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Eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu seinem rechtlichen Vater steht einer Anfechtung durch den leiblichen Vater dann nicht entgegen, wenn dieser im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ebenfalls eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind hat und mit diesem in einer Familie zusammenlebt. In dieser Konstellation ist § 1600 Abs. 2 BGB einschränkend auszulegen.
Der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Iserlohn vom 27.01.2016 wird wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass nicht der Beteiligte Q, sondern der Beteiligte L der Vater des Kindes N, geb. am ##.##.2013, ist.
Hinsichtlich der Kosten für das erstinstanzliche Verfahren bleibt es bei der erstinstanzlichen Entscheidung.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden zu je 1/6 dem Beteiligten Q und dem Kind und zu je 2/6 dem Beteiligten L sowie der Kindesmutter auferlegt.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e
2I.
3Die Beteiligten streiten über die rechtliche Vaterschaft der heute bald 3 ½ jährigen N, geb. am ##.##.2013.
4Leiblicher Vater ist der Antragsteller; rechtlicher Vater der Beteiligte Q. Dieser war mit der Mutter mehrere Jahre zusammen und hat mit ihr gemeinsam die Söhne T, geb. 2007, und U, geb. 2011. Der Beteiligte Q lebte nie mit der Mutter zusammen, kam jedoch während der Beziehung nahezu täglich in ihren Haushalt um sich um sie und die Kinder zu kümmern. Im Herbst 2011 kam es zur Trennung, nachdem die Mutter eine Beziehung zu dem Antragsteller aufgenommen hatte. Ende 2012, noch während der Schwangerschaft mit N, trennten sich die Mutter und der Antragsteller zum ersten Mal. Der Beteiligte Q unterstützte daraufhin die Mutter und kümmerte sich fortan um alle drei Kinder. Mit Zustimmung der Mutter erkannte er die Vaterschaft für N an.
5Anfang 2014 nahm die Mutter ihre Beziehung zu dem Antragsteller wieder auf, der sich von nun an regelmäßig in der Wohnung der Mutter aufhielt und sich ebenfalls um die drei Kinder kümmerte. Der Beteiligte Q strengte daraufhin ein Umgangsverfahren an, welches mit der Vereinbarung endete, dass er berechtigt ist, alle drei Kinder jedes zweite Wochenende zu sich zu nehmen, wobei N aufgrund ihres jungen Alters zunächst nicht aushäusig übernachten sollte. Dieses Umgangsrecht nimmt der Beteiligte Q bis heute weitgehend wahr.
6Ende 2014 kam es erneut zu einer kurzzeitigen Trennung der Mutter vom Antragsteller, der wegen Depressionen stationär behandelt wurde. Anfang 2015 nahmen sie ihre Beziehung wieder auf. Ende 2015 kam es wieder zu einer Trennung der Mutter vom Antragsteller. Auch diese war nach kurzer Zeit beendet.
7Faktisch lebt der Antragsteller seit inzwischen fast 2 ½ mit kurzen Unterbrechungen im Haushalt der Kindesmutter. Er kümmert sich um alle drei Kinder, bringt N unter anderem in den Kindergarten und täglich zu Bett.
8Im August 2014 hat der Antragsteller das Vaterschaftsanfechtungsverfahren anhängig gemacht. Er ist der Ansicht, dass der Beteiligte Q nicht mehr als sozialer Vater von N anzusehen ist.
9Der Antragsteller hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen,
101. dass der Beteiligte Q nicht der Vater des am ##.##.2013 geborenen Kindes N ist, und
2. dass er der Vater des am ##.##.2013 in O geborenen Kindes N ist.
Das Amtsgericht hat das Jugendamt Iserlohn zum Ergänzungspfleger und Frau K zum Verfahrensbeistand bestellt. Außerdem hat es ein molekulargenetisches Abstammungsgutachten eingeholt.
