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Eine Klage aus der Versicherungsvermittlung im Sinne von § 215 VVG liegt nicht mehr vor, wenn die Versicherungsvermittlung im Zeitpunkt der Anspruchsentstehung - vorliegend einer während des Bestehens der vermittelten Versicherung behaupteten Falschberatung - bereits abgeschlossen war.
Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Coesfeld bestimmt.
Gründe:
2I.
3Die Klägerin begehrt mit ihrer beim Amtsgericht Dülmen eingereichten Klage von den Beklagten als Gesamtschuldnerinnen Schadensersatz. Zur Begründung ihrer Klage trägt sie in groben Zügen Folgendes vor:
4Durch Versäumnisse beider Beklagten seien ihr für die Jahre 2004 bis 2013 sog. Kinderzulagen hinsichtlich einer auf Vermittlung der Beklagten zu 2, einer im Bezirk des Amtsgerichts Coesfeld ansässigen Bank, bei der Beklagten zu 1, einer in Wiesbaden ansässigen Versicherung, abgeschlossenen Rentenversicherung in Höhe von insgesamt knapp 4.000 € entgangen.
5Die Beklagte zu 1 habe der Klägerin zwar jeweils einen bereits teilweise ausgefüllten "Antrag auf Altersvorsorgezulage" zugesandt, dieser sei aber widersprüchlich und verwirrend gewesen. Die maßgeblichen Kreuzchen seien nicht bereits gesetzt gewesen, ebenso wenig sei darauf hingewiesen worden, wo Kreuzchen zu setzen seien. Die Beklagte zu 2, bei der sich die Klägerin nach Erhalt der Formulare Rat geholt habe, habe sie ebenfalls nicht zutreffend über die erforderlichen Kreuzchen aufgeklärt.
6Die Beklagte zu 2 hat gerügt, dass die gegen sie gerichtete Klage mangels örtlicher Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bereits unzulässig sei. Nach einem Hinweis des Amtsgerichts, dass ein gemeinsamer Gerichtsstand nicht festzustellen sei, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 16.04.2018 beantragt, die Sache dem Oberlandesgericht Hamm zur Zuständigkeitsbestimmung vorzulegen. Dies hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 25.04.2018 getan. In dem Beschluss legt das Amtsgericht ausführlich dar, dass seines Erachtens kein gemeinsamer Gerichtsstand bestehe, und zwar weder gem. § 29 ZPO noch nach § 215 VVG n.F., der für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage nicht einschlägig sei.
7Im Verfahren vor dem Senat hat die Beklagte zu 2 die Auffassung vertreten, dass keine Notwendigkeit für einen gemeinsamen Gerichtsstand bestehe, da der Rechtsstreit zwei unterschiedliche Sachverhalte betreffe. Die Beklagte zu 1 hat die Auffassung vertreten, dass auch hinsichtlich der Beklagten zu 2 der Gerichtsstand gem. § 215 VVG n.F. greife, da die Klägerin Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend mache.
8II.
9Das Oberlandesgericht Hamm ist für die auf Antrag der Klägerin durchzuführende Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 2 ZPO zuständig: Im Verhältnis zu den in Betracht kommenden Gerichten wäre der Bundesgerichtshof das gemeinsame nächst höhere Gericht; das im hiesigen Bezirk gelegene Amtsgericht Dülmen war als erstes mit dem Rechtsstreit befasst.
10Die Voraussetzungen der Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor. Die Beklagten werden von der Klägerin als Gesamtschuldner in Anspruch genommen und sind damit Streitgenossen im Sinne von §§ 59,60 ZPO. Die Bestimmung eines zuständigen Gerichts setzt hingegen nicht die Notwendigkeit der gemeinsamen Verhandlung zur Verhinderung widersprechender Entscheidungen voraus. Die Beklagten haben keinen gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand. Es ist auch kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand zuverlässig zu bestimmen.
11Wie das Amtsgericht Dülmen zutreffend ausführt, besteht kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand gem. § 29 ZPO: Für Geldschulden liegt der Erfüllungsort grundsätzlich am Sitz des Schuldners. Entsprechendes gilt auch für vertragliche Schadensersatzansprüche, die grundsätzlich am Ort der angeblich verletzten Primärpflicht zu erfüllen sind (vgl. nur Zöller/Schultzky, 32. Auflage, 2018, § 29 ZPO Rn. 25 zu den Stichworten „Geldschuld“ und „Schadensersatz“).
12Wie das Amtsgericht Dülmen kann auch der Senat nicht erkennen, dass § 215 VVG n.F. auch bei weiter Auslegung eine Zuständigkeit des AG Dülmen auch für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage begründet. Im Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung umfasst § 215 VVG alle - auch nichtvertragliche - Ansprüche, bei denen das Bestehen, Nichtbestehen oder Nichtmehrbestehen des Versicherungsverhältnisses auch nur die Rolle einer klagebegründenden Behauptung spielt (BGH, Urt. v. 08.03.2017 - IV ZR 435/15 - zitiert nach juris, dort Tz. 14, 15). Auf Ansprüche aus Versicherungsvermittlung bezieht sich das Urteil nicht. Auch dieser Begriff ist weit zu fassen und umfasst auch Ansprüche, die im Zusammenhang mit dem Abschluss oder der Anbahnung eines Versicherungsvertrages stehen, und zwar auch aus einer vom Vermittler begangenen, beratungs- oder vertragsbezogenen unerlaubten Handlung (vgl. Prölss/Martin/Klimke, 30. Auflage, 2018, § 215 VVG Rn. 6). Auch der Senat geht allerdings davon aus, dass die Versicherungsvermittlung im Zeitpunkt der angeblichen Falschberatung hinsichtlich des Ausfüllens des Formulars bereits abgeschlossen war und nicht etwas während des Bestehens der vermittelten Versicherung fortwirkt. Umstände, die eine andere Einordnung zuließen, hat die Klägerin auch gegenüber dem Senat nicht vorgetragen.
13Im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO besteht grundsätzlich die Wahl zwischen den Gerichten, bei denen die Beklagten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, hier also den Amtsgerichten Wiesbaden und Coesfeld. Zwischen diesen Gerichten wählt der Senat das zuständige Gericht unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Prozesswirtschaftlichkeit aus.
14Da die Vertragsbeziehung zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 auf Vermittlung durch die Beklagte zu 2 zustande kam, sieht der Senat eine größere Nähe zu deren Sitz im Bezirk des Amtsgerichts Coesfeld. Dass die Beklagte zu 1 durch diese Zuständigkeitsbestimmung an der Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte gehindert wäre, ist nicht zu erkennen, zumal die Klägerin sie gem. § 215 VVG auch beim benachbarten Amtsgericht Dülmen, hätte verklagen können.