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Zum Vorliegen eines Haustürgeschäfts gemäß § 312 I 1 Nr. 1 BGB a.F. (gültig bis 12.06.2014) als Voraussetzung für den „Verbrauchergerichtsstand“ gemäß § 29c ZPO a.F. (gültig bis 12.06.2014).
Als zuständiges Gericht wird das Landgericht I bestimmt.
Gründe:
2I.
3Der Kläger macht Schadensersatzansprüche wegen angeblich fehlerhafter Beratung im Zusammenhang mit dem finanzierten Kauf einer Eigentumswohnung in C geltend. Zur Begründung trägt er unter anderem Folgendes vor:
4Die Geschäftsbeziehung zur Beklagten zu 1 sei dadurch entstanden, dass der Kläger bei dieser aufgrund einer Anzeige im Internet zu einer Berufsunfähigkeitsversicherung seine Kontaktdaten hinterlassen habe. Daraufhin habe sich ein Sachbearbeiter der Beklagten zu 1 gemeldet. Mit diesem sei ein Beratungstermin vereinbart worden, zu dem der Berater den Kläger zuhause aufgesucht habe. In diesem Termin sei über eine Berufsunfähigkeitsversicherung gesprochen worden, die der Kläger später auch abgeschlossen habe. Da sich der Kläger an weiteren Angeboten interessiert gezeigt habe, sei eine umfangreiche Finanzanalyse erstellt worden. In der Folge hätte er auf Anraten des Beraters zunächst die bestehenden Geldanlagen aufgelöst. Danach sei ein Beratungsgespräch über Anlageziele erfolgt. Der Berater habe unter Herausstellen zahlreicher Vorteile zum Kauf einer Eigentumswohnung geraten und den Kläger auch zur Finanzierung beraten. Auf dieser Basis habe er sich zur Investition in eine Eigentumswohnung entschlossen. Er habe zwei Wohnungen in C besichtigt, die aber zum Zeitpunkt seines Kaufentschlusses bereits anderweitig veräußert gewesen seien. Auf einen weiteren Vorschlag des Beraters habe er sich für den Kauf der streitgegenständlichen Wohnung entschieden. Der notariell beurkundete Kaufvertrag sei am 31.01.2007 geschlossen worden. Die Finanzierung sei durch die Beklagte zu 2 erfolgt. Der Kläger behauptet, dass die Angaben bezüglich der streitgegenständlichen Wohnung und der Renditemöglichkeiten fehlerhaft gewesen seien und allein seiner Täuschung gedient hätten. Der Kaufpreis sei sittenwidrig überteuert gewesen. Zudem sei er hinsichtlich einer versteckten Innenprovision getäuscht worden. Die Beklagte zu 2 müsse sich das Verhalten der Berater der Beklagten zu 1 zurechnen lassen; die Beklagten hätten institutionalisiert zusammengewirkt. Die Zuständigkeit des Landgerichts Q folge aus § 29c ZPO.
5Die Beklagte zu 2 hat die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Q gerügt. Die Voraussetzungen des § 29c ZPO lägen nicht vor. Der Darlehensvertrag sei im Wege des Fernabsatzes geschlossen worden; er sei zur Unterzeichnung im Februar 2007 an den Kläger gesandt und von diesem zurückgesandt worden. Daraufhin hat der Kläger beantragt, den Rechtsstreit dem zuständigen Oberlandesgericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorzulegen, was das Landgericht Q mit Beschluss vom 18.03.2016 getan hat. Auf einen Hinweis der Berichterstatterin, dass ein besonderer Gerichtsstand gem. § 29c ZPO beim Landgericht Q auch für die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage nach derzeitigem Vortrag nicht zu erkennen sei und vieles für die Bestimmung des Landgerichts I spreche, hat der Kläger mitgeteilt, der Rechtsstreit möge an das Landgericht I verwiesen werden. Die Beklagte zu 2. hat sich auf den Hinweis mit einer Verweisung an das Landgericht I einverstanden erklärt.
6II.
7Das Oberlandesgericht Hamm ist für die gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 2 ZPO zuständig, da das im Verhältnis zu den Landgerichten Q, I und L zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof wäre und das im hiesigen Bezirk gelegene Landgericht Q zuerst mit der Sache befasst war. Der Zuständigkeitsbestimmung steht nicht entgegen, dass der Rechtsstreit bereits rechtshängig ist. § 36 Abs.1 Nr. 3 ZPO kann auch noch nach einer Klageerhebung angewendet werden (vgl. nur Zöller/Vollkommer, 31. Aufl., 2016, § 36 ZPO Rn. 16 m.w.N.). Die Beklagten haben keinen gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand; der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten zu 1 befindet sich in I, der der Beklagten zu 2 in L. Es ist auch kein anderweitiger gemeinsamer Gerichtsstand für das Klagebegehren zu erkennen, insbesondere nicht gem. § 29c ZPO a.F.
