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1. Wenn eine Reserveursache vorliegt, ist nur der Schaden zu ersetzen, der darin besteht, dass das Rechtsgut zeitlich früher als durch die Reserveursache verletzt worden ist (hier früherer Eintritt eines Bandscheibenvorfalls).
2. Der Schädiger ist für den Umfang der Ersparnis beweispflichtig, wobei § 287 ZPO anwendbar ist. Den Geschädigten trifft ggfls. eine sekundäre Darlegungslast.
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 11.11.2016 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bochum teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte bleibt verurteilt, an das klagende Land 9.058,25 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.09.2014 zu zahlen.
Es bleibt festgestellt, dass die Forderung des klagenden Landes gegen den Beklagten i.H.v. 9.043,25 € auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Beklagten beruht.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen das klagende Land zu 55% und der Beklagte zu 45%.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e :
3I.
4Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 1, Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
5II.
6Die Berufung des Beklagten hat nach erfolgter Teilrücknahme Erfolg.
71. Soweit das Landgericht davon ausgegangen ist, dass dem klagenden Land gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht ein Anspruch auf Zahlung von 9.058,25 € (anteilige fortgezahlte Dienstbezüge nebst Zulage bis einschließlich 12.05.2013, Heilbehandlung bis zur stationären Aufnahme zur Durchführung der Bandscheibenoperation) sowie weitere 15 € (Reinigungskosten Dienstkleidung) jeweils nebst Zinsen zusteht und soweit festgestellt ist, dass die Forderung des klagenden Landes gegen den Beklagten i.H.v. 9.043,25 € auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Beklagten beruht, steht das angefochtene Urteil nach erfolgter Teilrücknahme der Berufung nicht mehr zur Überprüfung durch den Senat.
82. Ersatz des darüber hinausgehend geltend gemachten Betrages von insgesamt 10.855,70 € (anteilige fortgezahlte Dienstbezüge nebst Zulage ab dem 13.05.2013, stationäre Heilbehandlung zur Durchführung der Bandscheibenoperation, Rehabilitation) steht dem klagenden Land nicht zu, insoweit war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9Dem klagenden Land steht gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht zwar ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gemäß § 81 S.1 LBG NRW i.V.m. §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 2, S. 1, 252 BGB zu. Denn der Beklagte hat Polizeikommissar X vorsätzlich körperlich in einer Weise verletzt, dass dessen Dienstfähigkeit zeitweise aufgehoben war und Heilbehandlungskosten aufgewendet werden mussten. Die mit dem Berufungsverfahren noch im Streit stehenden Kosten in Höhe von 10.855,70 € sind nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung jedoch nicht zu ersetzen.
10a) Der Beklagte hat Polizeikommissar X bei dem Einsatz am 23.02.2013 einen Faustschlag in Richtung der Genitalien versetzt und diesen in der Becken- bzw. Leistengegend getroffen. Der Geschädigte erlitt infolge des Schlages u.a. Hämatome in der Leistengegend. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erster Instanz ist zudem überwiegend wahrscheinlich, dass infolge der reflexhaften Ausweichbewegung des Geschädigten dessen vorhandener Bandscheibenvorfall (Prolaps) im Bereich des Lendenwirbelkörpers/Steißbeinkörpers (L5/S1) reaktiviert wurde.
11aa) Dass der vorsätzlich und – trotz Alkoholisierung - schuldhaft handelnde Beklagte gegen den Geschädigten bei dem Einsatzgeschehen einen Faustschlag in Richtung der Genitalien gerichtet und diesen in der Becken- bzw. Leistengegend getroffen hat, stellt der Beklagte mit der Berufung unstreitig.
