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Die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens kann aus Gründen der Rechtsklarheit nur verlangt werden, wenn der Regelungsbereich nachbarrechtlicher Vorschriften erkennbar betroffen ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 18.04.2018 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die Parteien sind Eigentümer der benachbarten Hausgrundstücke L-Str. und 18a in G.
4Die auf den Grundstücken errichteten Gebäude grenzen unmittelbar aneinander. Die zwischen den Gebäuden errichtete Mauerwand, die unstreitig als Brandschutzwand auszugestalten ist, ist allein von den Rechtsvorgängern der Klägerin errichtet worden; die Rechtsvorgänger der Beklagten hatten ihr Haus seinerzeit als sog. „Schmarotzerhaus“ unter Mitbenutzung der Wände der jeweiligen Nachbarhäuser gebaut.
5Die Klägerin erwarb das Grundstück L-Str. im Jahr 2014. Bei Renovierungsarbeiten im Jahr 2015 stellte sie fest, dass die zwischen den Gebäuden befindliche Wand durchbohrt ist und in die Öffnungen zwei Mittelpfetten als Teil der Dachkonstruktion des Nachbarhauses der Beklagten hineinverlegt sind. Diese Pfetten waren im Jahr 2012 im Rahmen der Renovierung des Gebäudes L-Str.a und der Bildung von Wohnungseigentum durch die Rechtsvorgängerinnen der Beklagten eingebracht worden. Die Klägerin stellte zudem fest, dass eine im Jahr 2012 im Zuge der Herstellung eines Aufzugschachtes am Gebäude der Beklagten errichtete Mauer auf die zwischen beiden Häusern befindliche Gebäudewand aufgesetzt wurde und diese statisch mitbenutzt. Ob es sich bei dieser Mauer um einen Teil des Aufzugschachtes selbst handelt, wie die Klägerin behauptet, oder ob der Aufzugschacht entsprechend des von der Beklagten mit Schreiben vom 31.08.2018 überreichten Grundrisses des Kellergeschosses mit einem Versatz zu der fraglichen Gebäudewand errichtet wurde und lediglich aus Gründen einer einheitlichen Optik eine zweite Mauer auf die bestehende Gebäudewand gesetzt wurde, ist streitig.
6Die Klägerin verlangt mit der vorliegenden Klage die Entfernung der Mittelpfetten aus der westlichen Mauerwand ihres Gebäudes, das fachgerechte Verschließen der entstandenen Öffnungen und die Entfernung des auf der Gebäudewand auflehnenden Aufzugschachtes. Sie hat ihr Klagebegehren auf ihre Eigentumsrechte aus §§ 1004, 823 BGB gestützt. Die Mittelpfetten und die Lasten des Aufzugschachtes störten ihr Alleineigentum an der fraglichen Wand, die ausschließlich und vollständig auf ihrem Grundstück verlaufe. Vor dem Einbau der Pfetten seitens der Rechtsvorgängerin der Beklagten sei die bestehende Brandwand ausreichend gewesen und es hätte keiner weiteren Brandschutzmaßnahmen bedurft. Aufgrund des Durchstoßens der Brandwand habe diese ihre Funktion verloren. Durch die neue Brandwand, die aufgrund der Störung zusätzlich erforderlich geworden sei, sei Wohnfläche in ihrem Gebäude verloren gegangen.
7Eine rechtmäßige Baugenehmigung für das Gebäude der Beklagten liege nicht vor; vielmehr sei nicht das genehmigte Gebäude errichtet worden, sondern ein abweichendes.
8Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass es keines Schlichtungsverfahrens bedurft habe, da ein Beseitigungsanspruch geltend gemacht werde, der allein aus der Eigentumsbeeinträchtigung resultiere und unabhängig von Vorschriften des Nachbarrechts bestehe. Es liege weder eine Nachbarwand noch eine Grenzwand vor. §§ 12, 20 NachbG NRW seien nicht anzuwenden; deren Voraussetzungen seien erkennbar nicht gegeben, da es nicht um einen Anbau gehe, sondern um einen rechtswidrigen Eingriff in das klägerische Eigentum durch Beschädigung einer bestehenden Brandschutzwand und unzulässige Lastabtragung durch den Aufzugschacht. Es sei nicht sachgerecht, Ansprüche aus § 1004 BGB, die der Abwendung von Gefahren dienten, dem Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) JustG NRW zu unterstellen. Vorliegend bestehe eine unmittelbare Gefahr infolge der Beeinträchtigung des Brandschutzes durch Beschädigung der Brandwand. Überdies stünden hier auch Ansprüche gem. § 823 Abs. 1 BGB im Raum, die jedenfalls nicht dem Erfordernis eines Schlichtungsverfahrens unterfielen.
