Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Werden ein Kraftfahrzeughändler auf Wandlung eines Autokaufs und der Kraftfahrzeughersteller insoweit auf Schadensersatz in Anspruch genommen, kann zwischen beiden eine Streitgenossenschaft vorliegen, die - beim Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen - eine Gerichtsstandbestimmung gemäß § 36 I Nr. 3 ZPO zulässt. Die von diesem Rechtsstandpunkt abweichende Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg, Beschluss vom 25.04.2017 - 1 AR 749/17 - veranlasst das Oberlandesgericht Hamm, die Gerichtsstandbestimmungssache gemäß § 36 III ZPO dem Bundesgerichtshof vorzulegen.
Die Sache wird dem Bundesgerichtshof gem. § 36 Abs. 3 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Gründe:
2I.
3Der in C wohnhafte Kläger hat beim Landgericht Dortmund Klage eingereicht gegen ein in E ansässiges Autocenter (Beklagte zu 1) und die in X ansässige W AG (Beklagte zu 2). Von der Beklagten zu 1 begehrt er die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen PKW Seat Altea. Hinsichtlich der Beklagten zu 2 begehrt er die Feststellung der Einstandspflicht für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs resultieren würden. Zur Begründung seiner Klage trägt er in groben Zügen Folgendes vor:
4Der Kläger habe das Fahrzeug zum Kaufpreis von 19.400 € von der Beklagten zu 1 erworben. Er sei damals auf der Suche nach einem umweltfreundlichen und wertstabilen Fahrzeug gewesen, das die Voraussetzungen für die grüne Plakette erfülle. Die Informationen, die er von den Beklagten zum Schadstoffausstoß und zum Kraftstoffverbrauch erhalten habe, seien falsch gewesen. Das Fahrzeug sei vom VW-Abgas-Skandal betroffen und sei bereits bei Übergabe an ihn manipuliert gewesen. Hochrangige Führungspersönlichkeiten der Beklagten zu 2 hätten von der Manipulation gewusst, diese angewiesen und gebilligt. Auch der damalige Vorstand sei beteiligt gewesen.
5Der Kläger hat zunächst die Auffassung vertreten, das Landgericht Dortmund sei gem. § 32 ZPO auch insoweit zuständig, als sich die Klage gegen die Beklagte zu 2 richte. Die Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 hat er auf deliktische Anspruchsgrundlagen, insbesondere auch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG wegen irreführender Werbung durch falsche Versprechen in Prospekten und im Internet, gestützt. Da die Werbung der Beklagten zu 2 im ganzen Bundesgebiet verbreitet werde, sei jedes Gericht in Deutschland nach § 32 ZPO zuständig. In ihrer Klageerwiderung hat die Beklagte zu 2 die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. § 32 ZPO sei nicht einschlägig. Weder der Handlungs- noch der Erfolgsort liege im Bezirk des Landgerichts Dortmund.
6Daraufhin hat der Kläger in seiner Replik beantragt, die Zuständigkeit durch das Oberlandesgericht bestimmen zu lassen. Die Beklagte zu 2 ist der Auffassung, dass der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung zurückzuweisen sei, da die Beklagten keine Streitgenossen seien. Die Anträge ständen in keinem inneren Zusammenhang, weshalb keine Notwendigkeit bestehe, über die Ansprüche gemeinsam und einheitlich zu entscheiden. Mit Beschluss vom 16.10.2017 hat das Landgericht Dortmund die Sache dem Oberlandesgericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt, da das Landgericht für die gegen den Beklagten zu 2 gerichtete Klage nicht zuständig sei, insbesondere nicht gem. § 32 ZPO.
7II.
8Die Sache wird dem Bundesgerichtshof gem. § 36 Abs. 3 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
9Der Senat würde auf den Antrag gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO das Landgericht Dortmund als zuständiges Gericht bestimmen. Wie nachstehend noch ausgeführt werden wird, sieht der Senat die Voraussetzungen für eine solche Zuständigkeitsbestimmung als gegeben an. Er sieht sich hieran jedoch durch den vom Kläger als Anlage R 32 abschriftlich vorgelegten Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 25.04.2017 (1 AR 749/17) gehindert.
