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Der Wechsel eines Kindergartens nach Eingewöhnung des Kindes in einen Kindergarten entspricht regel-mäßig nicht dem Kindeswohl.
Die Kosten einer Sorgerechtsangelegenheit sind grundsätzlich den Kindeseltern hälftig aufzuerlegen.
Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Siegen vom 3.8.2017 im Kostenpunkt teilweise abgeändert.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens tragen die Kindeseltern jeweils hälftig; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Kindesvaters zurückgewiesen. Sein Antrag auf Übertragung der Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl für N, geboren am 14.4.2014, wird zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1000,- € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Aus der am 6.12.2016 geschiedenen Ehe der Beteiligten ist das am 14.4.2014 geborene Kind N hervorgegangen, das im Haushalt der Kindesmutter lebt. Die Kindeseltern sind gemeinsam sorgeberechtigt.
4Die Kindesmutter begann zum 15.2.2017 eine halbschichtige Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität T; sie wohnt in L. Die Betreuung von N wird seit August 2015 unter Zuhilfenahme einer Tagesmutter sichergestellt. Der Kindergartenbesuch durch N zum Sommer 2017 wird von beiden Kindeseltern befürwortet. Der Kindesvater wohnt in C und hat regelmäßigen Umgang mit N.
5Die Kindesmutter möchte N im Waldorfkindergarten in T anmelden, was der Kindesvater ablehnt. Sie hat erstinstanzlich behauptet, bereits die Tagesmutter habe N im Sinne der Waldorfpädagogik erzogen, so dass der Besuch eines entsprechenden Kindergartens für N eine Kontinuität darstelle. Auch entspreche diese Pädagogik der zurückhaltenden Persönlichkeit von N und die biologisch-dynamische Nahrung wirke sich positiv auf dessen empfindliche Haut aus. Die Waldorfpädagogik sei staatlich anerkannt. Der Waldorfkindergarten in T („B Straße“) sei von ihrer Arbeitsstelle aus gut erreichbar. Das Betreuungsangebot umfasse die Zeit von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr.
6Die Kindesmutter hat erstinstanzlich beantragt, ihr die Entscheidungsbefugnis zur Auswahl des Kindergartens für N zu übertragen.
7Der Kindesvater ist dem entgegen getreten und hat Antragszurückweisung beantragt.
8Er lehnt explizit und mit umfassender Begründung den Waldorfkindergarten und dessen Pädagogik ab. Auch lehnt er einen anschließenden Besuch einer Waldorfschule ab, der sich aber aufgrund der sodann im Kindergarten geschlossenen Freundschaften anschließen würde. Mit dem Besuch jeden anderen Kindergartens sei er einverstanden und bevorzugt den Besuch eines zur Kindesmutter wohnortnahen Kindergartens in L. Dort habe er u.a. im Kindergarten mit Montessori-Ausrichtung („M“) einen Platz für N reserviert. Ökologisch bewusste Nahrung sei in allen Kindergärten vorhanden.
9Eine vorgerichtliche Vermittlung zwischen den Kindeseltern durch das Jugendamt scheiterte.
10Das Amtsgericht hat die Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl für N auf die Kindesmutter übertragen und dem Kindesvater die Kosten des Verfahrens auferlegt.
11Zur Begründung ist angeführt, dass eine Kindeswohlgefährdung bei keinem der von den Kindeseltern angedachten Kindergärten vorliegt. Sowohl die Gründe der Kindesmutter für den Waldorfkindergarten als auch dessen Ablehnung durch den Kindesvater seien nachvollziehbar. Da die Kindesmutter N im Alltag betreue, habe sie den Kindergartenbesuch mit ihrem Alltag in Einklang zu bringen und sei überwiegend von der Auswahl des Kindergartens betroffen, während der Kindesvater lediglich während der Umgangskontakte von der Lage des Kindergartens betroffen sei. Damit überwögen die Interessen der Kindesmutter.
12Dagegen wendet sich der Kindesvater mit der Beschwerde. Er beantragt, ihm abändernd die Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl für N zu übertragen.
13Zur Begründung trägt er vor, dass der Waldorfkindergarten bereits von der Lage her nicht besser geeignet sei. Er liege nicht nah am Wohnort der Kindesmutter. Auch habe die Kindesmutter falsche Öffnungszeiten des Kindergartens angegeben, der teilweise bereits um 14.00 Uhr schließe. Aus diesem Grund habe die Kindesmutter nun eine Änderung der Umgangsvereinbarung begehrt, die ihm jedoch aus beruflichen Gründen nicht möglich sei. Die Öffnungszeiten der Kindergärten in L seien mit der bestehenden Umgangsvereinbarung in Einklang zu bringen.
14Letztlich sei aber die Waldorfpädagogik wegen der wirren und teils gefährlichen Ideologie (u.a. Rassenlehre) abzulehnen. Zum 1.8.2018 stünde (erneut) ein Platz für N im Kindergarten M mit Randzeitenbetreuung zur Verfügung.
