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1. Wendet sich ein Strafgefangener gegen die Anordnung seiner Verlegung in eine andere JVA, handelt es sich insofern auch dann um einen Anfechtungsantrag und nicht lediglich um einen Verpflichtungsantrag, wenn zugleich um die Rückverlegung in die ursprüngliche JVA gebeten wird und eine Mitwirkung der aufnehmenden JVA an der Umsetzung dieser Rückverlegung erforderlich wäre.
2. Wird ein solcher Anfechtungsantrag in einen mangels Vorbefassung der aufnehmenden JVA unzulässigen Verpflichtungsantrag umgedeutet, stellt sich eine entsprechend § 83 S. 1 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 S. 1 GVG ergangene Verweisung durch die für die verlegende JVA zuständige Strafvollstreckungskammer an die für die aufnehmende JVA zuständige Strafvollstreckungskammer als willkürlich dar und kommt ihr schon deshalb keine Bindungswirkung zu. Ohnehin hat der Senat Bedenken, ob eine entsprechend § 83 S. 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 S. 1 GVG erfolgte Verweisung an eine andere Strafvollstreckungskammer entsprechend § 17a Abs. 2 S. 3 GVG überhaupt Bindungswirkung entfalten kann.
Auf den Vorlagebeschluss der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal vom 16. November 2018 gegen den Verweisungsbeschluss der 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen vom 06. September 2018 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. Dezember 2018
b e s c h l o s s e n:
Der Beschluss der 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen vom 06. September 2018 - 71 StVK 441/18 - wird aufgehoben.
Für die Untersuchung und Entscheidung der Sache bleibt die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen zuständig, § 120 Abs.1 Satz 2 StVollzG i.V.m. § 14 StPO.
Gründe:
2I.
3Der Betroffene befindet sich seit dem 30. April 2018 im Strafvollzug.
4Im Anschluss an eine am 30. Juli 2018 stattgehabte Vollzugsplankonferenz, in der ihm die Eignung für den offenen Vollzug abgesprochen wurde, wurde er aus dem offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Attendorn in den geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Remscheid verlegt, wo er sich seit dem 02. August 2018 befindet.
5Gegen den die Verlegung in den geschlossenen Vollzug anordnenden Bescheid der Justizvollzugsanstalt Attendorn wendet sich der Betroffene - verbunden mit der Bitte um Rückverlegung in den offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Attendorn - mit seinem an das Landgericht Siegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG vom 04. September 2018.
6Die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen hat sich für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren mit Beschluss vom 06. September 2018 in entsprechender Anwendung des § 83 VwGO i.V.m. § 17 Buchst. a Abs. 2 und Abs. 3 GVG an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal verwiesen. Zur Begründung hat das Landgericht Siegen u.a. ausgeführt, „auf Grund der erfolgten Verlegung habe nicht mehr der Behördenleiter der JVA Attendorn über eine Rückverlegung zu entscheiden, sondern der Behördenleiter derjenigen JVA, in der sich der Strafgefangene zum Zwecke der Strafverbüßung befindet. … Bei dem gemischten Antrag des Verurteilten – Anfechtung der Verlegung und Antrag auf Rückverlegung – liegt der Schwerpunkt auf der Maßnahme der Rückverlegung. Denn dies ist der Erfolg, den er erstrebt. Die Rückverlegung ist jedoch nur durch den Behördenleiter der JVA Remscheid anzuordnen. Der Leiter der JVA Attendorn kann dies nicht bewirken. Eine isolierte Anfechtung der Verlegungsentscheidung durch den Behördenleiter der JVA Attendorn würde hier allenfalls zu einem Entfallen der betreffenden Entscheidung führen, ohne aber die Rückverlegung – um die es im Wesentlichen geht – zu erreichen.“
7Mit Beschluss vom 16. November 2018 hat sich die 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und die Sache mit der Begründung, die erfolgte Abgabe seitens des Landgerichts Siegen sei willkürlich und deshalb nicht bindend, zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht Hamm vorgelegt.
8II.
91.
10Da zwischen zwei Gerichten in dem Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm ein negativer Zuständigkeitsstreit besteht, ist das Oberlandesgericht Hamm als gemeinsames oberes Gericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG i.V.m. § 14 StPO.
112.
12Zuständig für die Entscheidung über den Antrag des Betroffenen gemäß § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen, in deren Bezirk sich die Justizvollzugsanstalt Attendorn befindet, §§ 110, 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG.
13Für die Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG ist gemäß § 110 StVollzG die Strafvollstreckungskammer örtlich zuständig, in deren Bezirk die beteiligte Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Gemäß § 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG ist Beteiligte des gerichtlichen Verfahrens die Vollzugsbehörde, die die angefochtene Maßnahme angeordnet oder die beantragte abgelehnt oder unterlassen hat. Das Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG unterliegt dem Verfügungsgrundsatz, so dass maßgebend für die Bestimmung des zuständigen Gerichts der das gerichtliche Verfahren einleitende Antrag ist (BGH, Beschluss vom 12. März 2014 zu 2 ARs 434/13, BeckRS 2014, 08028 und Beschluss vom 18. Oktober 1995 zu 2 ARs 285/95, BeckRS 9998, 35281 - jeweils m.w.N.).