15Das Jugendamt hat sich in seiner Rolle als Ergänzungspfleger für eine Anfechtung ausgesprochen. Der Beteiligte Q sieht sich weiterhin als der soziale Vater von N und möchte deshalb auch ihr rechtlicher Vater bleiben. Die Mutter hat sich in Übereinstimmung mit dem Verfahrensbeistand ebenfalls dafür ausgesprochen, dass der Beteiligte Q der rechtliche Vater von N bleiben solle.
16In der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht den Anfechtungsantrag zurückgewiesen, da eine sozial-familiäre Bindung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater bestehe. Der Beteiligte Q habe sich seit der Geburt durchgehend um das Kind gekümmert und sich als verlässliche Bezugsperson erwiesen. Dies treffe auf den Antragsteller nicht zu, der sich während der ersten 14 Monate ganz von N ferngehalten und sich auch in letzten Jahren bei Konflikten mit der Mutter von dem Kind zurückgezogen habe.
17Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.
18Der Senat hat die erwachsenen Beteiligten im Termin angehört.
19II.
20Die Beschwerde ist gem. §§ 58, 63 ff. FamFG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
211. Der Antragsteller ist ausweislich des molekulargenetischen Abstammungsgutachtens vom 19.05.2015 der leibliche Vater von N und hat seinen Antrag auch innerhalb der Anfechtungsfrist gem. § 1600 b Abs. 1 BGB gestellt. Es geht damit hier allein um die Frage, ob zwischen dem Kind und dem Beteiligten Q eine sozial-familiäre Vaterschaft im Sinne von § 1600 Abs. 2 BGB besteht, welche die Anfechtung der Vaterschaft ausschließt.
222. Dabei hat der Senat zunächst keinen Zweifel, dass zwischen N und ihrem rechtlichen Vater bis heute eine sozial-familiäre Beziehung im Sinne des § 1600 Abs. 2 und 4 BGB besteht. Danach ist eine sozial-familiäre Beziehung anzunehmen, wenn der rechtliche Vater für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat (Abs. 4 Satz 1). Hiervon ist in der Regel auszugehen, wenn der rechtliche Vater mit der Mutter des Kindes verheiratet ist oder mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat (Abs. 4 Satz 2). Diese Regelvermutung greift hier zwar nicht, da der Beteiligte Q weder mit der Mutter verheiratet ist noch mit ihr und/oder dem Kind zu irgendeinem Zeitpunkt zusammen gelebt hat. Auch außerhalb der Vermutungstatbestände nach § 1600 Abs. 4 S. 2 BGB kann aber eine ausreichende Verantwortungsübernahme bestehen, da der Gesetzgeber bewusst „nur“ eine Regelvermutung formuliert und keine weitere Konkretisierung vorgenommen hat um einzelfallgerechte Lösungen zu ermöglichen (BT-Drs. 15/2253 S. 1). Jedenfalls im ersten Jahr nach der Geburt von N hat neben der Mutter ausschließlich der Beteiligte Q typische Elternpflichten wahrgenommen. Er ist täglich morgens in die Wohnung der Kindesmutter gekommen und hat diese bei der Versorgung aller drei Kinder, einschließlich N, unterstützt. Er ist damit zunächst zu dem sozial-familiären Vater des Kindes geworden. Der Umstand, dass die Mutter Anfang 2014 wieder mit dem Antragsteller zusammengekommen ist, hat die sozial-familiäre Vaterschaft des Beteiligten Q nicht per se aufgehoben. Maßgeblich ist insoweit, dass der Beteiligte Q die Wiederaufnahme der Beziehung der Mutter zum Antragsteller nicht zum Anlass genommen hat, sich aus seiner Vaterrolle für N zurückzuziehen. Er hat im Gegenteil sogar ein gerichtliches Verfahren angestrengt, um Umgang mit „seiner“ Tochter durchzusetzen. Soweit er sich Anfang 2016 nach dem erstinstanzlichen Termin kurzzeitig für einige Wochen zurückgezogen hat, geschah dies nach seiner glaubhaften Einlassung nur, weil er glaubte, es sei für das Kind besser, wenn nicht länger an ihm gezogen würde. Zwischenzeitig nimmt er wieder regelmäßigen Umgang an jedem zweiten Wochenende wahr und kommt nach seiner Arbeit gelegentlich auch in der Woche in die Wohnung der Kindesmutter um sich mit den Kindern zu beschäftigen.
