vom 26.05.2020 und 22.09.2020 Bezug genommen.
18II.
19Die gem. §§ 511 ff. ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist unbegründet.
20Dem Kläger steht der vom Landgericht ausgeurteilte Pflichtteilsbetrag gem. § 2301 Abs. 1 BGB zu.
211. Gemäß § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB hat der Kläger einen Pflichtteilsanspruch in Höhe der Hälfte des Wertes seines gesetzlichen Erbteils. Neben dem Beklagten und seiner Schwester hätte der Kläger gemäß § 1924 Abs. 1 BGB die Erblasserin zu einem Drittel beerbt. Der Wert des Nachlasses gem. § 2311 BGB beträgt unstreitig 337.249,29 €. Der Pflichtteilsanspruch des Klägers beträgt demnach ein Sechstel des Nachlasses, mithin 337.249,29 € / 6 = 56.208,21 €. Auf diesen Anspruch hat der Beklagte bereits einen Teilbetrag i.H.v. 14.541,55 € geleistet, sodass ein Anspruch in Höhe von 41.666,66 € verbleibt. Das Landgericht hat hiervon aufgrund der Anrechnungsbestimmung in § 2 des notariellen Testaments der Erblasserin einen Betrag i.H.v. 10.000 € in Abzug gebracht, sodass ein Zahlungsanspruch i.H.v. 31.666,66 € zugunsten des Klägers verbleibt.
222. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht eine Ausgleichungspflicht gemäß §§ 2316, 2057 a BGB, die zu einer von Ziff. II. 1) abweichenden Berechnung des Pflichtteils und damit einhergehend zu einem geringeren Anspruch des Klägers führt, abgelehnt. Der Beklagte hat zwar – im Grundsatz unbestritten – vorgetragen, er habe die Erblasserin jahrelang gepflegt und deren Mietshaus verwaltet, so dass diese – wie er behauptet – unentgeltlich erbrachten Leistungen gemäß §§ 2316, 2057 a BGB auszugleichen seien. Die auch im Falle der Alleinerbschaft grundsätzlich bestehende Ausgleichungspflicht wegen der erbrachten (Pflege-) Leistungen (a)) ist von der Erblasserin jedoch in ihrem notariellen Testament abbedungen worden (b)).
23a) Im Fall der Ausgleichung von Leistungen nach § 2057 a BGB erfolgt die Berechnung des für den Ausgleichspflichtteil maßgebenden Ausgleichserbteils nach § 2057 a Abs. 4 i.V.m. § 2316 BGB. Der Ausgleichsberechtigte erhält danach einen nach § 2057a Abs. 4 S. 1 BGB um den Ausgleichsbetrag erhöhten Erbteil (MüKoBGB/ Lange, 8. Aufl. 2020, BGB § 2316 Rn. 18). Diese Berechnung kommt selbst dann in Betracht, wenn ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling – wie hier der Beklagte – zum Alleinerben berufen worden ist. Denn nach der Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 09. Dezember 1992 – IV ZR 82/92 –, juris, FamRZ 1993, 535 = NJW 1993, 1197; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 15. Juni 2012 – 3 U 28/11 –, juris; Palandt-Weidlich, BGB, § 2316 Rn. 1) wirkt § 2316 Abs. 1 BGB nicht nur zugunsten des enterbten Pflichtteilsberechtigten, sondern - wenn andere Pflichtteilsberechtigte wegen Leistungen gemäß § 2057 a BGB Ausgleichung beanspruchen können - auch zu seinen Lasten. Dem kann nicht ohne weiteres entgegen gehalten werden, dass der eingesetzte Erbe für seine Leistungen im Sinne von § 2057 a BGB schon durch die Erbeinsetzung honoriert wird, das Pflichtteilsrecht des enterbten Abkömmlings aber durch die Ausgleichung dieser Leistungen zugunsten des Testamentserben ausgehöhlt wird (BGH, a.a.O.; a.A. Palandt-Weidlich, BGB, § 2057 a Rn. 9 a.E., Staudinger/Löhnig (2016) BGB § 2057a Rn. 29, 33).
24b) Die Auslegung des Testaments der Erblasserin ergibt jedoch, dass von den dargestellten Grundsätzen abweichend nach dem Willen der Erblasserin eine Ausgleichung erbrachter Leistungen nach § 2057 a BGB nicht erfolgen sollte. Nach Auffassung des Senats ist eine von § 2057 a BGB abweichende Testierung grundsätzlich möglich (aa)) und hier auch erfolgt (bb)).
