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Auf die Berufung der Beklagten wird das am 19.12.2013 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg abgeändert:
Der Beklagte zu 2. wird verurteilt, an die Klägerin 180.762,17 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2013 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 2. verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weitere Aufwendungen bis zu der Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des Geschädigten E Q zu ersetzen, die diese aus Anlass von dessen Arbeitsunfall am 10.03.2010 erbracht und noch zu erbringen hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Klägerin 50% und der Beklagte zu 2. 50%.
Der Beklagte zu 2. trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1. trägt die Klägerin.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Im Übrigen ist für die Klägerin auch das am 19.12.2013 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg insoweit ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar, als es sich gegen den Beklagten zu 2. richtet.
Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung des jeweiligen Gläubigers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 277.535,57 € festgesetzt.
Die Parteien streiten um Ursachen und Folgen eines schweren Arbeitsunfalls, den der Zeuge E Q am 10.03.2010 erlitt. Zu diesem Zeitpunkt war er Mitarbeiter der F G GmbH & Co KG. Das Unternehmen betreibt ein Sägewerk in S. Komplementärin ist die F G Verwaltungsgesellschaft mbH. Am Unfalltag waren die beiden Beklagten deren Geschäftsführer. Der Beklagte zu 1. ist zudem deren einziger Gesellschafter. Der Beklagte zu 2. war im Jahr 2002 in das Unternehmen eingetreten. Ca. zwei Jahre später wurde er Geschäftsführer und blieb als solcher bis zum September 2011 tätig.
2Nach dem seit dem Jahr 2005 geltenden Geschäftsverteilungsplan der F G GmbH & Co KG fielen die Aufgabenbereiche „Märkte + Controlling“ in die Verantwortung des Beklagten zu 1., der Beklagte zu 2. war zuständig für „Produktion + Technik“ (vgl. die Anlage zur Berufungsbegründung; Bl. 172 GA).
3Bei der Klägerin handelt es sich um die für das Sägewerk in S zuständige Berufsgenossenschaft.
4Der Zeuge E Q war seit April 1999 im Betrieb der F G GmbH & Co KG tätig (Arbeitsvertrag und Auflistung der Arbeitsplätze/-zeiten: Bl. 49-51 GA). Am 10.03.2010 war er mit Tätigkeiten an einer Vielblattsäge befasst, an der er seit 01.02.2010 eingesetzt wurde. Die F G GmbH & Co KG hatte diese Maschine im Jahr 2005 gebraucht erworben (Rechnung vom 31.03.2005; Bl. 273 GA). Es handelt sich um eine Vielblattsäge des Fabrikates Interholz Raimann (Baujahr 1989). An ihr werden Stapelleisten hergestellt. Dabei werden den auf einer Welle parallel aufgespannten Sägeblättern Holzbretter aus einem Magazin zugeführt. Nachdem diese durch die parallel angeordneten Sägeblätter aufgetrennt worden sind, werden die nunmehr entstandenen einzelnen Leisten von dem Maschinenbediener abgenommen, kontrolliert und aufgestapelt. Die Säge ist bei dem Arbeitsvorgang mit einem ca. 50 kg schweren Metalldeckel als Sicherheitshaube abgedeckt. Um in das Innere der Maschine zu gelangen, wo sich die Sägeblätter befinden, muss also die Haube geöffnet, ab einer Höhe von 47 cm bis zu einer Höhe von 186 cm angehoben und sodann an einem an der Decke hängenden Haken arretiert werden (Fotos Bl. 43-48 GA).
5Am Unfalltag hatte der Zeuge E Q die Aufgabe, Leisten von 15 mm Breite aus Brettern von ca. 12 cm Breite und ca. 100 cm Länge in einem Arbeitsgang zu schneiden. Die Leisten dienen als Zwischenlagen (Stapelleisten) für die im Sägewerk gefertigten Bretter. Die Einstellarbeiten nahm E Q gemeinsam mit B L , dem Leiter der Produktion, bis ca. 10.00 Uhr vor. Sie wechselten zunächst die Sägeblätter an der Maschine. Sodann wurde die Sicherheitshaube wieder geschlossen, und einige Bretter wurden im Rahmen eines Probelaufs geschnitten.
6Der Hergang des folgenden Unfalls, der sich gegen 11.30 Uhr ereignete, bleibt ungeklärt. Sicher ist aber, dass E Q , der zu dieser Zeit die Maschine allein bediente, die gesamte rechte Hand abgetrennt wurde, als er bei geöffneter Sicherheitshaube in die laufenden Sägeblätter geriet.
7Die Vielblattsäge ist von Seiten des Herstellers mit einer elektromagnetischen Sicherheitsverriegelung ausgestattet. Diese bewirkt, dass entweder die Sägeblätter automatisch zum Stillstand gelangen, sobald die Schutzhaube geöffnet wird, oder dass die Haube bei laufendem Betrieb der Maschine überhaupt nicht erst geöffnet werden kann. Diese elektromagnetische Sicherheitsverriegelung war an der Vielblattsäge der F G GmbH & Co KG zum Zeitpunkt des Unfallereignisses am 10.03.2010 nicht funktionsfähig. Der Endschalter war überbrückt, weshalb die Säge auch bei geöffneter Schutzhaube weiterlaufen konnte. Die Maschine verfügte lediglich über drei manuell zu bedienende Notausschalter (am Bedienerpult, am Einzug und am Auszug). Zudem befindet sich an einer Metallplatte links neben der Vielblattsäge in Augenhöhe des Bedieners ein auf einer DIN A4 Seite geschriebener Warnhinweis mit folgendem Text (Bl. 52/53 GA):
8„Achtung!
9Bedienhinweise
10Niemals in die laufende Maschine greifen
11(von keiner Seite)
12Bei Störung jeglicher Art, Maschine abschalten,
13über Not- Aus bzw. Hauptschalter …“
14Eine elektromagnetische Sicherheitsverriegelung wurde an der Vielblattsäge im weiteren Verlauf nach dem Unfall vom 10.03.2010 eingebaut. Ein nennenswerter Aufwand war damit nicht verbunden.
15Die Aufgaben einer Sicherheitsfachkraft im Sinne des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) werden im Betrieb der F G GmbH & Co KG von der, T GmbH aus P auf der Grundlage eines Vertrages vom 09.03.1999 wahrgenommen. Gemäß dieser Vereinbarung übernahm sie alle Aufgaben nach § 6 ASiG in Verbindung mit der Unfallverhütungsvorschrift VBG 122 für einen monatlichen Festpreis von – ursprünglich – 390,00 DM (Bl. 56-58 GA).
16Der Zeuge E Q wurde unmittelbar nach dem Unfall vom 10.03.2010 im Klinikum X im Rahmen einer umgehend eingeleiteten Operation erstversorgt. Es konnte nur eine Stumpfbildung auf der Höhe des rechten Handgelenks erfolgen. Die weitere Behandlung fand im Krankenhaus Y statt. Da der Unterarmstumpf in der Folgezeit zunächst nekrotisches Gewebe aufwies und zudem auch eine Revisionsoperation im Mai 2010 erforderlich war, konnte eine prothetische Versorgung erst im März 2011 erfolgen.
17Am 01.07.2011/07.07.2011 schlossen die F G GmbH & Co KG und E Q einen Aufhebungsvertrag (Bl. 42 GA). Danach beendeten sie das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 30.06.2011. Unter Ziffer 5. des Aufhebungsvertrages heißt es u.a.:
18„ … Mit Erfüllung der vorstehenden Vereinbarungen sind alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung, gleichgültig ob bekannt oder unbekannt und aus welchem Rechtsgrund, abgegolten. …“
19Von März 2011 bis Juni 2013 absolvierte E Q eine Umschulung zum Bürokaufmann. Vom 22.04.2010 bis zum 27.03.2011 wurde ihm von der Klägerin Verletztengeld gezahlt. Ab dem 28.03.2011 erhielt er ein Übergangsgeld in Höhe von 1.257,90 € monatlich. Ferner zahlt die Klägerin dem heute 37-jährigen Zeugen E Q eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60% in Höhe von 1.069,62 € monatlich. Im Übrigen erbrachte sie in den genannten Zeiträumen jeweils Leistungen zur gesetzlichen Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung. Mittlerweile – seit 15.09.2014 – hat der Zeuge E Q eine Anstellung als Bürokaufmann bei einem Autohaus gefunden. Er ist verheiratet und hat ein Kind.
20Die Staatsanwaltschaft Arnsberg führte ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung gegen die beiden Beklagten durch (Az. 382 Js 575/10 Staatsanwaltschaft Arnsberg; Beiakte). In dessen Verlauf erstellte die Bezirksregierung Arnsberg am 29.06.2010 ein Gutachten zum Arbeitsschutz im Betrieb der F G GmbH& Co KG. Dieses kam auszugsweise zu folgenden Resultaten (Bl. 14-24 der Beiakte; Fotodokumentation Bl. 25-27):
21„ … Die vorhandene Schutzeinrichtung (Schutzhaube) war durch den überbrückten Endschalter wirkungslos gemacht, so dass die Säge auch bei geöffneter Schutzhaube weiter lief. Dem Arbeitgeber war bekannt, dass der Endschalter außer Betrieb gesetzt war. … Über die Prüfung der Vielblattsäge konnten keine Nachweise vorgelegt werden. Für die Nichtdurchführung einer Prüfung spricht, dass die Überbrückung der Schutzeinrichtung offenkundig bereits längere Zeit bestanden hat. Bei einer Prüfung hätte die Überbrückung der Schutzeinrichtung festgestellt werden müssen. … Eine schriftliche Pflichtenübertragung auf den Leiter der Produktion oder weitere Personen konnte nicht vorgelegt werden. Ich gehe davon aus, dass Pflichten nicht oder nicht rechtskonform übertragen wurden, obwohl bei der Betriebsgröße dies angemessen wäre. Für den Leiter der Produktion oder weitere Personen war daher nicht erkennbar, welche Aufgaben konkret durch sie hätten durchgeführt werden müssen. Der Arbeitgeber ist seiner eigenen Verantwortung nach § 3 ArbSchG sowie seiner Aufsichtspflicht nach § 130 OwiG nicht nachgekommen.
