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1. a. Unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wird die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund des Urteils des Landgerichts Bochum vom 12. September 2014 für erledigt erklärt.
b. Der Verurteilte steht unter Führungsaufsicht. Deren Höchstdauer von fünf Jahren wird einstweilen nicht abgekürzt.
c. Der Verurteilte untersteht für die Dauer der Führungsaufsicht der zuständigen Aufsichtsstelle und der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers.
d. Die namentliche Benennung des Bewährungshelfers sowie die weitere Ausgestaltung der Führungsaufsicht werden der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster, die Belehrung des Verurteilten über die Bedeutung der Führungsaufsicht wird der Y-Klinik in Z übertragen.
2. a. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
b. Der Strafrest wird unter den Bedingungen des Maßregelvollzugs in einem psychiatrischen Krankenhaus vollzogen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die gerichtliche Beschwerdegebühr um zwei Drittel ermäßigt. Die in dem Beschwerdeverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen sowie die dem Beschwerdeführer insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen werden zu zwei Dritteln der Staatskasse auferlegt.
Oberlandesgericht Hamm
3Beschluss
4III-3 Ws 472/17 OLG Hamm
53 Ws1426/17 GStA Hamm
618 StVK 272/17 LG Münster
7673 Js 256/13 StA Bochum
8Maßregelvollstreckungssache
9wegen Körperverletzung u. a.
10(hier: sofortige Beschwerde gegen die Anordnung der Unterbringungsfortdauer).
11Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 29. September 2017 gegen den Beschluss der 18. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster vom 23. August 2017 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 1. März 2018
12nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie nach Anhörung des Verurteilten bzw. seines Verteidigers
13b e s c h l o s s e n :
141. a. Unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Entscheidung wird die Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgrund des Urteils des Landgerichts Bochum vom 12. September 2014 für erledigt erklärt.
15b. Der Verurteilte steht unter Führungsaufsicht. Deren Höchstdauer von fünf Jahren wird einstweilen nicht abgekürzt.
16c. Der Verurteilte untersteht für die Dauer der Führungsaufsicht der zuständigen Aufsichtsstelle und der Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers.
17d. Die namentliche Benennung des Bewährungshelfers sowie die weitere Ausgestaltung der Führungsaufsicht werden der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Münster, die Belehrung des Verurteilten über die Bedeutung der Führungsaufsicht wird der Y-Klinik in Z übertragen.
182. a. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
19b. Der Strafrest wird unter den Bedingungen des Maßregelvollzugs in einem psychiatrischen Krankenhaus vollzogen.
203. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die gerichtliche Beschwerdegebühr um zwei Drittel ermäßigt. Die in dem Beschwerdeverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen sowie die dem Beschwerdeführer insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen werden zu zwei Dritteln der Staatskasse auferlegt.
21Gründe:
22I.
23Mit Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. September 2014 ist der Verurteilte der Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Amtsanmaßung, des Missbrauchs von Notrufen, der versuchten gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, der Beleidigung in vier Fällen, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, der Sachbeschädigung, der Körperverletzung und der Bedrohung in zwei Fällen schuldig gesprochen worden. Er ist deshalb unter Auflösung einer mit Beschluss des Amtsgerichts Schwelm vom 18. August 2014 gebildeten Gesamtstrafe und unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts J vom 25. Oktober 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden. Daneben ist die Unterbringung des Verurteilten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Die Maßregel wird seit dem 30. September 2014 vollstreckt. Am 23. August 2017 hat das Landgericht Münster die Fortdauer der Unterbringung beschlossen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Verurteilte mit seiner sofortigen Beschwerde.
241.
25Der Verurteilte wurde am ##.##.1984 gemeinsam mit einem Zwillingsbruder in A/Polen geboren. Er hat zwei ältere Brüder aus der ersten Ehe seiner Mutter. In Polen wurde er in die Sonderschule eingeschult. Im Alter von acht oder neun Jahren zog sein Vater zusammen mit ihm und seinem Zwillingsbruder nach D. Dort besuchte der Verurteilte ebenfalls die Sonderschule. Kurz vor oder nach dem Umzug verstarb die Mutter, kurz nach dem Umzug der Vater. Der Verurteilte lebte danach zusammen mit seinem Zwillingsbruder in Kinderheimen in D, E und F.
26Ab dem Jahr 2005 oder 2006 lebte der Verurteilte in G, zunächst bei dem älteren seiner Halbbrüder, ab dem Jahr 2007 in einer eigenen Wohnung. Seit dieser Zeit wird der Verurteilte von einem rechtlichen Betreuer unterstützt. Er arbeitete erfolgreich in einer Werkstatt für geistig Behinderte. Als er den Gabelstapler-Führerschein machen sollte, ließ seine Motivation nach. Nach vermehrten Fehlzeiten wurde die Tätigkeit beendet. Anschließende Versuche, zuletzt im Jahr 2013, den Verurteilten erneut zu einer Tätigkeit zu motivieren, scheiterten.
27Der Verurteilte ist alkoholabhängig und trank bis zu seiner Unterbringung regelmäßig unter anderem Wodka und Whisky. Gelegentlich half er in einem Kiosk in der Nachbarschaft aus, wo er als Gegenleistung unter anderem alkoholische Getränke erhielt. Bis zu seiner Unterbringung wurde er seit mehreren Jahren im ambulant betreuten Wohnen mit sechs Fachleistungsstunden pro Woche betreut, zum Beispiel beim Einkaufen, Kochen und Haushaltstätigkeiten. Versuche, ihn in einer Wohngruppe für geistig Behinderte unterzubringen, schlugen wegen seines Verhaltens fehl. Vom 28. Mai 2013 bis zum 21. Juni 2013 und vom 30. April 2014 bis zum 7. Mai 2014 war er wegen depressiven Verhaltens und nicht näher spezifizierter Ängste in der K-Klinik G untergebracht. Ab dem Jahr 2014 unterhielt er eine als konfliktträchtig geschilderte Beziehung zu einer neun Jahre älteren Frau aus Polen. Gelegentlich hatte er Kontakte zu seinen Halbbrüdern. Kontakt zu seinem Zwillingsbruder bestand nicht; dieser ist im K-Wohnverbund in H geschlossen untergebracht.
