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Das Verfahren zur Gerichtsstandbestimmung wird nicht gemäß § 240 ZPO unterbrochen, wenn eine Partei insolvent ist. Im Fall des § 36 I Nr. 6 ZPO können beide Parteien eine Gerichtsstandbestimmung beantragen.
Haben sich zwei Gerichte im Sinne von § 36 I Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, ist über die Bindung der Beschlüsse in dem Verfahren zu Gerichtsstandbestimmung zu entscheiden. Eine solche Entscheidung hat auf Antrag einer Partei auch dann zu ergehen, wenn eines der Gerichte zur Rück- bzw. Annahme des Verfahrens bereit ist.
Zuständig ist das Amtsgericht Offenburg.
I.
3Der Rechtsstreit liegt dem Senat auf Antrag der Beklagten zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.
4Der Kläger nimmt die Beklagte mit der vor dem Amtsgericht Siegen erhobenen Klage auf Ersatz des Kaufpreises für eine Küche in Anspruch. Nach seinem Vorbringen hat er der Beklagten eine Küche in deren damaliger Wohnung in C / L (Amtsgerichtsbezirk Siegen) leihweise zur Verfügung gestellt. Diese hat die Küche weiterverkauft und ist in den Bezirk des Amtsgerichts Offenburg verzogen. Der Kläger hat die Zuständigkeit des Amtsgerichts Siegen in der Klageschrift mit dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung begründet.
5Das Amtsgericht Siegen hat das schriftliche Vorverfahren angeordnet und die Parteien darauf hingewiesen, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nicht einschlägig sei und eine unerlaubte Handlung nicht vorgetragen werde. Der Beklagten werde eine vertragliche Pflichtverletzung vorgeworfen. Gleichzeitig hat es angefragt, ob Verweisung beantragt werde, und der Beklagten Gelegenheit zu einem etwaigen Verweisungsantrag binnen 2 Wochen gegeben.
6Der Kläger hat daraufhin ausgeführt, der Verkauf der Küche und die Verwendung des Erlöses seien eine bewusste Beschädigung des Eigentums des Klägers und damit eine unerlaubte Handlung. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 08.08.2016 ihrerseits Verweisung an das für ihren Wohnsitz zuständige Amtsgericht Offenburg beantragt.
7Diesen Schriftsatz hat das Amtsgericht Siegen dem Kläger zur Stellungnahme zu dem Verweisungsantrag und mit dem weiteren Hinweis übersandt, das Gericht erachte sich weiterhin für unzuständig. Der Kläger behaupte neben dem Leihvertrag ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis, bei dem die Anwendung des § 823 BGB gem. § 993 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen sei.
8Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 06.09.2016 der Verweisung an das Amtsgericht Offenburg zugestimmt.
9Das Amtsgericht Siegen hat sich mit Beschluss vom 09.09.2016 für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Offenburg verwiesen. Die Begründung des Beschlusses entspricht inhaltlich dem zuletzt erteilten Hinweis.
10Das Amtsgericht Offenburg hat durch Beschluss vom 20.09.2016 festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Siegen vom 09.09.2016 keine Bindungswirkung entfalte, und das Verfahren an das Amtsgericht Siegen zurückverwiesen. Die Ausführungen des Amtsgerichts Siegen zu seiner vorgeblich nicht bestehenden Zuständigkeit nach § 32 ZPO seien in jeder Hinsicht unzutreffend.
11Das Amtsgericht Siegen hat, nachdem ihm die Akten zurückübersandt worden sind, durch Verfügung vom 26.09.2016 Güte- und Verhandlungstermin anberaumt. Die Beklagte hat durch Schriftsatz vom 22.09.2016, der dem Amtsgericht Siegen nachgesandt worden ist, vor dem Amtsgericht Offenburg Beschwerde gegen dessen Verweisungsbeschluss eingelegt. Durch Schreiben vom 29.09.2016 hat das Amtsgericht Siegen die Parteien darauf hingewiesen, dass es zwar die Bedenken der Beklagten hinsichtlich des Beschlusses des Amtsgerichts Offenburg teile, vorab jedoch die Sach- und Rechtslage mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörtern wolle.
12Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 05.10.2016 vor dem Oberlandesgericht Hamm beantragt, das Amtsgericht Offenburg für zuständig zu erklären und den Rechtsstreit dorthin zurück zu verweisen. Es bestehe allein der allgemeine Gerichtsstand gem. § 13 ZPO.
13Der Kläger hält das Amtsgericht Siegen für zuständig, da dort der Gerichtsstand gem. § 32 ZPO begründet sei. Auch habe er – der Kläger – keinen Antrag auf Verweisung gestellt und nehme diesen jedenfalls ausdrücklich zurück.
14Am 11.11.2016 wurde vor dem Amtsgericht Offenburg das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet.
15II.
161.
17Das Oberlandesgericht Hamm ist gem. § 36 Abs. 1, Abs. 2 ZPO zu der Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen. Das nächsthöhere Gericht über den Amtsgerichten Siegen und Offenburg ist der Bundesgerichtshof. Das Amtsgericht Siegen, das zuerst mit der Sache befasst war, liegt in dem Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm.