22Zusammenfassung
23Ursächlich für den Unfall waren:
241. unzureichende betriebliche Arbeitsschutzorganisation,
252. unzureichende Gefährdungsbeurteilung,
263. fehlende Prüfung des Arbeitsmittels,
274. wirkungslose Schutzeinrichtung.
28Bei Beachtung dieser Aspekte wäre eine Überbrückung des Endschalters an der Vielblattsäge nicht erfolgt oder auf jeden Fall festgestellt worden. Die Schutzeinrichtung hätte ihren Zweck erfüllen können. Der Unfall konnte eintreten, da der Arbeitgeber seine Verantwortung und seine Pflichten nicht ausreichend wahrgenommen hat. …“
29Das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gegen die beiden Beklagten wurde letztlich gem. § 170 II StPO eingestellt. Zur Begründung wurde auf die Kontrollen durch die T sowie das eigenverantwortliche Handeln des Geschädigten, der bei laufender Maschine in den Sägebereich gefasst habe, verwiesen (Bl. 48R BA).
30Im vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin in der Hauptsache den Ersatz der Leistungen, die sie aufgrund des Arbeitsunfalls für den Zeugen E Q erbrachte, sowie die Feststellung einer Einstandspflicht der Beklagten für zukünftige Aufwendungen. Die Klage ist beiden Beklagten jeweils am 30.04.2013 zugestellt worden (Bl. 28/29 GA).
31Die Klägerin hat behauptet, dass der Zeuge E Q zu keiner Zeit in die Nutzung der Vielblattsäge und die dabei einzuhaltenden Sicherheitsvorschriften eingewiesen worden sei. Der – als solcher unstreitige – Defekt der elektromagnetischen Sicherheitsverriegelung an der Vielblattsäge habe bereits bei dem Erwerb der Maschine vorgelegen und sei den Beklagten ausweislich ihrer Aussagen anlässlich der Unfalluntersuchung seit jeher bekannt gewesen. Sie seien von der zuständigen Aufsichtsperson der Klägerin, dem Zeugen U V vom Präventionsdienst Köln, mehrfach auf die fehlende Sicherheitseinrichtung hingewiesen worden. Das Risiko, das aus dem Betrieb der Maschine resultierte, sei erheblich gewesen. Teilweise sei es mehrfach während einer Schicht zu Störungen gekommen, die einen Eingriff in die Maschine erforderten. Dies sei allein schon darauf zurückzuführen, dass es sich bei Holz um einen natürlichen Werkstoff handele, der – zumal wenn er auf engem Raum parallel aufgetrennt werde - zum Verkanten, Verklemmen oder Verkeilen neige. Zudem habe sich im Bereich des Fußbodens vor der Maschine eine Kante befunden, über die schon mehrere Mitarbeiter gestolpert seien. Ein zusätzliches Risiko beruhe darauf, dass Holzstaub und Sägemehl auf dem Boden in dem unmittelbaren Arbeitsbereich des Maschinenbedieners für eine erhebliche Rutschgefahr sorge. Trotz dieser Risiken hätten die beiden Beklagten die Maschine über einen Zeitraum von sechs Jahren betrieben, ohne sich veranlasst zu sehen, an dem Gefahrenpotenzial irgendetwas zu ändern. Der Unfall wäre verhindert worden, wenn die Endschalter der Sicherheitshaube der Vielblattsäge ordnungsgemäß funktioniert hätten.
32Weiterhin hat die Klägerin behauptet, dass ihr infolge des Arbeitsunfalls des Zeugen E Q bisher Aufwendungen in Höhe von 182.897,91 € entstanden seien. Wegen der Einzelheiten der Zusammensetzung und Berechnung wird auf die Seiten 8/9 der Klageschrift vom 04.04.2013 (Bl. 8/9 GA) sowie die Anlagen K1-K4 zur Klageschrift (Bl. 11-25 GA) Bezug genommen.
33Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass der Arbeitsunfall des Zeugen E Q auf grobe Fahrlässigkeit der Beklagten zurückzuführen sei. Sie hat insofern auf das Gutachten der Bezirksregierung Arnsberg zum Arbeitsschutz vom 29.06.2010 Bezug genommen. Danach liege u.a. ein Verstoß gegen § 7 II Nr. 2 der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) vor – insofern handele es sich um eine schwerwiegende Verletzung elementarer Sicherungspflichten.
34Die Beklagten haben behauptet, dass der Zeuge E Q zum Unfallzeitpunkt über hinreichende Erfahrungen im Umgang mit Sägewerksmaschinen verfügte. Er sei in erheblichem Umfang als Bediener von Maschinen eingesetzt gewesen, die weitaus komplexer und größer gewesen seien als die Vielblattsäge, an der sich der Unfall ereignete. Vor seinem ersten Einsatz sei er eingewiesen worden. Zudem habe er regelmäßig an den Sicherheitsunterweisungen teilgenommen, die bei der F G GmbH & Co KG mindestens einmal im Jahr durchgeführt werden und die auch die Arbeit an den Sägewerksmaschinen betreffen. Der Unfall sei allein darauf zurückzuführen, dass E Q die vorhandene Schutzvorrichtung (Haube) willentlich umgangen habe, obwohl die Gefahrensituation erkennbar gewesen sei. Auch der schriftliche Warnhinweis sei von ihm missachtet worden.
35Weiterhin haben die Beklagten behauptet, dass sich die Vielblattsäge in der Zeit von dem Erwerb bis zu dem Arbeitsunfall als sehr zuverlässig erwiesen habe. Sie sei mit einer defekten Sicherheitsvorrichtung in Benutzung gewesen, ohne dass es zu einem Unfall gekommen sei. Die fehlende Funktion der elektronischen Sicherheitsverriegelung sei von der Klägerin niemals beanstandet worden, obwohl regelmäßige Begehungen im Betrieb der F G GmbH & Co KG durchgeführt worden seien, die sich auch auf die Vielblattsäge bezogen hätten. Die Beklagten selbst seien sich der von der Maschine ausgehenden Gefahr nicht bewusst gewesen. Ihnen sei nicht bekannt gewesen, dass an der Maschine eine vorgeschriebene Schutzvorrichtung fehlte. Ihnen sei auch kein Fall mitgeteilt geworden, in dem ein Mitarbeiter die an der Vielblattsäge vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen umgangen hätte. Sie hätten auch keine Kenntnis davon, dass es in den sechs Jahren des Betriebs der Maschine überhaupt jemals zu einer Gefahrensituation gekommen sei. Eine Stolpergefahr sei im Umfeld der Maschine nicht gegeben. Hier gebe es lediglich eine geringfügige Höhenabweichung zwischen der Betonplatte, auf der die Maschine stehe, und dem davor befindlichen asphaltierten Bereich des Bodens. Das Ende der Betonplatte befinde sich ca. 30 cm vor der Maschine. Den Beklagten sei kein einziger Fall bekannt, in dem ein Mitarbeiter über diese Kante gestolpert sei.
36Die Beklagten haben die Ansicht vertreten, dass sie als Geschäftsführer einer GmbH nur im Innenverhältnis zu der Gesellschaft haften. Eine zivilrechtliche Einstandspflicht gegenüber Dritten bestehe hingegen nur in sehr eng umgrenzten Ausnahmefällen, deren Voraussetzungen von der Klägerin jedoch nicht vorgetragen worden seien. Die Verletzung einer dem Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft obliegenden Organisationspflicht reiche insofern nicht aus. Auch eine Garantenstellung gegenüber dem geschädigten Arbeitnehmer sei von den Beklagten nicht übernommen worden. Im Übrigen sei der Arbeitsunfall auch weder vorsätzlich noch (objektiv wie subjektiv) grob fahrlässig durch die Beklagten verursacht worden. Letztlich sei auch zu berücksichtigen, dass ein Anspruch der Klägerin gem. § 110 I 1 SGB VII allenfalls bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des Geschädigten bestehen könne. Ferner entfalle eine Haftung deshalb, weil der Zeuge E Q in dem Aufhebungsvertrag Anfang Juli 2011 auf sämtliche Ansprüche gegenüber der F G GmbH & Co KGverzichtet habe.
37Das Landgericht hat die Akten 382 Js 575/10 Staatsanwaltschaft Arnsberg beigezogen. Sodann hat es die Beklagten verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 182.897,91 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2013 zu zahlen. Im Übrigen hat es festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weitere Aufwendungen bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs zu ersetzen, die diese aus Anlass des Arbeitsunfalls von E Q vom 10.03.2010 erbracht und noch zu erbringen hat.
38Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt, dass der Klägerin ein Anspruch aus § 110 SGB VII bis zu der Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des Unfallgeschädigten zustehe, da der Arbeitsunfall vom 10.03.2010 durch grobe Fahrlässigkeit der Beklagten herbeigeführt worden sei. Diese seien vorliegend auch der persönlichen Haftung unterworfen. Es sei anerkannt, dass die Verantwortlichkeit für die einer juristischen Person zuzurechnende Schädigung unter besonderen Voraussetzungen auch die zu ihrem Organ bestellten Personen treffe, wenn die Ursache für die Schädigung in Versäumnissen bei der ihnen übertragenen Organisation und Kontrolle zu suchen sei. Ein solches Organisationsverschulden sei den Beklagten angesichts schwerwiegender Mängel in der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation bei der F G GmbH & Co KG vorzuwerfen. Verantwortlichkeiten und systematisches Handeln seien dort nicht erkennbar gewesen. Die Gefährdungsbeurteilung sei lückenhaft gewesen und habe teilweise aus dem Jahr 1997 datiert. Dabei sei die unfallursächliche Vielblattsäge gar nicht betrachtet worden, sodass auch Mängel im Bezug auf die hier fragliche Maschine gegeben gewesen seien. Der Vorwurf grober Fahrlässigkeit werde durch den Betrieb der Vielblattsäge ohne funktionierende Schutzfunktion begründet. Der Unfall wäre unstreitig vermieden worden, wenn der Mechanismus, der das Öffnen der Schutzhaube während des Betriebs verhindert hätte, intakt gewesen wäre. Die Maschine hätte in diesem Zustand nicht betrieben werden dürfen. Den Beklagten hätte es sich geradezu aufdrängen müssen, dass der Betrieb eines objektiv derart gefährlichen Werkzeugs ohne ein hinreichendes Arbeitsschutzkonzept mit einer Gefährdungsbeurteilung zu schwerwiegenden Verletzungen führen konnte. Es liege auch ein subjektiv schlechthin unentschuldbares Verhalten vor. Der Versicherte der Klägerin hätte hier auch davor geschützt werden müssen, dass er eventuell unbedacht bei geöffneter Schutzhaube in einen Betriebsablauf der Maschine eingreifen wollte – zumal Arbeiter, die regelmäßig an solchen Geräten tätig werden, das Bewusstsein von deren Gefährlichkeit verdrängen können. Da der Arbeitgeber gerade mit einem solchen Verhalten hätten rechnen und dies absichern müssen, komme dementsprechend auch kein Mitverschulden des Geschädigten E Q in Betracht. Der Abfindungsvertrag zwischen der F G GmbH & Co KG und ihrem vormaligen Arbeitnehmer tangiere die Forderung der Klägerin gegen die Beklagten aus § 110 SGB VII nicht. Der Höhe nach seien keine durchgreifenden Bedenken gegen die von der Klägerin veranschlagten Kosten gegeben. Sie seien schlüssig geschildert und nachvollziehbar auf das Unfallereignis zurückzuführen. Insofern wären die einzelnen Positionen von den Beklagten qualifiziert zu bestreiten gewesen, was aber nicht erfolgt sei. Auch hier führe ein Mitverschulden des Geschädigten E Q nicht dazu, dass die Forderung ihrer Höhe nach nicht von dem fiktiven Ersatzanspruch des Zeugen gegen die Beklagten umfasst wäre. Insofern könnten bereits die Grundsätze der begrenzten Arbeitnehmerhaftung entsprechend angewandt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 127-132 GA) Bezug genommen.
39Die Beklagten wenden sich mit der Berufung gegen die Entscheidung des Landgerichts. Zur Begründung ihres Rechtsmittels führen sie im Wesentlichen aus, dass sie schon nicht passivlegitimiert seien. So betreffe § 104 SGB VII nur die Haftung des Unternehmens selbst, also der F G GmbH & Co KG. Als deren Geschäftsführer könnten die Beklagten persönlich allenfalls gem. § 105 SGB VII haftungsprivilegiert sein. Die dafür maßgeblichen Voraussetzungen – „Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen“ – seien allerdings von der Klägerin nicht vorgetragen worden. Nach dem internen Geschäftsverteilungsplan der F G GmbH & Co KG komme allenfalls eine Haftung des Beklagten zu 2. in Betracht, der seinerzeit für Produktion und Technik in dem Betrieb zuständig gewesen sei. Die Regelung des § 13 ArbSchG, wonach der Geschäftsführer verantwortlich sei für die Erfüllung der sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ergebenden Pflichten, gelte nur im Verhältnis zu den Behörden. Ferner könne eine grobe Fahrlässigkeit der Beklagten nicht bejaht werden. Die Maschine sei in anderen Unternehmen und seit dem Erwerb auch bei der F G GmbH & Co KG beanstandungsfrei gelaufen. Dass die automatische Stromabschaltung nicht funktioniert habe, sei Folge eines Defekts, von dem man aber nicht wisse, wann er vorgefallen sei. Es könnte sogar sein, dass er bereits beim Erwerb der Maschine vorgelegen habe und beim Aufbau nicht festgestellt worden sei. Richtig sei aber, dass der Beklagte zu 2. irgendwann hiervon erfahren habe und nicht dagegen eingeschritten sei. Dies sei zwar ein Versäumnis, jedoch nicht als grob fahrlässig zu bewerten. In technischer Hinsicht sei hier das Problem einer trennenden Schutzeinrichtung angesprochen. Denke man die Auffassung der Klägerin zu Ende, so hätte dies zur Folge, dass stets von einer groben Fahrlässigkeit des Arbeitgebers auszugehen wäre, wenn eine derartige Vorrichtung fehle. Im Übrigen sei die Firma T vertraglich mit der Funktion einer Sicherheitsfachkraft im Unternehmen beauftragt worden. Wolle man gleichwohl von grober Fahrlässigkeit ausgehen, so sei demgegenüber jedoch ein Mitverschulden der Klägerin einzuwenden. Davon sei regelmäßig dann auszugehen, wenn die gravierende Verletzung von Unfallverhütungsvorschriften im Rahmen regelmäßiger Betriebsbegehungen durch technisch versierte Mitarbeiter nicht aufgefallen sei. So sei es hier. Der Sicherheitsbeamte der Klägerin, der Zeuge U V , habe etwa zwei Wochen vor dem Unfall die Maschine in Augenschein genommen und anschließend gesagt, dass alles in Ordnung sei. Entgegen der Würdigung durch das Landgericht habe die Klägerin ihren Aufwand auch keineswegs schlüssig und nachvollziehbar geschildert. Rein vorsorglich seien die entsprechenden Angaben mit Nichtwissen zu bestreiten. Im Übrigen habe die Kammer nicht erkannt, dass die Forderung der Klägerin nach oben hin durch den zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Verletzten begrenzt sei. Ausführungen hierzu fehlen in der Klage vollkommen. Zudem sei in diesem Rahmen wiederum das Mitverschulden des Unfallgeschädigten zu berücksichtigen. Es stehe fest, dass er sich in die laufende Maschine gebeugt und hineingegriffen habe. Das könne auf keinen Fall versehentlich geschehen, sondern setze voraus, dass man sich der Gefahr der Sägeblätter bewusst aussetze. Das Mitverschulden des Geschädigten sei mit mindestens 50% anzusetzen. Im Übrigen bestehe eine solche zivilrechtliche Schadensersatzforderung schon deshalb nicht, weil sich der Geschädigte mit der Arbeitgeberin auf einen Abfindungsvergleich verständigt habe, der Ansprüche aus dem fraglichen Vorfall ausschließe. In prozessualer Hinsicht sei zu beanstanden, dass die Kammer die Strafakte der Staatsanwaltschaft Arnsberg verwertet habe, obwohl diese nicht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sei. Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung vom 26.03.2014 (Bl. 161-172 GA) sowie die weiteren Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 03.06.2014 (Bl. 200-205 GA) und 12.12.2014 (264-267 GA) verwiesen.
40Die Beklagten beantragen,
41das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 19.12.2013 abzuändern und die Klage abzuweisen.
42Die Klägerin beantragt,
43die Berufung zurückzuweisen.
44Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und wiederholt bzw. vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Klägerin ist der Ansicht, dass beide Beklagte als Geschäftsführer der F G GmbH & Co KG gem. § 13 ArbSchG für die Arbeitssicherheit in dem Betrieb zuständig seien. Die Verpflichtung zur Einhaltung arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen zähle zu ihren Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis und sei eine Ausprägung der ihnen obliegenden Treuepflicht. Dabei habe nicht nur der Beklagte zu 2., sondern auch der Beklagte zu 1. Zugriff auf die Produktion und die dort verwendeten Mittel. Letzterer sei zwar ausweislich des Organigramms der F G GmbH & Co KG für die Bereiche „Märkte und Controlling“ zuständig. Dies umfasse aber auch Aufgaben der „Produktionsplanung und Optimierung“ sowie die daraus resultierende „Arbeitsplanung“. Im Übrigen handele es sich bei dem Beklagten zu 1. um einen Unternehmer i.S.d. § 136 III Nr. 1 SGB VII, da ihm als dem einzigen Gesellschafter der Komplementär-GmbH das Unternehmensergebnis unmittelbar zum Vor- und Nachteil gereiche. Beiden Beklagten sei grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen, weil die unfallursächliche Vielblattsäge nicht den Vorgaben des § 7 II BetrSichV entsprochen habe. Sie habe zwar über einen Endschalter verfügt. Dieser sei jedoch nicht intakt gewesen, wobei die Beklagten über einen Zeitraum von rund sechs Jahren die erforderliche Reparatur unterlassen hätten. Hierdurch hätte verhindert werden können, dass ein Maschinenbediener, der während des Produktionsprozesses die Haube öffnete, von den laufenden Sägen hätte erfasst werden können, weil diese vorher zum Stillstand gekommen wären. Tatsächlich sei die Maschine auch keineswegs beanstandungsfrei gelaufen. Vielmehr sei es ständig zu Störungen gekommen, was auch auf die Arbeit mit dem Werkstoff Holz zurückgeführt werden könne. Insgesamt gehe aus dem Bericht der Bezirksregierung Arnsberg vom 29.06.2010 hervor, dass die gesamte Arbeitsorganisation in dem Betrieb der Beklagten deutliche organisatorische Defizite aufgewiesen habe. Vernachlässigt worden seien insbesondere die aus §§ 5, 6 ArbSchG folgenden Verpflichtungen zur Durchführung und Dokumentation einer Gefährdungsbeurteilung der Arbeitsplätze in dem Sägewerk. Die Klägerin bestreitet, dass von der T jährliche Sicherheitsunterweisungen der Mitarbeiter durchgeführt worden seien. Im Übrigen habe aber eine solche Fachkraft für Arbeitssicherheit ohnehin nur eine beratende und unterstützende Funktion. Verantwortlich und umsetzungspflichtig bleibe der Arbeitgeber. Ein Mitverschulden der Klägerin komme nicht in Betracht: Die Vielblattsäge sei der bei der Klägerin zuständigen Aufsichtsperson, Herrn K H, von den Beklagten nie gezeigt worden. Bei dem von der Berufungsbegründung angesprochenen Besuch des Zeugen U V sei es nicht darum gegangen, die Funktionsweise der Maschine an sich zu untersuchen. Vielmehr habe er den singulären Zweck gehabt, einen an der Säge vorhandenen Fangschutz zu überprüfen. Zuvor seien bei der Klägerin gehäuft Unfälle aufgetreten, die auf derartige Schwachstellen zurückzuführen gewesen seien. Es sei auch nicht ersichtlich, woraus ein Mitverschulden des geschädigten Arbeiters abgeleitet werden sollte. Der Unfallhergang selbst sei ungeklärt geblieben. Es gebe aber keinen Erfahrungssatz, wonach es unabhängig von einem konkreten Geschehensablauf stets auf Fahrlässigkeit beruhe, wenn ein Bediener in den Gefahrenbereich einer Maschine gerate. Im Hinblick auf die Höhe der von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen lasse sich der Inhalt der erstinstanzlich überreichten Unterlagen mühelos mit den entstandenen Verletzungen – hier insbesondere dem Verlust der rechten Hand des Zeugen E Q - in Einklang bringen. Insofern seien auch genügend Ansatzpunkte vorgetragen, die dem Gericht eine Schadensschätzung gem. § 287 ZPO erlauben. Irrelevant für den vorliegenden Rechtsstreit sei der Abfindungsvergleich zwischen dem Geschädigten und seinem vormaligen Arbeitgeber. Wegen der Einzelheiten wird im Übrigen auf die Berufungserwiderung vom 15.05.2014 (Bl. 188-199 GA) sowie den weiteren Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 04.12.2014 (Bl. 227 ff. GA) Bezug genommen.
