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Auf die Beschwerde der Kindesmutter vom 24.10.2016 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Hamm vom 28.9.2016 abgeändert.
Der Antrag des Kindesvaters vom 11.8.2016 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen werden gegeneinander aufgehoben.
Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf € 5.000,00 bestimmt.
G r ü n d e
3I .
4Die Kindeseltern streiten um die Rückgabe ihrer gemeinsamen Töchter, der am ##.##.2010 geborenen X und der am ##.##.2012 geborenen Y, gemäß dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (Convention sur les aspects civils de l'enlèvement international d'enfants; „Haager Übereinkommen“, „HKÜ“) vom 25.10.1980. Die Kindeseltern waren und sind nicht miteinander verheiratet.
51. Der Kindesvater ist französischer Staatsbürger und wohnt in B im Département Haute-Garonne in Frankreich. Die Kindesmutter ist deutsche Staatsbürgerin und wohnt derzeit mit X und Y in F in Nordrhein-Westfalen. Die Kindeseltern lernten einander im Jahr 2006 in Hamburg kennen, von wo die Kindesmutter dem Kindesvater nach B folgte. Dort lebten beide für etwa sieben Jahre in einer gemeinsamen Wohnung, dann seit Februar 2014 in getrennten Wohnungen, und im dortigen Hauptort H wurden auch X und Y geboren. In B waren beide Kindeseltern zuletzt berufstätig, während X die Vorschule (école maternelle) besuchte und Y von einer Tagesmutter betreut wurde. Für das Jahr 2015/16 war auch Y bereits in der Vorschule angemeldet.
6Nach der Trennung der Kindeseltern bestimmte das Tribunal de Grande Instance de Toulouse durch Entscheidung vom 18.7.2014 (R.G. no. 14/22642), dass die Kindeseltern die elterliche Sorge für X und Y gemeinsam ausüben sollten und dass sich X und Y wöchentlich wechselnd im mütterlichen und im väterlichen Haushalt aufhalten sollten. Die Aufenthaltsregelung sollte zunächst für sechs Monate gelten, wurde aber durch weitere Entscheidung vom 26.2.2015 bestätigt, ebenso wie die gemeinsame elterliche Sorge und ihre gemeinsame Ausübung. Ausdrücklich wurde in der Entscheidung vom 26.2.2015 auch festgehalten, dass X und Y aus Frankreich nur ausreisen durften, wenn beide Kindeseltern zustimmten. Eine in beiden Entscheidungen vom 18.7.2014 und vom 26.2.2015 jeweils angeordnete elterliche Mediation scheiterte, wofür die Kindeseltern sich gegenseitig verantwortlich machen.
72. Am Donnerstag, den 9.4.2015, übergab der Kindesvater X und Y der Kindesmutter zum wöchentlichen Aufenthalt in deren Haushalt. Als er die Kinder am Donnerstag, den 16.4.2015, wieder in seinen Haushalt übernehmen wollte, stellte er fest, dass die Kindesmutter ihre Wohnung und Arbeitsstelle aufgegeben und sich ohne sein Wissen mit beiden Kindern an einen unbekannten Ort begeben hatte.
8Der Kindesvater rief am 22.4.2015 das französische Justizministerium als zentrale Behörde im Sinne des Art. 6 HKÜ an, das seinerseits das deutsche Bundesamt für Justiz und das österreichische Bundesministerium für Justiz einschaltete. Die Ermittlungen der deutschen und österreichischen zentralen Behörden blieben jedoch ebenso erfolglos wie eine Melderegisteranfrage des Kindesvaters in Deutschland. Am 11.6.2015 erstattete der Kindesvater in Frankreich Strafanzeige gegen die Kindesmutter, was wiederum Rechtshilfeersuchen an Deutschland und Österreich nach sich zog. Weder die französischen Behörden noch die Staatsanwaltschaft Lüneburg oder die Landespolizeidirektion K konnten Kindesmutter und Kinder jedoch ausfindig machen.
9Am 19.8.2015 erließ das Tribunal de Grande Instance de Toulouse deshalb Haftbefehl gegen die Kindesmutter wegen Kindesentziehung im Sinne der französischen Strafgesetze. Frankreich betreibt die Auslieferung der Kindesmutter, weshalb die Kindesmutter Ende September 2016 vom Amtsgericht Minden angehört wurde (III-2 Ausl. 196/16 Oberlandesgericht Hamm – 4 Ausl A 211/16 Generalstaatsanwaltschaft Hamm; 13 Gs 191/16 Amtsgericht Minden).
103. Die Kindesmutter war zwischen dem 9.4.2015 und dem 16.4.2015 mit X und Y von Frankreich nach Deutschland gereist, wo sie einen falschen litauischen Personalausweis auf den Namen „C1“ nutzte. Während sie im ersten Rechtszug unwidersprochen gelassen hat, dass sie mit X und Y zunächst „bei Bekannten“ in der „Nähe von F“ gewohnt habe, behauptet sie im zweiten Rechtszug, dass sie mit ihren Kindern bei einer Familie L in M in Niedersachsen gewohnt habe. Am 16.7.2016 jedenfalls meldete sich die Kindesmutter - immer noch unter falschem Namen - in F an und bezog ihre jetzige Wohnung. Dort machte sie noch im Sommer 2016 der Kindesvater ausfindig, was u.a. zur Aufklärung ihrer Personalien führte. Seither wohnen im wöchentlichen Wechsel auch der Vater, die Mutter und der Onkel der Kindesmutter in deren Wohnung in F, insbesondere um X und Y auf ihren Wegen zu und von Schule und Kindergarten zu begleiten. Bevor die Kindesmutter in F Wohnung nahm, hatten X und Y in Deutschland keinen Kindergarten und keine Schule besucht.
