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Zahlt ein Beklagter nach Widerspruchseinlegung im Mahnverfahren und vor Abgabe an das Streitgericht einen Teilbetrag, so dass sich der Streitwert für den Rechtsstreit auf unter 5000 € reduziert, ist damit das Amtsgericht zuständig geworden. Die Rechtshängigkeitswirkung des § 261 III Nr. 2 ZPO tritt erst mit Akteneingang beim Prozessgericht ein. Eine Verweisung des Rechtsstreits von dem im Mahnverfahren noch als Streitgericht benannten Landgericht an das Amtsgericht setzt in diesen Fällen aber voraus, dass der Kläger seinen Klageantrag mit einer noch dem Mahngericht gegenüber abgegebenen Teilerledigungserklärung entsprechend reduziert hat , weil erst die Antragsreduzierung die Reduzierung des Streitwerts bewirkt. Wird dieser Umstand vom verweisenden Landgericht nicht berücksichtigt, kann ein nur einfacher Rechtsfehler vorliegen, der die Bindungswirkung des landgerichtlichen Verweisungsbeschlusses nicht aufhebt.
Sachlich zuständig ist das Amtsgericht Unna.
Gründe:
2I.
3Der Rechtsstreit liegt dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vor.
4Dem Rechtsstreit liegt – soweit für das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren von Belang – im Kern folgender Sachverhalt zugrunde:
5Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfallgeschehen vom XX.02.2016 in Anspruch.
6Dem Rechtsstreit ist ein Mahnverfahren vor dem AG Hagen – Mahnabteilung – vorausgegangen. Am 07.02.2017 ist der Antrag des Klägers auf Erlass eines Mahnbescheides bei dem AG Hagen eingegangen. Gegenstand der im Mahnverfahren geltend gemachten Hauptforderung war eine Schadensersatzforderung in Höhe von 5.337,15 € zzgl. Nebenforderungen. Als Prozessgericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abzugeben sei, ist das Landgericht Dortmund benannt worden.
7Nach Erlass des Mahnbescheides am 08.02.2017 und Zustellung an die Beklagte zu 1) am 10.02.2017 und an die Beklagte zu 2) am 13.02.2017 haben die Beklagten jeweils am 21.02.2017 Widerspruch erhoben. Daraufhin ist das Verfahren am 17.03.2017 an das Landgericht Dortmund abgegeben worden, wo die Verfahrensakten am 28.03.2017 eingegangen sind.
8Zwischen Erhebung des Widerspruchs am 21.02.2017 und Abgabe der Verfahrensakten an das Landgericht Dortmund am 17.03.2017 hat die Beklagte zu 2) am 16.03.2017 einen Teilbetrag in Höhe von 3.916,80 € reguliert.
9Mit klagebegründendem Schriftsatz vom 14.02.2018 hat der Kläger daraufhin den Rechtsstreit in Höhe der v.g. Summe teilweise für erledigt erklärt und im Übrigen den Antrag aus dem Mahnbescheid gestellt.
10Mit Verfügung vom 28.02.2018 hat das Landgericht Dortmund mit näherer Begründung darauf hingewiesen, dass es an der sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts fehlen dürfte, da infolge der noch vor Abgabe der Verfahrensakten an das Landgericht Dortmund am 16.03.2017 erfolgten Zahlung und der nunmehr erklärten teilweisen Erledigung die Streitwertgrenze von 5.000,00 € nicht (mehr) erreicht sei.
11Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13.03.2018 die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Unna beantragt. Die Beklagten haben der Verweisung am 16.03.2018 zugestimmt.
12Mit Beschluss vom 16.03.2018 hat das Landgericht Dortmund sich sodann für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 281 ZPO ohne mündliche Verhandlung mit dem vorangegangenen Hinweis entsprechender Begründung, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, an das Amtsgericht Unna verwiesen.
13Nach Akteneingang hat das Amtsgericht Unna den Beklagten zunächst mit Beschluss vom 06.04.2018 aufgegeben, auf die Klage binnen 3 Wochen zu erwidern.
14Die Beklagten hatten zwischenzeitlich mit noch an das Landgericht Dortmund gerichtetem Schriftsatz vom 29.03.2018 die sachliche Zuständigkeit des Landgericht gerügt, sich der teilweisen Erledigungserklärung angeschlossen und im Übrigen Klageabweisung beantragt.
15Mit Verfügung vom 27.04.2018 hat das Amtsgericht Unna nach Bearbeiterwechsel darauf hingewiesen, dass in Betracht gezogen werde, die Sache an das Landgericht Dortmund zurückzuverweisen, da das Landgericht seine Zuständigkeit ohne nachvollziehbare Begründung und damit objektiv willkürlich verneint habe. Das Landgericht habe gegen § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO verstoßen, da die Rechtshängigkeit infolge des Eingangs der Akten beim Landgericht bereits am 28.03.2017 eingetreten sei, die Reduzierung des Streitwertes aber erst danach, nämlich erst infolge der einseitigen Erledigungserklärung des Klägers vom 14.02.2018 eingetreten sei. Entgegen der Annahme des Landgerichts sei die Reduzierung des Streitwerts nicht schon zwischen Zustellung des Mahnbescheids und Eingang der Akten beim Landgericht durch die am 16.03.2018 erfolgte Zahlung bewirkt worden.