45Im Übrigen wird wegen aller weiteren Einzelheiten des Parteivortrags auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
46Der Senat hat die Beklagten als Partei angehört und im Übrigen Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen E Q und U V . Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf das Protokoll (Bl. 274/275 GA) und den Berichterstattervermerk (Bl. 283-285R GA) der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2014 Bezug genommen.
47Die Akten 382 Js 575/10 Staatsanwaltschaft Arnsberg sind beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gewesen.
48Entscheidungsgründe:
49Die zulässige Berufung des Beklagten zu 1. hat Erfolg.
50Das ebenfalls zulässige Rechtsmittel des Beklagten zu 2. führt lediglich zu geringfügigen Abzügen wegen einer rechnerischen Ungenauigkeit im Umfang von 970,40 € sowie der unschlüssigen Geltendmachung von Verwaltungskosten der Klägerin in Höhe von 1.165,34 €, ist im Übrigen aber unbegründet.
51A. Zahlungsantrag
52Der Klägerin steht nur gegen den Beklagten zu 2., nicht aber auch gegen den Beklagten zu 1., ein Anspruch auf Erstattung ihrer geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 180.762,17 € aus § 110 I 1 SGB VII zu.
53Gemäß dieser Norm sind Personen einstandspflichtig, deren Haftung nach §§ 104-107 SGB VII beschränkt ist, wenn diese den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend (nur) hinsichtlich des Beklagten zu 2. erfüllt.
54I. Passivlegitimation der Beklagten
55Dabei zählen allerdings beide Beklagte grundsätzlich zu den Personen, deren Haftung nach §§ 104-107 SGB VII beschränkt ist. Einschlägig ist hier jedenfalls § 105 I SGB VII („ … Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, …“). Diese Norm stellt für Schädiger und Geschädigten allein auf die betriebliche Tätigkeit innerhalb desselben Betriebs ab. Sie gilt mithin sowohl für den Unternehmer als auch für den Arbeitnehmer gleichermaßen (BGH NJW 1991, 174; BGH NJW 1981, 53).
561.
57Unabhängig davon, ob die Beklagten ggf. auch als Unternehmer i.S.d. §§ 104 I i.V.m. 136 III SGB VII eingeordnet werden können, waren sie am Unfalltag jedenfalls i.S.d. § 105 I SGB VII in demselben Betrieb wie der geschädigte Zeuge E Q tätig. So ist der Beklagte zu 1. Geschäftsführer und einziger Gesellschafter der F G Verwaltungsgesellschaft mbH, also der Komplementärin der F G GmbH & Co KG, in deren Betrieb sich der Unfall ereignete. Nach dem internen Organigramm ist er zuständig für die Aufgabenbereiche „Märkte + Controlling“ (Bl. 172 GA). Der Beklagte zu 2. war am 10.03.2010, dem Unfalltag, ebenfalls Geschäftsführer der F G Verwaltungsgesellschaft mbH. Nach dem seit dem Jahr 2005 geltenden Geschäftsverteilungsplan fielen ihm die Aufgaben von „Produktion + Technik“ zu.
582.
59Demgegenüber kann nicht eingewandt werden, dass die Beklagten als Geschäftsführer einer GmbH nur im Innenverhältnis zu der Gesellschaft haften und eine zivilrechtliche Einstandspflicht gegenüber Dritten lediglich in sehr eng umgrenzten Ausnahmefällen bestehe. Vielmehr haften bei Personenschäden eines Arbeitnehmers der Arbeitgeber und andere Arbeitnehmer nur nach Maßgabe der §§ 104, 105 SGB VII und gegenüber den Sozialversicherungsträgern gem. §§ 110, 111 SGB VII (Palandt-Weidenkaff, Bürgerliches Gesetzbuch, 74. Auflage, § 611 Rdz. 155). Insofern führen die §§ 104 ff. SGB VII in ihrem Anwendungsbereich rechtsdogmatisch zu einer Verdrängung des privaten Haftungsrechts durch das Sozialrecht. Mit den Vorschriften des Vierten Kapitels zur „Haftung von Unternehmern, Unternehmensangehörigen und anderen Personen“ regelt das SGB VII sozialrechtlich einen Gegenstand besonders, der sich an sich nach dem Privatrecht richtet: Wenn ein Unternehmer oder ein Arbeitskollege im Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit einen Personenschaden bei einem anderen in dem Betrieb Tätigen verursacht, würde sich ohne die Regeln der §§ 104 ff. SGB VII die Haftung nach privatrechtlichem Vertrags- oder Deliktsrecht richten. Der Arbeitsunfall ist aber nun einmal ein Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung. Die so eingreifende Versicherungslösung muss sich auf die an sich einschlägige privatrechtliche Vertrags- und Deliktshaftung auswirken. Die Abstimmung von zivilrechtlichem Schadensersatz und sozialrechtlicher Unfallversicherung geschieht in der Weise, dass die gesetzliche Unfallversicherung die privatrechtliche Haftung für Personenschäden ausschließt (vgl. Eichenhofer/Wenner, Kommentar zum Sozialgesetzbuch VII, Gesetzliche Unfallversicherung, § 104 SGB VII, Rdz. 1-4).
60II. Grob fahrlässige Herbeiführung des Arbeitsunfalls
61Der Arbeitsunfall (§ 8 I SGB VII) des Zeugen E Q ist auch grob fahrlässig herbeigeführt worden. Die zivilrechtliche Verantwortung hierfür trifft allerdings auf der Grundlage des von der Klägerin vorgetragenen Sachverhalts und der weiteren im Verlauf des Rechtsstreits getroffenen Feststellungen nur den Beklagten zu 2., nicht aber auch den Beklagten zu 1.
62Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden sein. Es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH NJW 2001, 2092; Palandt-Grüneberg, § 277 Rdz. 5). Dabei ordnet § 110 I 3 SGB VII an, dass sich das Verschulden lediglich auf den die Haftung begründenden Tatbestand, nicht aber auch auf die konkreten Schadensfolgen beziehen muss.
63Die Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit des Beklagten zu 2. sind im vorliegenden Fall erfüllt.
641. Grundlegender Sachverhalt
65Dabei geht der Senat hinsichtlich des grundlegenden Sachverhalts davon aus, dass die F G GmbH & Co KG die Vielblattsäge im März 2005 mit einer bereits damals funktionsunfähigen elektromagnetischen Sicherheitsverriegelung erworben hatte und die Maschine seitdem bis zu dem Arbeitsunfall des Zeugen E Q in diesem ungesicherten Zustand betrieben worden war.
66a)
67Diese Tatsache war erstinstanzlich unstreitig. Die Klägerin hat in der Klageschrift (dort Seite 4; Bl. 4 GA) behauptet, dass sich die Maschine zum Unfallzeitpunkt bereits seit ca. sechs Jahren im Betrieb befunden und die Schutzvorrichtung während dieses langen Zeitraums nicht funktioniert habe. Diesem Ansatz sind die Beklagten nicht entgegengetreten, sondern haben vielmehr sogar selbst ihre eigene Argumentation zu der – ihrer Ansicht nach zu verneinenden - groben Fahrlässigkeit darauf gestützt. Sie haben in der Klageerwiderung (dort Seiten 7/8; Bl. 38/39 GA) auszugsweise ausgeführt:
68„ … Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die von der F G GmbH & Co KG im Jahr 2004 in gebrauchtem Zustand erworbene streitgegenständliche Maschine bei der F G GmbH & Co KG bis zum Unfalltag über einen Zeitraum von ca. 6 Jahren mit einer defekten elektromagnetischen Sicherheitsvorrichtung in Benutzung war, ohne dass es zu einem Unfall gekommen ist. … Im Hinblick auf die subjektive Voraussetzung der groben Fahrlässigkeit kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die fehlende Funktion der elektronischen Sicherheitsverriegelung seit Aufstellung der Maschine bei der F G GmbH & Co KG(d.h. über einen Zeitraum von 6 Jahren) von der Klägerin nicht beanstandet worden ist. … In den 6 Jahren, in denen die Maschine bei der F G GmbH & Co KG in Betrieb war, hat die Klägerin regelmäßig Begehungen des Unternehmens der F G GmbH & Co KG durchgeführt. Die fehlende bzw. defekte elektronische Sicherheitsverriegelung wurde von der Klägerin jedoch zu keinem Zeitpunkt mündlich oder schriftlich beanstandet. …“
69b)
70Dieser erstinstanzlich unstreitige Sachverhalt ist gem. §§ 529, 531 II ZPO auch für das Berufungsverfahren zugrunde zu legen. Soweit die Beklagten diese Tatsachen durch ihre Darstellung in der Berufungsbegründung (dort Seite 6; Bl: 166 GA: „ … der Schalter ging nämlich kaputt. Wann dies war, wissen die Beklagten nicht. Es könnte sogar sein, dass der Defekt schon beim Kauf der Maschine vorhanden war und beim Aufbau nicht festgestellt wurde. Es könnte auch sein, dass er irgendwann in den 6 Jahren Einsatzzeit auftrat und dann nicht beseitigt wurde. …“) bzw. in der persönlichen Anhörung des Beklagten zu 2. gem. § 141 ZPO vor dem Senat (Seite 3 des Berichterstattervermerks; Bl. 284 GA: „ … Dass da Sicherheitsvorkehrungen nicht funktionierten, war mir nicht klar. Im Zeitpunkt des Unfalls funktionierte der Schalter nicht. Seit wann das so gewesen ist, weiß ich nicht mehr. …“) eventuell ansatzweise relativieren wollten, ist dies angesichts der unmissverständlichen erstinstanzlichen Erklärungen ohnehin prozessual unbeachtlich, im Übrigen aber auch unglaubhaft. So hatte der Beklagte zu 2. bereits im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren durch seinen dortigen Verteidiger erklären lassen (Schriftsatz der Rechtsanwälte L pp. vom 20.09.2010, dort Seite 1; Bl. 42 der Beiakte):
71„ … An der Maschine war schon im Zeitpunkt des Kaufes ein Unterbrechungsschalter nicht vorhanden. …“
72Entsprechend folgt der Senat auch der glaubhaften Aussage des Zeugen U V , der bekundet hat, der Beklagte zu 2. habe ihm nach dem Unfall berichtet, dass der überbrückte Endschalter noch nie funktioniert habe. Auch der technische Leiter der F G GmbH & Co KG habe geäußert, dass der Endschalter im Prinzip bereits seit sechs Jahren in dem überbrückten Zustand gewesen sei (Seite 6 des Berichterstattervermerks vom 17.12.2014; Bl. 285R GA).
