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1.
Die Sache wird zur Fortbildung des Rechts auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (Alleinentscheidung des Einzelrichters am Landgericht Q).
2.
Die Rechtsbeschwerde vom 03. Mai 2016 wird zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
3.
Das Urteil des Amtsgerichts Detmold vom 27. April 2016 wird aufgehoben. Die Betroffene wird freigesprochen.
4.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe:
2I.
3Der Landrat des Kreises M verhängte - nach Anhörung der Betroffenen - mit Bußgeldbescheid vom 02. Dezember 2015 gegen die Betroffene eine Geldbuße in Höhe von 224 €.
4Der Betroffenen wurde in dem Bußgeldbescheid zur Last gelegt, als Inhaberin eines landwirtschaftlichen Betriebes mit Rinderhaltung fortgesetzt ihrer Untersuchungspflicht als Rinderhalterin gem. § 2a Abs. 1 Nr. 1 BHV1-Verordnung (BHV1-VO) zur Probenentnahme zur Untersuchung auf BHV1 nicht nachgekommen zu sein. Die letzte Untersuchung der Zwergzebus sei im Jahr 2009 erfolgt. Das Untersuchungsergebnis sei negativ gewesen. Mit Schreiben vom 11. Februar 2015 sei die Betroffene darauf hingewiesen worden, dass sie seit längerer Zeit ihrer Pflicht zur Untersuchung der Rinder auf BHV1, Brucellose und Leukose nicht nachgekommen sei und zugleich aufgefordert worden, die notwendigen Untersuchungen schnellstmöglich zu veranlassen. Eine Untersuchung sei dennoch nicht erfolgt.
5Auf den Einspruch der Betroffenen verurteilte das Amtsgericht Detmold sie mit Urteil vom 27. April 2016 wegen vorsätzlichen Nichtnachkommens ihrer Untersuchungspflichten als Rinderhalterin zur Probenentnahme zur Untersuchung auf BHV1 zu einer Geldbuße von 224 €.
6Zur Sache traf das Amtsgericht folgende Feststellungen:
7„Die Betroffene hält zwei Zwergzebus. Es handelt sich um zwei weibliche Tiere; eine jüngere und eine ältere Kuh, die sich am Ende ihrer statistischen Lebenserwartung befindet (geboren 1999). Die Tiere haben keinen Kontakt zu anderen Rindern und verlassen ihren Standort nicht. Neue Rinder werden dem Bestand nicht zugeführt. Bei den beiden Tieren handelt es sich um recht wilde Tiere, die eine Annäherung durch fremde Personen nicht zulassen. Die Entnahme einer Blutprobe ist nur durch Einleitung einer Vollnarkose (z.B. mittels Blasrohr oder Narkosegewehr) machbar. Bezüglich der älteren Kuh besteht ein Risiko, dass diese eine Narkose aufgrund ihres Alters nicht überleben würde. Nach Erlass des Bußgeldbescheids vom 02.12.2015 wurde der jüngeren Kuh der Betroffenen am 4.3.2016 eine Blutprobe entnommen. Die Kuh wurde negativ auf BHV-1 getestet.“
8Gegen diese Entscheidung wendet sich die Betroffene mit ihrem unter dem 03. Mai 2016 eingelegten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, den sie mit der weiter ausgeführten Rüge materiellen Rechts begründet.
9Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
10II.
11Die Sache war dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil es geboten erscheint, die Sachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen, § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG. Die Übertragung auf den Senat ist eine Entscheidung des Einzelrichters des Senats, Richter am Landgericht Q.
12III.
13Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Betroffenen hat Erfolg.
14Die Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht. Ein ordnungswidriges Verhalten der Betroffenen durch Unterlassen der Untersuchung ihrer Rinder auf BHV1-Erreger kann den Feststellungen nicht entnommen werden.
15a)
16Nach § 13 Nr. 7 BHV1-VO handelt ordnungswidrig, wer entgegen § 2a Absatz 1 Satz 1 ein Zucht- oder ein Nutzrind nicht, nicht richtig oder nicht rechtzeitig untersuchen lässt. Gem. § 2a Absatz 1 Satz 1 BHV1-VO hat der Tierhalter, soweit sein Bestand nicht bereits ein BHV1-freier Rinderbestand im Sinne des § 1 Absatz 2 Nummer 1 ist, alle über neun Monate alten Zucht- und Nutzrinder oder, sofern der Bestand zu mindestens 30 vom Hundert aus Kühen besteht, alle über neun Monate alten weiblichen Rinder sowie die zur Zucht vorgesehenen männlichen Rinder im Abstand von längstens zwölf Monaten nach näherer Anweisung der zuständigen Behörde in einer von ihr bestimmten Untersuchungseinrichtung,
171. sofern die Rinder des Bestandes nicht gegen eine BHV1-Infektion geimpft worden sind, blut- oder milchserologisch auf Antikörper gegen das Virus der BHV1-Infektion,
182. sofern die Rinder des Bestandes mit Impfstoffen im Sinne des § 2 Absatz 1 geimpft worden sind, blutserologisch auf Antikörper gegen das gE-Glykoprotein des Virus der BHV1-Infektion
19untersuchen zu lassen.
