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Soweit die Gewährung von Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit im Sinne des § 53 Abs. 3 StVollzG NRW unter Hinweis darauf abgelehnt wird, dass die zur Verminderung der Gefahr von Widerstandshandlungen bzw. eines Entweichens des Betroffenen erforderliche Hand- und Fußfesselung dazu führe, dass dieser sich nicht sozialadäquat im öffentlichen Raum bewegen und Alltagsaufgaben meistern könne, kann die Prüfung einer den Zweck der Maßnahme zumindest potentiell weniger beeinträchtigenden Möglichkeit einer sogenannten Hamburger Fesselung erforderlich sein, die unter der Kleidung getragen wird und den Gefesselten insbesondere in die Lage versetzen soll, sich normal fortzubewegen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Gegenstandswertes aufgehoben, ebenso der Bescheid der Leiterin der Justizvollzugsanstalt X vom 10.04.2018.
Die Vollzugsbehörde wird angewiesen, den Betroffenen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen hat die Landeskasse zu tragen (§§ 121 Abs. 4 StVollzG, 467 Abs. 1 StPO).
Gründe:
2I.
3Der Betroffene befand sich zunächst seit dem 30.08.2007 in Untersuchungshaft und verbüßt seit dem 04.06.2009 eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Vom 30.04.2015 bis zum 26.01.2017 befand er sich in der JVA L in einem verstärkt gesicherten Haftbereich, da er am 28.04.2015 aus der JVA S entwichen war und erst am 30.04.2015 wieder festgenommen werden konnte. Seit dem 26.01.2017 befindet er sich in der JVA X.
4Am 05.10.2016 beantragte der Betroffene gegenüber der JVA L, ihm Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit zu gewähren, was von der JVA L am 25.01.2017 abgelehnt worden war. Nachdem eine diesbezügliche Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Köln auf eine Rechtsbeschwerde des Betroffenen durch Beschluss des Senats vom 09.05.2017 - III-1 Vollz(Ws) 172/17 - aufgehoben und die Sache insofern zur erneuten Behandlung und Entscheidung an die nach der Verlegung des Betroffenen in die JVA X zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld verwiesen worden war, hat diese entsprechend einer Stellungnahme der als Antragsgegnerin angehörten JVA X vom 03.07.2017 mit Beschluss vom 04.08.2017 den Antrag des Betroffenen auf Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen zurückgewiesen.
5Auch diesen Beschluss hat der Senat mit Beschluss vom 14.12.2017 - III-1 Vollz(Ws) 441/17 - (juris) aufgehoben und zudem die Vollzugsbehörde angewiesen, den Betroffenen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
6Mit Schreiben vom 10.04.2018 hat die Antragsgegnerin nach Beratung in der Konferenz zur Fortschreibung des Vollzugsplans am 05.04.2018 den Antrag des Betroffenen auf Gewährung von Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit erneut abschlägig beschieden.
7Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld mit Beschluss vom 23.10.2018 zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Strafvollstreckungskammer - zusammengefasst - ausgeführt, dass die Antragsgegnerin in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die Gewährung von Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit gemäß § 53 Abs. 3 S. 1 StVollzG NRW versagt habe. Insbesondere habe die Antragsgegnerin die bei einer Ausführung des Betroffenen notwendigen Sicherungsmaßnahmen im Einzelnen begründet, wonach es sowohl der Handfesselung zur Verminderung der Gefahr von Widerstandshandlungen als auch der Fußfesselung zur Verhinderung eines Entweichens durch Fortlaufens sowie der Bewachung durch drei uniformierte und teilweise mit Schusswaffen ausgestattete Bedienstete bedürfe, und habe sie auch nachvollziehbar dargelegt, dass diese zur Sicherung erforderlichen Maßnahmen, die weit über das Normalmaß hinausgingen, den Zweck der Ausführung gefährden würden. Eine derart gesicherte Ausführung könne dem Betroffenen die Bewältigung von Alltagssituationen im öffentlichen Raum nicht ermöglichen. Mit Fuß- und Handfesseln könne der Betroffene sich nicht sozialadäquat im öffentlichen Raum bewegen und Alltagsaufgaben meistern. Daher sei die Auffassung der Antragsgegnerin gut vertretbar, dass die Durchführung von Lockerungen unter zeitgleicher Vornahme solch erheblicher Sicherheitsvorkehrungen dem Zweck der beantragten Maßnahme entgegenstehe und diese im Ergebnis keinerlei Auswirkungen mehr entfalte.
8Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung sachlichen und formellen Rechts rügt und beantragt, den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 23.10.2018 aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zurückzuverweisen.
9Das Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen, da ein Zulassungsgrund nicht vorliege.
10II.
11Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde war gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
12Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfolgt die Zulassung der Rechtsbeschwerde, wenn vermieden werden soll, dass schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat.
13Zwar gebieten vorliegend die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss zu dem Ausmaß der bei dem Betroffenen bestehenden und insbesondere der Gewährung von vollzugsöffnenden Maßnahmen nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 - Nr. 4 StVollzG NRW entgegenstehenden Flucht- und Missbrauchsgefahr entgegen der Auffassung des Betroffenen nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde. Auch hat die Strafvollstreckungskammer im Ausgangspunkt zutreffend berücksichtigt, dass die Vollzugsbehörde bei der Ablehnung von Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit im Sinne des § 53 Abs. 3 StVollzG NRW nachvollziehbar insbesondere darlegen muss, welche konkreten Sicherungsmaßnahmen im Einzelfall erforderlich sind und inwieweit diese den Zweck der Ausführung gefährden (vgl. Senat, Beschluss vom 14.12.2017, a.a.O., m.w.N.).
14Es ist jedoch hinsichtlich des letztgenannten Aspekts zu besorgen, dass die Strafvollstreckungskammer im Rahmen der ihr entsprechend § 115 Abs. 5 StVollzG (vgl. Arloth in: Arloth/Krä, StVollzG, 4. Aufl., § 115 Rn. 16 m.w.N.) obliegenden beschränkten Überprüfung den Umfang des von der Justizvollzugsanstalt zu beachtenden Beurteilungsspielraums im Hinblick auf die Frage verkannt hat, ob die zur Sicherung erforderlichen Maßnahmen dem Zweck der Ausführung entgegenstehen, die Kammer nämlich hierbei auf der Hand liegende beurteilungsrelevante Umstände ersichtlich nicht berücksichtigt hat. Denn soweit die Justizvollzugsanstalt darauf abgestellt hat, dass die zur Verminderung der Gefahr von Widerstandshandlungen bzw. eines Entweichens des Betroffenen erforderliche Hand- und Fußfesselung dazu führe, dass der Betroffene sich nicht sozialadäquat im öffentlichen Raum bewegen und Alltagsaufgaben meistern könne, ist nicht erkennbar die den Zweck der Ausnahme zumindest potentiell weniger beeinträchtigende Möglichkeit einer sogenannten Hamburger Fesselung geprüft worden, also einer Kombination von durch Ketten miteinander verbundenen Hand- und Fußfesseln, welche unter der Kleidung getragen wird und überdies den Gefesselten zum einen in die Lage versetzen soll, sich normal fortzubewegen, zum anderen aber schnelles Laufen oder große Schritte, wie sie bei einem Fluchtversuch nötig wären, verhindern soll (vgl. z.B. die Beschreibung bei https://de.wikipedia.org/wiki/Hamburger_Fessel; siehe auch Senat, Beschluss vom Beschluss vom 31.07.2012 - III-1 Vollz (Ws) 278/12 -, juris).
15Der Umstand, dass die Strafvollstreckungskammer die somit nur unzureichende Begründung der Annahme, dass die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen dem Zweck der Maßnahme der Ausführung zur Aufrechterhaltung der Lebenstüchtigkeit entgegenstehen, als rechtsfehlerfrei hingenommen hat, birgt zumal angesichts der erheblichen Bedeutung der Sache für den Betroffenen die Gefahr einer schwer erträglichen Abweichung innerhalb der Rechtsprechung.
16III.
17Die Rechtsbeschwerde hat aus den vorgenannten Gründen auch in der Sache Erfolg. Auf eine Zurückweisung an die Strafvollstreckungskammer war nicht zu erkennen, da die Sache gemäß § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG spruchreif ist. Die unzureichende Begründung der Versagung von Ausführungen zur Aufrechterhaltung der Lebenstüchtigkeit durch die Vollzugsbehörde hat zur Folge, dass über den angefochtenen Beschluss hinausgehend der diesbezügliche Bescheid unmittelbar aufzuheben und die Justizvollzugsanstalt insofern zur erneuten Entscheidung zu verpflichten war.