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Ein syrischer Staatsangehöriger darf aus Deutschland nach Italien zur Strafverfolgung wegen des Verdachts des illegalen Einschleusens von Ausländern ausgeliefert werden.
1.) Die Auslieferung des Verfolgten nach Italien zur Strafverfolgung wegen der ihm in dem Europäischen Haftbefehl des Untersuchungsrichteramts beim Gericht Lecce vom 13.07.2015 (Aktenzeichen: 106/2015 RGNR, Nr. 1/15 DDA, Nr. 4608/15 R. GIP, Nr. 59/15 O.C.C.) zur Last gelegten Taten ist zulässig.
2.) Die Einwendungen des Verfolgten gegen den förmlichen Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 20.08.2015 sowie den Vollzug der Auslieferungshaft werden zurückgewiesen.
Gründe:
2I.
3Die italienischen Behörden betreiben gegen den Verfolgten auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Untersuchungsrichteramts beim Gericht Lecce vom 13.07.2015 (Aktenzeichen: 106/2015 RGNR, Nr. 1/15 DDA, Nr. 4608/15 R. GIP, Nr. 59/15 O.C.C.) die Auslieferung zur Strafverfolgung.
4Dem Verfolgten wird zur Last gelegt, sich am 30.12.2014 als Mitglied der Besatzung des Schiffes C gemeinsam mit mehreren Landsleuten, darunter sein Bruder I, am Transport von 796 Nicht-EU-Bürgern, zu deren illegaler Einreise er Hilfe geleistet habe, beteiligt zu haben. In dem unter moldauischer Flagge fahrenden Frachtschiff C, das der Verfolgte mit den übrigen Beschuldigten vom Golf von Mersin (Türkei) bis zur italienischen Küste bei Gallipoli geführt habe, seien die Migranten unter solchen Bedingungen transportiert worden, dass sie einer Gefahr für ihr Leben und ihre Unversehrtheit ausgesetzt gewesen seien. Die Flüchtlinge hätten sich im Laderaum des Frachtschiffes befunden, das nicht auf die Beförderung einer so hohen Anzahl von Einwanderern ausgerichtet gewesen sei. Zudem sei der Transport unter schlechten Witterungsbedingungen und ohne geeignete Sicherheitseinrichtungen erfolgt.
5Der Verfolgte ist am 12.08.2015 in U festgenommen worden und befindet sich aufgrund der Festhalteanordnung des Amtsgerichts Soest vom 13.08.2015 (20 AR 7/15) in Haft in der Justizvollzugsanstalt E. Zugleich hat das Amtsgericht Soest bei der Anhörung am 13.08.2015 dem Verfolgten Rechtsanwalt Dr. D aus U „gem. § 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG“ als Pflichtbeistand beigeordnet.
6Bei seiner Vorführung vor dem Amtsgericht Soest am 13.08.2015 hat der Verfolgte angegeben, er habe - bis auf seinen in derselben Sache in Auslieferungshaft befindlichen Bruder I - keine Verwandten in Deutschland. Er verfüge über eine bis um 26.01.2016 befristete Aufenthaltsgestattung. Er habe eine Freundin in U, die er heiraten wolle. Zuvor wolle er seinen Aufenthaltstitel abwarten. Die Tatvorwürfe aus dem Europäischen Haftbefehl hat er bestritten und angegeben, er sei nicht als Besatzungsmitglied, sondern als Flüchtling auf dem Schiff gewesen und habe für die Überfahrt 6000,-- € gezahlt. Als sich das Schiff durch einen Wassereinbruch in einer prekären Lage befunden habe, habe er lediglich geholfen, Löcher zu stopfen und Wasser aus dem Schiff zu schöpfen. Der Verfolgte hat sich mit der vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt und auf den Grundsatz der Spezialität nicht verzichtet.
7Der Senat hat mit Beschluss vom 20.08.2015 gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft angeordnet und zugleich – unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Soest vom 13.08.2015 – den Antrag des Verfolgten auf Beiordnung eines Pflichtbeistandes zurückgewiesen.
8Mit Zuschrift seines Beistandes Dr. D vom 18.08.2015 – die dem Senat erst nach Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft durch Beschluss vom 20.08.2015 vorgelegt worden ist - hat der Verfolgte gegen den Beschluss des Amtsgerichts Soest vom 13.08.2015 „Rechtsmittel“ eingelegt und beantragt, zumindest den Auslieferungshaftbefehl außer Vollzug zu setzen. Er meint, dass seine Auslieferung dem ordre public widerspreche, da die ihm vorgeworfene Straftat des Einschleusens von Ausländern in Italien mit einer Höchststrafe von 30 Jahren bedroht sei, also deutlich über dem liege, was in Deutschland für Mord ausgeurteilt werde. Im Übrigen sei ein rechtsstaatliches Verfahren gegen sogenannte Schleuser in Italien kaum zu erwarten. Allein die Dauer der in Italien geführten Strafverfahren übersteige die in Deutschland zu tolerierende Dauer für derartige Verfahren. Angesichts des Ansturms von Flüchtlingen nach Italien sei der italienische Staat mit dieser Situation überfordert.
9Mit Beschluss vom 27.08.2015, auf den wegen der Einzelheiten verwiesen wird, hat der Senat die Einwendungen des Verfolgten gegen die Anordnung und den Vollzug der förmlichen Auslieferungshaft zurückgewiesen.
