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Klagt der Kläger gegen zwei Beklagte Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall im allgemeinen Gerichtsstand eines Beklagten ein, kann der Rechtsstreit nicht insgesamt (für beide Beklagten) an das gem. § 32 ZPO zuständige Gericht verwiesen werden, weil das angerufene Gericht für die gegen einen Beklagten gerichtete Klage zuständig und die Gerichtsstandwahl des Klägers insoweit bindend ist. Ein dies missachtender Verweisungsbeschluss kann willkürlich sein. Das angerufene Gericht bleibt in diesem Fall für die Klage gegen den Beklagten mit dem beim dem Gericht begründeten Gerichtsstand zuständig und hat - ggfls. nach Trennung der Verfahren – über seine Zuständigkeit für die Klage gegen den anderen Beklagten neu zu entscheiden, wenn nicht die Parteien auch insoweit eine Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gem. § 39 ZPO begründen.
Soweit sich die Klage gegen die Beklagte zu 1 richtet, wird das Landgericht E als zuständiges Gericht bestimmt. Auch im Übrigen wird der Rechtsstreit zur weiteren Veranlassung erneut dem Landgericht E vorgelegt.
Gründe:
2I.
3Mit seiner beim Amtsgericht H eingereichten Klage macht der Kläger Ansprüche von knapp 20.000 € aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 24.05.2015 auf der A 45 vor der Ausfahrt H ereignet haben soll. Die Beklagte zu 1 wohnt in E, die zu 2 beklagte Haftpflichtversicherung hat ihren Sitz in N. Noch vor Zustellung der Klage beantragte der Kläger die Verweisung „an das zuständige Landgericht E“. Nach Zustellung der Klageschrift hat sich das Amtsgericht H mit Beschluss vom 11.07.2016 für sachlich unzuständig erklärt und die Sache an das Landgericht E verwiesen. Zur Begründung hat es neben der Höhe des Streitwerts darauf abgestellt, dass das „aus dem Tenor ersichtliche Landgericht“ zuständig sei.
4Das Landgericht E hat darauf hingewiesen, dass für die Beklagte zu 2 ein Gerichtsstand in E nicht ersichtlich sei. Es bestehe ein gemeinsamer Gerichtsstand gem. § 32 ZPO bei dem Landgericht L. Der Kläger hat mit Blick auf den allgemeinen Gerichtsstand der Beklagten zu 1 darauf hingewiesen, dass die Verweisung durch das Amtsgericht H Bindungswirkung entfalte, und nur äußerst hilfsweise Verweisung beantragt.
5Mit Beschluss vom 09.09.2016 hat sich das Landgericht E „für örtlich unzuständig bezüglich des Beklagten zu 2)“ erklärt und den Rechtsstreit ohne weitere sprachliche Einschränkung an das Landgericht L verwiesen. Im Verweisungsbeschluss vertritt es die Auffassung, dass der Beschluss des Amtsgerichts H hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit keine Bindungswirkung entfalte. Im Nachgang hat das Landgericht E die Akte zur weiteren Veranlassung an das Landgericht L übersandt. Auf ein Schreiben des Berichterstatters des Landgerichts L, in dem dieser die Auffassung vertreten hat, die Verweisung sei nur insoweit erfolgt, als sich die Klage gegen die Beklagte zu 2 richte, hat das Landgericht E mit Beschluss vom 16.12.2016 mitgeteilt, dass sich die Verweisung auf beide Beklagte beziehe, was sich bereits aus dem dortigen Hinweis vom 18.08.2016 ergebe.
6Daraufhin hat sich das Landgericht L mit Beschluss vom 30.12.2016 bezüglich des Beklagten zu 1 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht E verwiesen. Zur Begründung führt es aus, durch die Verweisung nur hinsichtlich der Beklagten zu 2 und nicht hinsichtlich der Beklagten zu 1 zuständig geworden zu sein.
7Das Landgericht E hat den Rechtsstreit dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
8II.
9Die Entscheidung beruht auf § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.
101.
11Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Verschiedene ordentliche Gerichte, die Landgerichte E und L, haben sich unzuständig erklärt - das Landgericht L zumindest, soweit sich die Klage gegen die Beklagte zu 1 richtet. Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung berufen, da das im Verhältnis zu diesen Gerichten nächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist und von den Gerichten, deren Zuständigkeit noch im Raum steht, das im hiesigen Bezirk befindliche Landgericht E als erstes mit der Sache befasst war. Auf die Erstbefassung des im Bezirk des Oberlandesgerichts L befindlichen Amtsgerichts H stellt der Senat nicht ab, da sich nur die genannten Landgerichte über die Zuständigkeit streiten und das Amtsgericht angesichts des Streitgegenstands (Forderung von weit mehr als 5.000 € aus Verkehrsunfall) für die Entscheidung in der Sache nicht zuständig sein kann.
12Im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist das Landgericht E als das zuständige Gericht zu bestimmen, soweit sich die Klage gegen die Beklagte zu 1 richtet. An der sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts bestehen keine Zweifel. Das Landgericht E ist insoweit gem. §§ 12, 13 ZPO auch örtlich zuständig. Nichts anderes ergibt sich aus dem Verweisungsbeschluss vom 09.09.2016. Dieser hat keinerlei Bindungswirkung im Sinne von § 281 Abs. 2 Nr. 4 ZPO.