23Das Bejahen einer sozial-familiären Beziehung zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater führt aber nicht zwingend dazu, dem leiblichen Vater die Anfechtungsmöglichkeit zu versagen.
243. Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass neben dem rechtlichen Vater auch der leibliche Vater eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind hat. Der Antragsteller lebt seit inzwischen 2 ½ Jahren im Haushalt der Kindesmutter und ist infolgedessen im Alltag immer mit seinem Kind zusammen. Zwar hat die Mutter geschildert, dass der Antragsteller aufgrund seiner Depression für viele Dinge nicht zur Verfügung steht, unbestritten aber nimmt der Antragsteller am Leben seiner Tochter teil und übernimmt hierbei auch Teile der Pflege und Betreuung, etwa indem er N in den Kindergarten oder abends ins Bett bringt.
25Auch nach Einschätzung des Verfahrensbeistands ist es so, dass beide Väter eine vertrauensvolle Beziehung zu N haben.
264. Nach dem Wortlaut des § 1600 Abs. 2 BGB kommt es auf die sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu seinem leiblichen Vater nicht an. § 1600 Abs. 2 BGB stellt allein darauf ab, ob zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Da dies vorliegend zu bejahen ist, wäre die Anfechtung durch den leiblichen Vater ausgeschlossen. Die historische und teleologische Auslegung der Norm gebietet es jedoch, § 1600 Abs. 2 BGB einschränkend dahin auszulegen, dass eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zu seinem rechtlichen Vater einer Anfechtung durch den leiblichen Vater dann nicht entgegensteht, wenn dieser seinerseits eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind hat und mit ihm in einer Familie zusammenlebt.
27Art. 6 Abs. 2 GG schützt das Interesse des leiblichen Vaters eines Kindes, auch die rechtliche Stellung als Vater einzunehmen. Dieser Schutz vermittelt gleichzeitig kein Recht, in jedem Fall vorrangig vor dem rechtlichen Vater die Vaterschaftsstellung eingeräumt zu erhalten. Es besteht insoweit kein automatisches Rangverhältnis zwischen der biologischen und der rechtlichen Elternschaft. Der Gesetzgeber (BT Drs. 15/ 2253) hat bei der Frage, ob dem rechtlichen oder dem leiblichen Vater der Vorrang einzuräumen ist, darauf abgestellt, ob der rechtliche Vater auch sozialer Vater ist; er hatte dabei ersichtlich nicht eine Konstellation der doppelten sozialen Vaterschaft vor Augen. Das Bundesverfassungsgericht hat schon in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 2003 festgestellt, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, den biologischen Vater zum Schutz der rechtlich-sozialen Familie von der Vaterschaftsanfechtung auszuschließen (BVerfG, FamRZ 2003, 816). Es hat es auch mit Art. 6 Abs. 2 GG vereinbar erklärt, den mutmaßlichen biologischen Vater von der Vaterschaftsanfechtung selbst in den Fällen auszuschließen, in denen der biologische Vater vorträgt, vor und in den Monaten nach der Geburt eine sozial-familiäre Beziehung zum Kind aufgebaut zu haben, wenn dies zum Schutz der rechtlich-sozialen Familie notwendig ist (FamRZ 2014,191). Zuletzt hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass diese Grundsätze auch gelten, wenn der leibliche Vater von der Geburt des Kindes mehrere Jahre mit diesem zusammengelebt und auch weiterhin Unterhaltskontakte gehalten hat, es jedoch versäumte, durch Anerkennung der Vaterschaft (§§ 1592 Nr. 2, 1594 BGB) die rechtliche Vaterschaft zu erlangen, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre (BVerfG, FamRZ 2015, 817). Ausschlaggebend war in allen Fällen, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung allein der rechtliche Vater auch eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind hatte und mit ihm in einer Familie zusammenlebte.