114. Bereits durch Entscheidung vom 19.11.2015 hatte das Tribunal de Grande Instance de Toulouse den Aufenthalt von X und Y beim Kindesvater festgelegt und der Kindesmutter für den Zeitraum von einem Jahr lediglich begleiteten Umgang von zwei mal drei Stunden monatlich gewährt. Außerdem ordnete das französische Gericht die Rückgabe von X und Y nach Frankreich gemäß Art. 12 HKÜ an. Seine internationale Zuständigkeit für diese Rückgabeentscheidung leitete das Tribunal de Grande Instance de Toulouse aus Artt. 8 und 10 VO (EG) 2201/2003 ab. Zur Begründung seiner Rückgabeentscheidung führte das Gericht wie folgt aus:
12Selon l'article 12 de la convention de La Haye du 25 Octobre 1980, lorsqu'un enfant a été déplacé ou retenu illicitement, aus sens de l'article 3 et qu'un période de moins d'un an s'est écoulée à partir du déplacement ou du non-retour au moment de l'introduction da la demande devant l'autorité judiciaire ou administrative de l'État contractant où se trouve l'enfant, l'autorité saisie ordonne son retour immédiat. Selon l'article 29 de la même convention, celle-ci ne fait pas obstacle à la faculté pour la personne..., qui prétend qu'il y a eu une violation du droit de garde ou de visite de s'adresser directement aux autorités judiciaires ou administratives des États contractants. L'autorité centrale française a saisi l'autorité centrale allemande en vue d'un retour immédiat de l'enfant, mais cette saisine n'a pu avoir d'effet en raison de l'ignorance du lieu exact où Madame C se cache avec l'enfant. Par conséquent, il convient d'ordonner le retour immédiat des enfants X et Y a leur résidence habituelle chez le père. |
Der Artikel 12 des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 besagt, dass, wenn ein Kind im Sinne des Artikels 3 widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten wurde und bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen ist, die angerufene Behörde die sofortige Rückgabe des Kindes anordnet. Gemäß Artikel 29 dieses Übereinkommens hindert dasselbe Personen..., die eine Verletzung des Sorgerechts oder des Rechts zum persönlichen Umgang geltend machen, nicht daran, sich unmittelbar an die Gerichte oder Verwaltungsbehörden eines Vertragsstaats zu wenden. Die französische Zentralbehörde hat die deutsche Zentralbehörde zur sofortigen Kindesrückgabe angerufen, doch diese Anrufung war erfolglos, da nicht bekannt ist, wo genau sich Frau C mit dem Kind versteckt. Es ist daher die sofortige Rückkehr der Kinder X und Y zu ihrem gewöhnlichen Aufenthalt bei ihrem Vater anzuordnen. |
Der weitergehende Antrag des Kindesvaters, der Kindesmutter die elterliche Sorge zu entziehen, wurde an das zuständige französische Gericht verwiesen, und seine weitergehenden Anträge, ihm die elterliche Sorge und deren Ausübung allein zu übertragen, wurden zurückgewiesen.
14Die Klageschrift des Kindesvaters und die Ladung vor das Tribunal de Grande Instance de Toulouse hatten der Kindesmutter unter ihrer vormaligen Anschrift in B nicht zugestellt werden können. Von der Entscheidung vom 19.11.2015 und dem zugrundliegenden Verfahren erhielt die Kindesmutter daher erst nach Ablauf der Rechtsmittelfristen Kenntnis.
155. Nachdem die Kindesmutter mit X und Y bereits in B deutsch gesprochen hatte, sprechen beide Kinder heute fließend deutsch, X aber kaum noch und Y gar nicht mehr französisch. In F wurde X am 25.8.2016 altersgerecht eingeschult, und Y besucht seit dem 12.9.2016 eine Kindertagesstätte. Beide Kinder kehren jeweils mittags in den mütterlichen Haushalt zurück. Die Kindesmutter ist derzeit nicht berufstätig.
16Ein erster Umgang des Kindesvaters mit X und Y fand Ende September 2016 in Begleitung des Jugendamts F statt. Er war auf zwei Stunden angesetzt gewesen, wurde aber nach eineinhalb Stunden abgebrochen, weil X und Y sich dem Umgang verweigerten.
17Am 11.8.2016 hat der Kindesvater beim Amtsgericht ‑Familiengericht‑ Hamm Anträge auf Rückgabe der Kinder sowie auf einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rückgabe nach Maßgabe des Haager Übereinkommens anhängig gemacht. Das Amtsgericht hat durch einstweilige Anordnung vom 26.8.2016 insbesondere eine Ausreisesperre der betroffenen Kinder sowie die Hinterlegung der Ausweispapiere von Kindern und Kindesmutter bestimmt (32 F 242/16).
18Der Kindesvater hat sinngemäß beantragt,
19die Kindesmutter sowie jede Person, bei der sich die Kinder aufhalten, zu verpflichten, die Kinder innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Erlass des Rückführungsbeschlusses an den Antragsteller oder eine von diesem beauftragte Person zum Zwecke der Rückführung nach Frankreich herauszugeben.
20Die Kindesmutter hat sinngemäß beantragt,
21den Antrag zurückzuweisen.
22Sie ist der Ansicht gewesen, der Rückführungsantrag sei wegen Versäumung der in Art. 12 Abs. 1 HKÜ bestimmten Jahresfrist zurückzuweisen, und hat hierzu behauptet, dass X und Y sich im Sinne des Art. 12 Abs. 2 HKÜ in Deutschland eingelebt hätten.
23Die Kindesmutter hat weiter behauptet, der Kindesvater sei gewalttätig gegen sie und die beiden Kinder gewesen. Das Verhältnis zum Kindesvater sei schon lange vor und ebenso auch nach der Trennung der Kindeseltern sehr schwierig gewesen. X und Y hätten den Aufenthalt beim Kindesvater so sehr abgelehnt, dass X bei den Übergaben immer wieder in Tränen ausgebrochen sei, was der Kindesvater aber ohne jede Rücksicht auf das Kind übergangen habe. Zuletzt hätten die Kinder sich vor den Übergaben an den Kindesvater sogar in der Wohnung der Kindesmutter zu verstecken versucht. Nach den Aufenthalten beim Kindesvater hätten X und Y häufig blaue Flecken gehabt, und nach einiger Zeit des Wechselmodells hätten beide Kinder auch Verhaltensauffälligkeiten gezeigt. X habe besonders vor den Übergabetagen einzunässen begonnen, und Y habe andere Kinder gebissen. Die Kindesmutter hat behauptet, sie habe die Kinder deswegen schon im Dezember 2014 in Frankreich einer Psychologin vorgestellt, nach deren Feststellungen X und Y sich sehr abgeneigt gegenüber dem Kindesvater gezeigt hätten, was den Verdacht von körperlicher Gewalt des Kindesvaters gegenüber den Kindern bestätigen könne. Eine weitere Behandlung der Kinder habe die Psychologin damals aber noch nicht für notwendig gehalten.
24Der Kindesvater hat erwidert, die Kindesmutter habe angebliche Gewalttätigkeiten von seiner Seite vor keiner Behörde und keinem Gericht in Frankreich je geltend gemacht. Die Kindesmutter führt hierzu aus, sie habe den französischen Behörden und Gerichten auch sprachlich hilflos gegenübergestanden.
25Nach mündlicher Verhandlung mit den Beteiligten und Anhörung der betroffenen Kinder hat das Amtsgericht dem Rückgabeantrag des Kindesvaters durch den angefochtenen Beschluss vom 28.9.2016 stattgegeben. Seine Entscheidung hat es auf Art. 12 Abs. 2 HKÜ gestützt.
26Hierzu hat das Amtsgericht im einzelnen ausgeführt, dass das Verbringen von X und Y von Frankreich nach Deutschland widerrechtlich im Sinne des Art. 3 HKÜ gewesen sei, weil X und Y ihren gewöhnlichen Aufenthalt zuvor in Frankreich gehabt hätten und weil das (Mit-) Sorgerecht des Kindesvaters durch das Verbringen der Kinder verletzt worden sei. Ausnahmetatbestände der Artt. 12 und 13 HKÜ, nach denen auf eine Rückgabe verzichtet werden müsse, seien nicht erfüllt.