182.
19Das Verfahren zur Bestimmung des Gerichtsstands ist nicht gem. § 240 ZPO durch das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten unterbrochen worden. Die Vorschriften betreffen das Hauptsacheverfahren und sind auf das Verfahren gem. § 36 Abs. 1 ZPO nicht anwendbar (BGH, Beschluss vom 07.01.2014 - X ARZ 578/13, BeckRS 2014, 01829, Rn. 7 – zu § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO; OLG Celle, Beschluss vom 18.06.2002 – 4 AR 45/02, juris, Rn. 6; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.11.2011 – 5 Sa 89/11, BeckRS 2011, 28681, beck-online).
203.
21Die Beklagte hat das gemäß § 37 Abs. 1 ZPO erforderliche Gesuch um Bestimmung des zuständigen Gerichts gestellt. Antragsberechtigt ist im Fall des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht nur der Kläger, sondern auch der Beklagte (Senat, Beschluss vom 26.09.2016 - 32 SA 55/16, BeckRS 2016, 19236, beck-online, m.w.N.; Patzina in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 37 ZPO, Rn. 3, beck-online m.w.N.). Die Vorlage durch eines der beteiligten Gerichte ist nicht zwingend Voraussetzung einer Bestimmung des Gerichtsstands nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (OLG München, Beschluss vom 30.11.2015 - 34 AR 220/15, BeckRS 2016, 01560, beck-online).
224.
23Die Beklagte hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Zwar hat das Amtsgericht Siegen nach der „Rückverweisung“ durch das Amtsgericht Offenburg terminiert und war bereit, das Verfahren – jedenfalls zunächst - dort zu führen. Der Zuständigkeit des Amtsgerichts Siegen könnte aber die Bindungswirkung des ersten Verweisungsbeschlusses entgegenstehen, die auch gegenüber dem verweisenden Gericht gilt (Greger in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 281 ZPO Rn. 16 m.w.N.). Deshalb entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht deshalb, weil das Ausgangsgericht bereit ist, das Verfahren zurückzunehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 26.09.2016 - 32 SA 55/16, juris; OLG München, Beschluss vom 30.11.2015 - 34 AR 220/15, BeckRS 2016, 01560, beck-online).
245.
25Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
26Das Amtsgericht Siegen und das Amtsgericht Offenburg haben sich durch die Beschlüsse vom 09.09.2016 und vom 21.09.2016 jeweils rechtskräftig im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für örtlich unzuständig erklärt. Sowohl der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Siegen als auch der zurückverweisende Beschluss des Amtsgerichts Offenburg, mit dem zudem die fehlende Bindungswirkung des Beschlusses des Amtsgerichts Siegen ausgesprochen wird, sind unanfechtbare und verbindliche Unzuständigerklärungen, die den Parteien mitgeteilt worden sind (vgl. Vollkommer in: Zöller, a.a.O., § 36 ZPO, Rn. 25 m.w.N.)
27Ob einem Verweisungsbeschluss Bindungswirkung zukommt, ist keine Frage der Zulässigkeit des Bestimmungsverfahrens, sondern in der Sache zu entscheiden (Vollkommer in: Zöller, a.a.O., § 36 ZPO, Rn. 25). Das gilt auch dann, wenn – wie hier – auch in Frage steht, ob ein Gericht aufgrund der fehlenden Bindungswirkung zur Rücknahme des Verfahrens berechtigt war.
286.
29Zuständig ist jedenfalls aufgrund der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Siegen das Amtsgericht Offenburg.
30a)
31Im Fall eines Zuständigkeitsstreits zwischen zwei Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Denn nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO bindet ein Verweisungsbeschluss das Gericht, an das die Sache verwiesen wird. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist. Das kann der Fall sein, wenn er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr., z.B. BGH, Beschluss vom 09.06.2015 – X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016, 1017, Rn. 9, beck-online, m.w.N.; Vollkommer in: Zöller, a.a.O., § 36 ZPO, Rn. 28; Greger in Zöller, a.a.O., § 281 ZPO, Rn. 16 und 17f.).
32Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Siegen bindend.
33(1)
34Er ist nicht in einem Maße rechtsirrtümlich, dass ihm die Bindungswirkung zu versagen wäre.