20b)
21Zunächst ergeben die Feststellungen bereits nicht, dass über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten keine Untersuchung der Rinder erfolgt ist. Mitgeteilt wird lediglich eine Testung der jüngeren Kuh am 4.3.2016. Auch aus den weiteren Urteilsgründen lässt sich nicht sicher entnehmen, in welchem Zeitraum keine Untersuchung stattgefunden hat. Insoweit wird lediglich mitgeteilt, dass nach der Kastrierung eines vormals vorhandenen Bullen im Jahr 2009 „zunächst keine weiteren Testungen durchgeführt“ worden sind. Dies legt bereits nahe, dass es weitere Testungen in zeitlich größerem Abstand zum Jahr 2009 gegeben hat. Es ergibt sich nicht, dass diese nicht innerhalb der 12-Monats-Frist erfolgt sind. Den Feststellungen lässt sich auch nicht entnehmen, dass der Bestand der Betroffenen kein BHV1-freier Rinderbestand im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 war, wobei in diesem Fall keine Untersuchungspflicht bestanden hätte. Auch eine Anweisung der zuständigen Behörde ergibt sich nicht.
22c)
23Den Feststellungen lässt sich auch nicht entnehmen, dass es sich bei den von der Betroffenen gehaltenen Zwergzebus um Zucht- oder Nutzrinder im Sinne der § 2a Abs. 1, 13 Nr. 7 BHV1-VO handelt.
24Die BHV1-VO wurde aufgrund der Ermächtigung des § 6 Abs. 1 Nummer 8 Buchstabe a und b, Nummer 11 Buchstabe b und c, Nummer 12, Nummer 16, Nummer 20 Buchstabe a, Nummer 21 und Nummer 23 des Tiergesundheitsgesetzes
25(TierGesG) erlassen. Diese Verordnungsermächtigung enthält, wie sich aus § 1 Satz 1, § 2 Nr. 3, 4b TierGesG ergibt, keine Beschränkung auf bestimmte Arten von Rindern.
26Die BHV1-VO selbst unterscheidet jedoch in ihren Regelungen zwischen „Rindern“ auf der einen und „Zucht- oder Nutzrindern“ auf der anderen Seite. Diese Begriffe werden nicht als Synonyme verwendet. Hiergegen spricht -neben dem Wortlaut- bereits der differenzierte Gebrauch der Begriffe „Rinder“ und „Zucht- oder Nutzrinder“. So nutzen lediglich die hier zur Anwendung gekommene Vorschrift des § 2a BHV1-VO in Absatz 1 (regelmäßige Untersuchungspflicht für Zucht- und Nutzrinder) sowie der entsprechende Bußgeldtatbestand des § 13 Nr. 7 BHV1-VO und § 3 Abs. 1 BHV1-VO (Vorgaben zur Verbringung) den Begriff der „Zucht- und Nutzrinder“. Im Übrigen verwendet die Verordnung -auch im Rahmen der Bußgeldtatbestände- stets den Begriff „Rinder“, so beispielsweise in § 2 BHV1-VO (Impfung) und in §§ 5 ff BHV1-VO (Schutzmaßregeln vor bzw. nach Ausbruch einer Infektion). § 2a Abs. 2 BHV1-VO enthält zudem -neben der regelmäßigen Untersuchung der Zucht- und Nutzrinder nach Absatz 1- die Möglichkeit einer Anordnung einer Untersuchung aus Gründen der Tierseuchenbekämpfung für einzelne oder alle „Rinder“ eines Bestandes, die gem. § 13 Nr. 4 BHV1-VO bußgeldbewehrt ist.
27Eine eigene Definition des Nutzrindes bzw. Nutztieres enthalten die BHV1-VO und auch das TierGesG nicht. Teilweise enthalten andere Tierschutzverordnungen Definitionen des Begriffs Nutztier. So ordnet § 9 Abs. 1 Tierschutztransportverordnung – TierSchTrV alle Tiere der Gattung Rind den Nutztieren zu. Nach § 2 Nr. 1 der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) sind Nutztiere landwirtschaftliche Nutztiere sowie andere warmblütige Wirbeltiere, die zur Erzeugung von Nahrungsmitteln, Wolle, Häuten oder Fellen oder zu anderen landwirtschaftlichen Zwecken gehalten werden oder deren Nachzucht zu diesen Zwecken gehalten werden sollen.