27Zwar sei die in Art. 12 Abs. 1 HKÜ bestimmte Jahresfrist für die Anbringung des Rückgabeantrags versäumt, weil die Frist mit der Verbringung der Kinder im April 2015 zu laufen begonnen habe, der Rückgabeantrag des Kindesvaters aber erst im August 2016 beim Amtsgericht anhängig gemacht worden sei. Für die Fristwahrung maßgeblich sei nicht etwa schon die Einschaltung der französischen oder deutschen zentralen Behörden, sondern erst die Anbringung des Rückgabeantrags beim Amtsgericht. Dass gemäß Art. 12 Abs. 2 HKÜ von einer Rückgabe abgesehen werden müsse, weil X und Y sich in Deutschland bereits eingelebt hätten, habe die Kindesmutter aber weder ausreichend dargelegt noch gar bewiesen. Die Darlegungs- und Beweislast treffe die Kindesmutter schon grundsätzlich und sei hier besonders streng zu handhaben, weil die Kindesmutter durch ihr Untertauchen wesentlich zur Versäumung der Jahresfrist beigetragen habe. Dass beide Kinder mittlerweile ausschließlich deutsch sprächen, spreche nicht für ein Einleben in Deutschland, weil die Kindesmutter schon in Frankreich deutsch mit ihnen gesprochen habe. Auch aus dem Schul- bzw. Kindergartenbesuch seit dem Spätsommer 2016 ergebe sich nichts anderes, schon weil die Kinder erst jüngst nach F gekommen seien und dort noch keine Wurzeln geschlagen haben könnten.
28Art. 13 HKÜ i.V.m. Art. 11 VO (EG) 2201/2003 sei besonders streng zu handhaben, weil nach dem Haager Übereinkommen davon auszugehen sei, dass eine nachhaltige Erschwerung oder gar Ausschließung des persönlichen Kontakts zu einem Elternteil durch ein Verbringen von Kindern ins Ausland im Zweifel nicht dem Kindeswohl entspreche. Regelmäßig mit der Rückführung verbundene Beschwernisse seien dabei hinzunehmen, damit nicht der Entführer hindernde Fakten schaffen könne.
29Auf einen Ausnahmegrund gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. b HKÜ habe die Kindesmutter sich schon nicht berufen. Von einer Rückführung sei nach dieser Vorschrift auch nur dann abzusehen, wenn sie mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens der Kinder verbunden wäre oder sie aus sonstigen Gründen die Kinder in eine unzumutbare Lage bringen würde. Im vorliegenden Fall sei insbesondere davon auszugehen, dass die französischen Behörden das Notwendige veranlassen würden, falls Kontakte zwischen Kindesvater und Kindern angebahnt werden müssten oder es weiterer vorbereitender Maßnahmen bedürfe. Außerdem sei es der Kindesmutter zuzumuten, mit den Kindern zurück nach Frankreich zu gehen, zumal sie körperliche Übergriffe des Kindesvaters nicht hinreichend konkret dargestellt habe. Überdies hätten die französischen Gerichte in mindestens zwei familiengerichtlichen Verfahren keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, dass den Kindern vom Kindesvater Schaden drohe.
30Auch auf einen Ausnahmegrund gemäß Art. 13 Abs. 2 HKÜ habe sich die Kindesmutter nicht nur nicht berufen, sondern X und Y hätten in ihrer Anhörung durch das Amtsgericht auch nicht den Eindruck gemacht, dass sie bereits die nötige Reife und Einsichtsfähigkeit dafür besitzen, sich aus freien Stücken und autonom gegen eine Rückkehr in ihren ursprünglichen Heimatstaat zu entscheiden.
31Der Beschluss des Amtsgerichts ist der Kindesmutter am 10.10.2016 zugestellt worden. Gegen den Beschluss richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Kindesmutter vom 24.10.2016. Die Kindesmutter wiederholt, vertieft und erweitert ihre Darlegungen aus dem ersten Rechtszug.
32Sie ist der Ansicht, einer Rückführung der betroffenen Kinder stünden sämtliche Ausnahmegründe der Artt. 12, 13, 14 und 20 HKÜ entgegen. Ihre Lage in Frankreich sei verzweifelt gewesen und ausweglos erschienen, und der wöchentliche Wechsel zwischen den Kindeseltern habe X und Y stark geschadet. Während seiner Aufenthaltszeiten habe sich der Kindesvater wenig um die Kinder gekümmert, die sich meist bei dessen Mutter oder bei einem Kindermädchen aufgehalten hätten. Im Sommer 2014 hätten die Kinder erzählt, dass der Kindesvater sie schlage, und sie seien auch regelmäßig mit blauen Flecken von ihm zurückgekehrt. Eine gemeinsame Sorgerechtsausübung jedenfalls im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs habe es daher gar nicht gegeben. Als die französischen Gerichte das Wechselmodell Anfang 2015 dennoch bestätigt hätten, habe die Kindesmutter erkannt, dass sie die Lage der Kinder so nicht verbessern könne. Sie habe daher Frankreich bewusst rechtswidrig mit den Kindern verlassen.
33Ein Ausnahmegrund gemäß Art. 12 Abs. 2 HKÜ bestehe, weil beide Kinder sich eingelebt hätten. X und Y wüchsen in der Familie der Kindesmutter auf, mit der ein regelmäßiger und intensiver Austausch bestehe, ebenso wie auch zu Familie L. Den Wohnort F habe die Kindesmutter gewählt, um die gefestigte Verbindung zu den Großeltern C zu erhalten. Aber auch außerhalb der Familie hätten die Kinder Freunde gefunden, u.a. in ihrem Reitverein.
34Ein Ausnahmegrund gemäß Art. 13 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. a) HKÜ bestehe schon deshalb, weil der Kindesvater sein Sorgerecht tatsächlich nicht ausgeübt habe, da er trotz des gelebten Wechselmodells seine Pflichten stets vernachlässigt habe. Bei einer Rückgabe der Kinder nach Frankreich werde der Kindesvater mit der Sorge für X und Y überfordert sein. Er werde seine Aggressionen an den Kindern auslassen, da er vor allem die Kindesmutter bestrafen wolle.
35Ein Ausnahmegrund gemäß Art. 13 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. b) HKÜ bestehe, weil den Kindern bei einer Rückgabe die Gefahr eines schweren seelischen Schadens drohe, wie sich schon aus den Darlegungen zu Art. 13 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. a) HKÜ ergebe. Die Kindesmutter könne wegen des bestehenden Haftbefehls nicht freiwillig nach Frankreich zurückkehren, und im übrigen würden X und Y nach der jüngsten französischen Sorgerechtsentscheidung auch nicht im Haushalt der Kindesmutter wohnen. Die Kinder würden in eine Ganztagsschule oder gar ein Internat gegeben, und der drohende Verlust der Kindesmutter als ihrer Hauptbezugsperson werde zu einer Traumatisierung führen.
36Ein Ausnahmegrund gemäß Art. 13 Abs. 2 HKÜ ergebe sich schließlich daraus, dass sich die Kinder klar gegen eine Rückgabe nach Frankreich ausgesprochen hätten.
37Die Kindesmutter beantragt sinngemäß,
38den Beschluss des Amtsgerichts ‑Familiengerichts‑ Hamm vom 28.9.2016 abzuändern und den Rückführungsantrag des Kindesvaters zurückzuweisen.