16Mit Schriftsatz vom 18.05.2018 hat sich der Kläger der Auffassung des Amtsgerichts Unna angeschlossen und Rückverweisung an das Landgericht Dortmund beantragt.
17Daraufhin hat sich das Amtsgericht Unna mit Beschluss vom 30.05.2018 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit mit entsprechender Begründung, auf die Bezug genommen wird, an das Landgericht Dortmund zurückverwiesen.
18Das Landgericht Dortmund wiederum hat mit Verfügung vom 22.06.2018 darauf hingewiesen, dass es nach dortigem Verständnis an einer objektiv willkürlichen Verweisung fehle. Denn es sei in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob sich, wenn es – wie vorliegend – an einer alsbaldigen Abgabe des Verfahrens nach erfolgtem Widerspruch fehle, der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit nach dem des Eingangs der Akte bei dem Gericht zur Durchführung des streitigen Verfahrens oder nach der Zustellung der Anspruchsbegründung bestimme. Dessen ungeachtet halte es das Landgericht allerdings für sachdienlich, von einem Verfahren gemäß § 36 ZPO abzusehen, wofür wiederum erforderlich sei, dass sich die Parteien vor dem Landgericht rügelos einließen.
19Nachdem sich die Beklagten hierzu nicht erklärt hatten, hat das Landgericht Dortmund den Rechtstreit mit Beschluss vom 01.08.2018 dem Oberlandesgericht Hamm zum Zwecke der Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.
20Der Senat die Parteien mit Verfügung vom 16.08.2018 angehört. Hierzu haben sich die Parteien nicht geäußert.
21II.
22Die Voraussetzungen einer Bestimmung des Gerichtsstands gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
23Das Landgericht Dortmund und das Amtsgericht Unna haben sich beide im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt. Das Landgericht Dortmund hat den Rechtsstreit durch den grundsätzlich gemäß § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbaren Beschluss vom 16.03.2018 an das Amtsgericht Unna verwiesen. Das Amtsgericht Unna hat durch den Parteien bekannt gemachten Beschluss vom 30.05.2018 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt, sich ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Landgericht Dortmund zurückverwiesen, das wiederum den Rechtsstreit nach erneuter Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 01.08.2018 dem Oberlandesgericht zum Zwecke der Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt hat. Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO auch zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit als das im Rechtszug zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht berufen.
24Sachlich zuständig ist das Amtsgericht Unna.
25Das Amtsgericht Unna ist an den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Dortmund vom 16.03.2018 gebunden. Dieser ist nicht willkürlich, so dass das Amtsgericht die Übernahme des Verfahrens nicht mit Erfolg verweigern kann.
26Gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO sind Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich bindend, da - im Einklang mit der in § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO normierten Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen - im Interesse der Prozessökonomie das Verfahren verzögernde und verteuernde Zuständigkeitsstreitigkeiten vermieden werden sollen.
27Eine Bindung an den Verweisungsbeschluss ist nur ausnahmsweise zu verneinen, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss. Hierfür genügt nicht, dass der Beschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (st. Rspr., z.B. BGH, Beschluss vom 09.06.2015, X ARZ 115/15, juris Rn 9; BGH, Beschluss vom 17.05.2011, X ARZ 109/11, juris Rn 12; Senat, Beschluss vom 29.07.2011, 32 SA 57/11, juris Rn 19). Willkür liegt nur vor, wenn der Verweisungsbeschluss einen über einen einfachen Rechtsfehler hinausgehenden, schwerwiegenden Fehler aufweist, der unter Umständen begangen wurde, die den Verweisungsbeschluss in der Gesamtbetrachtung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar und offensichtlich unhaltbar erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 09.06.2015, X ARZ 115/15, juris Rn 11 m.w.N.).
28Nach diesen Maßstäben ist das Amtsgericht Unna in sachlicher Hinsicht (§ 23 Nr. 1 GVG) an die landgerichtliche Entscheidung gebunden (§ 281 Abs. 2 S. 4 ZPO).
