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Eine Verweisung ohne Bindungswirkung liegt vor, wenn sich ein Gericht des allgemeinen Gerichtstands des Beklagten darüber hinweg setzt, dass eine Verweisung die eigene Unzuständigkeit voraussetzt, indem es auf eine nach den AGB des Klägers (auslegungsbedürftig) vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung abstellt, ohne zu prüfen, ob diese lediglich einen weiteren und keinen ausschließlichen Gerichtsstand begründen soll und/oder wenn es eine nach § 35 ZPO bindende Gerichtsstandswahl des Klägers nicht berücksichtigt.
Zuständig ist das Amtsgericht M.
Gründe
3I.
4Der Kläger, dessen Geschäftssitz in D liegt, begehrt von dem in M ansässigen Beklagten das Entgelt für verschiedene Leistungen, das er in sechs Rechnungen geltend gemacht hat.
5Zunächst hat der Kläger das Mahnverfahren betrieben. Im Mahnantrag hat er das Amtsgericht M als das Gericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abgegeben wird, benannt. Nachdem der Beklagte gegen den gegen ihn ergangenen Mahnbescheid Widerspruch eingelegt hatte, hat das Mahngericht die Sache an das Amtsgericht M abgegeben. Bereits in seiner Anspruchsbegründung hat der Kläger beantragt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht D abzugeben; in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen, die der Beklagte bei seinem ersten Kontakt gelesen und akzeptiert habe, sei für ein streitiges Verfahren das Amtsgericht in D vereinbart worden. Die vom Kläger dem Senat vorgelegten allgemeinen Geschäftsbedingungen lauten auszugsweise „9.2 Gerichtsstand ist, sofern der Käufer Kaufmann ist, Sitz der Firma J“.
6Nach Anhörung der Parteien hat sich das Amtsgericht M für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit mit Beschluss vom 01.10.2015 an das Amtsgericht D verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Amtsgericht M aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt zuständig sei. Insbesondere habe der Kläger eine Gerichtsstandsvereinbarung für das Amtsgericht D behauptet.
7Mit Beschluss vom 15.10.2015 hat das Amtsgericht D sich ebenfalls für unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zur Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Der Beschluss des Amtsgerichts M sei ohne Bindungswirkung, da der Kläger durch die Benennung des als Gericht des allgemeinen Gerichtsstand zuständigen Amtsgerichts M im Mahnantrag sein Wahlrecht gem. § 35 ZPO ausgeübt habe.
8II.
9Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Verschiedene ordentliche Gerichte, die Amtsgerichte M und D, haben sich jeweils für unzuständig erklärt. Das Oberlandesgericht Hamm ist als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zur Entscheidung berufen.
10Zuständig ist das Amtsgericht M.
11Seine Zuständigkeit folgt aus dem allgemeinen Gerichtsstand gemäß §§ 12, 17 ZPO. Diese Zuständigkeit wird auch nicht durch die Gerichtsstandsvereinbarung nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Klägers ausgeschlossen. Die Parteien haben den Sitz der Firma des Klägers nicht als ausschließlichen Gerichtsstand vereinbart. Dem Kläger stand es also frei, das für den Sitz der Beklagten zuständige Amtsgericht M zu wählen.
12Nach herrschender Meinung spricht zunächst weder eine Vermutung für eine Ausschließlichkeit der Zuständigkeit eines prorogierten Gerichtes noch gegen sie (vgl. Zöller/Vollkommer, 31. Aufl., 2016, § 38 ZPO Rn. 14 m.w.N.). Die damit erforderliche Auslegung der vom Kläger gestellten allgemeinen Geschäftsbedingungen führt dazu, dass zumindest für eine Rechtsverfolgung durch den Kläger von der Vereinbarung eines nicht ausschließlichen Gerichtsstands auszugehen ist. Anhaltspunkte dafür, die Klausel im Sinne der Vereinbarung eines umfassend ausschließlichen Gerichtsstands zu verstehen, sind nicht ersichtlich. Nach ganz überwiegender Auffassung in der Rechtsprechung geht in einer solchen Lage die Auslegung nach der Interessenlage der Parteien dahin, dass der Verwender – hier der Kläger – eine Ausschließlichkeit nur für Klagen gegen sich selbst herbeiführen will, während es für Aktiv-Prozesse wie dem vorliegenden bei einem fakultativen Gerichtsstand bleiben soll, damit die Möglichkeit der Gerichtsstandswahl nach § 35 ZPO weiterhin eröffnet ist (vgl. nur BGH, Urt. v. 05.07.1972 – VIII ZR 118/71– zitiert nach juris, dort Tz. 13; Senat, Beschl. v. 10.02.2012 – 32 SA 3/12 – zitiert nach juris, dort Tz. 12).
13Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts D ergibt sich auch nicht aus § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, da der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts M vom 01.10.2015 ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet. Die Bindungswirkung gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO wird zwar nicht schon durch die bloße Unrichtigkeit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage infolge eines einfachen Rechtsirrtums des verweisenden Gerichts in Frage gestellt. Unbeachtlich ist ein solcher Beschluss jedoch dann, wenn er schwere offensichtliche Rechtsmängel aufweist oder gar jeder Rechtsgrundlage entbehrt und deshalb objektiv willkürlich ist (vgl. nur Zöller/Greger, 31. Auflage, 2016, § 281 ZPO Rn. 17; Senat, Beschl. v. 10.02.2012 – 32 SA 3/12 – zitiert nach juris, dort Tz. 14 m.w.N.)
14Ein solcher Ausnahmefall ist insbesondere dann gegeben, wenn - wie im vorliegenden Fall - ein als Gericht des allgemeinen Gerichtsstands unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die eigene Unzuständigkeit voraussetzt und/oder eine nach § 35 ZPO bindende Gerichtsstandswahl des Klägers nicht berücksichtigt .
15Im vorliegenden Rechtsstreit ergibt sich weder aus dem Verweisungsbeschluss noch aus dem weiteren Akteninhalt, dass sich das Amtsgericht M mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob die vom Kläger behauptete Vereinbarung einen ausschließlichen oder weiteren Gerichtsstand zum Gegenstand hatte. Soweit das Amtsgericht M abweichend von der oben dargestellten herrschenden Meinung eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung hätte annehmen wollen, wäre zumindest erforderlich gewesen, dass sich das Gericht nach einem erkennbaren Abwägungs- und Entscheidungsprozess, der auch den Wortlaut der AGB berücksichtigt, bewusst der Mindermeinung angeschlossen hätte. Dies kann weder dem Verweisungsbeschluss noch dem sonstigen Akteninhalt entnommen werden.
16Sollte das Amtsgericht M die Vereinbarung eines nicht ausschließlichen Gerichtsstandes angenommen haben, hätte es sich dagegen nicht mit dem Umstand auseinander gesetzt, dass der Kläger in seinem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids das Amtsgericht M als Prozessgericht benannt und damit sein Wahlrecht zwischen dem vereinbarten Gerichtsstand beim Amtsgericht D und dem allgemeinen Gerichtsstand beim Amtsgerichts M in Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen ausgeübt hätte. Die auf diese Weise gemäß § 35 ZPO einmal getroffene Wahl eines Gerichtsstands wäre unwiderruflich und bindend gewesen (vgl. nur Zöller/Vollkommer, 31. Auflage, 2016, § 35 ZPO Rn. 2). In solchen Fällen vertritt der Senat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass ein Verweisungsbeschluss, der im Widerspruch zu der verbindlichen und unwiderruflichen Ausübung des Wahlrechts gemäß § 35 ZPO steht, wegen willkürlicher Rechtsanwendung nicht bindend ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich das verweisende Gericht - wie im vorliegenden Fall - mit der entscheidenden Frage der Bindung der klagenden Partei an die Zuständigkeitswahl nicht auseinandersetzt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 10.02.2012 – 32 SA 3/12 – zitiert nach juris, dort Tz. 14-17).
17Der Verweisungsbeschluss vom 01.10.2015 ist daher ausnahmsweise nicht bindend. Das Amtsgericht M ist zuständig geblieben.
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