9Die Klägerin hat beantragt,
10die Beklagte zu verurteilen,
111. die Mittelpfetten aus der westlichen Mauer des Gebäudes L-Str. zu entfernen und die dort entstandenen Öffnungen sach- und fachgerecht zu verschließen;
122. den auf der westlichen Mauer des Gebäudes L-Str. auflehnenden Aufzugschacht zu entfernen;
133. an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 745,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
14Die Beklagte hat beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Klägerin nach den Grundsätzen des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses und des Vorliegens einer bestandskräftigen Baugenehmigung zur Duldung verpflichtet sei.
17Es werde bestritten, dass die streitgegenständliche Gebäudewand sich vollständig und ausschließlich auf dem Grundstück der Klägerin befinde. Der Verlauf der fraglichen Wand sei letztlich ungeklärt. Das Klagebegehren sei jedenfalls treuwidrig. Der vorliegende Zustand der Dachkonstruktion bestehe in dieser Form seit Errichtung des Gebäudes im Jahr 1949; im Jahr 2012 sei lediglich der Austausch der zuvor vorhandenen, etwas kleiner dimensionierten Pfetten gegen die jetzt vorhandenen Pfetten erfolgt. Soweit durch das an der Außenwand angebrachte Wärmedämmverbundsystem ein geringfügiger Überbau bestehe, handele es sich um eine genehmigte Maßnahme des Wärmeschutzes. Die Klägerin sei bei Erwerb ihrer Immobilie über die baulichen Umstände vor Ort aufgeklärt und auf das sog. „Schmarotzerhaus“ der Beklagten hingewiesen worden. Sie habe die Immobilie mit der jetzt beanstandeten Situation der Mittelpfetten sowie des Aufzugschachtes, der auf einer rechtmäßigen Baugenehmigung beruhe, erworben. Sie müsse die Baumaßnahmen dulden, die auf das Zugeständnis der Voreigentümerin L zurückgingen. Ein Widerruf der Baugenehmigung sei weder ihr gegenüber noch gegenüber ihren Voreigentümerinnen erfolgt. Die beiden Grundstücke seien aus einem einheitlichen Grundstück hervorgegangen, das erst nach der am 28.12.1949 erfolgten Fertigstellung des Gebäudes Nr. 18a geteilt worden sei, und zwar am 11.08.1950.
18Das Landgericht hat vier Zeugen vernommen und die Klage sodann nach vorherigem Hinweis als unzulässig abgewiesen, weil vor Klageerhebung kein ordnungsgemäßes Streitschlichtungsverfahren durchgeführt worden sei.
19Die Voraussetzungen der §§ 15a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO, 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) JustG NRW lägen vor. Auch wenn die Klägerin ihr Klagebegehren nicht unmittelbar auf im NachbG NRW normierte Anspruchsgrundlagen stütze, handele es sich um eine Streitigkeit über Ansprüche aus dem Nachbarrecht nach den dort genannten Vorschriften (vgl. § 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGZPO) bzw. um Streitigkeiten über Ansprüche wegen der im NachbG NRW geregelten Nachbarrechte (vgl. § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) JustG NRW), wenn nachbarrechtliche Normen – etwa als Duldungsrechte des Gegners – für die Streitentscheidung relevant seien. Erst durch die Zusammenschau aller gesetzlichen Regelungen des Nachbarrechts, das als Bundesrecht im BGB und in den Rechtsvorschriften der landesrechtlichen Nachbargesetze enthalten ist, würden Inhalt und Schranken der Eigentümerstellung bestimmt. Nur in dem hiernach gegebenen Rahmen könne ein Eigentümer sich gegen eine von dem Nachbargrundstück ausgehende Beeinträchtigung zur Wehr setzen oder verpflichtet sein, diese zu dulden. Auch eine auf § 1004 BGB gestützte Klage wegen Eigentumsbeeinträchtigung unterfalle in derartigen Fällen wegen der engen Verbundenheit mit nachbarrechtlichen Vorschriften dem § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) JustG NRW.