10Das Oberlandesgericht Hamm ist gem. § 36 Abs. 2 ZPO für die Gerichtsstandbestimmung zuständig: Das nächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Landgerichte Dortmund und Braunschweig wäre der Bundesgerichtshof; das im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm gelegene Landgericht Dortmund wurde zuerst mit der Sache befasst.
11Wie das Oberlandesgericht Köln in einer vergleichbaren Konstellation (Beschl. v. 01.09.2017 – 8 AR 25/17 – zitiert nach der Rechtsprechungsdatenbank NRWE) sieht auch der Senat die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als gegeben an.
12Die Beklagten haben unterschiedliche allgemeine Gerichtsstände gem. §§ 12, 17 ZPO in den Bezirken der Landgerichte Dortmund und Braunschweig. Ein gemeinsamer Gerichtsstand lässt sich auch unter Berücksichtigung besonderer Gerichtsstände nicht mit einer solchen Bestimmtheit feststellen, dass eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat überflüssig wäre. An einer solchen Bestimmtheit fehlt es nach der ständigen Rechtsprechung des Senats bereits, wenn das zu bestimmende Gericht seine Zuständigkeit mit nachvollziehbaren Gründen in Frage gestellt hat (vgl. nur Senat, Beschluss vom 22.08.2016 –32 SA 41/16 – zitiert nach NRWE, dort Tz 19). So liegt die Sache hier. Ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für die vertraglichen Ansprüche gegen die Beklagte zu 1 und die deliktischen Ansprüche gegen die Beklagte zu 2 ist nicht zu erkennen. Für die gegenüber der Beklagten zu 1 geltend gemachten vertraglichen Ansprüche besteht kein besonderer Gerichtsstand beim Landgericht Braunschweig (allgemeiner Gerichtsstand der Beklagten zu 2). Ein besonderer Gerichtsstand für die gegen die Beklagte zu 2 geltend gemachten deliktischen Ansprüche im Bezirk des Landgerichts Dortmund (allgemeiner Gerichtsstand der Beklagten zu 1) wurde vom Landgericht Dortmund im Beschluss vom 16.10.2017 verneint.
13Der Senat geht ferner davon aus, dass die Beklagten vorliegend als Streitgenossen im Sinne von §§ 36 Abs. 1 Nr. 3, 59, 60 ZPO in Anspruch genommen werden. Das Vorliegen einer Streitgenossenschaft ist sorgfältig zu prüfen, da die Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO regelmäßig dazu führt, dass mindestens eine Beklagte vor ein Gericht gezwungen wird, das nach den Zuständigkeitsregeln der ZPO für die Entscheidung einer nur gegen sie gerichteten Klage nicht zuständig wäre. Dieser sorgsamen Prüfung ist der allgemeine Begriff der Streitgenossenschaft gem. §§ 59, 60 ZPO zugrunde zu legen, der grundsätzlich weit auszulegen ist. Streitgenossenschaft setzt nicht zwingend eine Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend gemachten Ansprüche voraus. Es ist auch nicht erforderlich, dass eine gemeinsame und einheitliche Entscheidung über die Ansprüche der Beklagten notwendig ist. Streitgenossenschaft im Sinne der §§ 59, 60 ZPO kann vielmehr bereits angenommen werden, wenn die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt und die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig ist und nicht zu einer Verwirrung führt (vgl. nur Zöller/Vollkommer ZPO-Kommentar, 31. Aufl. 2016, §§ 59, 60 ZPO Rn. 7 mwN). Der Annahme eines Zusammenhangs steht es dabei nicht entgegen, wenn die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche einerseits auf deliktischen und andererseits auf vertraglichen Grundlagen beruhen (BayObLG, Beschl. v. 20.07.2005 – 1Z AR 118/05 – zitiert nach juris, dort Tz. 15).