10Im Rahmen der Verkündung des förmlichen Auslieferungshaftbefehls durch den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Dortmund am 07.09.2015 hat der Verfolgte erklärt, er sei syrischer Staatsangehöriger und von Beruf Seemann und Landwirt. Hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse und sozialen Beziehungen in der Bundesrepublik hat er sich auf die Angaben bezogen, die er bereits in der Anhörung vor dem Amtsgericht Soest am 13.08.2015 gemacht hat. Zum Tatvorwurf hat er ergänzend angegeben, er sei vor ca. vier bis fünf Monaten informiert worden, dass er gesucht werde. Wenn er hätte fliehen wollen, hätte er das längst getan. Er wolle nicht nach Italien ausgeliefert werden.
11Mit Zuschrift seines (weiteren) Beistandes Dr. S vom 07.09.2015 hat der Verfolgte beantragt, den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben. Zur Begründung hat er – offensichtlich in Unkenntnis, dass zwischenzeitlich der Europäische Haftbefehl des Untersuchungsrichteramts beim Gericht Lecce vom 13.07.2015 (Aktenzeichen: 106/2015 RGNR, Nr. 1/15 DDA, Nr. 4608/15 R. GIP, Nr. 59/15 O.C.C.) von den italienischen Behörden vorgelegt worden war (vgl. Bl. 75 ff d.A), da dem Beistand erst unter dem 10.09.2015 vollständige Akteneinsicht durch die Generalstaatsanwaltschaft gewährt werden konnte - im Wesentlichen ausgeführt, die SIS-Ausschrei-bung erfülle nicht die Voraussetzungen, die gem. § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG an die Konkretisierung des Tatvorwurfs zu stellen seien.
12Nach Mitteilung der Generalstaatsanwaltschaft vom 15.09.2015 ist laut Auskunft des BAMF vom 28.08.2015 bislang über den Asylantrag des Verfolgten nicht entschieden worden.
13Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 15.09.2015 beantragt wie erkannt.
14II.
15Das fehlende Einverständnis des Verfolgten zur vereinfachten Auslieferung macht eine Entscheidung des Senats über die Zulässigkeit der Auslieferung nach §§ 29 ff. IRG erforderlich. Entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft war die Auslieferung für zulässig zu erklären.
16Die nach § 83 a Abs. 1 IRG erforderlichen Auslieferungsunterlagen liegen in Form des Europäischen Haftbefehls des Untersuchungsrichteramts beim Gericht Lecce vom 13.07.2015 vor.
17Der Europäische Haftbefehl enthält die in § 83 a Abs. 1 Nr. 1 - 6 IRG vorgesehenen Angaben. Soweit der Verfolgte die ungenügende Tatkonkretisierung in der SIS-Ausschreibung rügt, ist dieses Vorbringen nach Eingang des Europäischen Haftbefehls des Untersuchungsrichteramts beim Gericht Lecce vom 13.07.2015 (Aktenzeichen: 106/2015 RGNR, Nr. 1/15 DDA, Nr. 4608/15 R. GIP, Nr. 59/15 O.C.C.) überholt. Die in dem Europäischen Haftbefehl vorgenommene Konkretisierung genügt jedenfalls den Anforderungen des § 83a Abs. 1 Nr. 5 IRG, da die Taten sowohl hinsichtlich des Tatzeitpunktes, des Tatortes, der Tatumstände und der Funktion des Verfolgten auf dem Flüchtlingsboot (Matrose) hinreichend umrissen sind.
18Die Auslieferungsfähigkeit der dem Verfolgten vorgeworfenen Straftaten ergibt sich aus §§ 79 Abs. 1, 81 Nr. 4 in Verbindung mit § 3 Abs. 2 IRG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates der Europäischen Union vom 13.06.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Die Einordnung der Taten durch die italienischen Behörden als Katalogstraftat der Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt ist nicht zu beanstanden. Darüber hinaus wäre der dargestellte Sachverhalt auch nach deutschem Recht zumindest gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG, § 27 StGB bzw. § 96 AufenthG strafbar.
19Auch die Voraussetzungen des § 81 Nr. 1 IRG liegen vor. Der hier nach italienischem Recht in Betracht kommende Tatbestand der Beihilfe zur illegalen Einreise von mehr als fünf Nicht-EU-Bürgern, die mit Bereicherungsvorsatz und unter Aussetzung der Einwanderer einer Gefahr für ihre Unversehrtheit verübt worden ist, wobei eine grenzüberschreitende kriminelle Gruppe an der Straftat beteiligt war, sieht für die dem Ersuchen zugrunde liegende Tat ein Höchstmaß von 30 Jahren Freiheitsstrafe vor.
20Die Absicht der Generalstaatsanwaltschaft, keine Bewilligungshindernisse, insbesondere kein Bewilligungshindernis im Sinne des § 83 b Abs. 2 Nr. 1) IRG geltend machen zu wollen, lässt nach wie vor keine Rechts- und/oder Ermessensfehler erkennen. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit Bezug auf seinen Beschluss vom 20.08.2015.
21Es liegen auch keine Gründe vor, nach denen die Auslieferung nach § 73 IRG unzulässig sein könnte. Der Auslieferung steht insbesondere nicht entgegen, dass der Verfolgte in Deutschland einen – bislang nicht beschiedenen – Asylantrag gestellt hat. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass entsprechende Rechte in Italien nicht gewahrt würden.