282.
29Der Verurteilte war bis zur Verurteilung in der hier zugrunde liegenden Sache wie folgt vorbestraft:
30a.
31Am 20. Mai 2008 erließ das Amtsgerich Bochum wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis einen Strafbefehl über 20 Tagessätze.
32b.
33Mit Strafbefehl vom 27. September 2011 verhängte das Amtsgericht Bochum gegen ihn wegen Beleidigung eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen. Zugrunde lag, dass der Verurteilte am 19. August 2011 in alkoholisiertem Zustand die Feuerwehr bei einem Einsatz behindert hatte. Die Polizei sprach einen Platzverweis aus, dem er nicht nachkam. Er wurde in Gewahrsam genommen. Beim Transport zur Dienststelle beschimpfte er die Beamten mit „ihr Schweine“, „Hurensöhne“, „Dreckschweine“, „Kurwa“ (polnisch für „Hure“), „fuck you“ und „Stück Scheiße“.
34c.
35Am 14. März 2013 erließ das Amtsgericht Bochum einen Strafbefehl über 90 Tagessätze wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung, versuchter Körperverletzung in zwei Fällen, Beleidigung und versuchter Körperverletzung. Der Verurteilte hatte am 5. August 2012 einen Dritten grundlos mit „du Hurensohn, du Polak, halt die Fresse“ beschimpft. Ebenfalls am 5. August 2012 warf er mehrere Steine und Flaschen nach zwei Personen in der Absicht, diese zu treffen, was jedoch misslang. Am gleichen Tag wollten ihn sieben herbeigerufene Polizeibeamte in Gewahrsam nehmen. Der Verurteilte wehrte sich und trat nach den nach den Beamten. Dabei traf er einen Beamten am Schienbein, der eine Schürfwunde erleidet. Eine Beamtin beleidigte er mit „Kurwa“, „Schlampen“, „Fotzen“. Am 19. August 2012 hatte er einen Gullydeckel aus seiner Lage gehoben und auf die Straße gestellt und ein Verkehrsschild verdreht. Als Polizeibeamten seine Personalien feststellen wollten, wehrte er sich, indem er nach einem Beamten trat, der jedoch ausweichen konnte. Als er zu einem Streifenwagen gebracht werden sollte, versuchte er die Beamten anzuspucken und sagte, „ich ficke deine Mutter“, „Hurensöhne“, „ich fick dich morgen“, „ich fick dich“, „Kurwa“ und „Arschloch“ zu ihnen. Das Gericht milderte die Strafe wegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB.
36d.
37Am 25. Oktober 2013 erließ das Amtsgericht gegen ihn einen Strafbefehl über 20 Tagessätze wegen Diebstahls geringwertiger Sachen. Der Verurteilte hatte am 25. September 2013 in einem Supermarkt in J Lebensmittel und Alkohol im Wert von 20,71 € entwendet. Die Strafe wurde in die Gesamtstrafe der hier gegenständlichen Anlassverurteilung einbezogen.
38e.
39Das Amtsgericht Schwelm verurteilte ihn am 14. Februar 2014 wegen eines am 24. September 2013 begangenen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen.
40f.
41Mit Beschluss vom 18. August 2014 bildete das Amtsgericht Schwelm aus den Strafen aus dem Strafbefehl vom 25. Oktober 2014 und dem Urteil vom 14. Februar 2014 nachträglich eine Gesamtstrafe in Höhe von 35 Tagessätzen. Die Gesamtstrafe wurde mit dem hier zugrunde liegenden Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. September 2014 aufgelöst, die Strafe aus dem Strafbefehl vom 25. Oktober 2013 wurde in die neue Gesamtstrafe einbezogen.
423.
43Über die Anlasstaten hat die Strafkammer im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
44a.
45Am 1. Oktober 2013 hielt sich der Verurteilte alkoholisiert am Bahnhof G-M auf. Er gab sich gegenüber dem geistig behinderten Geschädigten als Polizeibeamter aus und wollte seine Tasche kontrollieren. Der Geschädigte lehnte dies ab. Daraufhin versetzte der Verurteilte dem Geschädigten einen Stoß gegen den Oberkörper, wodurch der Geschädigte gegen eine Wand prallte und auf die Knie fiel. Der Verurteilte kam mit geballter Faust auf den Geschädigten zu und drohte ihm Schläge an. Er bezeichnete den Geschädigten mehrfach als „Hurensohn“. Der Geschädigte erlitt durch den Sturz Schmerzen.
46Anschließend fuhr der Verurteilte mit der S-Bahn in Richtung G-Hauptbahnhof und betätigte auf der Fahrt grundlos die Notbremse.
47Am Hauptbahnhof in G sprach ein Zeuge des Vorfalls in der S-Bahn zwei Sicherheitsmitarbeiter der Bahn an. Diese verständigten die Polizei. Der Verurteilte nahm den Geschädigten des Vorfalls am Bahnhof in M wahr und wurde aggressiv. Als er versuchte, auf ihn loszugehen, wurde er von dem Zeugen des Vorfalls in der S-Bahn und den Sicherheitsmitarbeitern daran gehindert. Als er von zwei Polizeibeamten befragt werden sollte, wurde er erneut aggressiv und bezeichnete die Sicherheitsmitarbeiter als „Nazis“ und „Wichser“. Die Polizeibeamten forderten ihn auf, solche Äußerungen zu unterlassen. Der Verurteilte wurde noch aggressiver und versuchte, die Polizeibeamten mit den Armen zu schlagen. Die Beamten brachten den Verurteilten zu Boden. Er versuchte weiter, nach den Beamten zu schlagen und sie mit seinen Schuhen mit Stahlkappen zu treten. Auf dem Weg ins Polizeigewahrsam versuchte er weiter, die Beamten zu treten. Er bezeichnete sie als „Wichser“, „Arschlöcher“, „Nazis“ und teilte mit, er wolle sie vor den Kopf treten. In der Gewahrsamszelle wiederholte er die Beleidigungen und versuchte weiter, die Beamten zu treten.