39Der Kindesvater beantragt,
40die Beschwerde zurückzuweisen.
41Er verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist insbesondere der Ansicht, dass der Kindesmutter zugemutet werden könne, trotz bestehenden Haftbefehls nach Frankreich zurückzukehren. Dabei unterstellt der Kindesvater, dass der Haftbefehl mindestens außer Vollzug gesetzt werde, sobald die Kindesmutter freiwillig nach Frankreich zurückkehre. Ebenso würden die französischen Familiengerichte dann eine andere Umgangsregelung finden, sofern dies X's und Y's Wohl entspreche.
42Bei der Generalstaatsanwältin in Hamm hat der Kindesvater um Einsicht in die Akte des Auslieferungsverfahrens gebeten.
43I I .
44Die Beschwerde der Kindesmutter ist zulässig und begründet.
451. a) Internationale Zuständigkeit. Die deutschen Gerichte sind international zuständig, über den Rückgabeantrag des Kindesvaters zu entscheiden, was unbeschadet des § 65 Abs. 4 FamFG auch im Beschwerdeverfahren zu prüfen ist (zur entsprechenden Vorschrift des § 513 Abs. 2 ZPO vgl. Bundesgerichtshof, NJW 2004, 1456 f.).
46aa) Dass eine Entscheidung gemäß Art. 12 HKÜ von den Gerichten desjenigen Staates zu treffen ist, in den das entführtes Kind verbracht worden ist (Verbringungsstaat), steht im Verhältnis zu solchen Staaten nicht in Frage, für die die VO (EG) 2201/2003 (VO) nicht gilt, auch wenn das Haager Übereinkommen ausdrückliche Bestimmungen über die internationale Zuständigkeit nicht enthält.
47Die Zuständigkeit im Verbringungsstaat ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 HKÜ ebenso wie aus der Zusammenschau der Artt. 9 und 12 Abs. 3 HKÜ sowie aus dem Sinn und Zweck des Haager Übereinkommen insgesamt. Nach dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 HKÜ werden mit dem Rückgabeantrag im Sinne des Art. 8 HKÜ die Gerichte oder Verwaltungsbehörden desjenigen Vertragsstaats befasst, in dem sich das Kind befindet. Erkennt die Zentrale Behörde eines Vertragsstaats bei Vorliegen eines Rückgabeantrags, dass sich das betroffene Kind in einem anderen Vertragsstaat befindet, dann hat sie den Rückgabeantrag gemäß Art. 9 HKÜ an die Zentrale Behörde dieses anderen Vertragsstaats weiterzuleiten, statt die eigenen Gerichte oder Verwaltungsbehörden damit zu befassen. Erkennt ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde eines Vertragsstaats während eines Rückgabeverfahrens im Sinne des Art. 12 HKÜ, dass sich das betroffene Kind in einem anderen Vertragsstaat befindet, dann kann gemäß Art. 12 Abs. 3 HKÜ das Rückgabeverfahren ausgesetzt oder der Rückgabeantrag zurückgewiesen, aber die Rückgabe darf nicht mehr beschlossen werden (Schweizerisches Bundesgericht, SZIER 2007, 331; zust. MüKo-BGB / Siehr6, Art. 12 HKÜ, Rz. 10; ebenso Staudinger / Pirrung, BGB2009, Art. 12 HKÜ, Rz. D67). Schließlich besteht der Vorteil einer Rückgabeentscheidung im Verbringungsstaat gerade darin, dass es zu ihrer Umsetzung im Verbringungsstaat keines Exequaturverfahrens bedarf. Würde die Rückgabeentscheidung gemäß Art. 12 HKÜ jedoch in demjenigen Staat getroffen, in dem sich das Kind vor seiner Entführung gewöhnlich aufhielt (Herkunftsstaat), so müsste die Entscheidung im Verbringungsstaat zunächst exequiert werden, stünde also nicht besser als eine Herausgabeentscheidung nach innerstaatlichem Recht.
48bb) Etwas anderes ergibt sich aber auch nicht für diejenigen Staaten, unter denen die VO (EG) 2201/2003 anzuwenden ist. Die VO (EG) 2201/2003 gilt nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Buchst. b) für Angelegenheiten der elterlichen Verantwortung, zu denen gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. b) insbesondere die elterliche Sorge zählt, während Entscheidungen aufgrund des Haager Übereinkommens nach dessen Art. 19 gerade nicht das elterliche Sorgerecht betreffen. Wie der Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 VO (EG) 2201/2003 eindeutig ergibt, beziehen sich die Vorschriften der Artt. 8 bis 10 und 12 ff. VO (EG) 2201/2003 auf „Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen“, und bestimmen daher ausdrücklich nicht die internationale Zuständigkeit in Verfahren nach dem Haager Übereinkommen (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 22.12.2010 – C-497/10 PPU –, FamRZ 2011, 617, Rz. 65 ff., 68.; MüKo-BGB / Siehr6, Art. 11 EuEheVO, Rz. 1; Rieck, NJW 2008, 182, 183 a.E., 184).
49b) Zulässigkeit der Beschwerde. Auf das Verfahren vor den deutschen Gerichten sind die Vorschriften über die freiwillige Gerichtsbarkeit in Familiensachen nach Maßgabe der §§ 14 Ziff. 2; 40 Abs. 2 S. 1 IntFamRVG anzuwenden. Die Statthaftigkeit der Beschwerde folgt aus § 40 Abs. 2 S. 1 IntFamRVG, weil der angefochtene Beschluss eine Entscheidung im ersten Rechtszug trifft. Die in § 40 Abs. 2 S. 2Int FamRVG i.V.m. § 63 Abs. 3 S. 1 FamFG bestimmte Beschwerdefrist von zwei Wochen seit schriftlicher Bekanntgabe des anzufechtenden Beschlusses ist gewahrt.
50c) Entgegenstehende Rechtskraft. Einer Entscheidung des Senats gemäß Art. 12 HKÜ steht schließlich auch die Rückgabeentscheidung des Tribunal de Grande Instance de Toulouse vom 19.11.2015 nicht entgegen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die ebenfalls auf Art. 12 HKÜ gestützte Rückgabeentscheidung vom 19.11.2015 in Deutschland vollstreckt werden könnte, was aber offensichtlich zu verneinen ist.
51aa) Dass Entscheidungen gemäß Art. 12 HKÜ nur in demjenigen Staat vollstreckt werden können, in dem sie erlassen worden sind, steht wiederum im Verhältnis zu solchen Vertragsstaaten nicht in Frage, für die die VO (EG) 2201/2003 nicht gilt (Staudinger / Pirrung, BGB2009, Art. 12 HKÜ, Rz. D85).