732. Aufgabenbereiche der Beklagten
74Allerdings trifft die persönliche Verantwortung für das schädigende Ereignis gemäß der innerbetrieblichen Tätigkeits- und Verantwortlichkeitsstrukturen der F G GmbH & Co KG nur den Beklagten zu 2. als den technischen Geschäftsführer und ausgebildeten Sägewerksmeister, nicht aber auch den Beklagten zu 1.
75a)
76Bereits unmittelbar nach dem Unfall hatte der Beklagte zu 2. selbst sich gegenüber der Bezirksregierung Arnsberg als den Verantwortlichen für den sicheren Betrieb angegeben (Seite 2 der Stellungnahme vom 29.06.2010; Bl. 15 der Beiakte). Die Sicherung an den Maschinen zählt zu dem Zuständigkeitsbereich der Produktion. Dieser Darstellung des Beklagten zu 1. (Seite 1 des Berichterstattervermerks vom 17.12.2014; Bl. 283 GA) und auch des Zeugen U V (Seite 6 des Berichterstattervermerks vom 17.12.2014; Bl. 285R GA) in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist der Beklagte zu 2. nicht entgegengetreten.
77b)
78Hingegen sind Ansatzpunkte für eine Zurechnung auch auf den Beklagten zu 1. weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Für ihn weist das unternehmensinterne Organigramm die Aufgabenbereiche „Märkte + Controlling“ aus. Nach der Arbeitsteilung unter den beiden Geschäftsführern ist der Beklagte zu 1., wie er auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat noch einmal nachvollziehbar und unwidersprochen erläutert hat, für betriebswirtschaftliche Fragen zuständig. Dies entspricht im Übrigen seiner beruflichen Ausbildung.
79Substantiierte Ansätze, die in Abweichung von der internen Zuständigkeitsregelung eine persönliche Befassung oder Verantwortlichkeit (auch) des Beklagten zu 1. für den konkreten Zustand der Vielblattsäge und/oder die generellen Belange des Arbeitsschutzes darstellen könnten, sind von der Klägerin nicht vorgetragen worden. Zuletzt – mit Schriftsatz vom 04.12.2014 – hat sie lediglich darauf verwiesen, dass beide Beklagte an der Untersuchung nach dem streitgegenständlichen Unfall teilgenommen hätten und die folgende Anordnung zur Mängelbeseitigung an beide gerichtet gewesen sei (vgl. Bl. 228, 237/238 GA). Dieser Hinweis führt aber im Hinblick auf die konkret-individuelle Verantwortlichkeit des Beklagten zu 1. nicht weiter. Dass er sich als Geschäftsführer und Namensträger eines traditionellen Familienunternehmens verantwortlich fühlt, darf wohl angenommen werden. Seine tatsächliche Zuständigkeit im Rahmen der Arbeitsteilung unter den Beklagten lässt sich daraus aber nicht herleiten. Hierfür müsste schon auf Ereignisse vor dem Unfall abgestellt werden. Ein aus dieser Zeit stammender Bericht über einen Betriebsbesuch vom 25.08.2008 weist aber aus, dass damals nur der Beklagte zu 2. Ansprechpartner des zuständigen Mitarbeiters der Klägerin gewesen ist (Bl. 240 GA).
80Allein aus den arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben des § 13 I ArbSchG lässt sich eine Haftung (auch) des Beklagten zu 1. ebenfalls nicht herleiten. Insofern trifft der Einwand zu, dass diese öffentlich-rechtliche Norm keine zivilrechtlichen Wirkungen begründet, sondern das Verhältnis gegenüber den Aufsichtsbehörden des Staates regelt (Kollmer/Klindt, Arbeitsschutzgesetz, 2. Auflage, § 13 ArbSchG Rdz. 2).
813. Grobe Fahrlässigkeit
82Vorliegend haben sich in den spezifischen Umständen des Arbeitsunfalls zum Nachteil des Zeugen E Q die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer groben Fahrlässigkeit des für den konkreten Gefahrenbereich und die generellen Belange des Arbeitsschutzes zuständigen Beklagten zu 2. realisiert. Im Einzelnen:
83a) Objektive grobe Fahrlässigkeit
84Die objektiven Komponenten der groben Fahrlässigkeit lassen sich – insoweit teilt der Senat die landgerichtliche Argumentation uneingeschränkt – aus dem Bericht der Bezirksregierung Arnsberg vom 29.06.2010 zum Arbeitsschutz im Betrieb der F G GmbH & Co KG herleiten (Bl. 14-24 BA; Fotodokumentation Bl. 25-27). Dessen Resultate unterstreichen, dass sich in dem Unfall des Zeugen E Q am 10.03.2010 nicht nur ein konkretes Versagen sicherheitsrelevanter Mechanismen, sondern darüber hinaus auch die generelle Unzulänglichkeit des im Betrieb praktizierten Arbeitsschutzes realisiert hat: Danach war die vorhandene Schutzeinrichtung (Schutzhaube) durch den überbrückten Endschalter wirkungslos gemacht worden, weshalb die Säge auch bei geöffneter Schutzhaube weiter lief. Wären aber im Betrieb der F G GmbH & Co KG eine zureichende Arbeitsschutzorganisation, eine zureichende Gefährdungsbeurteilung und eine hinreichende Prüfung des Arbeitsmittels vorgenommen worden, so wäre die Überbrückung des Endschalters an der Vielblattsäge auf jeden Fall festgestellt und konsequenterweise auch behoben worden. Die Schutzeinrichtung hätte ihren Zweck erfüllen können.
85Die tatsächlichen Feststellungen des Berichts der Bezirksregierung Arnsberg vom 29.06.2010 zum Zustand der Vielblattsäge sowie der fehlenden Gefährdungsbeurteilung/-dokumentation und Prüfung sind als solche von den Beklagten nicht angegriffen worden.
86aa)
87Im vorliegenden Fall kann von einem Verstoß gegen § 7 II Nr. 2 BetrSichV ausgegangen werden. Danach müssen Arbeitsmittel, die den Beschäftigten vor dem 03. Oktober 2002 erstmalig bereit gestellt wurden, dem Anhang 1 (Mindestvorschriften für Arbeitsmittel) entsprechen. Nach Nr. 2.8 des Anhangs 1 müssen Arbeitsmittel mit Schutzeinrichtungen ausgestattet sein, die den unbeabsichtigten Zugang zum Gefahrenbereich von beweglichen Teilen verhindern oder welche die beweglichen Teile vor Erreichen des Gefahrenbereichs stillsetzen. Die Schutzeinrichtungen dürfen u.a. nicht auf eine einfache Weise umgangen oder unwirksam gemacht werden können. Für die streitgegenständliche Vielblattsäge ist diese Vorgabe einschlägig, weil sie aus dem Baujahr 1989 stammt. Sie wurde mithin vor dem 03.10.2002 erstmalig bereit gestellt. Auf den (chronologisch erst späteren) Erwerbszeitpunkt der Maschine durch die F G GmbH & Co KG(im März 2005) kommt es in diesem Zusammenhang nach dem Sinn und Zweck der Unfallverhütungsvorgaben nicht an.
88Die Bezirksregierung Arnsberg ist in ihrem Gutachten zu Recht von einem Verstoß gegen § 7 II Nr. 2 BetrSichV ausgegangen, da die an der Vielblattsäge vorhandene Schutzeinrichtung (Schutzhaube) durch den überbrückten Endschalter wirkungslos gemacht war, so dass die Säge auch bei geöffneter Schutzhaube weiter lief (Seite 7 des Gutachtens; Bl. 20 der Beiakte). Dabei hätte, wie unstreitig geblieben ist, eine Instandsetzung keinen nennenswerten Aufwand erfordert.
89bb)
90Ferner ist von einem Verstoß gegen § 3 III BetrSichV auszugehen. Danach sind für Arbeitsmittel insbesondere Art, Umfang und Fristen erforderlicher Prüfungen zu ermitteln. Ferner hat der Arbeitgeber die notwendigen Voraussetzungen zu ermitteln und festzulegen, welche die Personen erfüllen müssen, die von ihm mit der Prüfung beauftragt worden sind. Ausgehend hiervon hat die Bezirksregierung Arnsberg in ihrer Stellungnahme für die Staatsanwaltschaft Arnsberg nachvollziehbar moniert, dass keine Nachweise über die Prüfung der Vielblattsäge vorgelegt werden konnten. Für die Nichtdurchführung der Prüfung spreche, dass die Überbrückung der Schutzeinrichtung offenkundig bereits längere Zeit bestanden habe und bei einer Prüfung hätte festgestellt werden müssen (Seite 8 des Berichts; Bl. 21 der Beiakte).