13Der Senat legt den Verweisungsbeschluss dahingehend aus, dass die Verweisung hinsichtlich beider Beklagter ausgesprochen wird und diese Gesamtverweisung auf die örtliche Unzuständigkeit ausschließlich hinsichtlich des Beklagten zu 2) gestützt werden soll. Zuzugeben ist, dass sich der Inhalt des Verweisungsbeschlusses nicht auf den ersten Blick erschließt. Die Rechtslage, die eine Verweisung grundsätzlich nur insoweit zulässt, als die eigene sachliche oder örtliche Unzuständigkeit festgestellt wird, würde grundsätzlich ein anderes Verständnis nahelegen, nämlich den Verweisungsbeschluss entsprechend der Auslegung durch das Landgericht L dahingehend zu verstehen, dass das Landgericht E die Verweisung nur im Umfang der eigenen Unzuständigkeit aussprechen wollte. Für die von diesem typischen Verständnis abweichende Auslegung durch den Senat spricht, dass das Landgericht E in seinem Hinweis vom 18.08.2016 auf einen gemeinsamen Gerichtsstand der Beklagten im Bezirk des Landgerichts L hingewiesen und insoweit ohne jede erkennbare sprachliche Einschränkung um Rückmeldung gebeten hat, ob Verweisung beantragt wird. Dementsprechend hat der Kläger die Verweisung zwar nur äußerst hilfsweise beantragt, aber ohne Anhaltspunkt dafür, dass er eine Prozesstrennung wünsche. Eine solche stand zumindest vor der Verweisung durch das Landgericht E nicht im Raum.
14Der so verstandene Verweisungsbeschluss des Landgerichts E ist allerdings nicht bindend. Dabei kann dahinstehen, ob der Verweisungsbeschluss durch das Amtsgericht H für das Landgericht E insoweit verbindlich war. Selbst wenn man dies verneint, ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts E ausnahmsweise nicht gem. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindend, da er grob fehlerhaft und damit objektiv willkürlich ist. Die Bindungswirkung der Verweisung wird zwar nicht schon durch die bloße Unrichtigkeit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage infolge eines einfachen Rechtsirrtums des verweisenden Gerichts in Frage gestellt. Unbeachtlich ist ein solcher Beschluss aber, wenn er schwere offensichtliche Rechtsmängel und damit objektiv willkürlich ist. Ein solcher Fall liegt hier vor:
15Die Verweisung des gesamten Rechtsstreits, obwohl nur hinsichtlich der gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klage eine Unzuständigkeit erkannt wurde, entbehrt jeder Rechtsgrundlage. Gem. § 281 Abs. 1 ZPO kann die Klage nur insoweit verwiesen werden, als das verweisende Gericht seine sachliche und/oder örtliche Unzuständigkeit festgestellt hat. Aber auch dann, wenn das Landgericht E bezüglich der Beklagten zu 1 seine Unzuständigkeit ausgesprochen hätte, wäre die Verweisung grob fehlerhaft und objektiv willkürlich, da das Landgericht E gem. §§ 12,13 ZPO örtlich zuständig ist und der Kläger durch den beim Amtsgericht H gestellten Verweisungsantrag sein Wahlrecht gem. § 35 ZPO unwiderruflich ausgeübt hat. Eine Verweisung, die eine örtliche Zuständigkeit aufgrund des allgemeinen Gerichtsstandes und die Verbindlichkeit der Gerichtsstandswahl des Klägers übergeht, ist nicht bindend (vgl. Zöller/Greger, 31. Auflage 2016, § 281 ZPO Rn. 17 m.w.N.; Senat, Beschl. v. 02.01.2017 – 32 Sa 72/16 – veröffentlicht in juris).
16Die vorstehend dargelegte Durchbrechung der grundsätzlichen Bindungswirkung führt dazu, dass der Verweisungsbeschluss des Landgerichts E vom 09.09.2016 insgesamt wirkungslos ist. Ihm lässt sich nicht etwa ein wirksamer und bindender Teil hinsichtlich der Verweisung der gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klage entnehmen. Eine hierzu erforderliche Abtrennung dieses Teils der Klage ist – wie ausgeführt - nicht erfolgt.
17Dennoch kann im Rahmen der Entscheidung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO lediglich eine bindende Entscheidung hinsichtlich der Zuständigkeit des Landgerichts E für die Klage nur insoweit getroffen werden, als sie sich gegen die Beklagte zu 1 richtet, da für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage kein entsprechender Gerichtsstand erkennbar ist.
182.
19Die Bestimmung eines einheitlichen Gerichtsstands kann auch nicht gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgen. Zwar sollen hier mehrere Beklagte mit unterschiedlichen allgemeinen Gerichtsständen als Streitgenossen in Anspruch genommen werden. Ein entsprechender Antrag wäre aber nicht zulässig, da für die Beklagten grundsätzlich ein gemeinsamer Gerichtsstand am Unfallort im Bezirk des Landgerichts L bestand, den der Kläger hinsichtlich der Beklagten zu 1 durch die Ausübung seines Wahlrechts verloren hat (vgl. Zöller/Vollkommer, 31. Aufl. 2016, § 36 ZPO Rn. 15 unter dd)).
203.
21Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass gegenwärtig kein sachlicher Grund im Sinne von § 145 ZPO für eine Abtrennung der Klage, soweit sie sich gegen die Beklagte zu 2 richtet, erkennbar ist. Da die Beklagten im Schriftsatz vom 21.03.2017 angekündigt haben, die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts E nicht zu rügen, ist davon auszugehen, dass dessen Zuständigkeit gem. § 39 ZPO durch rügelose Verhandlung zur Hauptsache begründet werden wird. Die gemeinsame Verhandlung dürfte, soweit die Parteien durch ihr prozessuales Verhalten den Weg dafür ebnen, aus Gründen der Prozessökonomie angezeigt sein.