12bb) Der geschädigte Polizeikommissar X wurde infolge des Faustschlages im Bereich der Leisten- bzw. Beckengegend getroffen. Er hat sich – was bereits erstinstanzlich unstreitig geblieben ist – unter anderem an der rechten Leiste Hämatome zugezogen. Aus der im schriftlichen Gutachten zitierten ärztlichen Bescheinigung der Gemeinschaftspraxis Dres. med. T und T2, Fachärzte für Allgemeinmedizin, I, vom 16.05.2013 geht die am 25.02.2013 erhobene Diagnose hervor: „Es fand sich eine Schnittverletzung am linken Zeigefinger, Hämatome an der rechten Leiste und am rechten Oberschenkel und eine LWS-Zerrung.“
13cc) Im Ergebnis ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte dem Grunde nach für die eingetretenen weiteren gesundheitlich nachteiligen Folgen (hier: der Reaktivierung des vorhandenen Bandscheibenvorfalls L5/S1) haftet.
14(1) Das klagende Land ist mit dem Maßstab des § 286 ZPO beweispflichtig dafür, dass der Geschädigte bei dem Geschehen eine körperliche Verletzung erlitten hat und dass dieser diese ohne das Geschehen nicht erlitten hätte. Insoweit ist zwar keine absolute Gewissheit erforderlich, aber ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie gänzlich verstummen zu lassen. Diese hohen Beweisanforderungen gelten aber nur für die Primärverletzungen. Bei Sekundärfolgen kommt dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 287 ZPO, also die überwiegende Wahrscheinlichkeit, zugute, dies erfasst nicht nur die Folgeschäden einer einzelnen Verletzung, sondern umfasst neben der feststehenden Körperverletzung auch den entstehenden weiteren Schaden aus derselben Schädigungsursache (BGH, Beschluss vom 14.10.2008 –VI 7/08, NJW-RR 2009, 409). Im Übrigen hat – darauf hat das Landgericht zutreffend abgestellt - der Schädiger keinen Anspruch darauf, so behandelt zu werden, als ob er einen Gesunden verletzt hätte. Er muss es vielmehr hinnehmen, wenn der Schaden nur deshalb so groß ist, weil er das Pech hatte, einen gesundheitlich geschwächten Menschen zu verletzen.
15(2) Nach diesen Grundsätzen bestehen hier im Ergebnis keine Zweifel an der vom Landgericht auf der Basis der mündlichen Ausführungen des Sachverständigen getroffenen Feststellung, dass der Schlag mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Ursache für die Reaktivierung des bestehenden Bandscheibenvorfalls gesetzt hat. Neue Feststellungen sind – entgegen den Ausführungen der Berufung – nicht, auch nicht durch Einholung eines weiteren Gutachtens, geboten.
16(a) Der Sachverständige hat das vorhandene Bildmaterial ausgewertet und dabei festgestellt, dass 2008 im Bereich der unteren Lendenwirbel (L4/L5) ein nach hinten links (mediolateral) gelegener noch vom Band bedeckter (subligamentärer) bis möglicherweise teilsequestrierter Bandscheibenvorfall (Prolaps) mit Kontakt zu der Wurzel L5, aber ohne wesentliche Verdrängung der Wurzel vorlag.
17Er hat des Weiteren festgestellt, dass sich in dem Bereich des untersten Lendenwirbels/Steißbeinkörpers (L5/S1) ein sehr großer median gelegener, vermutlich subligamentärer Prolaps befand. Der Spinalkanal sei deutlich bis auf 25% seiner ursprünglichen Breite reduziert.
18Auf den 2013 gefertigten Bildern hat der Sachverständige im Bereich L4/L5 eine black disc lesion (Austrocknung) festgestellt. In dem Bereich L5/S1 vermochte er einen großen, zum größten Teil sequestrierten und zum kleinen Teil noch subligamentären Bandscheibenvorfall festzumachen. Der Spinalkanal sei bis zu etwa 75% verringert, die Nervenwurzel S 1 deutlich verdrängt. Im Rahmen des schriftlichen Gutachtens hat er insoweit erläuternd ausgeführt, dass der Vorfall sequestriert, also das über der Bandscheibe liegende Liagement durchbrochen sei und frei im Spinalkanal liege.
