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Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Hamm vom 08.08.2017 (3 F 81/17) abgeändert.
Der Antrag des Antragstellers auf Rückführung des gemeinsamen Sohnes X in die Türkei wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe:
2I.)
3Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Antragsgegnerin (im Folgenden: Mutter), den gemeinsamen Sohn X in die Türkei zurückzuführen.
4Die Mutter besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Sie wurde als Kind türkischstämmiger Eltern am ##.##.1992 in Deutschland geboren und wuchs hier auf. Der Antragsteller (im Folgenden: Vater) hat die türkische Staatsangehörigkeit. Er wuchs in der Türkei auf.
5Am 07.08.2014 schlossen beide in der Türkei die Ehe, wo sich auch die Ehewohnung befand. Die Mutter besuchte mehrfach ihre Eltern in Deutschland. Sie wurde schwanger. Sie reiste ca. 3 ½ Monate vor dem errechneten Entbindungstermin nach Deutschland, um dort das Kind zu bekommen. Zur Geburt reiste der Vater nach. Am ##.##.2016 wurde der gemeinsame Sohn X geboren. Am 20.04.2016 reiste die Mutter mit dem Sohn wieder in die Türkei ein, wo sich der Vater bereits befand. Die Familie lebte in einer Wohnung, die in demselben Haus liegt, in welchem auch die Eltern des Vaters eine Wohnung bewohnen.
6Anfang September 2016 verstarb der Vater der Mutter. Er wurde in der Türkei beerdigt. Zur Beisetzung reiste die Familie der Mutter in die Türkei. Nach der Beerdigung entspannen sich zwischen beiden Familien Streitigkeiten.
7Nach einem weiteren Streit rief die Mutter die Polizei. Sie begab sich am 21.09.2016 mit dem Sohn in ein Frauenhaus. Von dort aus flog sie mit dem Sohn in der Nacht vom 22. auf den 23.09.2016 nach Deutschland. Seither leben Mutter und Sohn in Deutschland.
8Mit Antrag vom 26.05.2017 hat der Vater vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Hamm die Verpflichtung der Mutter zur Rückführung des gemeinsamen Sohnes nach dem HKÜ anhängig gemacht.
9Die Mutter hat eingewandt, die Familie des Vaters habe sie zunehmend kontrolliert und begrenzt. Sie habe ihr den Sohn wegnehmen wollen. Der Vater habe nachträglich das Verbringen des Sohnes nach Deutschland genehmigt.
10An einem ersten amtsgerichtlichen Termin konnte der Vater nicht teilnehmen, weil ihm die Einreise nicht erlaubt wurde. Hintergrund war, dass die Mutter zuvor gegenüber der Ausländerbehörde angegeben hatte, sie habe Sorge, dass er X mit sich nehmen werde.
11Die Beteiligten haben am 02.08.2016 vor dem Amtsgericht Hamm, zu dem der Vater nunmehr angereist war, eine „Elternvereinbarung“ geschlossen, die zwar laut diktiert, jedoch nicht erneut vorgespielt und genehmigt wurde. In dieser Vereinbarung haben die Eltern unter Ziffer 1. erklärt, sie seien sich darüber einig, dass die Mutter dafür sorge, dass ihr gemeinsames Kind am 05.09.2017 in die Türkei zurückkehre, wo sein gewöhnlicher Aufenthalt sein solle. Die Ziffern 2. bis 7. regeln insbesondere die Verpflichtung des Vaters, in der Türkei eine neue Wohnung anzumieten, in die die junge Familie einziehen soll. Die Mutter soll von ihm Haushaltsgeld erhalten. Der Vater hatte der Mutter bis spätestens zum 01.09.2017 die Fluginformationen für den 05.09.2017 zukommen zu lassen. Unter Ziffer 9. stellten die Eltern klar, dass die Rückführungsverpflichtung unter Ziffer 1. unabhängig davon sei, ob es zu einer Versöhnung komme. Voraussetzung sei allein die Zurverfügungstellung der Flugtickets.
12Mit Beschluss vom 08.08.2017 verpflichtete das Familiengericht die Mutter, den Sohn zum Zwecke der Rückführung in die Türkei an den Vater herauszugeben, wenn sie der Verpflichtung zu Ziffer 1. aus der Elternvereinbarung vom 02.08.2017 nicht nachkomme.
13Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Mutter.
14Sie macht geltend, der Vater habe ihr unmittelbar nach dem amtsgerichtlichen Termin erklärt, er werde die von ihm übernommene Verpflichtung, eine neue Wohnung anzumieten, ihr Haushaltsgeld zur Verfügung zu stellen und ihrer Familie Zutritt zu gewähren, nicht erfüllen. Mittlerweile habe das von ihr am 14.08.2017 angerufene Gericht in Istanbul mit Zwischenurteil vom 21.08.2017 ihr bis zu einer gegenläufigen Entscheidung das Sorgerecht übertragen. Dieses Gericht sei zwar nicht örtlich zuständig gewesen. Aber auch nach Verweisung der Sache an das örtlich zuständige Gericht in Düzce habe dieses am 15.12.2017 das vorläufige Sorgerecht der Mutter übertragen. Dann bringe eine Rückführung den Sohn aber in eine unzumutbare Lage, weil sie berechtigt sei, ihn sogleich wieder zurück nach Deutschland mitzunehmen.
