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1. Über den (Nicht-)Eintritt der Vollstreckungsverjährung einer Führungsaufsicht hat die als Vollstreckungsbehörde zuständige Staatsanwaltschaft in eigener Zuständigkeit zu befinden. Eine diesbezügliche Entscheidung des Gerichts gemäß der §§ 458 Abs. 1, 463 Abs. 1 StPO ist in zulässiger Weise nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern allein durch diesbezügliche Einwendungen des Verurteilten herbeizuführen (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 09.06.2015 - 1 Ws 203/15 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.11.1996 - 3 Ws 637/96 -, jew. zit. n. juris).
2. Die Regelung der Vollstreckungsverjährung in § 79 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB findet sowohl für die gerichtlich angeordnete als auch für die kraft Gesetzes eintretende befristete Führungsaufsicht Anwendung. Es besteht auch keine Veranlassung, in (entsprechender) Anwendung des § 68c Abs. 4 S. 2 StGB bei der Bestimmung der Verjährungsfrist die Zeit außer Ansatz zu lassen, in welcher der Betroffene flüchtig ist bzw. sich verborgen hält.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der hierdurch dem Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe:
2I.
3Entsprechend eines seit dem 04.05.2011 rechtskräftigen Beschlusses der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 15.04.2011 trat nach vollständiger Vollstreckung einer gegen den Verurteilten wegen Verstößen gegen das BtMG verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten mit seiner am 27.06.2011 erfolgten Entlassung aus dem Strafvollzug gemäß § 68f Abs. 1 S. 1 StGB Führungsaufsicht ein, deren Dauer mit dem vorgenannten Beschluss auf vier Jahre festgesetzt worden ist.
4Da bereits seit dem 17.08.2011 keinerlei Kontakt zwischen der Führungsaufsichtsstelle bzw. der Bewährungshelferin und dem zur Aufenthaltsermittlung ausgeschriebenen Verurteilten mehr besteht, hat die Staatsanwaltschaft Dortmund als Vollstreckungsbehörde die für die fragliche Führungsaufsicht zuständige Strafvollstreckungskammer mit Schreiben vom 23.10.2018 unter Hinweis auf die ihres Erachtens am 26.06.2016 gemäß § 79 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB eingetretene Vollstreckungsverjährung um die Übersendung des Führungsaufsichtsheftes gebeten, was die Strafvollstreckungskammer nach Anhörung der Führungsaufsichtsstelle ausdrücklich abgelehnt hat. Umgekehrt hat die Staatsanwaltschaft Dortmund mit Schreiben vom 22.03.2019 eine von der Strafvollstreckungskammer erbetene Neuberechnung der Dauer der Führungsaufsicht verweigert.
5Mit Beschluss vom 29.03.2019 hat die Strafvollstreckungskammer diese Mitteilungen der Staatsanwaltschaft Dortmund als Antrag ausgelegt, die Führungsaufsicht wegen eines Eintritts der Vollstreckungsverjährung für erledigt zu erklären, und diesen Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer - zusammengefasst - ausgeführt, dass keine Vollstreckungsverjährung eingetreten sei. Es sei bereits fraglich, ob die allgemeinen Vorschriften zur Vollstreckungsverjährung auf eine kraft Gesetzes eingetretene Führungsaufsicht überhaupt anwendbar seien. Jedenfalls seien die Regelungen der §§ 68c ff. StGB spezieller, nach denen die Zeit, in der sich der Verurteilte verborgen halte und sich so der Führungsaufsicht entziehe, unberücksichtigt bleibe (§ 68c Abs. 4 S. 2 StGB). Im Übrigen sei die Führungsaufsicht durchaus - verjährungshemmend - vollzogen worden, hätten nämlich die Beteiligten der Führungsaufsicht durchgehend bereit gestanden, die gerichtlichen Vorgaben zu deren Ausgestaltung umzusetzen.
6Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 08.04.2019. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und festzustellen, dass die kraft Gesetzes gemäß § 68f StGB eingetretene Führungsaufsicht nunmehr verjährt ist.
7II.
8Die sofortige Beschwerde ist gemäß der §§ 463 Abs. 1, 462 Abs. 1, Abs. 3, 458 Abs. 1 StPO statthaft, da sie sich gegen eine gerichtliche Entscheidung über eine Einwendung (der Vollstreckungsverjährung) gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung der Führungsaufsicht im Sinne der §§ 458 Abs. 1, 463 Abs. 1 StPO richtet, und auch im Übrigen zulässig eingelegt worden.
9Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, schon da es für den Ausspruch der Strafvollstreckungskammer über die Feststellung des (Nicht-)Eintritts der Vollstreckungsverjährung der Führungsaufsicht an einer gesetzlichen Grundlage fehlt, sondern über diese Frage vorliegend die Staatsanwaltschaft Dortmund als zuständige Vollstreckungsbehörde selbst zu befinden hat (vgl. hierzu und zum Folgenden OLG Jena, Beschluss vom 09.06.2015 - 1 Ws 203/15 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.11.1996 - 3 Ws 637/96 -, jew. zit. n. juris).
10Es liegt kein Fall vor, in dem nach den Bestimmungen des StGB eine Entscheidung durch das Gericht vorgesehen ist. Weder betrifft der angefochtene Beschluss eine Entscheidung gemäß § 68c Abs. 1 S. 2 StGB, wonach die Höchstdauer der Führungsaufsicht durch gerichtliche Entscheidung abgekürzt werden kann, noch handelt es sich um eine Entscheidung nach § 68e Abs. 1 StGB, wonach das Gericht bei günstiger Sozialprognose die Führungsaufsicht aufheben kann. Die Strafvollstreckungskammer wollte vorliegend vielmehr im Hinblick auf die abweichende Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft Dortmund die ihrer Ansicht nach bestehende Rechtslage hinsichtlich der Vollstreckungsverjährung der Führungsaufsicht feststellend klären. Eine derartige gerichtliche Klärung von Vollstreckungsfragen ist jedoch nur in dem Verfahren gemäß § 458 Abs. 1 StPO zulässig. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.
11Gemäß § 458 Abs. 1 StPO ist eine Entscheidung des Gerichts dann herbeizuführen, wenn über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden. Die vorliegend maßgebliche Frage der Vollstreckungsverjährung betrifft hierbei zwar nach allgemeiner Meinung der Zulässigkeit der Straf- bzw. Maßregelvollstreckung im Sinne der §§ 458 Abs. 1 3. Alt., 463 Abs. 1 StPO (vgl. nur Appl in: KK-StPO, 8. Aufl., § 458 Rn. 12; Graalmann-Scheerer in: LR-StPO, 26. Aufl., § 458, Rn. 9; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 458 Rn. 10).
12Diesbezügliche Einwendungen können aber nach ganz überwiegender und auch vom Senat für zutreffend erachteter Auffassung nicht - wie es die Strafvollstreckungskammer im Wege der Auslegung der Mitteilungen der Staatsanwaltschaft angenommen hat - durch die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde selbst erhoben werden, die vielmehr über die Zulässigkeit der Straf- bzw. Maßregelvollstreckung auch bei Zweifeln in eigener Zuständigkeit - möglicherweise entsprechend einer Weisung der vorgesetzten Dienstbehörde (vgl. OLG Jena, a.a.O.) - zu befinden hat. Vielmehr muss es dem jeweiligen Betroffenen überlassen bleiben, sich mit diesbezüglichen Einwendungen, auf deren Möglichkeit er gegebenenfalls hinzuweisen ist, an das Gericht zu wenden. Es ist der Staatsanwaltschaft somit verwehrt, etwaige eigene Zweifel als Einwendungen gegen die von ihr betriebene Straf- oder Maßregelvollstreckung zu behandeln und auf der Grundlage des § 458 Abs. 1 3. Alt. StPO eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen (vgl. OLG Jena, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Rostock, NStZ 1994, 303; Appl in: KK-StPO, a.a.O., § 458 Rn. 4; Coen in: BeckOK-StPO, 33. Ed. (1.4.2019), § 458 Rn. 5; Graalmann-Scheerer in: LR-StPO, a.a.O., § 458, Rn. 7; Nestler in: MK-StPO, 1. Aufl., § 458 Rn. 19; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, a.a.O., § 458 Rn. 7, jew. m.w.N.).
13Somit ist der Beschluss der Strafvollstreckungskammer folglich schon mangels gesetzlicher Grundlage der Entscheidung ersatzlos aufzuheben. Einer ausdrücklichen Aufhebung der Entscheidung bedarf es, da der Beschluss zwar fehlerhaft, aber nicht unwirksam ist.
14III.
15Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass er in der Sache die Auffassung der Staatsanwaltschaft Dortmund und der hiesigen Generalstaatsanwaltschaft teilt, dass vorliegend hinsichtlich der Führungsaufsicht entgegen der Einschätzung der Strafvollstreckungskammer sowie der Führungsaufsichtsstelle gemäß § 79 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB mittlerweile Vollstreckungsverjährung eingetreten ist.
161.