19(b) Während der Gutachter im Rahmen des schriftlichen Gutachtens angegeben hatte, dass der Prolaps infolge des Vorfalls „symptomatisch“ geworden sei, aber nicht für das Beschwerdebild „anerkannt werden könne“, hat er im Rahmen seiner mündlichen Ausführungen überzeugend ausgeführt, dass die reflexartige Beugung des Rückens nach vorn (infolge des Schlages) geeignet sei, das (so) vorgeschädigte Bandscheibengefüge ins Rutschen zu bringen. Das aus den ärztlichen Unterlagen seit dem 25.02.2013 hervorgehende Beschwerdebild „Rückenschmerzen“, welches in weiterer zeitlicher Abfolge schließlich in das Bein ausstrahlende Schmerzen münde, passe in das Bild eines solchen reaktivierten Bandscheibenvorfalls.
20(c) Dem stehen die Ausführungen in der Berufungsbegründung nicht entgegen. Dass der Geschädigte erst am Montag, dem 25.03.2013, ärztliche Hilfe in Anspruch nahm, hat er nachvollziehbar damit erläutert, dass die Beschwerden am Sonntag immer schlimmer geworden seien und er daraufhin am Montag zu seinem Hausarzt gegangen sei.
21Auch der Umstand, dass aus der Krankenkartei des Hausarztes zunächst die Diagnose „LWS-Zerrung“ hervorgeht, ist nicht geeignet, die auf der Basis des Sachverständigengutachtens getroffenen – an dem Maßstab des § 287 ZPO ausgerichteten – Feststellungen zu entkräften.
22Die im Bereich L5/S1 eingetretene Verschlechterung (Sequestration vorangeschritten, Nervenwurzel stark bedrängt) war bei der Anamnese am 25.02.2013 ohne typische Symptome wie ausstrahlende Schmerzen ins Bein offenbar nicht ohne bildgebende Verfahren diagnostizierbar. Erst zu dem Zeitpunkt, in dem in das Bein ausstrahlende Beschwerden einsetzten, ist die bildgebende Diagnostik mit dem oben dargestellten Ergebnis veranlasst worden.
23Die Vermutung der Berufung, dass Anlass für die Reaktivierung jede andere plötzliche Bewegung oder Hebebewegung nach dem Geschehen und vor der bildgebenden Diagnostik (08.04.2013) gewesen sein könnte, überzeugt schon deswegen nicht, weil sich der Geschädigte – wie der Sachverständige dokumentiert hat – zeitnah seit dem Geschehen am 23.02. zuerst am 25.02. und sodann wiederholt am 04.03., 11.03., 25.03., 02.04. und 09.04.2013 in hausärztliche Behandlung wegen „Rückenbeschwerden“ im Lendenwirbelbereich, also in dem Bereich des reaktivierten Bandscheibenvorfalls begeben hat.
24b) Dass die ambulante und stationäre Behandlung, die Operation und die anschließenden Rehabilitationsmaßnahmen zur Schmerz- und Heilbehandlung erforderlich waren und der geschädigte Beamte in dem gesamten Zeitraum dienstunfähig war, hat das Landgericht – auch für den jetzt noch im Streit stehenden Zeitraum - zutreffend festgestellt.
25aa) Allerdings ist es Aufgabe des Schadensersatzrechtes, dem Geschädigten die durch das schädigende Ereignis zugefügten Nachteile abzunehmen. Deshalb ist der Geschädigte nur insoweit anspruchsberechtigt, als er durch das schädigende Ereignis tatsächlich eine Schlechterstellung erfahren hat. Daraus folgt, dass eine Reserveursache, die mit Sicherheit ebenfalls zu dem eingetretenen Schaden geführt hätte, zu berücksichtigen ist. Der durch das schädigende Ereignis bewirkte Vorteil besteht darin, dass sich die Reserveursache nicht mehr verwirklichen kann. Die Berücksichtigung der Reserveursache verhindert, dass der Geschädigte infolge des zum Schadensersatz führenden Ereignisses besser steht, als wenn diese nicht eingetreten wäre (Verbot der Besserstellung). Es muss nur der Schaden ersetzt werden, der darin besteht, dass das Rechtsgut zeitlich früher als durch die Reserveursache verletzt worden ist (Oetker in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 249 Rn. 213, m. w. N.).