48Am 8. Oktober 2013 sprach er auf der Straße ein 16jähriges Mädchen in aggressivem Ton in fremder Sprache an und versuchte, sie zu treten. Die Geschädigte konnte ausweichen und lief schnell weiter. Er rief ihr „Hure, verpiss dich“ hinterher. Danach ging er fluchend auf einen PKW zu und ritzte in den Lack der Motorhaube und des Dachs jeweils das Wort „Ficken“.
49Er ging dann auf zwei 13jährige Mädchen zu und fragte sie in aggressivem Ton und bedrohlicher Haltung, ob er ihnen „auf die Fresse hauen“ oder sie „in den Arsch ficken“ solle. Als eine der Geschädigten sich entfernen wollte, schlug er ihr mit der Spitze eines aus seiner Faust herausschauenden Einwegfeuerzeugs gegen die linke Schläfe. Sie erlitt hierdurch eine Schürfwunde.
50Die Mädchen liefen aus Angst weg, der Verurteilte verfolgte sie. Dies bemerkte eine weitere Zeugin, die ihn aufforderte, die Mädchen in Ruhe zu lassen. Der Verurteilte drohte der Zeugin, ihr „eins auf die Fresse zu hauen“ und fragte sie, ob sie ihn „ficken“ wolle. Die Zeugin wandte sich ab, um von einem Kiosk aus die Polizei zu verständigen. Der Verurteilte rief ihr zu, er habe eine Waffe dabei, ob er diese benutzen solle. Dadurch wurde die Zeugin weiter verängstigt.
51Die eintreffenden Polizeibeamten wollten den Verurteilten in Gewahrsam nehmen, brachten ihn zu Boden, fesselten ihn und brachten ihn zum Fahrzeug. Dagegen wehrte er sich massiv. Als er von einem Beamten im Streifenwagen angeschnallt werden sollte, drehte er sich ruckartig in Richtung des Beamten und versuchte, ihm ins Gesicht zu treten. Der Beamte wehrte den Tritt mit Mühe ab. Er drückte gemeinsam mit einem Kollegen die Beine des Verurteilten herunter. Nun versuchte der Verurteilte, dem Beamten einen Kopfstoß gegen dessen Kopf zu versetzen. Der Beamte wehrte den Stoß mit seinem Oberkörper ab. Mit massivem körperlichem Einsatz drückten die Beamten den Verurteilten in seinen Sitz und schnallten ihn an.
52Auf der Fahrt äußerte der Verurteilte gegenüber einer Beamtin, diese müsse „mal so richtig durchgefickt werden, auch einen Arschfick“, und bezeichnete sie als „Fotze“. Er teilte mit, dass er aufgrund einer geistigen Behinderung sowieso „gleich wieder draußen“ sei. Dann werde er einen der Beamten an der Wache mit seiner „9-mm-Knarre abpassen und abknallen“. Der Mutter des Beamten werde es genauso ergehen. Gegen seine Einlieferung in den Gewahrsam sperrte er sich vor Ort so massiv, dass er aus dem Fahrzeug getragen werden musste. Auch gegen seine Durchsuchung sperrte er sich und versuchte, einem Beamten einen Kopfstoß zu versetzen.
53b.
54Die Strafkammer hat die Taten vom 1. Oktober 2013 als Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Amtsanmaßung, als Missbrauch von Notrufen, als versuchte gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, die Taten vom 8. Oktober 2013 als Beleidigung in vier Fällen, als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, als Sachbeschädigung, als Körperverletzung, als versuchte Körperverletzung und als Bedrohung in zwei Fällen gewürdigt.
55Auf der Grundlage eines Gutachtens der Sachverständigen Dr. C und X ist sie von erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Verurteilten bei Begehung der Taten ausgegangen. Die Sachverständigen hatten eine leichte bis mittelgradige Intelligenzminderung, ein Alkoholabhängigkeitssyndrom und eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig leichter Episode diagnostiziert. Mit einem IQ von 70 könne der Verurteilte Aufgaben nicht lösen, die 99% seiner Altersgruppe lösen können. Er habe deshalb auf allen Ebenen seiner Persönlichkeit Defizite, Anomalien und Abweichungen, wie sie typisch für Schwachsinnige seien: Lernfähigkeit, Ein- und Umstellfähigkeit auf Situationen, Merkfähigkeit und Wahrnehmung des Sinnzusammenhangs seien gravierend reduziert. Es bestehe eine Störung des Personalerlebens. Das Wahrnehmen, Verhalten, Reproduzieren und Handeln werde von dem Verurteilten nur partiell gesteuert. Es hänge von Zufälligkeiten der Situation ab, auf die er sich nur bedingt einstellen könne. Die Alkoholabhängigkeit sei eine Folge der Intelligenzminderung, sie äußere sich in Wirkungskonsum, Wiederholungsdrang, Dosissteigerung, Frequenzsteigerung, Gewohnheitsbildung, toxischer Hilflosigkeit und Kontrollverlust. Wegen der Intelligenzminderung bestehe eine geringe Hemmschwelle für übermäßigen Genuss von Alkohol. Aufgrund der depressiven Störung kämen Antriebslosigkeit, Energieverlust bei deutlicher Verlangsamung der Motorik, reduzierte Sprachgeschwindigkeit und gestauter Gedankenfluss hinzu. Der Verurteilte könne seine Alltagspflichten nicht bewältigen, leide unter irrationalen Ängsten, Schlafstörungen und Interessenlosigkeit, er beurteile seine Zukunft negativ. Zum Zeitpunkt der Taten habe sich der Verurteilte zeitübergreifend in einem für ihn intellektuell überfordernden und unlösbaren Konflikt zwischen Selbstunzufriedenheit und Lebensunzufriedenheit mit existenzieller Wut und Affektlabilität befunden. Hinzu sei ein alkoholtoxischer Zustand mit neurologischen, hirnorganischen und affektiven Verhaltensänderungen gekommen.
56Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat die Strafkammer im Wesentlichen wie folgt begründet: Die Intelligenzminderung führe zu erheblicher Minderung der Steuerungsfähigkeit. Es bestehe konkrete Gefahr, dass der Verurteilte erneut aufgrund momentaner Affektregung Straftaten wie die Anlasstaten begehe. Er habe bereits zuvor ähnliche Taten begangen. Für die Anlassdelikte bestehe Wiederholungsgefahr. Die vollendeten und versuchten Körperverletzungen, in einem Fall eine versuchte gefährliche Körperverletzung, seien Straftaten von erheblicher Bedeutung und dem Bereich der mittlerer Kriminalität zuzuordnen.
574.
58Der Verurteilte wurde am 22. September 2014 zum Antritt der Maßregel am 30. September 2014 geladen. Am 30. September 2014 wurde er aufgrund eines Haftbefehls vom gleichen Tage festgenommen und der K-Klinik in O zur Vollstreckung der Maßregel zugeführt. Am 9. Juli 2015 wurde er in die Y-Klinik in Z verlegt. Über den Verlauf der Unterbringung hat die Y-Klinik zuletzt am 20. Juli 2017 berichtet.
595.
60Vor dem hier gegenständlichen Überprüfungsverfahren hatte die Strafvollstreckungskammer zuletzt mit Beschluss vom 18. August 2016 die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Eine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm mit Beschluss vom 6. Oktober 2016 als unbegründet verworfen.
61Die Strafvollstreckungskammer hat den Verurteilten am 23. August 2017 persönlich angehört und mit Beschluss vom gleichen Tage die Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verurteilte mit seiner rechtzeitig eingelegten sofortigen Beschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
62Nach Beschlussfassung der Strafvollstreckungskammer hat der Sachverständige Dr. U am 1. September 2017 ein Prognosegutachten gemäß § 16 Abs. 3 Maßregelvollzugsgesetz erstattet. Darin diagnostiziert er eine rezidivierende depressive Störung, eine leichte Intelligenzminderung sowie eine Störung durch Alkohol, schädlicher Gebrauch. Im Ergebnis hält er nach Einstellung des Verurteilten auf eine Depot-Medikation auch eine Unterbringung außerhalb des Maßregelvollzugs in einer geeigneten Behinderteneinrichtung kurz- bis mittelfristig für vertretbar. Mit „ähnlich gelagerten Delikten“ wie den Anlasstaten sei nur unter weniger beschützenden und kontrollierenden Bedingungen zu rechnen.
63Das Gutachten ist dem Verteidiger und der Generalstaatsanwaltschaft zur Kenntnis gebracht worden. Die Beteiligten haben auf die persönliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet. Der Verurteilte hat zudem sein Einverständnis mit einer Aussetzung des Strafrests zur Bewährung und vorzeitig bedingten Entlassung erklärt.
64II.
65Die sofortige Beschwerde ist zulässig und überwiegend begründet. Sie führt, soweit die Fortdauer der Unterbringung angeordnet worden ist, gemäß § 309 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, Erklärung der Maßregel für erledigt und Feststellung des Eintritts der Führungsaufsicht mit den zugehörigen Anordnungen. Soweit mit der Anordnung der Unterbringungsfortdauer auch die Aussetzung der Reststrafe abgelehnt worden ist, ist die sofortige Beschwerde unbegründet und führt in diesem Umfang zur Verwerfung mit der Maßgabe, dass die Reststrafe in einem psychiatrischen Krankenhaus zu vollziehen ist.
661.
67Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB für erledigt zu erklären. Die weitere Vollstreckung der Maßregel wäre unverhältnismäßig.
68a.
69Der Verurteilte leidet nach wie vor an den psychischen Erkrankungen, die zu seiner Unterbringung im Maßregelvollzug geführt haben. Daran bestehen nach dem Ergebnis des Prognosegutachtens des Sachverständigen Dr. U vom 1. September 2017 keine Zweifel. Der Sachverständige ist aufgrund eigener Untersuchung des Verurteilten, nach Auswertung der verfügbaren biographischen Angaben und Dokumentationen des Krankheitsverlaufs, anhand einer Analyse der Taten und des Verhaltens der Verurteilten im Verlauf der Unterbringung sowie ergänzender Gespräche mit den Behandlern nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass sowohl die Alkoholerkrankung als auch die Intelligenzminderung mit Verhaltensstörungen fortbestehen und zudem eine rezidivierende depressive Störung zu diagnostizieren ist.
70Die Diagnose wird von der Klinik geteilt. An ihrer Richtigkeit bestehen auch nach dem in den Berichten der Klinik geschilderten Behandlungsverlauf keine Zweifel. Danach ist das Alltagsverhalten des Verurteilten geprägt von kognitiven Einbußen, geringem Abstraktionsvermögen, erheblichen Schwierigkeiten, logisch differenziert und komplex zu denken. Nach anfänglicher Verweigerungshaltung habe eine Verhaltenstherapie begonnen werden können. Aggressive Eskalationen träten allmählich in den Hintergrund. Vor allem die Einwilligung in die Behandlung mit einem Neuroleptikum habe dazu geführt, dass er zugänglicher, kontaktfreudiger und etwas offener geworden sei. Inzwischen sei er kooperativ und motiviert, an Veränderungen mitzuwirken. Die Entwicklung sei noch von erheblichen Schwankungen gekennzeichnet. Zu beobachten seien nach wie vor geringe Frustrationstoleranz mit Neigung zu Irritierbarkeit und Gereiztheit bis hin zu Wutausbrüchen. Auch neige er weiter dazu, das Risikopotenzial seiner Alkoholproblematik zu unterschätzen. Dies decke sich mit seiner Tendenz, aus aktuellem Befinden oder Bedürfnis heraus zu handeln, ohne Konsequenzen zu beachten, so dass die Bedeutung der Einhaltung von Absprachen sowie der Transparenz und Verlässlichkeit anlasbezogen häufig zum Thema werde. Zu beobachten seien unangemessenes und distanzloses Verhalten. Berichtet wurde unter anderem, dass er auf Geschlechtsmerkmale des weiblichen Personals starre. Seine Gedanken kreisten ständig, seine Äußerungen bezögen sich oft auf seine Stuhl- und Blasenentleerung. Im Gesprächsrahmen sei es ihm inzwischen gelungen, sich konstruktiv mit sexualisiertem und distanzgemindertem Verhalten auseinanderzusetzen. Er sei aber noch nicht ausreichend in der Lage, alternative Verhaltensweisen in den Alltag zu übertragen.