29Das Landgericht ist gemäß seinem rechtlichen Hinweis vom 28.02.2018 und dem Verweisungsbeschluss vom 16.03.2018 davon ausgegangen, dass bereits bei Akteneingang beim Landgericht am 28.03.2017 infolge der am 16.03.2018 (d.h. zwischen Widerspruchseinlegung am 21.02.2017 und Abgabe durch das Mahngericht am 17.03.2017) erfolgten Teilzahlung der Beklagten der Streitwert unter 5.000,00 € lag. Was den Eintritt der Rechtshängigkeit als maßgeblichem Zeitpunkt für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit angeht, befand sich das Landgericht bei seinem Verweisungsbeschluss vom 16.03.2018 im Einklang mit der herrschenden Meinung, wonach für die Rechtshängigkeitswirkung (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) auf den Akteneingang beim Prozessgericht abzustellen ist (§ 696 Abs. 1 S. 4 ZPO; BGH, Urteil v. 05.02.2009, III ZR 164/08, NJW 2009, 1213, Zitat nach juris; Seibel in Zöller, ZPO 32. Aufl., § 696, Rn 7). Zu Recht hat das Landgericht im Verweisungsbeschluss vom 16.03.2018 auch – anders als in seinem späteren Vorlagebeschluss – nicht darauf abgestellt, ob die Sache nach Widerspruchseinlegung „alsbald“ an das Prozessgericht abgegeben worden war. Denn nach der herrschenden Meinung, insbesondere der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Akteneingang beim Prozessgericht auch dann maßgeblich, wenn die Sache – wie mutmaßlich hier – nicht „alsbald“ abgegeben worden ist (BGH a.a.O., Rn 17). Der vom Gesetzgeber mit der Neufassung des § 696 Abs. 3 ZPO verfolgte Zweck, anstelle der Terminierung an die Abgabe anzuknüpfen (BT-Drs. 7/2729 S. 100), lasse es – so der BGH – sachgerecht erscheinen, auf den Akteneingang beim Prozessgericht (auch dann) abzustellen, wenn die Sache nicht alsbald abgegeben worden ist. Nur die Rückwirkung der Rechtshängigkeit komme dem Kläger in diesem Fall nicht zugute.
30Das Landgericht hat indes nicht berücksichtigt, dass der Kläger bei einer Wertsenkung nach Erlass des Mahnbescheids noch vor Abgabe an das bezeichnete Landgericht die zuständigkeitsverändernden Umstände dem Mahngericht hätte mitteilen und eine Antragsreduzierung für das Streitverfahren hätte ankündigen müssen (OLG München, Beschluss v. 24.08.2016, 34 AR 99/16 m.w.N.; OLG Frankfurt, Beschluss v. 21.02.1996, 21 AR 10/96, NJW-RR 1996, 1403; Voit in Musielak ZPO 15. Aufl., § 696, Rn 6). Das Amtsgericht Unna weist insoweit zutreffend darauf hin, dass nicht schon die Zahlung als solche, sondern erst die hierauf bezogene prozessuale Erklärung des Klägers – hier die unstrittig erst nach Akteneingang beim Landgericht mit Schriftsatz vom 14.02.2018 erfolgte Teilerledigungserklärung – die Streitwertreduzierung bewirkt. Auch wenn das Landgericht diesen Umstand nicht beachtet hat, so erachtet der Senat darin jedoch nur einen (einfachen) Rechtsfehler, der die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nicht aufhebt (so auch: OLG München, Beschluss v. 24.08.2016, 34 AR 99/16).
31Sowohl Rechtsprechung (vgl. OLG München, Beschluss v. 31.11.2006, 31 AR 138/06; OLG Frankfurt a.M., Beschluss v. 16.09.1994, AR 15/94, NJW-RR 1995, 831) als auch Literatur (vgl. Schüler in MüKo, ZPO 5. Aufl. § 696 Rn 38; Seibel in Zöller, ZPO 32. Aufl., § 696, Rn 5) stellen in diesem Zusammenhang oftmals nicht die Notwendigkeit der Prozesshandlung heraus, die als solche erst dazu führt, dass der Rechtsstreit ganz oder zum Teil ohne Entscheidung über den Streitgegenstand beendet wird. Dies hat neben dem Kläger offensichtlich auch das Landgericht übersehen. Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt in einer vergleichbaren Konstellation von fehlender Bindungswirkung ausgegangen ist (OLG Frankfurt, Beschluss v. 21.02.1996, 21 AR 10/96, NJW-RR 1996, 1403), kann es dahin stehen, ob sich im dortigen Bezirk eine gefestigte Rechtsprechung entwickelt hatte (wogegen die Entscheidung desselben Gerichts vom 16.09.1994, 21 AR 10/96, NJW-RR 1995, 831 sprechen dürfte). Jedenfalls geben die vorliegenden Akten – anders als in dem vom Oberlandesgericht Frankfurt entschiedenen Fall – keinen Anhaltspunkt, die Reduzierung des Klageantrags mit einem offensichtlichen Zweck in Zusammenhang zu setzen, nachträglich die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts herbeizuführen.
32Auf die Frage, ob sich das Landgericht willkürfrei auch auf die Zustellung der Anspruchsbegründung als maßgeblichen Zeitpunkt für die Rechtshängigkeit stützen könnte, wie im Vorlagebeschluss vom 01.08.2018 hilfsweise geschehen, kommt es schon deshalb nicht an, weil das Landgericht die Verweisungsentscheidung vom 16.03.2018 darauf nicht gestützt hat.