15Weiter wendet sich der Kindesvater gegen die Kostenentscheidung.
16Die Kindesmutter verteidigt die angefochtene Entscheidung.
17Der Waldorfkindergarten in T liege in der Nähe ihrer Arbeitsstelle, so dass sie kurzfristig z.B. bei einer Erkrankung von N zur Stelle sein könne. Da sie nur halbschichtig arbeite, könne N in L nicht 45 Stunden einen Kindergarten besuchen, da sie eine Betreuungsbedürftigkeit in diesem Umfang nicht nachweisen könne.
18Inzwischen habe sich N im Waldorfkindergarten eingewöhnt, den er unstreitig seit dem 22.8.2017 besucht.
19Der Senat hat die Beteiligten angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf das Protokoll vom 15.03.2018 und den Berichterstattervermerk zur Kindesanhörung am 19.04.2018 verwiesen.
20II.
211.
22Die Beschwerde des Kindesvaters ist zulässig. Auch ist sein weitergehender Antrag auf Übertragung der Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl für N auf sich zulässig, da der gleiche Verfahrensgegenstand betroffen ist.
232.
24Die Beschwerde ist in der Hauptsache aber unbegründet, da das Amtsgericht zutreffend die Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl für N auf die Kindesmutter übertragen hat und nicht dem Kindesvater diese Entscheidungsbefugnis zu übertragen ist.
25Einem Elternteil ist gemäß § 1628 BGB die Entscheidung in einer einzelnen Angelegenheit zu übertragen, wenn die Kindeseltern sich nicht einigen können. Maßgebendes Entscheidungskriterium ist dabei, wie bei allen Regelungen, die die elterliche Sorge betreffen, gemäß § 1697a BGB das Kindeswohl. Das Gericht trifft diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes insgesamt am besten entspricht. Es ist zu prüfen, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen, und die Vorstellungen der Eltern über den gewünschten Kindergarten ist an diesem Maßstab zu messen (BVerfG, Beschluss vom 4.12.2002 – 1 BvR 1870/02 – FamRZ 2003, 511).
26Die Kindeseltern sind nicht in der Lage, eine gemeinsame Entscheidung über die Wahl des Kindergartens für N zu treffen. Sie können sich nicht auf einen Kindergarten einigen.
27a)
28Aus den von den Kindeseltern jeweils bevorzugten Kindergärten ergibt sich keine Präferenz für die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil. Dem Senat obliegt nicht die Entscheidung, ob die Position der Kindesmutter oder die des Kindesvaters zum Kindergarten des Kindes der Vorzug zu geben ist, solange beide Positionen vertretbar sind. Beide Kindeseltern haben vertretbare und nachvollziehbare Argumente für die von ihnen jeweils getroffene Wahl.
29Die Waldorfpädagogik ist staatlich anerkannt und eine Waldorfschule bietet regelmäßig alle staatlichen Schulabschlüsse an. Der Kindesvater begründet seine Ablehnung auch nicht mit den konkreten Bedürfnissen von N, sondern mit der hinter der Pädagogik stehenden Ideologie. Dem Senat obliegt nicht die Entscheidung über eine grundsätzliche Billigung oder Ablehnung der Waldorfpädagogik.
30b)
31Der Kindesmutter ist die Entscheidungsbefugnis über die Kindergartenauswahl aufgrund der inzwischen eingetretenen, tatsächlichen Gegebenheiten zu übertragen.
32N besucht den Waldorfkindergarten seit dem Sommer 2017 und hat sich dort eingelebt. Dass ein Wechsel des Kindergartens (und der zu Grunde liegenden Pädagogik) sinnvoll ist, erschließt sich nicht ohne weiteres und wird auch vom Kindesvater nicht thematisiert. Nach den Schilderungen der Beteiligten reagiert N zunehmend empfindlich auf den Streit der Kindeseltern. Damit sollte ihm vermehrt Stabilität vermittelt werden und ihm gerade kein Wechsel des Kindergartens zugemutet werden.
33Auch die tatsächliche Betreuungssituation durch die Kindesmutter spricht für eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf diese. Denn als tatsächliche Betreuungsperson hat die Kindesmutter im Alltag den Kindergartenbesuch zu unterstützen und erlebt die Konsequenzen täglich sowohl hinsichtlich der praktischen Umsetzung (z.B. Fahrwege) als auch hinsichtlich der Auswirkungen der angewandten Pädagogik; die Kindesmutter ist voraussichtlich diejenige, die von den organisatorischen/praktischen Folgen der Kindergartenwahl überwiegend betroffen ist.