71b.
72Es besteht auch nach wie vor die Gefahr, dass der Verurteilte aufgrund seiner Erkrankung im Falle einer Entlassung aus dem Maßregelvollzug Straftaten begehen wird. Es gibt hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades auch zukünftig mit Straftaten des Verurteilten zu rechnen ist:
73Zwar stimmen Klinik und Sachverständiger darin überein, dass die Medikation zu einem Rückgang der Krankheitssymptome geführt und der Verurteilte sich in den Therapiegesprächen positiv entwickelt hat. Insbesondere wird er als absprachefähiger und verlässlicher als zu Beginn der Unterbringung beschrieben. Gleichwohl neigt er, so der Sachverständige Dr. U, bei ausgeprägter Stimmungs- und Affektlabilität nach wie vor zu impulsiven, fremdgefährdenden Reaktionen in Form von Drohungen als Reaktion auf Reglementierung und Grenzsetzung. Entsprechendes Verhalten wird durch die Berichte der Kliniken bestätigt. Danach mangelt es dem Verurteilten in Konfliktsituationen – die er durch einmischendes Verhalten oft selbst herbeiführe – an Möglichkeiten, sich auf verbaler Ebene durchzusetzen. Er greife dann auf Beschimpfungen und Beleidigungen zurück.
74Auch spricht für den Verurteilten, dass er die Anlasstaten auf Vorhalt einräumt und bedauert und – mit Unterstützung – ansatzweise in der Lage ist, sich auch in die Perspektive der Geschädigten zu versetzen. Gleichwohl – so hat die Klinik berichtet –projiziert er die Schuld nach wie vor auf andere. Eine Reflexion von eigenem Problemverhalten ist ihm, dies ergibt sich aus dem Sachverständigengutachten ebenso wie aus den Berichten der Klinik, augrund seiner kognitiven Beeinträchtigungen nur begrenzt möglich. Die kognitiven Einschränkungen führen zudem zu mangelnder Kritikfähigkeit und Urteilsschwäche und damit einhergehend leichter Beeinflussbarkeit. Gleichzeitig steht unmittelbare Bedürfnisorientierung nach den Berichten der Klinik und der Einschätzung des Sachverständigen nach wie vor im Vordergrund.
75Aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigungen neigt der Verurteilte nach wie vor dazu, die begangenen Straftaten und seine Erkrankung zu bagatellisieren. Entsprechend schwankend ist seine Medikations- und Behandlungscompliance und seine Einsicht in Bezug auf seine Alkoholerkrankung. Der Senat teilt die Auffassung des Sachverständigen, dass im Falle einer Entlassung mit großer Wahrscheinlichkeit mit erneutem Alkoholkonsum des Verurteilten zu rechnen ist. Beispielhaft deutlich wird dies unter anderem daran, dass der Verurteilte bei einer Ausführung aus dem Maßregelvollzug ohne Scham an dem Kiosk, an dem er früher einmal gearbeitet hatte, nach Zigaretten, Süßigkeiten und Getränken gefragt hat und erkennbar war, dass er am liebsten wieder mit seinen Freunden im nahegelegenen Park Alkohol trinken würde.
76Die geistige Behinderung des Verurteilten besteht bereits von Geburt an. Sie äußert sich neben den beschriebenen Auswirkungen auch im Fehlen lebens- und alltagspraktischer Fähigkeiten wie Körperhygiene oder Tagesstrukturierung; bereits vor seiner Unterbringung erhielt der Betroffene deshalb im amulant betreuten Wohnen Untersützung beim Einkaufen, Kochen und der Haushaltsführung. Bereits die Anlasstaten beruhten auf dem beschriebenen Störungsbild und dem daraus resultierenden Verhalten. Hinzu kommt eine Reihe weiterer Vortaten von ähnlicher Qualität wie die Anlasstaten.
77Schon im Erkenntnisverfahren hatten die Sachverständigen Dipl.-Psych. X und Dr. C intellektuell überfordernde Konflikte, existenzielle Wut und Affektlabilität vor dem Hintergrund einer rezidivierenden depressiven Symptomatik und ausgeprägten Alkoholkonsum als psychische Auslöser der Taten identifiziert. Insofern und vor dem Hintergrund der zuvor beschriebenen Anhaltspunkte schließt sich der Senat der Einschätzung des Sachverständigen Dr. U und der Klinik an, dass insbesondere bei erneutem Alkohlkonsum in Überforderungssituationen oder aufgrund von Lebensunzufriedenheit strafbare Handlungen im Sinne der Anlassdelikte weiterhin mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind.
78c.
79Trotz der fortbestehenden Gefahr zukünftiger Straftaten des Verurteilten wäre die weitere Vollstreckung der Maßregel gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 Variante 2 StGB unverhältnismäßig.
80Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das sich daraus ergebende Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit vor zu erwartenden erheblichen Rechtsgutverletzungen verlangt nach gerechtem und vertretbarem Ausgleich. Dieser lässt sich für die Entscheidungen über die Aussetzung der Maßregelvollstreckung nur dadurch bewirken, dass Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden (BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 2012 – 2 BvR 442/12 –, juris).
81Eine solche, auf den Einzelfall bezogene Prüfung im Rahmen der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsregelung des § 67d Abs. 6 Satz 1 StGB ist auch durch die Schaffung der Regelunverhältnismäßigkeit nach sechs bzw. zehn Jahren gemäß § 67d Abs. 6 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 StGB nicht obsolet geworden. Vielmehr zeigen die gesetzliche Systematik und auch die Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 18/7244, S. 31), dass es sich bei Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 lediglich um näher konkretisierte Unterfälle der Erledigung wegen Unverhältnismäßigkeit handelt. Aus den Gesetzesmaterialien geht an keiner Stelle hervor, dass der Gesetzgeber die Verhältnismäßigkeitsprüfung allein auf die Kriterien der Sechs- bzw. Zehnjahresprüfung beschränken wollte (OLG Hamm, Beschluss vom 7. Februar 2017 – III-4 Ws 272/16 –, juris).