91cc)
92Das weiterhin von der Bezirksregierung angesprochene Erfordernis einer Gefährdungsbeurteilung folgt aus den Vorgaben der §§ 4, 5, 6 ArbSchG. Danach hat der Arbeitgeber die notwendigen Maßnahmen für die sichere Bereitstellung und Benutzung von Arbeitsmitteln zu ermitteln. Er muss über die erforderlichen Unterlagen verfügen, aus denen die von ihm festgelegten Maßnahmen des Arbeitsschutzes und das Ergebnis ihrer Überprüfung ersichtlich sind. Die somit geforderte Dokumentation war zwar im Betrieb der F G GmbH & Co KG grundsätzlich vorhanden, dies allerdings in einem lückenhaften Zustand. Insbesondere die Vielblattsäge war darin nicht betrachtet, ebenso wenig wie vergleichbare Arbeitsplätze oder Tätigkeiten (Seite 6 des Gutachtens der Bezirksregierung Arnsberg, Bl. 19 der Beiakte). Die Versäumnisse gem. §§ 4-6 ArbSchG werfen ein Schlaglicht auf den damals generell sorglosen Umgang mit den gesetzlichen Vorgaben zum Arbeitsschutz in dem Betrieb der F G GmbH& Co KG.
93dd)
94Demgegenüber kann sich der Unternehmer auch nicht durch das Anbringen eines Warnhinweises hinreichend entlasten. Denn in diesem Zusammenhang ist die Erfahrungstatsache zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer sich an die gefährlichen Maschinen gewöhnt, gegen die Gefahr abstumpft und dadurch leichtsinnig wird. Der Unternehmer darf sich nicht darauf verlassen, dass die Arbeitnehmer die nötige Sorgfalt stets beachten (LG Rottweil, Urteil vom 14.09.2012, Az. 3 O 349/11 - zitiert nach juris Tz. 35; Geigel-Wellner, Der Haftpflichtprozess, 26. Auflage, § 32 Rdz. 16).
95ee)
96Die objektiv grobe Fahrlässigkeit entfällt auch nicht etwa aufgrund der Bestellung der T GmbH aus P, zur Sicherheitsfachkraft im Sinne des Arbeitssicherheitsgesetzes im Betrieb der F G GmbH& Co KG. Sie erfolgte gemäß eines Vertrages vom 09.03.1999 (Bl. 56-58 GA).
97(1)
98Nach §§ 2 und 5 ASiG (Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit – ArbSchG) hat der Arbeitgeber die Verpflichtung, eine Fachkraft für Arbeitssicherheit zu bestellen. Diese hat ihn gem. § 6 ASiG beim Arbeitsschutz und bei allen Fragen der Arbeitssicherheit zu unterstützen. Allerdings hat der Arbeitgeber gem. § 6 II ASiG seinerseits dafür zu sorgen, dass die von ihm bestellten Fachkräfte für Arbeitssicherheit ihre Aufgaben auch tatsächlich erfüllen.
99Nach dieser gesetzlichen Konzeption kann der Arbeitgeber die Verantwortung für den Arbeitsschutz nicht auf die Sicherheitsfachkraft delegieren, sondern sich lediglich von dieser unterstützen lassen. Weder die Unfallverhütungsvorschriften noch die Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes sowie der hierzu ergangenen Verordnungen entbinden den Unternehmer von der Verpflichtung, darüber hinaus die Betriebssicherheit weitestmöglich sicherzustellen (Geigel-Wellner, § 32 Rdz. 16).
100(2)
101Eine andere Würdigung lässt auch der im konkreten Fall einschlägige Vertrag zwischen der F G GmbH & Co KG und der T GmbH, nicht zu. Dessen Regelungen sind sehr abstrakt und vage gehalten. Sie lassen nicht erkennen, dass damit eine Übertragung von Verantwortung im Hinblick auf den Betrieb der Maschinen einhergehen sollte. Auch die Bezirksregierung Arnsberg konnte bei ihrer Prüfung des Unfalls nicht ermitteln, inwieweit die Fachkraft für Arbeitssicherheit ausreichend tätig wurde oder werden konnte (Seite 5 des Gutachtens, Bl. 18 der Beiakte).
102b) Subjektive grobe Fahrlässigkeit
103Allerdings sollen Unternehmer grundsätzlich wegen ihrer an die Berufsgenossenschaft gezahlten Beiträge von einer Haftung freigestellt sein und nur dann im Wege des Rückgriffs in Anspruch genommen werden können, wenn es auch bei voller Berücksichtigung dieses Zwecks angesichts ihres für den Versicherungsfall ursächlichen Verhaltens nicht mehr gerechtfertigt erscheint, die Folgen auf die in der Berufsgenossenschaft zusammengeschlossene Unternehmerschaft abzuwälzen (Geigel-Wellner, § 32 Rdz. 10). Eine Inanspruchnahme des haftungsprivilegierten Schädigers im Wege des Rückgriffs ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung vorliegt, die das in § 276 I BGB bestimmte Maß erheblich überschreitet (BGH VersR 2008, 1407; OLG Düsseldorf VersR 2004, 65). Dabei reicht ein Verstoß gegen eine Unfallverhütungsvorschrift für sich allein nicht aus, um grobe Fahrlässigkeit annehmen zu können. Das erforderliche subjektiv gesteigerte Verschulden kann aber naheliegen, wenn ein besonders gewichtiger Pflichtenverstoß gegeben ist, z.B. ein Verstoß gegen eine Unfallverhütungsvorschrift, die mit eindeutigen Sicherungsanweisungen vor tödlichen Gefahren schützen soll (BGH NJW 2001, 2092) und damit elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat.
104Diese Voraussetzungen einer subjektiv groben Fahrlässigkeit sind erfüllt. Dabei kann auch insofern grundsätzlich auf die zutreffenden Erwägungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen werden, dies allerdings mit der Einschränkung, dass der maßgebende Vorwurf nur den Beklagten zu 2. trifft.
105aa)
106Im vorliegenden Fall ist mit der Verletzung des § 7 II BetrSichV (s.o.) von einem besonders gewichtigen Pflichtenverstoß auszugehen. Dabei handelt es sich nämlich um eine Unfallverhütungsvorschrift, die elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat (LG Baden-Baden, UV-Recht Aktuell 2011, 175 ff.). Dass sich tödliche Gefahren vorliegend glücklicherweise nicht realisiert haben, kann dabei dahinstehen. Zum einen werden diese vom Bundesgerichtshof nicht als zwingende Vorgabe, sondern als Beispiel erwähnt (vgl. BGH NJW 2001, 2092). Zum anderen belegt der Verlust einer Hand durchaus, dass die von der Maschine ausgehenden Gefahren als potentiell tödlich angesehen werden können.
107bb)
108Die sonstigen nachhaltigen Verstöße gegen formale Anforderungen des Arbeitsschutzes (Beurteilungen und Dokumentation von Gefährdungen gem. §§ 5, 6 ArbSchG) reichen zwar als solche für sich allein betrachtet nicht aus, um aus der objektiven Tatbestandsmäßigkeit auf die subjektiven Komponenten grober Fahrlässigkeit schließen zu lassen. Allerdings weist der Bericht der Bezirksregierung Arnsberg ein derart generelles Versagen in der Einhaltung elementarer Vorgaben des Arbeitsschutzes in dem Sägewerk der F G GmbH & Co KG aus (s.o.: Die betriebliche Arbeitsschutzorganisation war nur unzureichend ausgebaut; die grundsätzlich erstellte Dokumentation zur Gefährdungsbeurteilung war veraltet und berücksichtigte die Vielblattsäge gar nicht), dass daraus zusätzlich zu dem als solchem bereits besonders schwerwiegenden Verstoß gegen § 7 II BetrSichV auf eine subjektive grobe Fahrlässigkeit des zuständigen Beklagten zu 2. geschlossen werden kann.
109cc)
110Danach sind die subjektiven Elemente der groben Fahrlässigkeit in der Person des Beklagten zu 2. erfüllt, da ihn nach der internen Geschäftsverteilung die Verantwortung für die unzureichende Gesamtkonzeption des Arbeitsschutzes im Betrieb der F G GmbH & Co KG trifft und ihm der konkrete Mangel der elektronischen Sicherheitsverriegelung an der Vielblattsäge positiv bekannt war. In diesem Zusammenhang ist zu seinem Nachteil ergänzend anzumerken, dass der Betrieb dieser Maschine ohne funktionierenden Schutzschalter selbst dann als grob fahrlässig einzustufen wäre, wenn es gar keine ausdrücklich normierten Unfallverhütungsvorschriften gäbe. Dies lässt sich bereits aus den Grundsätzen der allgemeinen Lebenserfahrung herleiten. So leuchtet es ein, dass die parallel angeordneten Sägeblätter für jeden, der in diesen Bereich gerät, die Gefahr der erheblichen Verstümmelung des betroffenen Körperteils begründen. Nach dem Sinn und Zweck des seitens des Herstellers vorgesehenen Sicherheitsmechanismus´ an der Vielblattsäge musste es sich dem Beklagten zu 2. aufdrängen, dass die Maschine nicht ohne die funktionierende Vorkehrung hätte betrieben werden dürfen.
111Dabei kann dahinstehen, zu welchem exakten Zeitpunkt er dieses Wissen erlangt hatte. Zwar legen die vorstehend erwähnten Erklärungen gegenüber der Bezirksregierung Arnsberg, der Staatsanwaltschaft Arnsberg und dem Zeugen U V nahe, dass der Defekt dem Beklagten zu 2. bereits von Anfang an bekannt gewesen sein dürfte. Dies muss jedoch nicht weiter vertieft werden, da er selbst zumindest einräumt, „irgendwann“ davon erfahren zu haben und nicht eingeschritten zu sein (Seite 6 der Berufungsbegründung; Bl. 166 GA) bzw. nicht mehr genau sagen zu können, ob dies ein Vierteljahr oder ein halbes Jahr vor dem Unfall gewesen sei (persönliche Anhörung des Beklagten zu 2. in dem Senatstermin vom 17.12.2014; Seite 3 des Berichterstattervermerks, Bl. 284 GA). Mithin wäre ihm selbst auf der Grundlage seiner eigenen Darstellung ab der von ihm behaupteten Kenntniserlangung noch genügend Zeit verblieben, um den gravierenden und offenkundig sicherheitsrelevanten Mangel zu beheben – zumal die Instandsetzung keinen nennenswerten Aufwand erfordert hätte (s.o.).