25aa) Nach allgemeiner Ansicht ist § 2057 a BGB im Bereich der Erbausgleichung abdingbar. Die Testierfreiheit erlaubt es dem Erblasser durch eine letztwillige Verfü-gung die Ausgleichungspflicht auszuschließen oder wertmäßig zu begrenzen, d.h. die Mitarbeit des Abkömmlings auf eine andere Weise oder überhaupt nicht zu honorieren (Palandt-Weidlich, BGB, § 2057 a Rn. 1). Dadurch kann er die in § 2057 a BGB zum Ausdruck kommende Vermutung, die Berücksichtigung der Sonderleistung einzelner Abkömmlinge bei der Auseinandersetzung entspräche seinem Willen, widerlegen. (Schermann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl, § 2057a BGB (Stand: 15.03.2017) Rn. 11; MüKoBGB, BGB, § 2057 a Rn. 3; Palandt-Weidlich, BGB, § 2057 a Rn. 1; Staudinger/Löhnig (2016) BGB § 2057a Rn. 4). Der Einwand des Beklagten, es handele sich insoweit um eine vereinzelte Literaturmeinung, die einer gesetzlichen Grundlage entbehre, ist nicht durchgreifend. Auch wenn es dazu bisher – soweit ersichtlich – keine obergerichtliche oder höchstrichterliche Rechtsprechung gibt, schließt sich der Senat der zitierten Meinung in der Literatur an. Zum einen lässt sich diese Auffassung auf die immerhin verfassungsrechtlich garantierte Testierfreiheit als gesetzliche Grundlage (Art. 14 GG) stützen. Zum anderen handelt es sich um die wohl herrschende Auffassung in der Literatur, die mit überzeugenden Argumenten zu einer Abdingbarkeit der Ausgleichungspflicht gelangt.
26Dass ein Erblasser die Ausgleichung nach § 2057 a BGB ausschließen kann, gilt uneingeschränkt auch bei der Pflichtteilsberechnung. Nach allgemeiner Meinung gibt die Vorschrift des § 2316 Abs. 1 BGB dem Erblasser mit der pauschalen Verweisung auf § 2057 a BGB nur nicht die Möglichkeit, einseitig in das Pflichtteilsrecht einzugreifen, so dass eine Abweichung von §§ 2316 Absatz 1, 2057 a BGB zulasten des ausgleichungsberechtigten Abkömmlings, der seinen Pflichtteil geltend macht, grundsätzlich nur mit der Einschränkung möglich ist, dass ein (beschränkter) Pflichtteilsverzicht mit diesem vereinbart wird, oder wenn die Voraussetzungen für die Entziehung des Pflichtteils vorliegen (vgl. Palandt-Weidlich, § 2316 Rn. 2; BeckOGK/Reisnecker, 1.2.2020, BGB § 2316 Rn. 48; Staudinger/Otte (2015) BGB § 2316 Rn. 9).
27Daraus folgt jedoch nach Auffassung des Senats im Umkehrschluss, dass ein Ausschluss des Ausgleichs zugunsten des Pflichtteilsberechtigten, der selbst keine Leistungen gem. § 2057 a BGB erbracht hat, möglich ist. Zudem verweist § 2316 Abs. 1 S. 1 BGB zur Berechnung des Pflichtteils im Falle einer Ausgleichungspflicht auf das gesetzliche Erbrecht. Nach dem Sinn und Zweck des § 2316 Abs. 1 BGB soll der Pflichtteilsberechtigte nicht weniger, aber auch nicht mehr als die Hälfte desjenigen erhalten, was er im Falle gesetzlicher Erbfolge zu beanspruchen hätte (OLG Nürnberg NJW 1992, 2303; BGH NJW 1993, 1197). Im Falle gesetzlicher Erbfolge hätte die Erblasserin aber – wie oben dargelegt – den Ausgleich ausschließen können. Darin liegt – entgegen der Meinung des Beklagten - auch kein Verstoß gegen § 138 BGB, denn – worauf das Landgericht bereits hingewiesen hat – der Beklagte ist durch die Alleinerbschaft hinreichend kompensiert (vgl. Staudinger/Otte (2015) BGB § 2316 Rn. 9).
