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Für eine Gerichtsstandbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO aus Anlass einer Klage gegen mehrere natürliche Personen hat der Kläger regelmäßig den allgemeinen Gerichtsstand (gem. §§ 12, 13 ZPO, i.V.m. § 7 BGB den Wohnsitz) der Beklagten zu ermitteln und vorzutragen. Mit der Angabe einer anderen Anschrift (z.B. der der Arbeitsstelle der Beklagten) genügt er diesen Anforderungen nicht. Eine Amtsermittlung durch das für die Gerichtsstandbestimmung zuständige Gericht erfolgt insoweit nicht. Unterlässt der Kläger trotz gerichtlichen Hinweises die Ermittlung des allgemeinen Gerichtstands, ist der Gerichtsstandbestimmungsantrag - derzeit - zurückzuweisen.
Der Antrag der Klägerin auf Bestimmung des zuständigen Gerichts aus der Klageschrift vom 18.09.2019 wird – derzeit - zurückgewiesen.
Gründe:
2I.
3Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen einer angeblich fehlerhaften Heilbehandlung auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch.
41.
5Ihr Ehemann hatte am 13.02.2001 einen Schlaganfall erlitten und befand sich in ständiger ambulanter Dialysebehandlung. Am 20.06.2018 stürzte er in der Dusche und schlug gegen die Armaturen. Am 12.07.2018 wurde er notfallmäßig in einer Klinik in I aufgenommen und auf Anordnung des Beklagten zu 1), der dort als Chefarzt angestellt ist, am nächsten Tag wieder entlassen. Nachdem sich sein Gesundheitszustand daraufhin verschlechterte und er vermehrt an starken Schmerzen und Atemnot litt, wurde er am 17.07.2019 mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus in N gefahren und dort in der Intensivstation aufgenommen. Dort wurde er beatmet und künstlich ernährt, bis sich sein Gesundheitszustand verbesserte. Am 30.07.2018 wurde er auf die allgemeine Station verlegt. Am 07.08.2019 wurde er entlassen und kam auf die geriatrische Station des Krankenhauses „J“ in C, bei dem der Beklagte zu 2) als Chefarzt angestellt ist. Während dieses Aufenthalts verstarb er am 15.08.2018. Die Klägerin ist seine einzige Erbin.
6Der Verstorbene war privat versichert. Die Klägerin macht sowohl vertragliche als auch deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten als Gesamtschuldner geltend, da mit den ihnen als in den Krankenhäusern in I und C behandelnden Chefärzten Behandlungsverträge zustande gekommen seien. Dem Beklagten zu 1) wirft sie vor, dass die Entlassung aus dem Krankenhaus in I zu früh erfolgt sei, da die Beschwerden, wegen derer ihr Ehemann vorstellig geworden sei, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeklungen und ausreichend behandelt worden seien. Die Behandlung durch den Beklagten zu 2) verstoße gegen die ärztlichen Pflichten, da die Medikation ihres Ehemanns in der Klinik in C nicht adäquat und fachgerecht erfolgt sei. Zudem habe das Pflegepersonal keine ausreichenden Maßnahmen gegen die bei Aufnahme ihres Ehemanns bestehende Hitze getroffen, wodurch sich sein Gesundheitszustand weiter verschlechtert habe. In der Gesamtschau dieser Versäumnisse sieht die Klägerin einen groben Behandlungsfehler. Sie ist der Ansicht, die Beklagten hafteten als Gesamtschuldner, da sie den Schaden entweder als gemeinsam handelnde Mittäter im Sinne von § 830 Abs. 1 S. 1 BGB oder als unabhängig voneinander handelnde Nebentäter im Sinne von § 840 Abs. 1 S. 1 BGB verursacht hätten. Wegen der starken Schmerzen, Luftnot und Todesangst, unter denen ihr Ehemann insbesondere in den letzten Tagen vor seinem Tod gelitten habe, hält sie ein Schmerzensgeld von 20.000,- € für angemessen.
72.