35Dem Amtsgericht Offenburg ist zwar darin zuzustimmen, dass für die Anwendung von § 993 Abs. 1 2. Hs. BGB angesichts des bei Veräußerung der Küche bestehenden Leihverhältnisses wohl kein Raum ist. Daraus folgt aber lediglich die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses, nicht seine Willkürlichkeit. Rechtsfehler - auch gröberer Art - stehen der Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO nicht entgegen. Willkür in dem dargestellten Sinne liegt erst vor, wenn ein Beschluss nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BGH a.a.O., Greger in Zöller, a.a.O.). Der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 993 Abs. 1 2. Hs. BGB ist jedenfalls nicht gänzlich unkompliziert. Das lässt eine einfache irrtümliche Rechtsanwendung möglich erscheinen. Zudem sind beide Parteien der mit Verfügung vom 10.08.2016 geäußerten Rechtsauffassung des Amtsgerichts Siegen zur Sperrwirkung des § 993 Abs. 1 2. Hs. BGB nicht entgegengetreten. Der Kläger, der bis dahin nur pauschal auf das Vorliegen der unerlaubten Handlung hingewiesen hatte, hat sich mit ihr nicht auseinandergesetzt, sondern sich mit der angeregten Verweisung einverstanden erklärt. Nach alledem fehlen die Voraussetzungen für eine Annahme von Willkür.
36(2)
37Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Siegen ist auch nicht deshalb ohne Bindungswirkung, weil der Kläger keinen Antrag auf Verweisung – der gem. § 281 Abs. 1 S. 1 ZPO Voraussetzung einer Verweisung ist - gestellt hat. Es lässt die Bindungswirkung nicht ohne weiteres entfallen, wenn die Verweisung ohne einen darauf gerichteten Antrag erfolgt ist (BGH, Beschluss vom 11.07.1990 - XII ARZ 26/90, NJW-RR 1990, 1282, beck-online). Einen solchen Antrag des Klägers konnte das Amtsgericht Siegen im Übrigen in seinem Einverständnis mit einer Verweisung, das er mit Schriftsatz vom 06.09.2016 erklärt hat, sehen, ohne dass ihm insoweit eine willkürliche Verkennung der Rechtslage angelastet werden könne.
38Das Amtsgericht Siegen hatte bereits vor Eingang des „Verweisungsantrags“ der Beklagten angefragt, ob Verweisung beantragt werde. Der Kläger reagierte auf die Übersendung dieses „Verweisungsantrags“ und weitere Ausführungen des Gerichts zu seiner fehlenden Zuständigkeit mit einem ausdrücklich erklärten Einverständnis zur Verweisung. Sein Einverständnis konnte auch durchaus dahin verstanden werden, dass er damit den (zuvor angefragten) Antrag auf Verweisung stellen wollte. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Kläger anwaltlich vertreten war und das Gericht davon ausgehen konnte, dass ihm grundsätzlich bewusst war, dass Voraussetzung einer Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit ein durch den Kläger gestellter Antrag ist. Dass der Kläger selbst das im Übrigen auch nicht anders gesehen hat, wird schon daraus deutlich, dass er auf die Verweisung an das Amtsgericht Offenburg zunächst nicht reagiert und gegen sie insbesondere keine Gegenvorstellung erhoben hat.
39Die Erklärung der Rücknahme des Antrags ist unerheblich. Der Antrag auf Verweisung stellt eine Prozesshandlung dar (vgl. Greger in: Zöller, a.a.O., vor § 128 ZPO Rn. 14). Eine Rücknahme von Prozesshandlungen ist nur möglich, soweit diese gesetzlich vorgesehen ist oder schutzwürdige Interessen der Gegenseite nicht entgegenstehen (Greger in: Zöller, a.a.O., vor § 128 ZPO, Rn. 22). Das ist für den Antrag auf Verweisung jedenfalls nach Erlass des Verweisungsbeschlusses nicht der Fall. Der Rücknahme steht dann erkennbar entgegen, dass eine Partei der gem. § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO unanfechtbaren gerichtlichen Entscheidung nicht rückwirkend die Grundlage wieder entziehen kann.
40(3)
41Der Verweisungsbeschluss ist auch nicht unter Verstoß gegen das rechtliche Gehör der Beklagten ergangen. Eine erneute Anhörung der Beklagten nach Stellung des Verweisungsantrags durch den Kläger war nicht erforderlich. Die Beklagte hatte durch den selbst gestellten „Verweisungsantrag“ eindeutig zu erkennen gegeben, dass sie eine Verweisung für geboten hielt. Das Amtsgericht Siegen hatte zudem durch seinen erneuten Hinweis vom 10.08.2016 und die dortige erneute Anfrage, ob Verweisung beantragt werde, eindeutig zu verstehen gegeben, dass es auf einen Antrag zu verweisen beabsichtigte. Dieser Hinweis ist der Beklagten zur Kenntnis gebracht worden, so dass diese binnen der dem Kläger gesetzten Frist etwaige Einwände hätte erheben können.
42(4)
43Das Amtsgericht Siegen ist letztlich nicht wieder zuständig geworden, weil das Amtsgericht Offenburg den Rechtsstreit an es zurückverwiesen hat. Der zurückverweisende Beschluss des Amtsgerichts Offenburg konnte aufgrund der Bindungswirkung des erstverweisenden Beschlusses seinerseits keine Bindungswirkung entfalten. Die Rücknahme stand auch nicht etwa im Ermessen des Amtsgerichts Siegen, da der erste Verweisungsbeschluss – wie bereits ausgeführt – auch dieses band.
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