28bb) Der Kläger hat schließlich den ihm obliegenden Beweis dafür geführt, dass die Erblasserin entgegen der Vermutung des § 2057 a BGB die Ausgleichspflicht in ihrem Testament ausgeschlossen hat.
29Der Ausschluss der Ausgleichungspflicht folgt zwar nicht allein schon daraus, dass die Erblasserin den Beklagten zu ihrem Alleinerben bestimmt hat. Nach der bereits zitierten Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 09. Dezember 1992 – IV ZR 82/92 –, juris, FamRZ 1993, 535 = NJW 1993, 1197) lässt allein die Einsetzung eines Pflichtteilsberechtigten, der Leistungen i.S.d. § 2057 a BGB erbracht hat, als Alleinerbe, diesen Schluss nicht zu (s.o. II. 2. a)).
30(1) Aus dem notariellen Testament vom 31.08.2015 lässt sich indessen der Wille der Erblasserin entnehmen, dass die Ausgleichung vom Beklagten erbrachter Pflegeleistungen nicht gewollt war, auch wenn die Erblasserin dies in ihrem Testament nicht ausdrücklich angeordnet hat. Grundsätzlich ist gemäß § 133 BGB der Wortsinn der vom Erblasser benutzten Ausdrücke zu hinterfragen, um festzustellen, was er mit seinen Worten sagen wollte und ob er mit ihnen genau das unmissverständlich wiedergab, was er zum Ausdruck bringen wollte (Palandt-Weidlich, BGB, § 2084 Rn. 1). Gemäß § 133 BGB ist bei der Auslegung der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Dass es sich vorliegend um ein notarielles Testament handelt und deshalb davon auszugehen ist, dass die Erblasserin notariell beraten worden ist, steht einer Auslegung nicht entgegen (Palandt-Weidlich, BGB, § 2084 Rn. 2 m.w.N.).
31Für den Willen der Erblasserin, den Ausgleich für die vom Beklagten erbrachten Leistungen auszuschließen, spricht vor allem die Begründung der Einsetzung des Beklagten als ihren Alleinerben. Eine solche Begründung ist durchaus ungewöhnlich und deshalb für die Auslegung des Testaments der Erblasserin von erheblicher Bedeutung. In ihrem Testament rechtfertigt die Erblasserin, warum sie den Beklagten als Alleinerben einsetzt und ihren anderen beiden Kindern lediglich den Pflichtteil zukommen lassen will. Als Grund für die Einsetzung des Beklagten als ihren Alleinerben führt sie dessen Pflegeleistungen und seine Hilfe bei der Verwaltung des zum Nachlass gehörenden Mehrfamilienhauses an. Diese Hilfeleistungen des Beklagten seien auch der Grund dafür, dass der Kläger und die Schwester der Parteien lediglich den Pflichtteil erhalten sollten. Daraus folgt, dass der Beklagte als Alleinerbe eingesetzt worden ist, um ihn für seine Dienste zu belohnen und gegenüber den anderen Kindern der Erblasserin erbrechtlich besser zu stellen.
32Hätte es die Erblasserin bei der Ausgleichungspflicht gem. § 2057 a BGB belassen wollen, hätte es dieser Begründung für die Einsetzung des Beklagten zum Alleinerben unter Hinweis auf dessen Pflegeleistungen nicht bedurft. Wenn die Erblasserin jedoch nicht den Willen gehabt hätte, dadurch zum Ausdruck zu bringen, dass der Ausgleich der vom Beklagten erbrachten Leistungen ausgeschlossen sein soll, stellt sich die Frage, warum diese Leistungen zur Begründung für die Alleinerbschaft des Beklagten und die Enterbung der anderen Kinder im Testament überhaupt erwähnt worden sind. Dass die Erblasserin damit die Ausgleichungspflicht nicht ausschließen wollte, könnte allenfalls dann angenommen werden, wenn es andere Gründe als die Pflegeleistungen des Beklagten dafür gegeben hätte, ihn als ihren alleinigen Erben zu bestimmen, z.B., wenn es der Erblasserin nur darum gegangen wäre, das Mehrfamilienhaus, das offenbar den wesentlichen Nachlassgegenstand darstellt, in der Familie zu behalten und vor einer Teilung unter den Kindern zu bewahren. Das kommt jedoch in dem Testament der Erblasserin gerade nicht zum Ausdruck. Nach alledem lässt die Abfassung des „Vorspanns“ in dem Testament nur den Schluss zu, dass die Erblasserin den Beklagten für die von ihm erbrachten Leistungen mit der Alleinerbschaft „belohnen“ wollte anstelle eines Ausgleichs unter den Geschwistern für erbrachte Pflegeleistungen. Es wird der Erblasserin nicht zuletzt auch darauf angekommen sein, durch eine „klare“ und „einfache“ Regelung einen Streit unter den Kindern über die Höhe des Ausgleichs im Rahmen der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zu vermeiden. Dass die Erblasserin den Willen gehabt hat, dass der Pflichtteil des Klägers und seiner Schwester im Wege des Ausgleichs noch weiter gekürzt wird, erscheint demgegenüber lebensfern. Bei dieser Auslegung des Testaments ist auch die erforderliche Form gewahrt, denn durch die Erwähnung der vom Beklagten erbrachten Pflege- und sonstigen Leistungen im Testament ist der Ausschluss des Ausgleichs nach § 2057 a BGB ausreichend angedeutet.