8Da die Lungenklinik in I, bei dem der Beklagte zu 1) tätig ist, im Bezirk des Landgerichts Hagen liegt, und das städtische Krankenhaus in C, bei dem der Beklagten zu 2) beschäftigt ist, zum Bezirk des Landgerichts Arnsberg gehört, hat die Klägerin bereits in der Klageschrift hat die Klägerin beantragt, gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht das für den Rechtsstreit örtlich zuständige Gericht zu bestimmen.
9Mit prozessleitender Verfügung vom 22.10.2019 hat das Landgericht Hagen das schriftliche Vorverfahren angeordnet, die Zustellung der Klageschrift veranlasst und die Sache dem Oberlandesgericht Hamm unter Bezugnahme auf den Antrag der Klägerin zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt (Bl. 471 ff. d.A.).
103.
11Der Senat hat die Klägerin auf Bedenken hingewiesen, die gegen die Zulässigkeit bzw. Begründetheit ihres Antrags aus seiner Sicht bestehen und den Beklagten rechtliches Gehör zu diesem Antrag gegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Verfügung vom 12.11.2019 hingewiesen (Bl. 480 f. d.A.).
12Die Klägerin hat dazu Stellung genommen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 02.12.2019 Bezug genommen (Bl. 514 f. d.A.).
13Der Beklagte zu 1) hat darum gebeten, das Landgericht Hagen für örtlich zuständig zu erklären (Bl. 513 d.A.).
14Der Beklagte zu 2) hat zur Frage der Zuständigkeitsbestimmung keine Stellungnahme abgegeben.
15II.
16Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen derzeit nicht vor. Nach dieser Vorschrift wird das zuständige Gericht durch das im Rechtszug zunächst höhere bestimmt, wenn mehrere Personen, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, als Streitgenossen im allgemeinen Gerichtsstand verklagt werden sollen und für den Rechtsstreit ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht begründet ist.
171.
18Demnach ist der Senat zur Zuständigkeitsbestimmung berufen, da das Oberlandesgericht Hamm gegenüber beiden als zuständig in Betracht kommenden Landgerichten das im Rechtszug zunächst höhere ist. Einer seiner Zivilsenate hätte über das Rechtsmittel der Berufung zu entscheiden, wenn das Verfahren vor dem Landgericht Hagen oder Arnsberg durch ein Endurteil abgeschlossen würde (vgl. § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG).
192.
20Ein Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist allerdings nur zulässig, wenn die Beklagten in verschiedenen Landgerichtsbezirken ihren allgemeinen Gerichtsstand haben. Da die Klägerin sie als natürliche Personen in Anspruch nimmt, wird dieser durch ihren Wohnsitz bestimmt (§§ 12, 13 ZPO i.V.m. § 7 Abs. 1 BGB). Wo sich dieser befindet, hat die Klägerin nicht ermittelt und auch auf den Hinweis des Senats vom 12.11.2019 nicht mitgeteilt. Diese Unklarheit in prozessualer Hinsicht hat sie auch zu vertreten, da sie nicht näher vorgetragen hat, ob und welche Maßnahmen sie unternommen hat, um die Wohnanschrift der Beklagten zu ermitteln. Insbesondere ist nicht ersichtlich, ob sie Einwohnermeldeämter um eine entsprechende Auskunft ersucht hat. Auf dieser Grundlage kann der Senat keine Gerichtsstandsbestimmung vornehmen, eine Amtsermittlung durch den Senat findet im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nicht statt, vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 36 Rn. 28 m. w. Nachw.
21Zudem sind keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen und ersichtlich, dass eine Zuständigkeitsbestimmung unabhängig vom allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten zulässig sein könnte. Da kein ausschließlicher Gerichtsstand eingreift, kann über den Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auf Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands nicht entschieden werden.
223.
23Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die von der Klägerin beabsichtigte Bestimmung des Landgerichts Hagen als örtlich zuständiges Gericht auch aus anderen Gründen nicht in Betracht kommt. Denn für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist nur Raum, wenn und soweit die Beklagten nicht an einem gemeinschaftlichen besonderen Gerichtsstand verklagt werden können. Dies ist hier der Fall, da im Bezirk des Landgerichts Arnsberg auch in Bezug auf den Beklagten zu 1) der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gem. § 32 ZPO begründet ist.