82Bei der allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprüfung sind die vom Täter ausgehenden Gefahren zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen. In die Gesamtwürdigung einzubeziehen ist, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, a. a. O.). Daran gemessen stünde die Schwere des mit einer Fortdauer der Unterbringung verbundenen Eingriffs in den Freiheitsanspruch der Verurteilten nicht mehr in angemessenem Verhältnis zum Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit. Das Freiheitsrecht der Verurteilten überwiegt im vorliegenden Fall:
83In ihrem Urteil vom 12. September 2014 hat die Strafkammer die Taten vom 1. Oktober 2013 als Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Amtsanmaßung, als Missbrauch von Notrufen, als versuchte gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, die Taten vom 8. Oktober 2013 als Beleidigung in vier Fällen, als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, als Sachbeschädigung, als Körperverletzung, als versuchte Körperverletzung und als Bedrohung in zwei Fällen gewürdigt. Nach dem für den Versuch der gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 224 Abs. 2, 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorgesehenen Strafrahmen hält der Gesetzgeber auch denkbar schwerste Fälle der Begehung mit einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten für ausreichend gesühnt. Denkbar schwerste Fälle der übrigen von dem Verurteilten begangenen Delikte sind mit Freiheitsstrafen bis fünf Jahren (Körperverletzung gem. § 223 StGB), drei Jahren (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gem. § 113 Abs. 1 StGB) und niedriger bedroht. Demgegenüber sind die von der Verurteilten begangenen Anlasstaten in ihrem Unrechtsgehalt weit von den jeweils denkbar schwersten Taten entfernt, wie auch die Höhe der von der Strafkammer verhängten Einzelstrafen – unter Berücksichtigung der Milderung gem. §§ 21, 49 StGB – zeigt. Namentlich bei den Körperverletzungsdelikten sind Folgen, die einer Heilbehandlung bedurften oder zu sonst erheblicheren Folgen für die Geschädigten geführt haben, nicht festgestellt. Gleichwohl befindet sich die Verurteilte für die Anlasstaten seit dem 30. September 2014, mittlerweile also seit knapp dreieinhalb Jahren, in Unfreiheit. Im Anschluss an die Unterbringung steht – nach Anrechnung der Unterbringungszeit und sonstiger Freiheitsentziehungen – noch eine Restfreiheitsstrafe von 203 Tagen, knapp sieben Monaten, zur Vollstreckung an. Der Eingriff in das Freiheitsrecht des Verurteilten wird damit nach jetzigem Stand im Ergebnis – rund 48 Monate Freiheitsentzug – mehr als das Doppelte der Dauer der verhängten Freiheitsstrafe – rund 20 Monate – erreicht haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Eingriff in das Freiheitsrecht der Verurteilten umso schärfer wirkt, je länger der Freiheitsentzug andauert (BVerfG, a. a. O.).
84Demgegenüber besteht bei dem Verurteilte zwar krankheitsbedingt die Gefahr, dass er auch zukünftig Straftaten begehen wird (siehe oben Gliederungspunkt b.). Es liegen jedoch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die zu erwartenden Rechtsgutsverletzungen ein Gewicht erreichen, das eine weitere Unterbringung rechtfertigt.
85Schon das bisherige delinquente Verhalten des Verurteilten lässt nicht erwarten, dass der Verurteilte künftig Taten begehen könnte, die für die Opfer mit schwerwiegenderen Folgen verbunden sind. Zwar ist der Verurteilte in der Vergangenheit vor dem Einsatz körperlicher Gewalt nicht zurückgeschreckt. So hat er bei den Anlasstaten unter anderem eine andere Person so gegen den Oberkörper gestoßen, dass diese gegen eine Wand geprallt und auf die Knie gefallen ist. Er hat einer 13jährigen mit der Spitze eines aus seiner Faust herausschauenden Einwegfeuerzeugs durch einen Schlag gegen die Schläfe eine Schürfwunde beigebracht. Er hat sich massiv körperlich gegen seine Ingewahrsamnahmen gewehrt. Auch ist nach den Feststellungen der Strafkammer gegen den Verurteilten wegen bedrohlichen Verhaltens gegen seine Freundin ermittelt worden. Dabei habe er nach einem Streit nach einem Küchenmesser gegriffen, dieses mehrfach in ihre Richtung gestoßen, wobei er ihr nahegekommen sei, sie aber nicht berührt habe. Er habe zu ihr gesagt, „ich mach dich kaputt“. Nachdem sie sich eingeschlossen habe, habe er versucht, die Tür mit dem Messer aufzuhebeln. Festzuhalten bleibt jedoch, dass der Verurteilte das Messer gerade nicht gegen seine Freundin eingesetzt hat. Auch in den anderen genannten Fällen haben die Geschädigten über die genannten Folgen hinaus keine ernsthafteren Verletzungen davongetragen oder sonstige, schwerwiegendere Beeinträchtigungen erlitten.
86Unerheblich ist auch, dass die Sachverständigen Dr. C und X im Erkenntnisverfahren auch Tötungs-, Sexual- und Brandstiftungsdelikte für „grundsätzlich möglich“ gehalten haben. Die bloße Möglichkeit solcher Delikte kann eine Unterbringung nicht begründen, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine zu erwartende Begehung bestehen (Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Auflage 2018, § 63, Rh. 33 m. w. N.). Demgegenüber steht vielmehr die bereits beschriebene Entwicklung des Verurteilten im Maßregelvollzug. Diese hat zwar nicht zu einer Aufhebung seiner Gefährlichkeit geführt, legt aber ebenfalls nahe, dass schwerere Delikte als die bislang von dem Verurteilten begangenen Taten jedenfalls nach heutigem Krankheitsbild auch zukünftig nicht zu erwarten sind.