28Die hier gegebene Konstellation ist jedoch eine andere: Der leibliche Vater hatte nicht in der Vergangenheit, sondern hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine sozial-familiäre Beziehung zu seinem Kind. Er lebt mit ihm und der Kindesmutter zusammen, während der rechtliche Vater seine sozial-familiäre Beziehung über die Umgangskontakte pflegt.
29Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG enthält das Gebot, möglichst eine Übereinstimmung von leiblicher und rechtlicher Elternschaft zu erreichen (BVerfG, FamRZ 2003, 816). Das Negativmerkmal der sozial-familiären Beziehung zum rechtlichen Vater dient im Interesse des Kindes dem Schutz der bestehenden sozialen Familie (BVerfG, NJW 2014, 1364). Lebt aber wie hier der leibliche Vater mit dem Kind und seiner Mutter als Familie zusammen und hat er selbst auch innerhalb dieser Familie eine sozial-familiäre Beziehung zu seinem Kind, fällt diese Familie unter den Schutz des 6 Abs. 1 GG. Durch die Anfechtung verliert das Kind nicht seinen sozialen Vater, sondern es erhält anstelle des einen sozialen Vaters den anderen sozialen Vater auch zum rechtlichen Vater, so dass letztlich leibliche, rechtliche und soziale Vaterschaft in einer Person vereint sind. Der vom Gesetzgeber bezweckte Schutz der bestehenden sozialen Familie kann in dieser Konstellation nur erreicht werden, wenn der leibliche Vater auch die Rolle des rechtlichen Vaters einnehmen kann. Es reicht dabei nicht, den Vater auf sein Umgangsrecht nach § 1586 a Abs. 2 BGB zu verweisen. Denn nur dem rechtlichen Vater wird über § 1671 BGB der Weg eröffnet über die gemeinsame elterliche Sorge auch rechtliche Verantwortung für sein Kind zu tragen.
305. Soweit der Beteiligte Q Sorge hat, bei Verlust seiner rechtlichen Vaterschaft den Kontakt zu „seiner“ Tochter zu verlieren, weist der Senat daraufhin, dass derzeit noch eine Umgangsvereinbarung besteht und es der bisher allein sorgeberechtigten Kindesmutter natürlich weiterhin unbenommen ist, den Umgang wie bisher zuzulassen. Sofern künftig erneut Streit über den Umgang aufkommen sollte, stünde dem bisherigen rechtlichen Vater aufgrund seiner sozial-familiären Beziehung zu N zudem der Rechtsweg nach § 1685 Abs. 2 BGB offen.
316. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81, 183 FamFG; der Wertfestsetzung liegt § 47 Abs. 1 FamGKG zu Grunde.
32Rechtsbehelfsbelehrung
33Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde statthaft. Beschwerdeberechtigt ist derjenige, dessen Rechte durch den Beschluss beeinträchtigt sind. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Herrenstr. 45a, 76133 Karlsruhe einzulegen. Diese muss durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt unterschrieben sein. Dem Anwaltszwang unterliegen nicht Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sowie Beteiligte, die durch das Jugendamt als Beistand vertreten sind. Wegen der weiteren Details wird auf § 10 Abs. 4 Satz 2 FamFG (für Familienstreitsachen i.S.v. § 112 FamFG auf § 114 Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 2 FamFG) Bezug genommen.
34Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde beträgt ebenfalls einen Monat und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses.
35Die weiteren Einzelheiten zu den zwingenden Förmlichkeiten und Fristen von Rechtsbeschwerdeschrift und Begründung ergeben sich aus §§ 71 und 72 FamFG.