1124. Herbeiführung durch betriebliche Tätigkeit
113Der Beklagte zu 2. hat zudem auch gem. §§ 110, 105 I SGB VII durch seine betriebliche Tätigkeit den Arbeitsunfall des Zeugen E Q als Versicherungsfall herbeigeführt.
114Betrieblich sind alle Tätigkeiten, die dem Schädiger von dem Betrieb oder für den Betrieb übertragen worden sind oder die vom Schädiger im Betriebsinteresse ausgeführt werden. Die Beurteilung erfolgt nach objektiven Gesichtspunkten (vgl. Eichenhofer/Wenner, § 105 SGB VII, Rdz. 11). In diesem Rahmen hat der Beklagte zu 2. den Arbeitsunfall des Zeugen E Q durch ein Unterlassen herbeigeführt. Dieses ist vorliegend tatbestandsmäßig, da den Beklagten zu 2. eine Rechtspflicht zum Handeln, d.h. zum rechtzeitigen Einschreiten, getroffen hätte.
115aa)
116Insofern teilt der Senat die von dem Landgericht befürwortete Garantenstellung zum Schutz fremder Rechtsgüter i.S.d. § 823 I BGB als Ansatz für die persönliche Haftung des Beklagten zu 2.: Eine solche ergibt sich, wenn mit den Pflichten aus der Organstellung gegenüber der Gesellschaft auch Pflichten einhergehen, die von dem Geschäftsführer nicht mehr nur für die Gesellschaft als deren Organ zu erfüllen sind, sondern die ihn aus besonderen Gründen persönlich gegenüber Dritten treffen. Dies kann in dem deliktischen Bereich insbesondere wegen einer dem Geschäftsführer als Aufgabe zugewiesenen Garantenstellung zu dem Schutz fremder Schutzgüter i.S.d. § 823 I BGB der Fall sein, die ihre Träger der Einflusssphäre der Gesellschaft anvertraut haben. Hier kann über die Organstellung hinaus eine mit der Zuständigkeit für die Organisation und Leitung und der daraus erwachsenden persönlichen Einflussnahme auf die Gefahrenabwehr- bzw. –steuerung verbundene persönliche Verantwortung des Organs den Betroffenen gegenüber zum Tragen kommen. In dieser Beziehung gilt für die Eigenhaftung des Geschäftsführers im Grundsatz nichts anderes als für jeden anderen Bediensteten des Unternehmens, soweit dessen Aufgabenbereich sich auf die Wahrung deliktischer Integritätsinteressen erstreckt. Es ist deshalb in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass die Verantwortlichkeit für die einer juristischen Person zuzurechnende Schädigung unter besonderen Voraussetzungen auch die zu ihrem Organ bestellten Personen betrifft, selbst wenn diese nicht eigenhändig gehandelt haben, aber die Ursache für die Schädigung in Versäumnissen bei der ihnen übertragenen Organisation und Kontrolle zu suchen ist. Voraussetzung ist allerdings auch hier, dass zu der Abwehr der sich in dieser Weise aktualisierenden Gefahrenlage der Geschäftsführer gerade in seinem Aufgabenbereich gefordert ist (BGHZ 109, 297).
117bb)
118Nach dem Geschäftsverteilungsplan der F G GmbH & Co KG gab es zwischen den beiden Beklagten eine Aufgabenteilung in einen eher betriebswirtschaftlich und einen eher technisch geprägten Bereich. Danach fielen „Märkte + Controlling“ in die Verantwortung des Beklagten zu 1., der Beklagte zu 2. war zuständig für „Produktion + Technik“ (Anlage zur Berufungsbegründung; Bl. 172 GA). Insofern lässt sich der Unfall des geschädigten Zeugen E Q dem Aufgabenbereich des Beklagten zu 2. zuordnen. Hier finden sich im Geschäftsverteilungsplan u.a. die Oberbegriffe „Bandsägewerk“, „Rundholzplatz“, „Weiterverarbeitung“, „Technik“ und u.a. die weiteren Unterteilungen „Instandhaltung“, „Techn. Einkauf“, „Steuerungstechnik“, „Technische Entwicklung“. Diese Zuständigkeit entspricht wohl auch der eigenen Einschätzung des Beklagten zu 2. Gemäß dem Bericht der Bezirksregierung Arnsberg an die Staatsanwaltschaft Arnsberg zum Arbeitsschutz hat sich der Beklagte zu 2. selbst als derjenige bezeichnet, der für die Produktion und den sicheren Betrieb verantwortlich ist (Seite 2 des Gutachtens; Bl. 15 der Beiakte).
119Aus der Zuständigkeit des Beklagten zu 2. für die technischen Einrichtungen des Unternehmens inclusive des entsprechenden Arbeitsschutzes und in Verbindung mit seiner von ihm selbst eingeräumten Kenntnis von dem Zustand der erworbenen Maschine lässt sich eine Verkehrssicherungspflicht unter dem Gesichtspunkt der Verantwortung für den Betrieb einer Gefahrenquelle herleiten. Sein unterlassenes Einschreiten ist damit einem Tun gleichzusetzen und weist als Herbeiführen i.S.d. § 110 I 1 SGB VII schadensrechtliche Relevanz auf.
120III. Kausalzusammenhang
121Der für die Haftung des Beklagten zu 2. erforderliche Kausalzusammenhang ist zu bejahen. Hätte die Vielblattsäge über die erforderliche elektromagnetische Sicherheitsverriegelung verfügt (- sei es, weil der Beklagte zu 2. nur die naheliegendsten Gedanken angestellt hätte oder aber weil er die erforderliche Gefährdungsbeurteilung nebst Dokumentation und Prüfungen veranlasst/durchgeführt und dabei die vorhandenen grundlegenden Mängel im Betrieb und den konkreten Sicherheitsdefekt der betroffenen Maschine bemerkt und sodann behoben hätte -), wäre der Arbeitsunfall des Zeugen E Q mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden. Dann hätte sich die Maschine nämlich in dem Moment automatisch ausgestellt, in dem die Sicherheitshaube angehoben wurde.
122IV. Ersatz der Aufwendungen
123Die Forderung der Klägerin gegen den Beklagten zu 2. besteht allerdings nur in einer Höhe von 180.762,17 €.
1241.
125Die insofern gebotene geringfügige Klageabweisung im Verhältnis zu dem Beklagten zu 2. beruht zunächst auf einem Rechenfehler, welcher der Klägerin bei der Addition der Einzelpositionen ihrer Klageschrift ein Rechenfehler unterlaufen sein dürfte. Der Gesamtbetrag der auf Seite 9 der Klageschrift (Bl. 9 GA) genannten Ansätze summiert sich auf 181.927,51 €. Er weicht somit um 970,40 € von der im Antrag zu 1. bezifferten und durch das erstinstanzliche Urteil titulierten Forderung ab.
1262.
127Abzusetzen sind weiterhin die von der Klägerin geltend gemachten Verwaltungskosten in Höhe von 1.165,34 €, deren schadensrechtliche Relevanz i.S.d. §§ 249 ff. BGB schriftsätzlich nicht näher substantiiert worden ist und sich auch aus den beigefügten Anlagen oder sonstigen Umständen nicht erschließt.
1283.
129Im Übrigen jedoch sind die geltend gemachten Positionen in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.
130a)
131Der Regress des Sozialversicherungsträgers richtet sich auf Ersatz der infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen (nach Gesetz oder Satzung, Ermessensleistungen eingeschlossen; Geldleistungen oder Wert der Sachleistungen). Dafür, dass etwa nur solche Aufwendungen beansprucht werden können, die den Leistungen der Sozialversicherung kongruent sind, enthält das Gesetz hingegen keinen Anhaltspunkt (Eichenhofer/Wenner, § 110 SGB VII, Rdz. 10).
132b)
133Zu den Aufwendungen der Klägerin verhalten sich die Klageschrift auf Seite 8/9 (Bl. 8/9 GA) nebst den Anlagen K1 bis K4 (Bl. 11-25 GA) sowie der weitere Schriftsatz vom 04.12.2014 auf den Seiten 8-10 (Bl. 234-236 GA) nebst Anlagen (Bl. 242-262).
134Diese aktenkundigen Unterlagen liefern hinreichend tragfähige Anhaltspunkte, um dem Senat eine entsprechend Würdigung und Schätzung gem. § 287 I ZPO zu ermöglichen. Die Vorschrift verzichtet für bestimmte Anspruchsvoraussetzungen, die nicht den Grund, sondern den Umfang der Haftung betreffen, auf das Erfordernis des Wahrheitsbeweises nach § 286 ZPO. Der Richter darf Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen anstellen und zu Schätzungen greifen (Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 30. Auflage, § 287 Rdz. 1).
135Von dieser prozessualen Möglichkeit kann der Senat im vorliegenden Fall Gebrauch machen. Der Klägerin ist zuzubilligen, dass es nach einem Versicherungsfall mit dem hier vorliegenden Ausmaß an Gesundheitsschäden, Folgebeeinträchtigungen, Maßnahmen der beruflichen Wiedereingliederung und Umschulung sowie sonstigen sozialversicherungsrechtlichen Kompensationen schwerfällt, jeden einzelnen vorgenommenen Handlungsschritt und jede einzelne Maßnahme noch bis in das letzte Detail hin zu beziffern. Insofern genügt es für die Einschätzung des Senates, dass die vorliegenden Unterlagen jedenfalls umfassend und glaubhaft sind. Sie bieten in ihrer Gesamtheit eine plausible Übersicht der vorgenommenen Leistungen nach einem derartig schwerwiegenden Unfall, der für den betroffenen Arbeiter zu dem Verlust der rechten Hand führte. Die danach vorgenommenen Maßnahmen beginnen mit der notfallmäßigen Versorgung und den weiteren stationären und ambulanten Behandlungen mit Revisionsoperation im Mai 2010 und prothetischer Versorgung im März 2011. Auch die Ansätze der beruflichen Umschulung und Wiedereingliederung sind hinreichend dokumentiert. Nach dem Ende der Lohnfortzahlung leistete die Klägerin dem Zeugen E Q Verletztengeld in dem Zeitraum vom 22.04.2010 bis zum 27.03.2011 in einem Gesamtumfang von 18.362,40 €. Ab dem 28.03.2011 erhielt er ein Übergangsgeld in Höhe von 1.257,90 € monatlich. Ferner zahlt die Klägerin dem heute 37-jährigen Zeugen E Q eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60% in Höhe von 1.069,62 € monatlich. Im Übrigen erbrachte sie in den genannten Zeiträumen jeweils Leistungen zur gesetzlichen Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung. Von März 2011 bis Juni 2013 absolvierte E Q eine Umschulung zum Bürokaufmann. Mittlerweile – seit 15.09.2014 - hat er eine Anstellung als Bürokaufmann bei einem Autohaus gefunden.