14Wie auch das OLG Köln in dem bereits zitierten Beschluss vom 01.09.2017 geht der Senat von einem inneren Zusammenhang zwischen den gegen die Beklagte zu 1 und gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Anträgen aus: Die Ansprüche werden auf einen im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt gestützt. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Klagevorbringens gegen beide Beklagte ist der Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die hierauf bezogenen werbenden Äußerungen der Beklagten zu 2 und die hierauf gegründete Kaufentscheidung des Klägers. Auch werden jeweils Rechtsschutzziele verfolgt, die ihrerseits in einem inneren Zusammenhang stehen. Die Durchführung der im Verhältnis zur Beklagten zu 1 angestrebten Wandlung kann Auswirkungen auf den gegen die Beklagte zu 2 geltend gemachten Schadensersatzanspruch haben. Der innere Zusammenhang wird nach Auffassung des Senats nicht dadurch berührt, dass die Ansprüche gegen beide Beklagte jeweils unterschiedliche weitere Voraussetzungen haben.
15Sähe sich der Senat nicht an einer eigenen Entscheidung gehindert, so würde er das Landgericht Dortmund als zuständiges Gericht bestimmen.
16Die Bestimmung des zuständigen Gerichts folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auf der Grundlage von Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Prozesswirtschaftlichkeit. Dabei werden grundsätzlich die Gerichte der allgemeinen Gerichtsstände der Beklagten berücksichtigt. Umstände, die hier ausnahmsweise für die Berücksichtigung eines anderen Gerichts sprächen (hier des Landgerichts Berlin, dessen Zuständigkeit gem. § 32 ZPO vom Kläger für die Klage gegen die Beklagte zu 2 reklamiert wird), sind nicht ersichtlich.
17Gründe, die die Bestimmung eines der beiden erstgenannten Gerichte nahelegen würden, bestehen nicht. Da die verbindliche Bestellung des Fahrzeugs in E erfolgte, besteht in den Augen des Senats eine etwas größere Sachnähe zum dortigen Bezirk. Das Landgericht Braunschweig ist als Gericht am Sitz der Beklagten zu 2 zwar im besonderen Umfang mit Klagen aus dem Themenkreis des sog. Abgasskandals befasst, viele Käufer machen ihre Rechtsstreitigkeiten aber am Sitz des Autohändlers anhängig, der oft auch dem deliktischen Gerichtsstand für die Klage gegen den Hersteller entspricht. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es auch nicht zu erkennen, dass es für die bundesweit am Markt auftretende Beklagte zu 2 nicht zumutbar wäre, ihre Rechte vor dem Landgericht Dortmund zu verteidigen.
18An der Bestimmung des Landgerichts Dortmund sieht sich der Senat durch die entgegenstehende Entscheidung des Oberlandesgericht Nürnberg (Beschluss vom 25.04.2017 – 1 AR 749/17 -, n.v., Anlage R 32 zum Schriftsatz des Klägers vom 28.06.2017) gehindert. Die im bereits mehrfach zitierten Beschluss des OLG Köln vom 01.09.2017 genannte weitere abweichende Entscheidung des OLG Braunschweig (Beschluss vom 12.07.2017 - 1 W 48/17) wurde dem Senat nicht vorgelegt und ist mangels Veröffentlichung nicht bekannt. Das Oberlandesgericht Nürnberg hat eine Zuständigkeitsbestimmung abgelehnt, da zwischen dem Autohersteller und dem Autohändler keine Streitgenossenschaft gem. § 60 ZPO bestehe. Dabei hat es sich maßgeblich darauf gestützt, dass bei den gegen den Autohändler geltend gemachten kaufrechtlichen Ansprüchen andere rechtliche Fragen im Mittelpunkt stehen – nämlich Vorliegen eines Mangels, Erforderlichkeit und Möglichkeit einer Nachbesserung –, wohingegen bei den deliktischen Ansprüchen schwerpunktmäßig Verschuldensfragen zu prüfen seien. Wie vorstehend ausgeführt beurteilt der Senat die Frage der Streitgenossenschaft abweichend.