34Der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf die Kindesmutter steht nicht entgegen, dass diese im Verfahren unwahre oder zumindest unvollständige Behauptungen aufgestellt hat. Um das von ihr gewünschte Ergebnis zu erreichen, behauptete sie Vorzüge des Waldorfkindergartens, die zumindest nicht in der von N tatsächlich besuchten Gruppe vorlagen. So behauptete sie umfassendere Öffnungszeiten des Waldorfkindergartens und verneinte eine vom Kindesvater zum Sommer 2017 sichergestellte Verfügbarkeit eines Kindergartenplatzes in L. Damit ist fraglich, ob die Kindesmutter am Kindeswohl orientierte Entscheidungen zu treffen vermag (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 19.5.2017 – 22 UF 241/17 – FamRZ 2017, 1834). Jedoch ist ein Bestrafen der Kindesmutter für Fehlverhalten nicht möglich, da alleiniger Maßstab das Kindeswohl ist.
35Dabei ist dem Senat durchaus bewusst, dass von den äußeren Gegebenheiten einer der Kindergärten in L in Wohnortnähe zur Kindesmutter grundsätzlich den Vorzug verdient. Denn dieses bedeutet für N die kürzeren Wege; die Fahrwege der Kindesmutter sind nicht maßgeblich, da die Entscheidung am Kindeswohl und nicht an den Interessen der Eltern auszurichten ist. Die Möglichkeit der Kindesmutter, bei einem arbeitsnahen Kindergarten schneller vor Ort sein zu können, ist nicht entscheidend. Denn die Kindesmutter hat nicht behauptet, dass derartige „Notfälle“ in einem relevanten Umfang eintreten. Auch ermöglicht ein Kindergarten in L die Beibehaltung der bestehenden Umgangsregelung. Bei einem fortgesetzten Besuch der Waldgruppe des Waldorfkindergartens in T muss hingegen die Umgangsregelung angepasst werden, was in der Vergangenheit wiederum zu Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den Kindeseltern führte.
36Die Bevorzugung eines bestimmten Kindergartens kann den Äußerungen Ns nicht entnommen werden. In der Anhörung des Kindes durch den Senat äußerte N, dass es ihm im Kindergarten gut gefalle. Darüber hinaus war er (altersgerecht) nicht an einem weiteren Gespräch interessiert. Bei den Äußerungen Ns war zu berücksichtigen, dass ein vierjähriges Kind ohnehin kaum in der Lage ist, sämtliche Konsequenzen einer Kindergartenwahl sachlich zu bedenken.
37Insgesamt erscheint der Kindesvater damit zwar grundsätzlich besser geeignet, eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu treffen, da seine Kindergartenauswahl die Fahrwege für N kurz hält und die konfliktfreie Beibehaltung der bestehenden Umgangsvereinbarung ermöglicht. Auch scheint er seine Entscheidung an den Bedürfnissen Ns auszurichten, indem er z.B. detailliert die Konsequenzen der verschiedenen Fahrwege überdenkt. Aufgrund des Zeitablaufs und der Eingewöhnung von N im aktuell besuchten Waldorfkindergarten in T entspricht jedoch nun ein Wechsel des Kindergartens nicht mehr dessen Wohl.
383.
39Allerdings ist die erstinstanzliche Kostenentscheidung abzuändern und die Kosten den Kindeseltern jeweils hälftig aufzuerlegen. Die hälftige Kostentragung durch die Kindeseltern ist in Sorgerechtsangelegenheiten der Regelfall; Gründe, um vom Regelfall abzuweichen, sind weder dargetan noch erkennbar.
40Auch der Verfahrenswert ist herab zu setzen. Gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG beträgt der Verfahrenswert in Kindschaftssachen grundsätzlich 3.000,- €; bei Unbilligkeit kann nach den besonderen Umständen des Einzelfalls gemäß § 45 Abs. 3 FamGKG ein höherer oder niedrigerer Wert festgesetzt werden. Eine Herabsenkung ist in Betracht zu ziehen, wenn der zu entscheidende Fall hinsichtlich des Arbeitsaufwandes für das Gericht und für die Verfahrensbevollmächtigten erheblich von einer durchschnittlichen Kindschaftssache abweicht und der Verfahrenswert im Einzelfall zu unvertretbar hohen oder unangemessen niedrigen Kosten bzw. Gebühren führen würde. Steht eine Absenkung des Regelwerts in Frage, so müssen also der tatsächliche Arbeitsaufwand oder die Kosten für einen deutlich unterdurchschnittlichen Fall sprechen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 03.5.2012 – 9 WF 138/12 – FamRZ 2013, 724). Vorliegend war lediglich ein Teilbereich (Kindergartenauswahl) des Teilbereichs (Schul- und Ausbildungsangelegenheiten) der elterlichen Sorge betroffen. Der Arbeitsaufwand für das Gericht und die Verfahrensbeteiligten war überschaubar; bis zur erstinstanzlichen Entscheidung umfasst die Akte weniger als 50 Blatt. Andererseits sind beengte wirtschaftliche Verhältnisse der streitenden Eltern nicht erkennbar. Angesichts all dieser Umstände unter weiterer Beachtung dessen, dass es sich bei den 3.000,- € Regelwert quasi um einen Festbetrag handelt, erscheint es angemessen, den Regelwert auf 1000,- € abzusenken.
414.
42Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.
43Rechtsbehelfsbelehrung:
44Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
45Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordert (§ 70 Abs. 2 FamFG).