28Nach dem Wortsinn ist -wie bei dem Nutzrind- ein Nutztier ein solches Tier, das vom Menschen wirtschaftlich genutzt wird (http://www.duden.de/rechtschreibung/Nutztier). Auch im Rahmen des § 833 Satz 2 BGB wird maßgeblich darauf abgestellt, dass das Tier nach seiner Zweckbestimmung dem Halter einen wirtschaftlichen Nutzen bringen soll (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2010, NJW 2011, 1961). Dabei gilt es jedoch zu beachten, dass § 833 Satz 2 BGB den Begriff des Nutztiers nicht verwendet, die von der gesetzlichen Definition, „…, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist“ erfassten Tiere werden jedoch als Nutztiere bezeichnet (vgl. BGH a.a.O).
29Nach Sinn und Zweck des Seuchenschutzes könnte zwar eine umfassendere Auslegung des Begriffs in Betracht kommen. So gelten nach Artikel 2 lit. f der Richtlinie des Rates der europäischen Gemeinschaften vom 12. Dezember 1972 zur Regelung viehseuchenrechtlicher und gesundheitlicher Fragen bei der Einfuhr von Rindern und Schweinen und von frischem Fleisch aus Drittländern (72/462/EWG) als Zucht- und Nutztiere alle Rinder, die nicht Schlachttiere i.S.d. Artikel 2 lit g) sind.
30Die Richtlinie kennt somit nur Zucht- Nutz- und Schlachtrinder, die damit die Gesamtheit der Rinder darstellen. Diese Definition kann jedoch nach der Systematik auf die BHV1-VO nicht übertragen werden. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BHV1-VO nimmt Rinder, die unmittelbar zur Schlachtung verbracht werden von einer Regelung für Zucht- und Nutzrinder aus. Dies ist nur dann erforderlich, wenn -anders als im Rahmen der Richtlinie- im Sinne der BHV1-Verordnung auch Schlachtrinder zu den Nutzrindern zählen. Wie ausgeführt, setzt zudem die BHV1-VO den Begriff der „Rinder“ und „Zucht- oder Nutzrinder“ nicht gleich.
31Ausgehend von dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes ist demnach ein Nutzrind im Sinne der BHV1-Verordnung ein solches Rind, das dem Halter nach seiner Zweckbestimmung einen wirtschaftlichen Nutzen bringen soll. Diese Auslegung steht letztlich dem Sinn und Zweck der hier betroffenen Untersuchungspflicht nicht entgegen, da die zuständige Behörde bei anderen als Zucht- oder Nutzrindern nicht gehindert ist, einzelne Untersuchungen unter den Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 BHV1-VO anzuordnen. Auch ein Verstoß gegen eine solche Anordnung ist nach § 13 Nr. 4 BHV1-VO bußgeldbewehrt.
32Die hier vorliegende bloße Möglichkeit, das Rind z.B. zu Schlachtzwecken zu verkaufen, genügt für die Begründung der Nutztiereigenschaft nicht. Zum einen ist die Erzielung eines Verkaufserlöses nach jahrelanger Haltung und vor allem Unterhaltung des Tieres noch kein wirtschaftlicher Nutzen. Es fehlte insoweit auch an der entsprechenden Zweckbestimmung des Tieres. Zum anderen kann letztlich jedes Haustier durch den Halter verkauft werden, ohne dass allein dadurch ein Luxustier zu einem Nutztier würde.
33Eine analoge Anwendung der Sanktionierung auf die nach dem Wortlaut und der Systematik des § 2a Abs. 1 BHV1-VO nicht erfassten Rinder, die nicht Zucht- oder Nutzrinder sind, kommt nicht in Betracht. Eine Analogie, d.h. die Anwendung einer Bußgeldvorschrift über ihren Inhalt hinaus auf einen von dieser nicht erfassten, nur ähnlichen Lebenssachverhalt, ist zu Ungunsten eines Betroffenen unzulässig (vgl. BVerfGE 25, 269, 285; BVerfGE wistra 03, 255; OLG Düsseldorf VRS 63, 70; OLG Schleswig NJW 1990, 1190; Göhler, OWiG, a.a.O., § 3 Rdnr. 9; KK-Rogall, Komm. zum OWiG, 4. Aufl.; § 3 Rdnr. 51ff.).
34Da ergänzende, entscheidungserhebliche Feststellungen nicht zu erwarten sind, hat der Senat nach § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst entschieden und die Betroffene freigesprochen.