20Im konkreten Fall seien die im NachbG NRW geregelten Rechte für den Interessenkonflikt zwischen den Parteien von Bedeutung. Für jeden von den Parteien vorgetragenen Fall des Mauerverlaufs enthalte das NachbG NRW Regelungen, die eine Duldungspflicht der Klägerin begründen könnten. Verliefe die Mauer (auch) auf der Grundstücksgrenze, handele es sich um eine sog. Nachbarwand gem. § 7 NachbG NRW. Stünde sie allein auf dem Grundstück der Klägerin, liege eine Grenzwand i.S.d. § 19 NachbG NRW vor; ein etwaiger geringfügiger Abstand der Mauer von der Grenze von 23 cm ändere an dieser Bewertung nichts. Sowohl im Falle einer Grenzwand als auch im Falle einer Nachbarwand könnten die in §§ 12 Abs. 1, 20 Abs. 1 NachbG geregelten Anbaurechte eine Pflicht der Klägerin zur Duldung der Hineinverlegung der Mittelpfetten und der Lastenabgabe durch den Aufzugschacht begründen. Die Anlehnung des Aufzugschachtes an die Wand und die Hineinverlegung der Pfetten stelle eine Mitbenutzung der Wand zur Unterstützung und Aussteifung der baulichen Anlage bzw. der Dachkonstruktion des Nachbarhauses dar. Ob hiermit eine Substanzverletzung einhergehe, sei ebenso unerheblich wie die Frage, ob die nach § 20 Abs. 1 NachbG für den Anbau an eine Grenzwand tatbestandlich erforderliche schriftliche Einwilligung vorliege.
21Auch der Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr wegen der Beeinträchtigung der Brandwand rechtfertige keine andere Beurteilung.
22Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie primär die Aufhebung und Zurückverweisung begehrt.
23Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei vor Klageerhebung kein Streitschlichtungsverfahren durchzuführen gewesen. Dass es zur Begründung der geltend gemachten Eigentumsstörung auf Vorschriften des Nachbarrechtsgesetzes nicht ankomme, werde schon dadurch belegt, dass die Beklagtenseite sich in der gesamten Korrespondenz und im Rahmen der wechselseitigen Schriftsätze überhaupt nicht auf Regelungen des NachbG NRW berufen habe. Es stelle eine nicht hinzunehmende Einschränkung des Zugangs zu den Gerichten dar, wenn man, gleichwohl ein Schiedsverfahren verlange. Aus Gründen der Rechtsklarheit könne ein Schiedsverfahren nur verlangt werden, wenn ein erkennbarer Anwendungsfall nachbarrechtlicher Vorschriften gegeben sei und über deren Anwendung gestritten werde.
24Im Übrigen wiederholt und vertieft die Klägerin ihre bereits in erster Instanz vorgebrachten Argumente.
25Die Klägerin beantragt,
26das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 18.04.2018, Az. 7 O 131/16, aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht Dortmund zurückzuverweisen,
27hilfsweise,
28die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Dortmund vom 18.04.2018, Az. 7 O 131/16, zu verurteilen,
294. die Mittelpfetten aus der westlichen Mauer des Gebäudes L-Str. zu entfernen und die dort entstandenen Öffnungen sach- und fachgerecht zu verschließen;
305. den auf der westlichen Mauer des Gebäudes L-Str. auflehnenden Aufzugschacht zu entfernen;
316. an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 745,40 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
32Die Beklagte beantragt,
33die Berufung zurückzuweisen.
34Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Der Rechtsstreit unterliege der obligatorischen Streitschlichtung, da eine Duldungspflicht der Klägerin aus nachbarrechtlichem Gemeinschaftsverhältnis bestehe. Die von der Duldungsvorschrift des § 20 Abs. 1 NachbG geforderte schriftliche Einwilligung liege hier in Form einer konkludenten Einwilligung der Voreigentümerin L vor, die in die Planung und Bauausführung immer einbezogen gewesen sei.
35Hinsichtlich des weiteren Vortrags wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das vorinstanzliche Urteil Bezug genommen.
36II.
37Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Klage ist unzulässig, da das obligatorische Schlichtungsverfahren nicht durchgeführt worden ist.
38Das Verfahren fällt in den Anwendungsbereich von § 15a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EGZPO, § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) JustG NRW, da es Ansprüche nach oder wegen der im Nachbarrechtsgesetz für Nordrhein-Westfalen geregelten Nachbarrechte betrifft.
391.
40Eine Rechtsstreitigkeit über Ansprüche wegen im NachbG geregelter Rechte ist schon dann zu bejahen, wenn dieses Gesetz Regelungen enthält, die für den Interessenkonflikt im konkreten Fall von Bedeutung sind. Erst durch die Zusammenschau aller gesetzlichen Regelungen des Nachbarrechts, das sich als Bundesrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch findet (§§ 906 ff. BGB) und in den Rechtsvorschriften der landesrechtlichen Nachbargesetze enthalten ist, werden nämlich Inhalt und Schranken der Eigentümerstellung bestimmt. Nur in dem hiernach gegebenen Rahmen kann ein Eigentümer sich gegen eine von dem Nachbargrundstück ausgehende Beeinträchtigung zur Wehr setzen oder verpflichtet sein, diese zu dulden (BGH, Urteil vom 22.10.2004 – V ZR 47/04, juris Rz. 19, NJW-RR 2005, 501 (503); OLG Köln, Beschluss vom 18.01.2006 – 2 U 113/05, juris Rz. 4). In derartigen Fällen unterfällt deshalb auch eine auf § 1004 BGB oder auf Deliktsrecht gestützte Klage wegen Eigentumsbeeinträchtigung wegen der engen Verbundenheit mit nachbarrechtlichen Vorschriften dem § 53 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) JustG NRW und ist damit einer obligatorischen Streitschlichtung unterworfen (OLG Köln, a.a.O., juris Rz. 4; OLG Hamm, Urteil vom 26.03.2012 – 5 U 177/11, juris Rz. 29; LG Karlsruhe, Urteil vom 16.10.2002 – 1 S 103/02, juris Rz. 11; Zöller/Heßler, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 15a EGZPO Rn. 5).
41Zur weiteren Begründung und Herleitung des Schlichtungserfordernisses auch für mit dem Nachbarrecht in Zusammenhang stehende Ansprüche aus §§ 1004, 823 ff. BGB wird auf die ausführliche Begründung in den Entscheidungsgründen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
422.
43Das NachbG NRW enthält Vorschriften, die für den Streit, ob die Beklagte verpflichtet ist, die fragliche Wand von den Mittelpfetten und den Lasten durch die Mauer des Aufzugschacht bzw. der vorgesetzten Wand zu befreien, von Bedeutung sind.
44a)
45Nach der im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung zu unterstellenden Darstellung der Klägerin und der von ihr vorgelegten Skizze/Grenzanzeige des Dipl.-Ing. C vom 25.09.2015 steht die westliche Gebäudewand der Klägerin allein auf ihrem Grundstück unmittelbar an der Grenze; es handelt sich somit um eine Grenzwand i.S.d. § 19 NachbG NRW.
46Entgegen der Annahme des Landgerichts lässt sich der Skizze nicht entnehmen, dass zwischen Mauer und Grenze ein Abstand von 23 cm besteht. Aus den handschriftlichen Erläuterungen des Vermessungsingenieurs ergibt sich, dass die Mauer im Erdgeschoss sowie im 1. und 2. Obergeschoss 38 cm dick ist, während sie im Dachgeschoss nur eine Stärke von 20 cm aufweist. Demzufolge ist davon auszugehen, dass die Mauer im unteren Bereich von der Grenze an bis zu der links daneben befindlichen durchgezogenen Linie reicht und eine Dicke von 15 cm + 23 cm = 38 cm hat, während der obere Teil der - hier nur 20 cm starken - Wand sich wohl nur in einem 23 cm breiten Bereich entlang der Grenze befindet. Dass die Wand sich nach oben verjüngt, stimmt auch mit den Angaben der Beklagten in ihrer Replik vom 27.03.2017 überein, die auf dem im Parallelverfahren AG Unna 18 H 1/16 eingeholten Sachverständigengutachten beruhen. Von einem Versatz der Mauer zu der Grenze kann damit keine Rede sein; die Wand steht vielmehr unmittelbar an der Grenze.