14Der Betroffene hat sich ausweislich seiner Antragsschrift „gegen die Verlegung nach Remscheid“ gewandt. Gegenstand des Antrags auf gerichtliche Entscheidung ist bereits nach dem Wortlaut des Antrags, aber auch unter verständiger Auslegung des Antragsbegehrens, die Anordnung der Verlegung (aus dem offenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Attendorn) in den geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Remscheid, die durch die Justizvollzugsanstalt Attendorn angeordnet wurde. Die von dem Betroffenen in seiner Antragsschrift geäußerte Bitte „um Rückverlegung in den offenen Vollzug in Attendorn“, ändert daran nichts. Daraus folgt nicht - wie das Landgericht Siegen meint -, dass er (ausschließlich) die Verpflichtung zur erneuten Verlegung in den offenen Vollzug begehrt, über die die Anstaltsleitung der Justizvollzugsanstalt Remscheid zu entscheiden hätte, in der er sich aktuell befindet (so aber das vom Landgericht Siegen für seine Auffassung herangezogene OLG Thüringen, Beschluss vom 28. November 2005, 1 AR (S) 167/05, zitiert nach juris = ZfStrVo 2006, 373, 374). Vielmehr will der Betroffene die Rechtmäßigkeit der fortdauernde Wirkung entfaltenden Verfügung der Justizvollzugsanstalt Attendorn, ihn aus dem offenen Vollzug abzulösen und in eine andere Justizvollzugsanstalt zu verlegen, zur gerichtlichen Überprüfung stellen. Dass dem Betroffenen - im Einklang mit seiner Bitte um Rückverlegung in den offenen Vollzug - im Falle des Obsiegens auch ein Anspruch darauf zustünde, die als rechtswidrig qualifizierte Maßnahme in Gestalt der Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Remscheid rückgängig zu machen, ist indes Ausdruck des aus dem Vollzug der rechtswidrigen Maßnahme resultierenden Folgenbeseitigungsanspruchs, der sich aus § 115 Abs. 2 Satz 2 StVollzG ergibt (vgl. auch: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Mai 2016 zu 2 AR 16/16, zitiert nach juris Rn. 12). Auch dass im Falle des Erfolgs des Anfechtungsantrags die Mitwirkung der Justizvollzugsanstalt Remscheid erforderlich wäre, um die Rückverlegung des Betroffenen umzusetzen, ändert nichts, da es sich insoweit lediglich um die Frage des Inhalts des Folgenbeseitigungsanspruchs handelt (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Mai 2016 zu 2 AR 16/16, zitiert nach juris Rn. 14). Dies entspricht auch der ständigen Senatsrechtsprechung.
15Die seitens des Thüringer Oberlandesgerichts (und auch des Landgerichts Siegen) weiter zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1988 – Az. 2 ARs 536/88 = BGHSt 36,33 ff.; BGH NStZ 1999,158) sowie die seitens des Landgerichts Siegen zusätzlich für seine Auffassung in Anspruch genommene Entscheidung des OLG München (Beschluss vom 30. Januar 2014, Az. 4a Ws 8/13) betrafen sämtlich tatsächlich gar keine Fälle, in denen eine Verlegungsentscheidung als solche Gegenstand der Anfechtung gewesen ist; es handelte sich jeweils um Verpflichtungsbegehren (Gewährung von Vollzugslockerungen, Aushändigung eines Kalenders, Gewährung eines Ausganges) deren Ablehnung durch die Ausgangsanstalt allein durch in der Person des Gefangenen bedingte Umstände begründet war, mit der Folge, dass entsprechend der insoweit ebenfalls gefestigten Senatsrechtsprechung (Beschluss vom 09. Mai 2017 – III-1 Vollz (Ws) 172/17 –, juris) nunmehr die aufnehmende JVA und entsprechend die an deren Besitz befindliche Strafvollstreckungskammer zu entscheiden hatte.
163.
17Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen bleibt auch angesichts des Verweisungsbeschlusses vom 06. September 2018 das für die weitere Ermittlung und Entscheidung zuständige Gericht, da diesem keine Bindungswirkung für die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal zukommt.
18a.
19In Übereinstimmung mit höchstrichterlicher (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2014 zu 2 ARs 434/13, zitiert nach BeckRS 2014, 08028) und der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Mai 2016 zu 2 AR 16/16, zitiert nach juris Rn. 16; OLG Celle, Beschluss vom 19. Oktober 2016 zu 1 Ws 501/16 (StrVollz), zitiert nach juris Rn. 12; Thür. OLG ZfStrVo 2006, 373, 374 und Beschluss vom 28. November 2005 zu AR (S) 167/05, zitiert nach OLG-NL 2006, 190, 191 - beck-online; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2008, 293 – jeweils m.w.N.) entspricht es der gefestigten Rechtsprechung des Senats, dass in dem Fall, dass sich eine Strafvollstreckungskammer in dem Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG für örtlich unzuständig hält, mangels einer gesetzlichen Regelung im Strafvollzugsgesetz und in der Strafprozessordnung, auf die in § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG vollumfänglich verwiesen wird, § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG entsprechende Anwendung findet (Senatsbeschluss vom 09. Mai 2017 – III-1 Vollz (Ws) 172/17 –, juris, Rn. 24). Aufgrund der am 19. März 1991 in Kraft getretenen Neuregelung der Vorschrift des § 83 VwGO erfolgt danach ohne entsprechenden Verweisungsantrag, sondern vom Amts wegen, eine Verweisung an die zuständige Strafvollstreckungskammer (vgl. Senatsbeschluss vom 09. Mai 2017 zu III-1 Vollz(Ws) 172/17 m.w.N.; a.A.: vgl. z.B. Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 110 Rn. 4 und Laubenthal, in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, StVollzG, 6. Aufl., § 110 Rn. 6: wegen des Verfügungsgrundsatzes nur auf vom Gericht anzuregenden Antrag).