33(2) Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde stützt daher die Auffassung des Klägers, nach der ein Ausgleich von Pflegeleistungen ausgeschlossen sein sollte, ohne dass es dazu weiteren Vortrags seitens des Klägers bedurfte hätte. Diese Vermutung hat der Beklagte auch nicht widerlegt.
34Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann nicht zur Überzeugung des Senats festgestellt werden, dass die Erblasserin bei Errichtung des Testaments einen anderen Willen gehabt hat. Der dazu vernommene Zeuge E, der als Notar das Testament der Erblasserin beurkundet hatte, hat die Behauptung des Beklagten, die Erblasserin habe nicht den Willen gehabt, den Ausgleich für die Leistungen des Beklagten auszuschließen, nicht bestätigt. Der Zeuge hat ausgesagt, sich nicht daran erinnern zu können, ob das Thema „Ausgleichspflicht“ überhaupt besprochen worden sei. Er hat lediglich bekundet, dass die Erblasserin gewünscht habe, die Gründe, die sie bewogen hatten, den Beklagten als Alleinerben einzusetzen, in das Testament aufzunehmen. Es habe klargestellt werden sollen, dass nur der Beklagte dafür in Betracht gekommen sei. Der Zeuge hat zudem bestätigt, dass die Informationen für das Testament vom Beklagten stammten. Die Erblasserin sei damit einverstanden gewesen und weder sie noch der Beklagte hätten Änderungen des Entwurfs gewünscht. Es ist aber anzunehmen, dass entweder der Beklagte oder die Erblasserin auf die Erwähnung des Ausgleichs gedrängt hätten, wenn es ihnen neben der erheblichen erbrechtlichen Bevorzugung des Beklagten gegenüber den auf den Pflichtteil gesetzten Geschwistern durch die Einsetzung als Alleinerbe auch noch um einen zusätzlichen Ausgleich für die Leistungen des Beklagten gegangen wäre. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Aussage des Zeugen, dass er es vermerkt hätte, wenn von der Ausgleichungspflicht bzw. deren Ausschluss die Rede gewesen wäre. Selbst wenn es die ständige Übung des Notars gewesen wäre, stets über den Inhalt der Besprechungen anlässlich einer Urkunde einen Vermerk für seine Handakte zu fertigen, kann angesichts des umfangreichen Vorspanns in dem Testament nicht sicher angenommen werden, dass dies auch in diesem Fall so gewesen wäre.
35c) Dem Beklagten steht schließlich ein Kürzungsrecht gem. § 2318 Abs. 1 BGB nicht zu. Zwar stellt nach h.M. die Erklärung eines Erblassers, durch die die Ausgleichspflicht abbedungen wird, i.d.R. ein Vermächtnis dar (Palandt-Weidlich, BGB, § 2057 a Rn. 1 m.w.Nw.), da die übrigen Miterben durch die Befreiung von der Ausgleichungspflicht des § 2057 a BGB eine Begünstigung erfahren. Bei einem pflichtteilsberechtigten Vermächtnisnehmer ist allerdings gem. § 2318 Abs. 2 BGB zu beachten, dass diesem der Pflichtteil zu verbleiben hat. Eine weitergehende Kürzung des Anspruchs des Klägers, der lediglich den Pflichtteil verlangt, kommt daher nicht in Betracht.
36Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711, ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 543 Abs: 2 ZPO liegen wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache vor.