47Aber auch wenn ein geringfügiger Abstand gegeben wäre, würde dies an der rechtlichen Einordnung der Wand als Grenzwand i.S.d. § 19 NachbG NRW nichts ändern (vgl. Schäfer/Fink-Jamann/Peter, Nachbarrechtgesetz für Nordrhein-Westfalen, 17. Aufl. 2018, § 19 Rn. 1; LG Bonn, Urteil vom 04. März 2005 – 2 O 441/04 –, juris Rn. 15, bestätigt durch OLG Köln, Urteil vom 29. September 2005 – 12 U 27/05 –, Rn. 4, juris).
48b)
49Auch unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin erscheint bei dieser Sachlage die Anwendung nachbarrechtlicher Vorschriften naheliegend.
50aa)
51Zwar waren die Beklagten oder ihre Rechtsvorgänger nach der Darstellung der Klägerin nicht nach § 20 Abs. 1 NachbG NRW zum Anbau an die Grenzwand berechtigt; mithin trafen die Klägerin keine Duldungspflichten.
52(1)
53Die in die Wand hineinverlegten Pfetten stellen einen Anbau i.S.d. § 20 Abs. 1 S. 2 NachbG NRW dar, da die Wand zur Unterstützung oder Aussteifung einer neuen baulichen Anlage benutzt wird.
54Zur Unterstützung dient eine Nachbar- bzw. Grenzwand, wenn sie statisch so genutzt wird, dass sie Kräfte aus anderen Bauteilen aufnimmt und weiterleitet, z.B. wenn Decken in sie eingelassen werden oder sie das Dach mitträgt (OLG Köln, Urteil vom 19. August 1992 – 19 U 50/92 –, Rn. 3, juris; Schäfer/Fink-Jamann/Peter, a.a.O., § 7 Rn. 6). Zur Aussteifung dient eine Nachbar- oder Grenzwand, wenn sie seitliche Kräfte aufnimmt und so ein Verkanten des angebauten Gebäudes verhindert (Schäfer/Fink-Jamann/Peter, a.a.O., § 7 Rn. 6; Grziwotz/Lüke/Saller, Praxishandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl. 2013, 2. Teil Rz. 117/S. 77).
55Hier wird die Wand des klägerischen Hauses in der Weise mitbenutzt, dass sie über die in sie eingelassenen Mittelpfetten das Dach des Gebäudes der Beklagten mitträgt, also zur Unterstützung einer baulichen Anlage dient.
56Auch der auf die Wand aufgesetzte Aufzugschacht bzw. die vor den eigentlichen Schacht vorgesetzte Wand stellt nach dem klägerischen Vortrag einen Anbau in diesem Sinne dar. Die Gebäudewand des klägerischen Hauses trägt das gesamte Gewicht der aufgesetzten Mauer und wird damit statisch genutzt.
57(2)
58Ein Anbaurecht kann sich allerdings nur aufgrund einer schriftlichen Zustimmung des Eigentümers der Grenzwand ergeben (§ 20 Abs. 1 S. 1 NachbG NRW), die nach dem Klägervortrag nicht vorliegt.
59Die nicht formgerechte Einwilligung ist nichtig (§ 125 BGB), sofern es nicht nach den gesamten Umständen mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, die Abrede am Formmangel scheitern zu lassen (vgl. Schäfer/Fink-Jamann/Peter, § 1 Rz. 57, § 20 Rz. 1). Bei Sonderrechtsnachfolge, wie sie hier vorliegt, wirkt die vom Voreigentümer erteilte Einwilligung zwar grundsätzlich nicht weiter; ist im Zeitpunkt der Sonderrechtsfolge aber bereits angebaut, ist auch der Sonderrechtsnachfolger zur weiteren Duldung im Rahmen der von seinem Vorgänger erteilten Einwilligung verpflichtet (Schäfer/Fink-Jamann/Peter, a.a.O., § 20 Rn. 2).
60Die Klägerin behauptet, dass die Öffnung der Brandwand zwecks Einlegens der Pfetten erst im Rahmen der jüngsten Arbeiten an dem Dach des Hauses 18a erfolgt sei und dass die Anbauten völlig eigenmächtig durch die Beklagte bzw. deren Rechtsvorgänger vorgenommen worden seien. Der Vortrag „völlig eigenmächtig“ impliziert, dass die erforderliche schriftliche Einwilligung nicht vorliegt. Ausgehend von dem klägerischen Vortrag ist Nachbarrecht mithin nicht einschlägig.