87Schließlich ist zu berücksichtigen, dass nach dem Ergebnis des Prognosegutachtens die verbleibende Gefährlichkeit des Verurteilten mit seiner Aufnahme in eine geeignete Behinderteneinrichtung auf ein vertretbares Maß reduziert werden kann. Dafür spricht, dass der Verurteilte sowohl nach den Berichten der Klinik als auch nach Einschätzung des Sachverständigen weitgehend absprachefähig ist. Zudem wird seine Medikation, die maßgeblich zu seiner positiven Entwicklung beigetragen hat, auf die Verabreichung einer Depot-Spritze im Drei-Monats-Rhythmus umgestellt. Das haben der Verurteilte und der behandelnde Psychotherapeut der Klinik im Rahmen der persönlichen Anhörung des Verurteilten vor der Strafvollstreckungskammer am 23. August 2017 übereinstimmend mitgeteilt. Der Sachverständige Dr. U hatte dies als Bedingung für eine Entlassung des Verurteilten aus dem Maßregelvollzug bewertet. Damit liegen die Voraussetzungen vor, den Verurteilten auch außerhalb des Maßregelvollzugs bei der Bewältigung seines Alltags zu unterstützen und durch engmaschige Begleitung auch weiterhin vom Alkoholkonsum abzuhalten. Das Risiko, dass es erneut zu den Verurteilten intellektuell überfordernden Situationen, allgemeiner Lebensunzufriedenheit und Wut kommt, wird dadurch deutlich reduziert.
88Der Verurteilte wird nach seiner Entlassung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 4 StGB unter Führungsaufsicht stehen. Sobald eine geeignete Einrichtung zur Verfügung steht, kann die Strafvollstreckungskammer anhand von Auflagen gemäß § 68b StGB sicherstellen, dass der Verurteilte dort tatsächlich seinen künftigen Aufenthalt nimmt. Hinzu kommt, dass der Verurteilte in diesem Rahmen – neben der bereits bestehenden rechtlichen Betreuung – auch Unterstützung von einem Bewährungshelfer erhalten wird. Zudem wird sich die Strafvollstreckungskammer – im Zuge der zu treffenden Entlassungsvorbereitungen – von der Klinik über die erforderliche psychiatrische Nachsorge berichten lassen und hierzu ebenso wie zur Alkoholabstinenz gegebenenfalls gemäß § 68b StGB zusätzliche Weisungen treffen. Auch dies trägt ebenso wie die Aufnahme in eine Behinderteneinrichtung dazu bei, sich zuspitzende Krisen zu verhindern oder möglichst früh zu erkennen und rechtzeitig – gegebenenfalls auch rechtlich – einzugreifen, um rechtswidrige Taten mit schwereren Folgen zu verhindern.
892.
90Die verbleibende Reststrafe kann nicht gemäß §§ 67 Abs. 5 Satz 1, 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden.
91a.
92Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer, dass die Unterbringung fortdauere, beinhaltet der Sache nach zugleich die Entscheidung, die Vollstreckung der Reststrafe nicht zur Bewährung auszusetzen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. Januar 2017 – III-4 Ws 372/16 –; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – III-2 Ws 576-577/13 –; OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – 3 Ws 957/10 –; alle zitiert nach juris). Der Verurteilte hat seine sofortige Beschwerde uneingeschränkt erhobenen, so dass die angefochtene Entscheidung auch insoweit Gegenstand des Rechtsmittels ist.
93b.
94Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB setzt das Gericht die Vollstreckung einer Restfreiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Das ist hier nicht der Fall.
95Im Unterschied zu der nach § 56 Abs. 1 StGB zu beurteilenden Frage, ob die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von vornherein zur Bewährung ausgesetzt werden kann, stellt die Prognose bei der Strafrestaussetzung zur Bewährung nicht auf die Erwartung ab, der Verurteilte werde ohne die weitere Einwirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen. Vielmehr ist maßgeblich, ob die Haftentlassung nach Abwägung mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit verantwortet werden kann (Fischer, a. a. O., § 57, Rn. 12). Insofern setzt eine bedingte Haftentlassung keine Gewissheit oder Gewähr eines zukünftig straffreien Verhaltens des Verurteilten außerhalb des Strafvollzuges voraus. Es ist allerdings die Überzeugung erforderlich, dass nach Abwägung aller Umstände – namentlich der im Falle eines Versagens bedrohten Rechtsgüter, des Vollzugsverhaltens und der in Freiheit zu erwartenden Lebensumstände – eine nahe liegende, echte Chance für ein erfolgreiches Bewährungsergebnis besteht (OLG Düsseldorf, a. a. O; Fischer, a. a. O., Rn. 14).
96Daran gemessen liegen die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Strafrests zur Bewährung nicht vor. Eine positive Legalprognose kann dem Verurteilten nicht gestellt werden. Anknüpfend an die vorstehenden Ausführungen zur fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten (oben Gliederungspunkt 1. b.) ist zu erwarten, dass der Verurteilte erneut Delikte von der Qualität der Anlassdelkte oder vorangegangenen Straftaten begehen wird. Unter der Wirkung von Alkohol und aufgrund der Verhaltensstörung des Verurteilten ist namentlich erneut mit Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, Wiederstandshandlungen und ähnlichen Delikten zu rechnen, auch wenn der Senat nicht befürchtet, dass es hierdurch zu schwerwiegenderen Rechtsgutverletzungen kommt (siehe oben, Gliederungspunkt 1. c.). Maßgeblich ist insoweit auch, dass jedenfalls gegenwärtig noch keine Behinderteneinrichtung zur Verfügung steht, die den Verurteilten unmittelbar aufnehmen und von der Begehung von Straftaten abhalten könnte.
97Nach einer Gesamtwürdigung, in deren Rahmen der Stellenwert des Freiheitsgrundrechts besonders berücksichtigt ist, kann unter den vorgenannten Umständen eine vorzeitige Entlassung zum gegenwärtigen Zeitpunkt wegen des vorrangigen Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden. Durch den rund sieben weitere Monate andauernden Freiheitsentzug ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt. Insbesondere reichen mildere Maßnahmen in Form von Führungsaufsichtsweisungen (vgl. §§ 68g Abs. 1 Satz 1, 68b StGB) nicht aus. Angesichts der Alkoholsucht und der Verhaltensstörung des Verurteilten, seiner Impulsivität und Verfolgung einer unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung ist nicht zu erwarten, dass sich der Verurteilte – ohne Obhut und Einfluss einer geeigneten Einrichtung – allein aufgrund von Anordnungen im Rahmen der Führungsaufsicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen würde.