20Ob allerdings über § 83 Satz 1 VwGO auch § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG entsprechend anwendbar ist mit der Folge, dass der Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das verwiesen worden ist, grundsätzlich bindend ist, unterliegt nach Ansicht des Senats ernsthaften Bedenken. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die Bindungswirkung eines solchen Verweisungsbeschlusses - soweit ersichtlich – in der übrigen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. z.B. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 17. Mai 2016 zu 2 AR 16/16, zitiert nach juris Rn. 15; OLG Celle, Beschluss vom 19. Oktober 2016 zu 1 Ws 501/16 (StrVollz), zitiert nach juris Rn. 12; Thür. OLG, ZfStrVo 2006, 373, 374 und Beschluss vom 28. November 2005 zu AR (S) 167/05, zitiert nach OLG-NL 2006, 190, 191 - beck-online) und der Literatur (vgl. z.B. Arloth/Krä, a.a.O. § 110 Rn. 4; Laubenthal, in Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, a.a.O., § 110 Rn. 6) angenommen wird (wohl offengelassen in BGH, Beschluss vom 12. März 2014 zu 2 ARs 434/13, BeckRS 2014, 08028). Soweit zur Begründung - soweit ersichtlich - lediglich darauf verwiesen wird, dass § 83 Satz 1 VwGO auf § 17a GVG in Gänze Bezug nimmt, überzeugt dies bereits deshalb nicht, weil die entsprechende Anwendung von § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG eine planwidrige Regelungslücke voraussetzt. Allerdings regelt § 14 StPO, der über die Verweisung in § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG Anwendung findet, dass im Falle eines Zuständigkeitsstreits das gemeinschaftliche obere Gericht das zuständige Gericht bestimmt, wobei die §§ 110, 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG Anwendung finden. Für eine Umgehung der ausdrücklichen und dem Willen des Gesetzgebers entsprechenden Regelung in den §§ 110, 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG über eine entsprechende Anwendung von § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG vermag der Senat demgegenüber kein Bedürfnis zu erkennen, zumal die in Abs. 2 Satz 3 des § 17 a GVG vorgesehene Bindungswirkung einerseits zu dem Ergebnis führen kann, dass die Strafvollstreckungskammer eines Landgerichts über die Frage der Rechtswidrigkeit einer Maßnahme einer Justizvollzugsanstalt befinden muss, die sich - entgegen § 111 Abs. 1 Nr. 2 StVollzG - gerade nicht in ihrem Bezirk befindet, was bereits aus Gründen der Sachnähe untunlich ist. Andererseits hätte es eine Strafvollstreckungskammer auch bei bestehenden Zweifeln hinsichtlich der eigenen (Un)zuständigkeit in der Hand, allein durch die eventuell auch zufällig erfolgte Wahl des weiteren Verfahrens – förmliche Verweisung entsprechend § 83 S. 1 VwGO oder aber Vorlage an den Senat gemäß § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG i.V.m. § 14 StPO – das Verfahren gegebenenfalls bindend abzugeben.
21b.
22Die Frage der Bindungswirkung kann allerdings vorliegend letztlich offenbleiben. Denn dem Verweisungsbeschluss der 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen vom 09. September 2018 kommt auch bei entsprechender Anwendung von § 83 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG keine Bindungswirkung zu. Denn die Verweisung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Wuppertal ist - gemessen an der Senatsrechtsprechung - willkürlich erfolgt. Dies ergibt sich unabhängig davon, dass sich die angefochtene Entscheidung unter Inanspruchnahme der Mindermeinung des OLG Thüringen über die gefestigte Rechtsprechung des in Strafvollzugssachen für Nordrhein-Westfalen landesweit zuständigen Senats hinwegsetzt, bereits daraus, dass das Landgericht Siegen entgegen dem im Verfahren nach den §§ 109 ff. StVollzG geltenden Verfügungsgrundsatz den - wie oben ausgeführt - zulässigen Anfechtungsantrag des Betroffenen in einen mangels Vorbefassung der JVA Remscheid mit dem Begehren des Betroffenen unzulässigen Verpflichtungsantrag umgedeutet und damit den vom Betroffenen vorgegebenen Antragsgegenstand sogar in für ihn prozessual nachteiliger Weise verändert hat.