52Für Deutschland folgt dies aus der einschlägigen Vorschrift des § 108 FamFG, der zur ungeschriebenen Voraussetzung hat, dass die zu vollstreckende ausländische Entscheidung eine Sachentscheidung ist. Hierzu zählen Entscheidungen, durch die endgültig über einen Streitgegenstand entschieden wird, sowie Entscheidungen, welche die Rechtslage – insbesondere einen familienrechtlichen Status – gestalten. Nicht anerkennungsfähig sind dagegen rein verfahrensrechtliche Entscheidungen einschließlich der Prozessurteile (MüKo-FamFG / Rauscher2, § 108, Rz. 15; Musielak = Borth / Borth = Grandel, FamFG5, § 108, Rz. 2). Da die Rückgabeentscheidung im Sinne des Art. 12 HKÜ gemäß Art. 19 HKÜ eben keine Entscheidung über das Sorgerecht ist, sondern gemäß Art. 1 Buchst. a) und b) HKÜ lediglich die Rückgabe eines entführten Kindes sicherstellen und die Beachtung des bestehenden Sorgerechts gewährleisten soll, steht sie einer verfahrensrechtlichen Entscheidung jedenfalls deutlich näher als einer Sachentscheidung.
53bb) Auch für grenzüberschreitende Kindesentführungen innerhalb der Europäischen Union gilt jedoch nichts anderes, weil die Artt. 28 ff. VO (EG) 2201/2003 auf Rückgabeentscheidungen nach dem Haager Übereinkommen ebenfalls nicht anzuwenden sein dürften. Dies folgt wiederum bereits aus dem eindeutigen Wortlaut des Art. 28 Abs. 1 VO (EG) 2201/2003, der die Vollstreckung von „Entscheidungen über die elterliche Verantwortung für ein Kind“ betrifft, worunter Rückgabeentscheidungen gemäß Art. 12 HKÜ – wie mehrfach ausgeführt – nicht fallen.
54cc) Selbst wenn man aber die Artt. 28 ff. VO (EG) 2201/2003 auch auf Entscheidungen nach dem Haager Übereinkommen für anwendbar halten wollte, so stünden doch im vorliegenden Fall die Bestimmungen der Artt. 31 Abs. 2 i.V.m. 23 Buchst. c) VO (EG) 2201/2003 einer Vollstreckung entgegen. Denn die Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Toulouse vom 19.11.2015 ist ergangen, obwohl der Kindesmutter das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht zugestellt werden konnte, so dass die Kindesmutter sich gegen die anhängig gemachten Anträge nicht verteidigen konnte. Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass die Kindesmutter aus eigenem Verschulden unbekannten Aufenthalts war, weil das Tribunal de Grande Instance de Toulouse nach dem oben a) bb) Gesagten international unzuständig war, eine Entscheidung gemäß Art. 12 HKÜ zu treffen. Hätte das französische Gericht die Entscheidung nämlich gemäß Art. 12 Abs. 3 HKÜ abgelehnt, so wäre es nicht zu einer Verurteilung der Kindesmutter in Abwesenheit und Unkenntnis gekommen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass im Vollstreckungsverfahren gemäß Art. 24 S. 1 VO (EG) 2201/2003 nicht geprüft werden darf, ob das Gericht des Ursprungsstaats zuständig war, und dass es auch nicht gegen die deutsche öffentliche Ordnung (ordre public) verstieße, die Entscheidung eines unzuständigen Gerichts zu vollstrecken (hierzu Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 19.11.2015 – C‑455/15 PPU –, NJW 2016, 307, Rz. 39 ff.), wie u.a. die Vorschrift des § 65 Abs. 4 FamFG zeigt. Abweichend davon käme es im vorliegenden Fall aber lediglich darauf an, ob – falls überhaupt – einem Betroffenen die Berufung auf das Vollstreckungshindernis des Art. 23 Buchst. c) VO (EG) 2201/2003 verwehrt werden kann, auch wenn das Gericht des Ursprungsmitgliedschaft seine internationale Zuständigkeit irrtümlich angenommen hat. Nur vorsorglich weist der Senat dabei darauf hin, dass die vorstehenden Erwägungen nicht notwendig auch insoweit gelten müssen, als der Entscheidung vom 19.11.2015 etwa auch ein Herausgabeanspruch aus französischem Sorgerecht zu entnehmen ist.
552. a) Artikel 12 HKÜ. aa) Die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 HKÜ für eine Rückgabe nach Frankreich liegen nicht vor, weil der Kindesvater die in Art. 12 Abs. 1 HKÜ bestimmte Jahresfrist zwischen der Verbringung eines Kindes und dem Eingang des Rückgabeantrags versäumt hat. Zutreffend hat das Amtsgericht dabei auf das X's und Y's Verbringen nach Deutschland im April 2015 und den Eingang des Rückgabeantrags beim Amtsgericht im August 2016 abgestellt. Die Anrufung der französischen oder der deutschen zentralen Behörde ist für die Fristwahrung unbeachtlich, weil Art. 12 Abs. 1 HKÜ auf den Eingang des Rückgabeantrags bei „dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet“, abstellt. Das Haager Übereinkommen unterscheidet u.a. in Artt. 10 und 11 sprachlich deutlich zwischen der „zentralen Behörde“ und „dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet“ (Oberlandesgericht Bamberg, FamRZ 1995, 305, juris-Rz. 26 ff.; zust. Oberlandesgericht Hamm, NJW-RR 1998, 149; MüKo-BGB / Siehr6, Art. 12 HKÜ, Rz. 2 und 4). Wie die Bestimmung des Art. 12 Abs. 2 HKÜ außerdem zeigt, ist auch unerheblich, ob der entführende Elternteil die Fristwahrung erschwert hat. Denn Art. 12 Abs. 2 HKÜ macht die Rückgabe eines Kindes trotz Versäumung der Frist nicht davon abhängig, ob der entführende Elternteil die Fristwahrung erschwert hat, sondern davon, ob sich das Kind am neuen gewöhnlichen Aufenthaltsort bereits eingelebt hat (Staudinger / Pirrung, BGB2009, Art. 12 HKÜ, Rz. D64).
56bb) Auch gemäß Art. 12 Abs. 2 HKÜ ist eine Rückgabe der Kinder nach Frankreich nicht anzuordnen.
57(1) Dass X und Y widerrechtlich im Sinne des Artt. 12 Abs. 1; 3 S. 1 HKÜ nach Deutschland verbracht wurden, kann der Senat allerdings ohne Schwierigkeiten bejahen. Ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 3 S. 1 Buchst. a) HKÜ hatten beide Kinder jedenfalls bis zum April 2015 in Frankreich, und dem Kindesvater stand spätestens seit der Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Toulouse vom 18.7.2014 ein jeweils gemeinsames Sorgerecht für X und Y zu. Dass der Kindesvater die Kinder im wöchentlichen Wechsel in seinem Haushalt versorgte, reicht entgegen der Ansicht der Kindesmutter für eine Ausübung des Sorgerechts im Sinne des Art. 3 S. 1 Buchst. b) HKÜ aus. An die Ausübung des Sorgerechts sind hier keine hohen Anforderungen zu stellen, weil nur Rückgabeanträge solcher Sorgeberechtigter ausgeschieden werden sollen, die ihre gesetzlichen oder vereinbarten Rechte und Pflichten überhaupt nicht, auch nicht hin und wieder oder in Ansätzen auch im Umfang eines Umgangsrechtes wahrgenommen haben (vgl. zuletzt Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, FamRZ 2013, 1238, juris-Rz. 9, m.w.N.). Auf die Frage, ob Art. 3 HKÜ insoweit durch Art. 2 Ziff. 11 VO (EG) 2201/2003 ergänzt oder verdrängt wird, kommt es daher nicht an. Verletzt wurde der Kindesvater in seinem Sorgerecht durch das Verbringen der Kinder schließlich schon deshalb, weil die Ausreise aus Frankreich ohne seine notwendige Zustimmung geschah.
