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1.
Wechselt während des Kindesunterhaltsverfahrens die elterliche Obhut über das minderjährige Kind, so ist im Fall gemeinsamer elterlicher Sorge eine Vertretung durch den bisherigen Inhaber der Obhut nicht mehr zulässig.
2.
Der bisherige Inhaber der elterlichen Obhut kann auch nach dem Entfall seiner Vertretungsbefugnis noch eine Erledigungserklärung abgeben. Hingegen ist ein Beteiligtenwechsel jedenfalls in der Beschwerdeinstanz nicht mehr zulässig.
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 24.3.2015 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Paderborn vom 24.2.2015 (Aktenzeichen 85 F 10/13) abgeändert.
Es wird festgestellt, dass sich das Verfahren für den Zeitraum ab September 2015 erledigt hat.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens 1. und 2. Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.315,00 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Die Antragstellerin ist die Tochter der Antragsgegnerin. Sie hatte zunächst ab Oktober 2012 im Haushalt ihres Vaters gelebt. Die elterliche Sorge wird vom Kindesvater und der Antragsgegnerin gemeinsam ausgeübt.
4In diesem vorliegenden Verfahren hat die Antragstellerin, vertreten durch ihren Vater, Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von 100 % des Mindestunterhalts der Düsseldorfer Tabelle abzüglich des hälftigen Kindergeldes für den Zeitraum ab November 2012 begehrt.
5Die Antragsgegnerin hat sich auf eine fehlende Leistungsfähigkeit berufen. Sie hat behauptet, sie könne aus gesundheitlichen Gründen allenfalls 6 Stunden täglich arbeiten.
6Durch Beschluss vom 24.2.2015 hatte das Amtsgericht – Familiengericht - Paderborn die Antragsgegnerin verpflichtet, für die Zeit von November 2012 bis einschließlich Februar 2015 einen Unterhaltsrückstand von 7.808,00 € sowie ab März 2015 einen laufenden Unterhalt in Höhe von monatlich 201,00 € zu zahlen. Den weitergehenden Antrag hat das Amtsgericht zurückgewiesen.
7Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde. Sie beruft sich weiter auf eine fehlende Leistungsfähigkeit.
8Seit dem 18.9.2015 wohnt die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin.
9Mit Schriftsatz vom 19.10.2015 hat der Kindesvater erklärt, dass er für die bisherige Antragstellerin in das Verfahren eintrete. Es beruft sich darauf, dass ihm für den Zeitraum von November 2012 bis August 2015 ein familienrechtlicher Ausgleichsanspruch gegen die Antragsgegnerin zustehe. Er habe in dieser Zeit den Unterhalt für die Antragstellerin allein sichergestellt. Gemäß den Berechnungen des Amtsgerichts bestehe bis einschließlich August 2015 ein Unterhaltsrückstand in Höhe von 9.014,00 €. Er vertritt die Auffassung, dass die Antragsänderung sachdienlich sei, da für den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch inhaltlich die gleichen Voraussetzungen vorliegen müssen, wie für den Unterhaltsanspruch. Hinsichtlich des laufenden Unterhalts sei das Verfahren erledigt, da durch den Obhutswechsel der gemeinsamen Tochter der geltend gemachte Anspruch unzulässig geworden sei.
10Der Kindesvater beantragt nunmehr,
11an ihn 9.014,00 € zu zahlen.
12Hinsichtlich des laufenden Kindesunterhalts ab September 2015 wird das Verfahren für erledigt erklärt.
13Die Antragsgegnerin beantragt,
14unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung den Antrag zurückzuweisen.
15Die Antragsgegnerin verweist darauf, dass mit dem Obhutswechsel eine Vertretungsbefugnis des Kindesvaters entfallen und der Antrag insgesamt unzulässig geworden sei. Einem Beteiligtenwechsel werde nicht zugestimmt.
16II.
17Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat Erfolg. Aufgrund des Obhutswechsels der Antragstellerin ist eine Vertretungsbefugnis des Kindesvaters entfallen und der Antrag auf Zahlung von Kindesunterhalt unzulässig geworden. Auch der erklärte Wechsel des Beteiligten auf Seiten der Antragsteller ist nicht zulässig. Für den Zeitraum ab September 2015 ist eine Erledigung eingetreten.
181.
19Der Antrag der Antragstellerin auf Zahlung von Kindesunterhalt ist unzulässig, weil eine Vertretungsbefugnis durch den Kindesvater nicht mehr besteht. Grundsätzlich kann nach § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB in den Fällen der gemeinsamen Sorge ein Elternteil, in dessen Obhut sich das Kind befindet, Unterhaltsansprüche gegen den anderen Elternteil geltend machen. Der Begriff der Obhut stellt auf die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse ab. Ein Kind befindet sich in der Obhut desjenigen Elternteils, bei dem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der sich also vorrangig um die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse des Kindes kümmert. Leben die Eltern in verschiedenen Wohnungen und regeln sie den gewöhnlichen Aufenthalt eines Kindes in der Weise, dass es vorwiegend in der Wohnung eines Elternteils - unterbrochen durch regelmäßige Besuche in der Wohnung des anderen Elternteils - lebt, so ist die Obhut im Sinne des § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB deshalb dem erstgenannten Elternteil zuzuordnen (BGH FamRZ 2007, 707; Johannsen/Henrich-Jaeger, FamFG, 6. Auflage 2015, § 1629 Rn. 6).
20Im vorliegenden Fall unterhalten beide Elternteile getrennte Wohnungen. Da die Antragstellerin jetzt im Haushalt der Antragsgegnerin lebt, besteht in Bezug auf den Kindesvater kein Obhutsverhältnis mehr. Damit ist eine Vertretung durch den Kindesvater nicht mehr zulässig, und zwar insgesamt und ohne zeitliche Einschränkung (vgl. Wendl/Dose-Schmitz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Auflage 2015, § 10 Rn. 46; Johannsen/Henrich-Jaeger, FamFG, 6. Auflage 2015, § 1629 Rn. 8; Götz FF 2013, 225, 227).
212.
22Ein Beteiligtenwechsel ist jedenfalls ist der Beschwerdeinstanz nicht mehr zulässig.
23Grundsätzlich ist der Wechsel der Partei auf Klägerseite wie eine Klageänderung zu behandeln (BGH NJW 1996, 2799; BGH NJW 2011, 1453; MünchKommZPO-Becker-Eberhard, 4. Auflage 2013, § 263 Rn. 67). Demgemäß ist nach § 263 ZPO die Einwilligung der Gegenseite oder eine Sachdienlichkeit erforderlich.
24Nach der Auffassung von Greger (Zöller-Greger, ZPO, 31. Auflage 2016, § 263 Rn. 30) ist analog § 269 Abs. 1 ZPO stets eine Einwilligung des Beklagten erforderlich, wenn bereits mündlich verhandelt wurde. Da ein Klägerwechsel mit dem Ausscheiden des bisherigen Klägers verbunden ist, bedeutet dies auch eine Rücknahme der gegen den Beklagten erhobenen Klage. Eine solche Rücknahme ist nach § 269 Abs. 1 ZPO ohne eine Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung zulässig.
25Ganz überwiegend wird in der Literatur die Ansicht vertreten, dass im Falle eines Klägerwechsels die Einwilligung des Beklagten durch eine Sachdienlichkeit ersetzt werden kann (vgl. Musielak/Foerste, ZPO, 12. Auflage 2015, § 263 Rn. 19; BeckOK-Bacher, Stand 1.12.2015, § 263 Rn. 23; MünchKommZPO-Becker-Eberhard, 4. Auflage 2013, § 263 Rn. 72; Norpoth FamRZ 2007, 514). Für diese Auffassung können in erster Linie prozessökonomische Gründe angeführt werden.
26Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin ihre Zustimmung zu einem Wechsel auf Antragstellerseite nicht erteilt. Ob diese Zustimmung durch eine Sachdienlichkeit ersetzt werden kann, kann hier offenbleiben. Denn jedenfalls ist ein Wechsel auf der Antragstellerseite nicht sachdienlich. Da sich das Verfahren bereits in der Beschwerdeinstanz befindet, sind insoweit strenge Anforderungen zu stellen, die hier nicht erfüllt sind.
27Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch, der geltend gemacht werden soll, unterscheidet sich grundlegend von einem Unterhaltsanspruch der Antragstellerin. Entgegen der Auffassung des Kindesvaters sind die Voraussetzungen nicht identisch, so dass ein neuer Sachvortrag erforderlich ist (vgl. Götz FF 2013, 225, 232). Insbesondere muss ein Elternteil, der einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend macht, darlegen, dass er die dem anderen Elternteil obliegende Verpflichtung erfüllt hat (vgl. Wendl/Dose-Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Auflage 2015, § 2 Rn. 775). Da der betreuende Elternteil in der Regel keinen Barunterhalt leistet, sondern Naturalunterhalt, bedarf es dazu näherer Darlegungen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn sich der Ausgleichsanspruch auf den Mindestunterhalt beschränkt. Jedenfalls muss dargelegt werden, dass der Mindestunterhalt in voller Höhe aus eigenen Mitteln aufgebracht wurde.
28Darüber hinaus ist zu bedenken, dass dem Kindesvater und der Antragstellerin ein möglicher familienrechtlicher Ausgleichsanspruch als Gesamtgläubiger zusteht (vgl. Wendl/Dose-Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Auflage 2015, § 2 Rn. 779; Norpoth FamRZ 2007, 514). Auch zu diesem Konkurrenzverhältnis beider Gläubiger muss näher vorgetragen werden. Es bedarf einer näheren Begründung, warum das Kind aus dem Verfahren ausscheiden soll.
29Aufgrund der Verschiedenheit beider Ansprüche ist es nicht sachgerecht, dass die Voraussetzungen für einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch erstmals in der Beschwerdeinstanz geprüft werden. Für den Kindesvater spricht zwar sein Interesse an einer schnellen Erledigung des Verfahrens. Demgegenüber wiegt es jedoch schwerer, dass die Antragsgegnerin eine Tatsacheninstanz verlieren würde.
30Soweit sich der Kindesvater auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 19.6.2013 (BGH FamRZ 2013, 1378) beruft, kann diese auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Der dort entschiedene Fall betrifft das Ende der gesetzlichen Verfahrensbeistandschaft eines Elternteils wegen Eintrittes der Volljährigkeit des Kindes. Im Rahmen des § 1629 Abs. 3 BGB besteht die Besonderheit, dass der Elternteil den Unterhaltsanspruch im eigenen Namen geltend machen kann und von Beginn an am Verfahren beteiligt ist.
313.
32Für den Zeitraum ab September 2015 ist festzustellen, dass sich das Verfahren erledigt hat. Da sich die Antragsgegnerin der Erledigungserklärung nicht angeschlossen hat, ist die Erklärung der Antragstellerin als Feststellungsantrag umzudeuten (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 31. Auflage 2016, § 91 a Rn. 45). Es entspricht der allgemeinen Auffassung, dass auch nach einem Entfall der Vertretungsbefugnis noch eine Erledigungserklärung abgegeben werden kann (OLG Koblenz FamRB 2016, 9; BGH FamRZ 2013, 1378 Rn. 9, Wendl/Dose-Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 9. Auflage 2015, § 10 Rn. 46; Johannsen/Henrich-Jaeger, FamFG, 6. Auflage 2015, § 1629 Rn. 8). Nach Auffassung des Senats kann eine solche Erklärung auch noch in der Beschwerdeinstanz abgegeben werden (a.A. OLG Rostock FamRZ 2012, 890 Rn. 32).
334.
34Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 FamFG. Da der Antrag erst aufgrund des Obhutswechsels unzulässig wurde, ist es angemessen, die Kosten des Verfahrens insgesamt gegeneinander aufzuheben.