24a) Tatort im Sinne dieser Vorschrift ist jeder Ort, an dem auch nur eines der wesentlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht worden ist. Das ist bei Begehungsdelikten sowohl der Ort, an dem der Täter gehandelt hat (sog. Handlungsort), als auch der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde (sog. Erfolgsort). Bei einer Körperverletzung oder gesundheitlichen Beeinträchtigung liegt der Erfolgsort zwar grundsätzlich am Ort der vollendeten Primärverletzung; fortbestehende Beeinträchtigungen führen als bloße Folgeschäden in der Regel nicht zu einem neuen Gerichtsstand. Bei einer fehlerhafter Heilbehandlung ist aber in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt, dass der Wohnort des Verletzten dann (auch) Erfolgsort ist, wenn dort schwere Nebenwirkungen (selbständige Gesundheitsschäden) eintreten, da hierin ein eigenständiger tatbestandlicher Erfolg im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB zu sehen ist (vgl. BGH, Urt. V. 27.05.2008 – VI ZR 69/07 – BGHZ 176, 342, Rn. 17 f.; Schultzky, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 32 Rn. 19 m.w.N.).
25b) Nach dem insoweit allein maßgeblichen Vortrag der Klägerin aus der Klageschrift ist es nach der Entlassung aus der Obhut des Beklagten zu 1) bei ihrem Ehemann zu weiteren, massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu einem Zeitpunkt gekommen, als er schon wieder zu Hause war, und zwar sowohl in körperlicher Hinsicht (starke Schmerzen und Atemnot) als auch zu erheblichen psychischen Belastungen mit Angstzuständigen (siehe im Einzelnen S. 6 ff. der Klageschrift). Dabei handelt es sich nach dem Vorbringen um selbständige Gesundheitsschäden im vorgenannten Sinne, als deren Ursache die Klägerin zumindest auch die vorzeitige Entlassung bzw. das Unterlassen einer weiteren Behandlung ihres Ehemannes ansieht, also ein schadensursächliches Verhalten des Beklagten zu 1). Auf Grundlage dieses Vorbringens ist von einer Rechtsgutsverletzung bzw. einem Schadenseintritt der geltend gemachten unerlaubten Handlung gem. § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 S. 1 BGB i.V.m. § 229 StGB am Wohnort der Klägerin und ihres verstorbenen Ehemanns auszugehen.
26Dem steht schließlich auch nicht entgegen, dass zugleich ein Handlungsort im Sinne von § 32 ZPO im Bezirk des Landgerichts Hagen begründet ist, nämlich am Sitz der Arbeitgeberin des Beklagten zu 1), wo die Heilbehandlung aufgenommen und abgebrochen worden ist. Denn bei einem mehraktigen Geschehen, in dessen weiteren Verlauf es erst zur Rechtsgutsverletzung oder – wie vorliegend – zu einer rechtlich relevanten Schadensintensivierung kommt, hat der Kläger entsprechend § 35 ZPO die Wahl, ob er den Schädiger am Handlungs- oder Erfolgsort in Anspruch nimmt (vgl. Schultzky, a.a.O., Rn. 21 m.w.N.). Die Klägerin hätte den Beklagten zu 1) folglich auch vor dem Landgericht Arnsberg verklagen können bzw. kann dies nach wie vor tun.
27III.
28Nach alledem ist der von der Klägerin in der Klageschrift gestellte Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO jedenfalls derzeit nicht begründet und war daher zurückzuweisen.
29Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da das Verfahren bereits beim Landgericht Hagen rechtshängig und dort über die Kosten des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens mitzuentscheiden ist.
30Auch für eine Vorlage an den Bundesgerichtshof gem. § 36 Abs. 3 S. 1 ZPO besteht aus Sicht des Senats kein Anlass, da er mit der vorliegenden Entscheidung in keiner Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abgewichen worden ist.