58(2) Obwohl der Kindesvater die in Art. 12 Abs. 1 HKÜ bestimmte Jahresfrist versäumt hat, scheidet eine Rückgabe gemäß Art. 12 Abs. 2 HKÜ auch nicht deshalb aus, weil X und Y sich in ihrer neuen Umgebung in Deutschland bereits eingelebt hätten.
59(a) Art. 12 Abs. 2 HKÜ kehrt nicht etwa das in Art. 12 Abs. 1 HKÜ begründete Regel-Ausnahme-Verhältnis von Rückgabe und Verbleib um, sondern er gewährt dem entführenden Elternteil – insbesondere neben Art. 13 HKܠ– lediglich eine weitere „Einrede“ gegen eine Rückgabe, nämlich dass sich das entführte Kind in seiner neuen Umgebung bereits eingelebt habe. Die Voraussetzungen dieses Rückgabehindernisses muss schon nach dem Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 HKÜ der entführende Elternteil darlegen und beweisen (Staudinger / Pirrung, BGB2009, Art. 12 HKÜ, Rz. D66, m.w.N.; MüKo-BGB / Siehr6, Art. 12 HKÜ, Rz. 9). Ein Einleben ist anzunehmen, wenn ein Kind in seinem unmittelbaren familiären und ggf. auch weiteren gesellschaftlichen Umfeld in beständigen, seinen Bedürfnissen und seinem Wohl entsprechenden Verhältnissen Fuß gefasst hat und nicht selbst seine Rückkehr verlangt (Staudinger / Pirrung, BGB2009, Art. 12 HKÜ, Rz. D66, m.w.N.; nach MüKo-BGB / Siehr6, Art. 12 HKÜ, Rz. 9 soll eine Rückgabe sogar „unzumutbar“ sein müssen).
60(b) Dass sich X und Y in ihrer jetzigen Umgebung bereits eingelebt hätten, hat der Senat nicht feststellen können, nachdem die Kinder erst seit Juli oder August 2016 in F leben. Kindesmutter und Kinder sind in F gänzlich fremd, und keiner ihrer deutschen Verwandten oder Bekannten lebt weniger als mindestens 110km entfernt, nämlich die Eltern der Kindesmutter in O (rd. 180km), ihr Onkel und ihre Tante in W (rd. 150km) und Familie L in M (rd. 110km), so dass keiner von ihnen zum unmittelbaren Umfeld der Kinder gehören kann. Zwar leben Vater, Onkel und Mutter wochenweise im Haushalt der Kindesmutter, aber die so für X und Y eingerichtete kleine Welt ließe sich ähnlich in Frankreich errichten, was gegen ein Einleben der Kinder in F spricht. Auch die bisher in Schule, Kindergarten und Nachbarschaft geknüpften Bande erschienen dem Senat nicht so stark, dass X und Y beim Verlassen F's erneut entwurzelt würden. Nach dem ersten Bericht des Jugendamts F vom 12.9.2016 spielten X und Y auf dem Spielplatz „lieber unter sich“, und für den Fall einer Rückkehr nach Frankreich gaben sie an, sie würden am stärksten wiederum „Oma, Opa und Onkel“ vermissen. Auch anlässlich ihrer Anhörung durch den Senat gab X nur sehr zurückhaltend eine Freundin namens „Z“ an, und Y konnte von angeblich „zehn Freunden“ mit Mühe einen namentlich machen. Endlich berichteten beide von ihren Reitstunden in F zwar sehr angetan, aber ohne die gerade bei Mädchen häufige Schwärmerei.
61b) Artikel 13 HKÜ. aa) Ein Rückgabehindernis folgt entgegen der Ansicht der Kindesmutter ebensowenig aus Art. 13 Abs. 1 Buchst. a) HKÜ, da der Kindesvater sein elterliches Sorgerecht vor dem Verbringen der Kinder tatsächlich ausgeübt hat und dem Wechsel von Frankreich nach Deutschland weder zugestimmt noch ihn nachträglich genehmigt hat. Die Frage nach der tatsächlichen Ausübung des Sorgerechts stellt sich sowohl im Rahmen der Artt. 12 Abs. 1; 3 S. 1 Buchst. b) HKÜ als auch im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 Buchst. a) HKÜ, weshalb Art. 13 Abs. 1 Buchst. a) HKÜ ohnehin als bloße Beweislastregel ausgelegt wird: Kann weder der verletzte Elternteil im Rahmen des Art. 3 HKÜ beweisen, dass er sein Sorgerecht tatsächlich ausgeübt hat, noch der entführende Elternteil im Rahmen des Art. 13 HKÜ beweisen, dass das Sorgerecht tatsächlich nicht ausgeübt worden ist, dann geht dieses non liquet zu Lasten des entführenden Elternteils (Oberlandesgericht Rostock, FamRZ 2002, 46, juris-Rz. 22; Staudinger / Pirrung, BGB2009, Art. 13 HKÜ, Rz. D69).
62bb) Nach den Feststellungen des Senats besteht aber ein Rückgabehindernis gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) HKÜ, weil die Rückgabe nach Frankreich für X und Y mit der schwerwiegenden Gefahr eines seelischen Schadens verbunden wäre.
63(1) Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) HKÜ ist als Ausnahmevorschrift besonders eng auszulegen (vgl. die Nachweise bei Staudinger / Pirrung, BGB2009, Art. 13 HKÜ, Rz. D71) und überdies gemäß Art. 11 Abs. 4 VO (EG) Nr. 2201/2003 nicht anwendbar, falls der verletzte Elternteil nachweist (zur Beweislast MüKo-FamFG / Gottwald2, Art. 11 EuEheVO, Rz. 7), dass angemessene Vorkehrungen zum Schutz des Kindes nach einer Rückgabe getroffen sind. Gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) HKÜ kann die Rückgabe nur verweigert werden, wenn die Unversehrtheit des zurückzugebenden Kindes in gegenwärtiger, nicht nur zukünftiger oder vorstellbarer Gefahr ist, wobei denknotwendig nicht jede Gefährdung oder gar nur Günstigerstellung des Kindeswohls im Sinne der §§ 1666; 1671 BGB ausreichen kann (vgl. Oberlandesgericht Bamberg, FamRZ 1994, 182, juris-Rz. 20), eben weil die Gerichte des Verbringungsstaats gemäß Art. 19 HKÜ nicht zu Sachentscheidungen berufen sind. Im Gegenteil geht das Haager Übereinkommen davon aus, dass eine Rückgabe des Kindes in den Herkunftsstaat seinem Wohl regelmäßig am besten entspricht, weil dort über sein Wohl zu entscheiden ist (Bundesverfassungsgericht, FamRZ 1999, 85, juris-Rz. 64, 67). Auch ein notwendiger Wechsel der Bezugsperson mit seinen unvermeidlichen seelischen Belastungen für das Kind (Staudinger / Pirrung, BGB2009, Art. 13 HKÜ, Rz. D71, m.w.N.; zurückhaltender Amtsgericht Weilburg, NJW-RR 1995, 8, 9; vgl. auch Oberlandesgericht München, FamRZ 1998, 386, juris-Rz. 3 f.) und ein Wechsel des Kindes in ein anderes Sprach- oder Kulturgebiet (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, FamRZ 2005, 1703, juris-Rz. 16 ff.) oder in eine andere gesellschaftliche Schicht stehen deshalb einer Rückgabe grundsätzlich nicht im Wege. Schließlich darf auch der in Art. 1 Buchst. b) HKÜ niedergelegte Zweck des Übereinkommens nicht übersehen werden, das Sorgerecht des verletzten Elternteils zu schützen, weshalb das vom entführenden Elternteil begangene Unrecht nicht dadurch gebilligt werden darf, dass eine Rückgabe des Kindes verweigert wird. Den Zielen des Haager Übereinkommens gegenüber können sich deshalb nur ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls im Einzelfall durchsetzen, die die mit einer Rückgabe gewöhnlich verbundenen Schwierigkeiten übertreffen (Bundesverfassungsgericht, FamRZ 2016, 1571, juris-Rz. 17).