983.
99Gemäß § 67 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 StGB ist der Strafrest unter den Bedingungen des Maßregelvollzugs in einem psychiatrischen Krankenhaus zu vollziehen.
100Ob in Fällen, in denen ein Strafrest nach Beendigung der Maßregel verbleibt, die Vollstreckung dieses Strafrestes im Maßregelvollzug überhaupt angeordnet werden kann oder die Vollstreckung der Reststrafe zwingend im Strafvollzug zu erfolgen hat, wird in der Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt (vgl. ausführlich zum Meinungsstand OLG Braunschweig, Beschluss vom 31. Juli 2017 – 1 Ws 166/17 –, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – III-2 Ws 576 - 577/13 –, juris). Der Senat hält indes die wohl überwiegende Auffassung (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 31. Juli 2017 – 1 Ws 166/17 –; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Januar 2017, III-4 Ws 372/16; OLG Celle, Beschluss vom 2. März 2015, 2 Ws 16/15; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2013, III-2 Ws 576-577/13; OLG Koblenz, Beschluss vom 4. April 2011, 2 Ws 150/11; alle zitiert nach juris) für zutreffend. Danach regelt § 67 Abs. 5 Satz 2 StGB lediglich eine vollzugliche Überweisung, bewirkt aber keine Änderung des Rechtscharakters – Strafe oder Maßregel – der vollzogenen Freiheitsentziehung. Bei Anwendung der Vorschrift wird demnach weiter Freiheitsstrafe vollstreckt, wenn auch ausnahmsweise in einer Maßregelvollzugseinrichtung.
101Nur ein Verständnis im vorgenannten Sinne kann erklären, dass auch bei einer Maßregelvollstreckung, die gemäß § 67d Abs. 2 Satz 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt wird, der „Vollzug der Maßregel“, also der Verbleib in der Maßregelvollzugseinrichtung gegebenenfalls fortdauern kann (OLG Braunschweig, a. a. O., OLG Düsseldorf, a.a.O.; Schöch, in: Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Auflage 2008, § 67, Rn 54.). Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich zudem, dass der Gesetzgeber ein weites Verständnis von § 67 Abs. 5 S. 2 StGB hat. Denn dem Gesetzentwurf lag hinsichtlich der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB die Ansicht zugrunde, dass die Unterbringung auch über die hierfür in § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB bestimmte Höchstfrist hinaus weiter vollzogen werden dürfe (vgl. dazu BT-Drucks. 16/1110, S. 14). Dann ist jedoch die Maßregel ebenfalls bereits erledigt (OLG Braunschweig, a. a. O.; Schöch, a. a. O.). Schließlich steht auch fehlende Gesetzgebungskompetenz des Bundes der beschriebenen Auslegung nicht entgegen; für Leitlinien im Bereich der Ausgestaltung des Vollzugs liegt diese nämlich beim Bund (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011, – 2 BvR 2333/08 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Januar 2017 – III-4 Ws 372/16 –, juris).
102Nach alledem stehen eine Erledigung der Maßregel und der Verbleib des Verurteilten in einer Maßregelvollzugseinrichtung nicht in Widerspruch zueinander. Es liegen auch keine Umstände in seiner Person vor, die seine Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt angezeigt erscheinen lassen. Bei einer erledigten Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus - ohne dass der „Zustand“ im Sinne von § 63 StGB entfallen wäre - wird sich dies ohnehin nur selten empfehlen (vgl. Schöch, a.a.O., Rn. 58). Vielmehr wird mit dem Verbleib eines Verurteilten im Maßregelvollzug seinem Interesse Rechnung getragen, einen schon erreichten Therapieerfolg nicht wieder zu gefährden (vgl. BT-Drucks. 16/1110, S. 17) und die vollziehende Anstalt möglichst wenig zu wechseln (vgl. Schöch, a. a. O., Rn. 52). Gerade letztgenannter Gesichtpunkt ist im vorliegenden Fall für den Verurteilten von besonderem Interesse. Durch den Verbleib im Maßregelvollzug ist gewährleistet, dass sowohl während der weiteren Vollstreckung der Reststrafe als auch bei der anstehenden Entlassungsvorbereitung seinen Eigenheiten und Bedürfnissen, namentlich betreffend die Suche nach einer geeigneten Behinderteneinrichtung, möglichst weitgehend Rechung getragen werden kann. Durch den Verbleib im Maßregelvollzug entstehen dem Verurteilten auch sonst keine Nachteile. Der Vollzug der Reststrafe in einer Justizvollzugsanstalt wäre nicht von geringerer Eingriffsqualität.
1034.
104Mit der Erledigung der Maßregel steht der Verurteilte gemäß § 67d Abs. 6 Satz 4 StGB unter Führungsaufsicht.
105Den Nichteintritt der Führungsaufsicht gemäß § 67d Abs. 6 Satz 5 StGB anzuordnen, kam nach allem zuvor Erwogenen nicht in Betracht. Es ist nicht zu erwarten, dass der Verurteilte auch ohne die Führungsaufsicht keine Straftaten mehr begehen wird. Die Dauer der Führungsaufsicht beruht auf § 68c Abs. 1 Satz 1 StGB, die Unterstellung unter eine Aufsichtsstelle und Bestellung eines Bewährungshelfers auf § 68a Abs. 1 StGB, die Übertragung der Belehrung auf der entsprechenden Anwendung von §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 4 StPO.
106Die weitere Ausgestaltung der Führungsaufsicht konnte der Strafvollstreckungskammer überlassen werden, welche hierzu die bis zur tatsächlichen Entlassung des Verurteilten gewonnenen Erkenntnisse nutzbar machen kann.
1075.
108Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 4 StPO.