17Insbesondere findet die vorgenannte Norm entgegen der im angefochtenen Beschluss geäußerten Bedenken (ebenso OLG Jena, a.a.O.) sowohl nach Systematik und Wortlaut des § 79 Abs. 4 StGB, der nämlich lediglich zwischen unbefristeter Führungsaufsicht (§ 79 Abs. 4 S. 1 StGB) und sämtlichen „sonstigen Fällen der Führungsaufsicht“ (§ 79 Abs. 4 S. 2 Nr. 1 StGB) differenziert, als auch nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers, die Vollstreckungsverjährung für die gerichtlich angeordnete Führungsaufsicht (§ 68 Abs. 1 StGB) sowie für die Führungsaufsicht kraft Gesetzes (§ 68 Abs. 2 StGB) einheitlich zu regeln (vgl. BT-Drs. 16/1993, S. 23), auch auf die kraft Gesetzes eingetretene Führungsaufsicht zumindest entsprechende Anwendung (vgl. Bosch in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 79 Rn. 7; Kühl in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 79 Rn. 4; Schmid in: LK-StGB, 12. Aufl., § 79, Rn. 5; für eine Anwendung von § 79 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 StGB - ohne nähere Begründung - Fischer, StGB, 66. Aufl., § 79 Rn. 5), auch wenn in § 79 Abs. 1 StGB normiert ist, dass nur „rechtskräftig verhängte“ Strafen oder Maßnahmen nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht mehr vollstreckt werden dürfen. Einen sachlichen Grund für eine von den vorgenannten Grundsätzen abweichende Unterscheidung gibt es nämlich nicht (vgl. BT-Drs. 16/1993, a.a.O.).
182.
19Es besteht auch keine Veranlassung, in vorrangiger bzw. entsprechender Anwendung des § 68c Abs. 4 S. 2 StGB bei der Bestimmung der Verjährungsfrist die Zeit außer Ansatz zu lassen, in welcher der Betroffene - vorliegend zumindest seit dem 17.08.2011 - flüchtig ist bzw. sich verborgen hält (vgl. LG Bamberg, Beschluss vom 26.04.2011 - 1 StVK 285/03 -; LG Erfurt, Beschluss vom 14.01.2015 - xxx -, jew. zit. n. juris; Bosch in: Schönke/Schröder, a.a.O., § 79a Rn. 8; Fischer, a.a.O., § 79a Rn. 5; Mainz, NStZ 1989, 61). Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass derartige Erwägungen bereits im Gesetzgebungsverfahren zur am 13.04.2007 in Kraft getretenen Reform der Vorschriften zur Führungsaufsicht angestellt, letztlich aber mit überzeugender Begründung verworfen worden sind (BT-Drs. 16/1993, S. 14):
20„Die Umsetzung des Vorschlags für Zeiträume, in denen die verurteilte Person flüchtig ist oder sich verborgen hält, ein Ruhen der Vollstreckungsverjährung für die Führungsaufsicht anzuordnen (Bericht, S. 41 f.), würde die Einheitlichkeit der gegenwärtig für die Vollstreckung aller Strafen und Maßregeln geltenden Ruhensregelungen durchbrechen. Es ist nicht begründbar, weshalb gerade im Falle der Führungsaufsicht die Vollstreckungsverjährung während der genannten Zeit ruhen soll, nicht aber bei allen anderen strafrechtlichen Rechtsfolgen. Der Hinweis auf einen angeblich erforderlichen Gleichlauf mit § 68c Abs. 3 StGB, nach dem solche Zeiten nicht auf die Dauer der Führungsaufsicht angerechnet werden, überzeugt nicht. Denn im Grunde drückt § 68c Abs. 3 StGB nur die Selbstverständlichkeit aus, dass eine Zeit, in der eine Strafe oder Maßregel nicht vollstreckt werden kann, weil die oder der Betroffene nicht auffindbar ist, auch nicht auf die Vollstreckung angerechnet wird. Die Entscheidung der Frage, ob in solchen Zeiten die Verjährung weiter laufen soll, ist davon unabhängig. Sie ist vom StGB bislang sowohl für die Vollstreckungsverjährung aller Strafen und Maßregeln als auch für die Verfolgungsverjährung so entschieden, dass für diese Zeiträume kein Ruhen vorgesehen wird.“
213.
22Schließlich vermag nach Auffassung des Senats allein der von der Strafvollstreckungskammer angeführte Umstand, dass die behördlichen Beteiligten der verfahrensgegenständlichen Führungsaufsicht vorliegend durchgehend bereit gestanden hätten, nicht die Annahme zu begründen, dass die Führungsaufsicht in den letzten Jahren verjährungshemmend vollzogen worden sei. Die Führungsaufsicht wird von Fischer (a.a.O.) in diesem Zusammenhang zutreffend als „Aufsicht in Freiheit“ charakterisiert; findet indes eine solche Aufsicht über Jahre mangels jeglichen Kontakts des Betroffenen zu den mit der Führungsaufsicht befassten Behörden und Gerichten und ohne Kenntnis seines Aufenthaltsorts nicht statt, kann nach dem Verständnis des Senats ersichtlich nicht von einem Vollzug der Führungsaufsicht gesprochen werden.