15Der Vater, der unstreitig rechtzeitig die Flugtickets zur Verfügung gestellt hatte, bestreitet, seine durch die Vereinbarung übernommenen Verpflichtungen nicht mehr erfüllen zu wollen. Er trägt vor, das Zwischenurteil könne nicht den Ausschlag geben. Es sei nämlich ergangen, ohne dass er gehört worden sei. Das Istanbuler Gericht sei auch nicht örtlich zuständig gewesen. Es habe sich fälschlicherweise für zuständig gehalten, weil die Mutter den Sachverhalt verfälscht dargestellt habe.
16II.)
17Die Beschwerde der Mutter ist zulässig und begründet, nachdem das örtlich zuständige Familiengericht in der Türkei der Mutter vorläufig das Sorgerecht übertragen hat.
181.)
19Die Mutter ist an die am 02.08.2017 getroffene, einen Vergleich darstellende Vereinbarung, den gemeinsamen Sohn in die Türkei zurückzubringen im Beschwerdeverfahren nicht mehr gebunden.
20Allerdings hat der Vergleich grundsätzlich Bindungswirkung entfaltet. Zwar genügte er nicht den formellen Anforderungen, die §§ 160 ff. ZPO an die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs stellen. Es fehlen nämlich das in § 14 IntFamRVG, § 36 Abs. 2 FamFG, § 162 Abs. 1 ZPO vorgeschriebene erneute Vorspielen und die anschließende Genehmigung. Gleichwohl ergibt die Auslegung, dass die Beteiligten den Vergleich auch dann abgeschlossen hätten, wenn sie gewusst hätten, dass er als Prozesshandlung das Verfahren nicht abschließen kann.
21Die Bindung reicht allerdings nur so weit wie es um Umstände geht, die bis zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses entstanden waren. Nachträglich hinzugetretene Umstände können dagegen mit der Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluss eingewandt werden. Denn die Auslegung lässt nicht erkennen, dass die Mutter auf die Geltendmachung dieser ihr günstigen, neu hinzu getretenen Umstände verzichtet hätte, wenn sie sie bei Vergleichsabschluss gekannt hätte.
222.)
23Solche nachträglich entstandenen Umstände machen nunmehr den Rückführungsantrag des Vaters unbegründet.
24Denn am 15.12.2017 hat das örtlich zuständige Familiengericht Düzce, an das das zunächst angerufene örtlich unzuständige Gericht das Verfahren verwiesen hat, entschieden und vorläufig die elterliche Sorge für den gemeinsamen Sohn der Mutter übertragen.
25Dies steht einer Rückführungsverpflichtung gemäß Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ entgegen.
26Die vorläufige Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter berechtigt diese nämlich, den Aufenthalt des gemeinsamen Sohnes zu bestimmen. Sie könnte daher, wenn sie in die Türkei einreiste, um der vergleichsweise übernommenen Rückführungsverpflichtung nachzukommen, sogleich wieder mit dem Sohn ausreisen. Eine solche Ein- und Ausreise dem Kind zuzumuten ist unsinnig und mit vernünftigen Gründen nicht zu rechtfertigen.
27Der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des OLG Stuttgart (FamRZ 2015, 1631) an, dass das Kind in eine unzumutbare Lage i.S.d. Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ gebracht würde, wenn es zunächst zurückgeführt würde und dann wieder mit dem allein sorgeberechtigten Elternteil ausreisen könnte. Hierdurch würde das Kind zum bloßen Streitobjekt degradiert. Einer der Hauptzwecke des HKÜ, wonach das Herkunftsland rechtsverbindlich über das Sorgerecht entscheiden soll, würde mit einem solchen Hin-und-Her nicht erreicht.
28Soweit zu Recht gefordert wird, dass die – auch vorläufige - Sorgerechtsentscheidung des Herkunftslandes i.S.d. Art. 17 HKÜ anerkennbar ist, ist diese Voraussetzung erfüllt. Das Verfahren ist vor dem örtlich zuständigen Familiengericht in der Türkei geführt worden. Der Vater hatte vor der Entscheidung rechtliches Gehör.
293.)
30Die Kostenentscheidung folgt aus § 14 IntFamRVG, § 81 FamFG. Die Wertfestsetzung beruht auf § 14 IntFamRVG, § 45 Abs. 3 FamGKG.
31Der Senat konnte gemäß § 14 IntFamRVG, § 68 Abs. 3 FamFG im schriftlichen Verfahren entscheiden. Die den Beteiligten zur Stellungnahme gesetzte Frist ist verstrichen.