64(2) Solch ungewöhnlich schwerwiegende Beeinträchtigungen des Kindeswohls hat der Senat im vorliegenden Fall bei X und Y festgestellt.
65(a) Nach dem schriftlichen und zuletzt mündlichen Bericht des zuständigen Jugendamts F droht X und Y bei einer Trennung von der Kindesmutter ‑ nämlich wenn die Kinder ohne die Kindesmutter nach Frankreich zurückgegeben werden ‑ gegenwärtig ein schwerer seelischer Schaden. Danach haben X und Y die weitaus engsten Bindungen zur Kindesmutter aufgebaut, was einerseits auf der natürlichen Nähe von Mutter und Kind beruht, andererseits aber auch auf dem vollständigen Ausschluss des Kindesvaters aus dem gemeinsamen Leben. Unbeschadet dieser Ursachen werde – so das Jugendamt - eine Trennung von der Kindesmutter X und Y deshalb in ihren Bindungserfahrungen sehr erheblich erschüttern (traumatisieren), was noch dadurch verstärkt werde, dass beide Kinder eine Bindung zum Kindesvater derzeit noch nicht (wieder-) aufbauen könnten. Dies habe sich anlässlich des Umgangstreffens Ende September 2016 gezeigt, auf das sich der Kindesvater vorbildlich vorbereitet gezeigt und bei dem er sich rührend um X und Y bemüht habe, worauf die Kinder aber dennoch während eineinhalb Stunden ausschließlich geweint und geschrien hätten. Die von einer Trennung derzeit zu erwartenden Schädigungen ließen sich deshalb auch durch begleitende Maßnahmen in Frankreich nicht abwenden. Bevor die Kinder von der Kindesmutter zum Kindesvater wechseln könnten, müsse daher zunächst ihre Bindung zum Kindesvater (wieder-) aufgebaut werden, was derzeit allerdings vorrangig in die Verantwortung der Kindesmutter falle, die hierzu offenbar nicht willens oder in der Lage sei.
66(b) Die Ausführungen des Jugendamts waren auch für den Laien nachvollziehbar und schlüssig und außerdem auch frei von erkennbar fehlerhaften allgemeinen und fachlichen Denkansätzen und Schlussfolgerungen. Sie decken sich sowohl mit dem Eindruck, der sich dem Senat anlässlich der Anhörung von X und Y vermittelt hat, als auch mit den Erkenntnissen, die der Senat in zahlreichen früheren Verfahren gewonnen hat, in denen er Kinder anzuhören und sich mit deren Wohl zu befassen hatte. Die Sachkunde des Jugendamts als Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Sinne des § 69 Abs. 1 SGB VIII kann der Senat daher nicht nur unterstellen, sondern er findet sie auch allgemein und im besonderen bestätigt, und die Beauftragung gerichtlicher Sachverständiger etwa verbot sich schon im Hinblick auf die besondere Eilbedürftigkeit des vorliegenden Rückgabeverfahrens.
67Anlässlich ihrer Anhörung durch den Senat zeigten sich X und Y durchaus nicht eindeutig im Verhältnis zum Kindesvater. So sei das Umgangstreffen Ende September 2016 als solches „blöd“, der Kindesvater während des Umgangstreffens aber „lieb“ gewesen. Beide Kinder erklärten allerdings, den Kindesvater weder erneut treffen noch auf Lichtbildern ansehen zu wollen, auch nicht nach Frankreich zurückkehren zu wollen und außerdem das Französische ganz und gar verlernt zu haben. Obwohl sie außerdem beteuerten, keinerlei Erinnerung mehr an ihr Leben in Frankreich zu haben, erklärten sie dennoch, dass sie in B keine Freunde gehabt hätten. Bei der Kindesmutter hingegen gehe es ihnen gut, und sie sei immer bei ihnen gewesen und habe sie u.a. für Reitstunden angemeldet. Damit wurde für den Senat der Zwiespalt erkennbar, in dem sich X und Y zwischen beiden Elternteilen befinden, aber auch die überragende Bindung, die derzeit zwischen beiden Kindern und der Kindesmutter besteht.
68Nach den Erkenntnissen des Senats aus zahlreichen früheren Verfahren (so jüngst Beschlüsse vom 14.04.2016 – 11 UF 185/15 – sowie vom 31.5.2016 ‑ 11 UF 136/15 –) sind Bindungserfahrungen vor allem in den ersten drei bis fünf Lebensjahren aber entscheidend für die lebenslange Bindungsfähigkeit und sogar die körperliche Hirnausbildung eines Kindes. Eine gestörte Bindungsfähigkeit benachteiligt nicht nur die Einzelbeziehungen des Kindes etwa zu Freunden, späteren Ehegatten und Schutzbefohlenen sowie seine Eingliederung und Streitbeilegung in Gruppen von mehreren Personen, sondern sie belastet auch sein Selbstbild, sein Selbstverständnis und seine seelische Gesundheit, Belastbarkeit und Anpassungsfähigkeit. Entscheidend sind daher ungestörte Bindungen auch zu nur wenigen Personen, in denen ein Kind im fraglichen Alter Zuwendung, Fürsorge und Schutz verlässlich erfährt.