8Die aktuelle Fassung des § 29c ZPO ist nicht anzuwenden, da sie gem. Art. 229 § 32 EGBGB nur dann gilt, wenn der streitgegenständliche Vertrag seit dem 13.06.2014 geschlossen wurde. Für § 29c ZPO a.F. genügt das Vorliegen einer Haustürsituation gem. § 312 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. Auch im materiellen Recht sind die aktuellen Vorschriften gem. Art. 229 § 32 EGBGB nicht anzuwenden.
9Zum Vorliegen des gerichtsstandsbegründenden Haustürgeschäfts muss der Verbraucher gem. § 312 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 2. Alt. BGB a.F. durch mündliche Verhandlung im Bereich seiner Privatwohnung zum Vertragsabschluss bestimmt worden sein. Dass der Vertrag selbst nicht in einer Haustürsituation geschlossen wurde, ist hierbei unschädlich, da der Ort der Willenserklärung des Verbrauchers unerheblich ist, soweit sie aufgrund einer „Verhandlung“ in einer Haustürsituation abgegeben wurde (vgl. Palandt/Grüneberg, 67. Aufl., 2008, § 312 BGB Rn. 12). Nach dem derzeitigen Sachstand ist jedoch eine solche Ursächlichkeit der Verhandlung in der Haustürsituation für die Abgabe des Angebots über den Kauf der streitgegenständlichen Eigentumswohnung in C nicht zu erkennen. Für die Ursächlichkeit ist zwar kein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Verhandlung und Willenserklärung erforderlich, allerdings entfaltet ein solcher eine gewisse Indizwirkung, die mit zunehmendem Zeitablauf abnimmt und nach einer gewissen Zeit ganz entfallen kann. Maßgebend sind alle Umstände des Einzelfalls, also insbesondere auch der Vertragsgegenstand und das Verhalten des Verbrauchers. Entscheidend ist, ob das Überraschungsmoment noch fortwirkt und der Kunde in seiner Entschließungsfreiheit beeinträchtigt ist. Hiergegen kann die notarielle Beurkundung des Kaufvertrags sprechen (Palandt/Grüneberg, 67. Aufl., 2008, § 312 BGB Rn. 13). Dass der Ausschluss des Widerrufs- oder Rückgaberecht nach § 312 Abs. 3 BGB a.F. für sich genommen nichts an dem den Gerichtsstand eröffnenden Vorliegen eines Haustürgeschäfts ändert (vgl. nur Zöller/Vollkommer, 28. Aufl., 2010, § 29c ZPO Rn. 4), heißt nicht, dass in dieser Norm genannte Aspekte nicht für die Prüfung herangezogen werden können, ob der Verbraucher durch die Haustürsituation zur Abgabe seiner Willenserklärung bestimmt wurde.
10Ein solches die Entschließungsfreiheit beeinträchtigendes Fortwirken des Überraschungsmoments der Beratung in der Haustürsituation ist vorliegend nicht festzustellen. Es wird vom Kläger nicht vorgetragen, der Sachverhalt enthält keine hierauf deutenden Anzeichen und auch der Zeitablauf entfaltet keine Indizwirkung. Der Kläger trägt nur zum ersten Gespräch ausdrücklich vor, dass es bei ihm zuhause stattgefunden habe. Dieses Erstgespräch bezog sich nach Klägervortrag auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung; erst nach dem später erfolgten Abschluss dieser Versicherung habe der Berater die Finanzanalyse durchgeführt. Wo die verschiedenen weiteren Gespräche bis zum letzten vorgetragenen Beratungsgespräch am 18.10.2016 stattgefunden haben, wurde auch auf einen entsprechenden Hinweis nicht dargelegt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass das letzte beschriebene Gespräch am 18.10.2006 ebenfalls in der Privatwohnung des Klägers stattgefunden hat, ist nicht zu erkennen, dass hier noch eine "Überrumpelung" erfolgte, und noch weniger, dass eine solche noch bei Abgabe des Kaufangebots am 31.01.2007 noch fortwirkte. Hiergegen spricht neben dem Zeitablauf von mehr als 3 Monaten und der notariellen Beurkundung des Kaufangebots auch, dass der Kläger nach seinem Vortrag in der Folgezeit mindestens zweimal nach C gefahren ist, um angebotene Wohnungen zu besichtigen.
11Als zuständiges Gericht wird das Landgericht I bestimmt.
12Die Bestimmung des zuständigen Gerichts erfolgt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auf der Grundlage von Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Prozesswirtschaftlichkeit. Zur Auswahl stehen hierbei die allgemeinen Gerichtsstände der Beklagten, also die Landgerichte I und L. Das Landgericht Q kann nicht bestimmt werden, da dort – wie ausgeführt – gegen keine der Beklagten ein (besonderer) Gerichtsstand begründet ist. Ausschlaggebend für die Gerichtsstandsbestimmung ist, dass der Schwerpunkt der Klage den Vorwurf einer angeblich fehlerhaften Beratung durch die in I ansässige Beklagte zu 1 betrifft. Die Beklagte zu 2 ist mit einer Prozessführung vor dem Landgericht I einverstanden.