61bb)
62Dennoch war die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens im vorliegenden Fall obligatorisch. Denn in dem Interessenkonflikt der Parteien sind offensichtlich und erkennbar nachbarrechtliche Vorschriften von Bedeutung.
63Der Klägerin ist allerdings zuzugeben, dass ein Schiedsverfahren aus Gründen der Rechtsklarheit nur verlangt werden kann, wenn der Regelungsbereich nachbarrechtlicher Vorschriften erkennbar betroffen ist, da ein Kläger anderenfalls bei der Prüfung der Erforderlichkeit eines Schlichtungsverfahrens alle denkbaren Einwendungen der Gegenseite aus dem Nachbarrecht berücksichtigen müsste, auch wenn diese vorgerichtlich gar nicht erhoben werden und auch sonst nicht naheliegen.
64Hier ergibt sich indessen aus der vorgerichtlichen Korrespondenz, dass die Klägerin sich der nachbarrechtlichen Problematik durchaus bewusst war. Die Anwendung nachbarrechtlicher Vorschriften erschien ihr offenbar so naheliegend, dass sie von ihr in ihrem Schriftsatz vom 24.02.2016 selbst erörtert worden ist.
65Aus diesem Schreiben ergibt sich, dass die Beklagte im Rahmen des die Sanierung des Hauses L-Str.a betreffenden Baugenehmigungsverfahrens angegeben haben soll, dass die fragliche Gebäudewand allein auf ihrem Grundstück stehe. Die Beklagten haben hierzu im Senatstermin vom 06.09.2018 erläutert, dass die Wand im Bauantrag im Einvernehmen mit dem Bauamt schmaler eingezeichnet worden sei, als sie tatsächlich ist; hierdurch habe man dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass die Grenze mittig durch die Wand verlaufe. Danach hätte es sich nicht um eine Grenzwand der Klägerin, sondern entweder um eine solche der Beklagten oder um eine Nachbarwand gehandelt. Die Klägerin hat die Angaben der Beklagten im Baugenehmigungsverfahren zum Anlass genommen, um in ihrem Schreiben vom 24.02.2016 klarzustellen, dass die fragliche Wand allein auf ihrem eigenen Grundstück stehe und Genehmigungen für die Nutzung der Wand nicht vorlägen.
66Bei dieser Sachlage lag es auf der Hand, dass die Beklagte sich auch in einem Rechtsstreit darauf berufen würde, dass die Wand jedenfalls nicht vollständig auf dem Grundstück der Klägerin stehe. Vertraten die Parteien aber von vornherein unterschiedliche Rechtsauffassungen zu der Lage der streitgegenständlichen Gebäudewand in Bezug auf die Grenze, liegt die Anwendung nachbarrechtlicher Vorschriften nahe. Denn das nordrhein-westfälische Nachbarrecht enthält in §§ 7 ff., 19 ff. NachbG NRW Regelungen zur Nachbarwand und zur Grenzwand. Die seitens der Beklagten vorgenommenen Anbauten könnten danach in beiden Fällen von der Klägerin zu dulden sein (vgl. §§ 12, 20 NachbG NRW).
67Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschriften tatsächlich gegeben sind, ist für die Frage der Zulässigkeit der Klage bzw. der vorherigen Durchführung eines Schlichtungsverfahrens nicht zu klären. Zu Recht weist das Landgericht darauf hin, dass der mit der Einführung des § 15a EGZPO (auch) verfolgte gesetzgeberische Zweck der Entlastung der Gerichte verfehlt würde, wenn die Prüfung der materiellen Rechtslage in die Zulässigkeitsprüfung verlagert würde.
683.
69Der von der Klägerin vorgetragene Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr wegen der Beeinträchtigung der Brandwand rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Justizgewährungsanspruch wird durch die Notwendigkeit eines Schiedsverfahrens nicht verletzt; in Fällen dringender Gefahr kann ein Kläger sich im Wege der einstweiligen Verfügung hinreichend schützen. Zur weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
70III.
71Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO.
72Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).