69Dass X und Y in ihrem derzeit wichtigsten Bindungsverhältnis erschüttert würden, falls sie ohne die Kindesmutter nach Frankreich zurückgegeben würden, liegt auf der Hand, und die Erschütterung fiele nach den schlüssigen Feststellungen des Jugendamts um so schwerer aus, als X und Y derzeit noch nicht wieder Trost in einer Bindung zum Kindesvater erfahren könnten. Der Senat verkennt dabei nicht, dass nach den ebenso schlüssigen Feststellungen des Jugendamts die Kindesmutter ihrer Aufgabe nicht gerecht wird, dem Kindesvater einen wenigstens gleichrangigen Platz in X's und Y's Leben einzuräumen und zu bewahren. Ebenso übersieht der Senat aber auch nicht, dass nach der Entscheidung des Tribunal de Grande Instance de Toulouse vom 19.11.2015 der Kindesmutter lediglich ein Umgang von zwei mal drei Stunden monatlich zugebilligt ist, was einer Trennung der Kinder von der Kindesmutter nahekommt. Beide genannten Umstände, der eine eher „zugunsten“ des Kindesvaters, der andere eher „zugunsten“ der Kindesmutter sprechend, muss der Senat aber unbeachtet lassen, weil sie die elterliche Verantwortung an X und Y betreffen. Über sie zu befinden sind allein die französischen Gerichte berufen, die X's und Y's Wohl zu wahren werden wissen. Etwas anderes könnte nur gelten, falls beide Kinder durch den tatsächlichen Ausschluss des Kindesvaters aus ihrem Leben so sehr beeinträchtigt würden, dass dies ihre Schädigungen durch eine Trennung von der Kindesmutter aufwöge. Dies ist nach den überzeugenden Feststellungen des Jugendamts jedoch nicht der Fall, da sich die Folgen einer Trennung unmittelbar und sicher einstellen würden, während der tatsächliche Ausschluss des Kindesvaters sich eher schleichend auswirken kann. Eine Rückgabe nach Frankreich ohne die Kindesmutter würde X und Y daher unmittelbar schwer seelisch und körperlich schädigen. Dies rechtfertigt eine Verweigerung der Rückgabe gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) HKÜ.
70(c) Die Frage einer Trennung von der Kindesmutter könnte indes dahinstehen, falls von der Kindesmutter aus elterlicher Verantwortung erwartet werden könnte, mit X und Y nach Frankreich zurückzukehren, weil der entführende Elternteil erst recht nicht das von ihm begangene Unrecht durch weitere Weigerlichkeiten befestigen darf.
71Im Ergebnis kann der Kindesmutter eine Rückkehr nach Frankreich derzeit aber nicht zugemutet werden, weil sie dort aufgrund des bestehenden Haftbefehls mit ihrer Verhaftung rechnen muss (vgl. Staudinger / Pirrung, BGB2009, Art. 13 HKÜ, Rz. D71, m.w.N.; MüKo-BGB / Siehr6, Art. 13 HKÜ, Rz. 9, m.w.N.). Dies gilt entgegen der Ansicht des Kindesvaters auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. die Erkenntnisse in Sachen G.N. v. Poland, Entscheidung vom 19.7.2016 – 2171/14 –, sowie in Sachen Paradis and Others v. Germany, Entscheidung vom 15.5.2003 ‑ 4783/03 –). Der Gerichtshof legt Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) HKÜ im Lichte der Europäischen Menschenrechtskonvention dahin aus, dass nicht schon allgemein vorstellbare, sondern nur greifbar bevorstehende Hindernisse eine Rückkehr auch des entführenden Elternteils unzumutbar machen können. Solche greifbar bevorstehenden Hindernisse einer Rückkehr können in der Gefahr einer Verhaftung liegen, wofür der entführende Elternteil die Darlegungs- und Beweislast trägt und wozu das erkennende Gericht ausreichende Feststellungen treffen muss. Bringt der Herkunftsstaat etwa ein internationales Festnahmeersuchen zwecks Auslieferung über Interpol aus und fehlen dennoch Hinweise darauf, dass der entführende Elternteil verhaftet werden soll, so kann es an ausreichenden Feststellungen für ein greifbar bevorstehendes Hindernis fehlen (vgl. die Entscheidung vom 19.7.2016 – 2171/14 –, Rz. 65). Ebenso kann es dem entführenden Elternteil im Rahmen des Art. 13 Abs. 1 Buchst. b) HKÜ zuzumuten sein, im Herkunftsstaat eine dreißigtägige Ordnungshaft zu verbüßen (vgl. die Entscheidung vom 15.5.2003 – 4783/03 –).
72Im vorliegenden Fall haben die französischen Behörden aber nicht ein bloßes Festnahmeersuchen über Interpol (engl. „international wanted notice“; auch „red notice“) ausgebracht, sondern sie betreiben aufgrund eines Haftbefehls (engl. „warrant“) die Auslieferung der Kindesmutter nach Frankreich. Dass das Auslieferungsverfahren voranschreitet, ergibt sich aus der Anhörung der Kindesmutter vor dem Amtsgericht Minden im September 2016, und aus diesem Voranschreiten folgt mit der notwendigen Sicherheit auch, dass der Haftbefehl vollzogen werden soll. Dass der Haftbefehl bei einer Rückkehr der Kindesmutter nach Frankreich sogleich außer Vollzug gesetzt würde, vermag der Senat deshalb anders als der Kindesvater durchaus nicht zu erkennen. Der Haftbefehl stellt sich vielmehr als greifbar bevorstehendes Hindernis einer Rückkehr der Kindesmutter dar. Ob der Kindesmutter dabei mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine kürzere Untersuchungshaft grundsätzlich zuzumuten wäre, kann im Ergebnis dahinstehen, weil selbst eine dreißigtägige Haft etwa bereits eine schädigende Trennung der Kinder von der Kindesmutter verursachen würde. Denn bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung ist hier besonders zu berücksichtigen, dass X und Y erst vier und sechs Jahre alt sind, weshalb sie eine Trennung von der Kindesmutter – zumal in ungewohnter Umgebung und über mehrere Wochen – wesentlich eindringlicher erleben würden als ein älteres Kind oder gar ein Erwachsener.
73(d) Der Senat musste sich nicht bei den französischen Behörden dafür einzusetzen, dass der Haftbefehl aufgehoben oder außer Vollzug gesetzt werde. Angemessene Vorkehrungen zum Schutz der Kinder nach einer Rückgabe, die eine Verweigerung der Rückgabe gemäß Art. 11 Abs. 4 VO (EG) Nr. 2201/2003 verhindern würden, muss vielmehr – wie eingangs ausgeführt – der Kindesvater als verletzter Elternteil nachweisen (MüKo-FamFG / Gottwald2, Art. 11 EuEheVO, Rz. 7). Der Kindesvater hat jedoch in mündlicher Verhandlung ausdrücklich erklären lassen, dass er Bestand und Vollzug des Haftbefehls nicht beeinflussen könne, da die Kindesentziehung in Frankreich – anders als gemäß § 235 Abs. 7 StGB – von Amts wegen verfolgt werde (sog. Offizialdelikt). Eine Einsicht des Kindesvaters in die Akten des Auslieferungsverfahrens war nicht abzuwarten, weil der Senat die Umstände des Auslieferungsverfahrens nur insoweit berücksichtigt hat, als sie auch Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2016 waren.
743. Die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen waren nach billigem Ermessen gegeneinander aufzuheben, § 81 Abs. 1 S. 1 FamFG. Die Festsetzung des Verfahrenswerts folgt aus § 45 Abs. 1 Ziff. 4, Abs. 2 FamGKG.