26bb) Ausweislich der Feststellungen des Sachverständigen bestand bei dem Geschädigten X im Bereich L5/S1 seit 2008 eine massive Vorschädigung der Bandscheiben, die der Sachverständige mit dem plakativen Begriff „Zeitbombe“ anschaulich beschrieben hat. Eine Reaktivierung des Bandscheibenvorfalls, wie sie vorliegend durch den Vorfall vom 23.02.2013 erfolgt sei, sei aufgrund der Vorschädigung zu erwarten gewesen und hätte durch eine Hebe- oder sonstige falsche Bewegung ausgelöst werden können. Der Sachverständige hat überzeugend beschrieben, dass eine Bandscheibenoperation irgendwann – ggf. erst Jahre später - erforderlich geworden wäre.
27cc) Danach hat das Schadensereignis vom 23.02.2013 die Reaktivierung nur „vorzeitig“ ausgelöst, die Reserveursache kann sich nach Durchführung der Bandscheibenoperation nicht mehr realisieren. Daraus folgt, dass der Beklagte „nur“ die Vermögensnachteile bis zur Operation auszugleichen hat, denn die mit einer Operation zwangläufig verbundenen Vermögensnachteile hätte der Geschädigte zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund seiner Vorschädigung tragen müssen.
28dd) Auch wenn der Schädiger für den Umfang der Ersparnis beweispflichtig ist, kommt ihm der Maßstab des § 287 ZPO zugute.
29Danach ist mangels entsprechender Anhaltspunkte, für das das klagende Land sekundär darlegungsbelastet ist, davon auszugehen, dass Polizeikommissar X, der im Schädigungszeitpunkt 41 Jahre alt war, sich beruflich nicht verändert hätte. Angesichts der Schwere der Vorschädigung, des „Zeitbomben-Charakters“ und der Art der Tätigkeit im Polizeidienst ist zudem überwiegend wahrscheinlich, dass eine Reaktivierung noch während der aktiven Dienstzeit aufgetreten wäre. Dann wären neben der Kosten der Operation und der weiteren Behandlung auch Lohneinbußen entstanden. Dass die Entwicklung auf medizinischem Gebiet in absehbarer Zeit solche Fortschritte macht, dass sich der Geschädigte trotz Reaktivierung keiner oder einer weniger folgenreichen Operation hätte unterziehen müssen, stellt eine Spekulation ins Blaue hinein dar.
30ee) Nach diesen Grundsätzen sind die Kosten der Heilfürsorge und Verdienstausfälle ab Durchführung der stationären Heilbehandlung und der anschließenden Rehabilitationsmaßnahmen nicht ersatzfähig.
31Dabei handelt es sich um folgende Positionen:
32Rechnung vom 27.05.2013, Anlage K3, Bl. 18,19 d.A. |
Stationärer Aufenthalt |
4.022,45 |
Rechnung vom 05.07.2013, Anlage K6, Bl. 22 d.A. |
Ambulante Rehabilitationsbehandlung |
1155 |
Dienstbezüge vom 13.05.2013-01.07.2013 Mai (19), Juni (30), Juli (1) |
50 x (14.004,95:128 ) = |
5.470,68 |
Zulage vom 13.05.2013-01.07.2013 |
50 x (531,38 :128) = |
207,57 |
10.855,70 |
3. Die – nach der teilweisen Berufungsrücknahme - nicht mehr im Streit stehende Forderung des klagenden Landes gegen den Beklagten in Höhe von 15 € (Reinigungskosten) beruht nicht auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung.
34Der Beklagte hat die Verschmutzungen nicht vorsätzlich herbeigeführt, sondern hat sich zu irgendeinem Zeitpunkt im Rahmen des Geschehens blutende Verletzungen am Kopf und am Arm zugeführt, die dazu geführt haben, dass er bei der zwangsweisen Durchsetzung seiner Ingewahrsamsnahme die Dienstbekleidung des ebenfalls beim Einsatz beteiligten Polizeikommissars C verschmutzt wurde.
354. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.