136Ausgehend von dieser gesundheitlichen und beruflichen Entwicklung des Geschädigten ist der Senat von der Richtigkeit der Angaben der Klägerin zu ihren Aufwendungen überzeugt. Es bestehen keine Zweifel und Bedenken, die Richtigkeit des tenorierten Betrages von 180.762,17 € in seiner Höhe und seiner einzelnen Zusammensetzung auf der Grundlage von § 287 I ZPO zu schätzen.
137V. Haftungsbeschränkung – Zivilrechtlicher Schadensersatzanspruch
138Der zugebilligte Ersatzanspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 2. überschreitet mit seinem Umfang von 180.762,17 € auch nicht die durch § 110 I 1 SGB VII gesetzlich vorgegebene Haftungsobergrenze. Gemäß dieser Norm ist die Forderung des Sozialversicherungsträgers insoweit beschränkt, als dass die Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs des Geschädigten nicht überschritten sein darf. Es kommt also darauf an, was der Schädiger privatrechtlich leisten muss oder an sich leisten müsste, wenn er von der Haftung nicht freigestellt wäre.
139Im vorliegenden Fall ist jedoch die der Klägerin nunmehr zugesprochene Forderung in Höhe von 180.762,17 € ohnehin kongruent mit dem fiktiven zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Zeugen E Q . Im Einzelnen:
1401.
141Kongruent zu dem fiktiven zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Zeugen E Q – und damit von vornherein unbedenklich im Hinblick auf die Beschränkung des § 110 I 1 SGB VII – ist die bezifferte Klageforderung, soweit die Klägerin die Kosten der Heilbehandlung und der dauerhaften beruflichen Wiedereingliederung (Anlage K2; Bl. 12-14 GA) getragen hat. Diese wären im Anschluss an den Arbeitsunfall von dem Geschädigten selbst zu leisten und damit gem. § 249 II BGB Gegenstand seines fiktiven Ersatzanspruchs gegen den Schädiger gewesen (zu den Kosten der Heilbehandlung und der beruflichen Rehabilitation vgl. nur Palandt-Grüneberg, § 249 Rdz. 8, 10 mwN), wenn hierfür nicht der Unfallversicherungsträger eingetreten wäre. Insofern sind aus der Klageschrift (dort S. 9; vgl. Bl. 9 GA) zunächst die nachfolgenden Positionen in Ansatz zu bringen:
142Stationäre Behandlungskosten 2.939,27 €
143Ambulante Behandlungskosten 1.944,29 €
144Arzneimittel 488,38 €
145Aufwendungen für Hilfsmittel und Körperersatzstücke 31.396,23 €
146Fahrtkosten Rehabilitation 6.482,22 €
147Berufshilfeleistungen vom 28.03.2011 bis 31.12.2012 52.847,13 €
148Insgesamt 96.097,52 €
1492.
150Darüber hinaus sind allerdings auch die von der Klägerin erbrachten Leistungen in Form von
151Verletztengeld 18.362,40 €
152Übergangsgeld vom 28.03.2011 bis 30.11.2012 26.492,42 €
153Verletztenrente 24.361,93 €
154Insgesamt 69.216,75 €
155kongruent zu einem fiktiven Schadensersatzanspruch des Zeugen E Q im vorliegenden Fall.
156Als Annex hinzuzurechnen sind die darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von insgesamt 15.447,90 € (= 9.533,73 € vom 22.04.2010 bis zum 27.03.2011 zuzüglich 5.914,17 € für die Zeit vom 28.03.2011 bis zum 30.11.2012).
157a)
158Nach der sozialrechtlichen Wertung ist der Ausgleich unfallbedingter Lohnausfälle durch Verletztenrente, Krankengeld, Erwerbsminderungsrente etc. kongruent zu einem Erwerbsschaden i.S.d. §§ 842, 843 BGB (Geigel-Plagemann, § 30 Rdz. 9). Sie umfasst nach ihrer Bestimmung mithin auch Schadensansätze wie die Vermehrung der Bedürfnisse, den Verdienstausfall bzw. entgangenen Gewinn und die Erwerbsminderung, auch in Bezug auf die häusliche Arbeitsleistung (zu deren Bedeutung im Rahmen des § 843 BGB vgl. Palandt-Sprau, § 843 Rdz. 3-8). Daraus folgt zwar noch nicht zwingend, dass die von der Klägerin erbrachten Leistungen auf Euro und Cent betraglich genau deckungsgleich sind mit dem Schadensersatzanspruch, den E Q ansonsten wegen der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit etc. gehabt hätte. Allerdings ergibt sich aus der unfallversicherungsrechtlichen Kongruenz von Verletztengeld (§ 45 SGB VII), Übergangsgeld (§ 49 SGB VII) und der Verletztenrente (§ 56 SGB VII), dass diese einen unmittelbaren Bezug zur Kompensation des Erwerbsschadens des Betroffenen haben. Daher lässt sich auf der prozessualen Grundlage von § 287 I ZPO zumindest schätzen, dass die in Rechnung gestellten Aufwendungen der Klägerin betragsmäßig jedenfalls nicht höher ausgefallen sind als die ihnen entsprechenden Positionen eines fiktiven Schadensersatzanspruchs des Zeugen E Q in der Addition zu berechnen gewesen wären:
159aa)
160So darf die Höhe des Verletztengeldes und – bei Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben - des Übergangsgeldes, die während der Heilbehandlung und der medizinischen Rehabilitation gezahlt werden (vgl. dazu Eichenhofer/Wenner, § 45 Rdz. 1), gem. §§ 47 I Nr. 2, 50 SGB VII die Höhe des entgangenen Nettoarbeitsgeldes nicht übersteigen.
161bb)
162Die zudem durch die Klägerin an den Zeugen E Q geleistete Verletztenrente berechnet sich nach der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit von 60% und dem Jahresarbeitsverdienst von 31.096,07 €, der in den zwölf Kalendermonaten vor dem Unfall erzielt worden war (Bescheid der Klägerin vom 03.05.2011; Bl. 15 GA). Im Hinblick auf die Zweckbestimmung ist dem Regelungsgehalt der §§ 56 ff. SGB VII insgesamt und dem Zusammenspiel mit anderen Sozialleistungen zu entnehmen, dass sie jeweils der Sicherung des allgemeinen Lebensunterhalts dienen. In abstrakter und pauschalierender Ausgestaltung soll der Ausfall an Arbeitsentgelt und –einkommen ausgeglichen werden, der durch die versicherungsfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit eintritt. Dem werden jedoch nicht mehr nur die Funktion eines materiellen, finanziellen Schadensausgleichs sowie Lohnersatzfunktion zugesprochen, sondern zugleich und vorrangig die Funktion eines Ersatzes des Gesundheitsschadens und eines immateriellen Schadensausgleichs. Somit ist zu trennen in den pauschalen Ausgleich eines durch die Körperschäden bedingten Mehrbedarfs und einen Anteil, der den Einkommensverlust ausgleichen soll, ohne dass bei der Rentenbemessung im Einzelfall nach den Entschädigungszwecken unterschieden wird (Eichenhofer/Wenner, § 56 Rdz. 6, 8 mwN; BGH NJW 1982, 37).
163b)
164Diese gesetzliche Konzeption der von der Klägerin erbrachten Leistungen lässt mithin zumindest die Schätzung gem. § 287 I ZPO zu, dass der Erwerbsschaden von E Q im Wesentlichen den Aufwendungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung entsprochen hätte und dabei die bezifferte Klageforderung die Grenze des § 110 I 1 SGB VII („bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs“) nicht überschreitet.
1653.
166Ohne dass es darauf im vorliegenden Fall noch ankäme, wäre im Übrigen bei der Bemessung der Grenze des § 110 I 1 SGB VII noch zusätzlich zu bedenken, dass neben den verschiedenen kongruenten Positionen dem Geschädigten allein auch noch ein Schmerzensgeldanspruch gem. § 253 II BGB hätte zustehen können. Dieser wäre in eine gem. § 110 I 1 SGB VII gebotene Berechnung vorliegend mit einem Betrag von 60.000,00 € einzubeziehen gewesen.
167a)
168Das Schmerzensgeld dient u.a. dem Ausgleich für die erlittenen Schmerzen und Leiden des Verletzten (BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 06.07.1955, GZS 1/55, Tz. 15 – zitiert nach juris; Geigel-Pardey, § 7 Rdz. 35). Seine Bemessung richtet sich daher stets nach der Lage des Einzelfalles. Dabei sind insbesondere das Ausmaß und die Schwere der Verletzungen sowie die Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen einerseits, andererseits der Grad des Verschuldens einzubeziehen (Palandt-Grüneberg, § 253 Rdz. 15). Auch die persönlichen Verhältnisse des Verletzten wie Alter, Geschlecht, Beruf und persönliche Neigungen sind zu berücksichtigen (Hacks/Wellner/Häcker „Schmerzensgeld-Beträge“ 32. Auflage, Seite 15).
169b)
170Die konkrete Berechnung des Schmerzensgeldes im vorliegenden Fall wird geprägt durch den auf grobe Fahrlässigkeit des Schädigers zurückzuführenden Verlust der rechten Hand bei einem damals 32-jährigen Arbeiter mit anschließender Heilbehandlung und Rehabilitation (ohne Mitverschulden; hierzu s.u.). Der Behandlungs- und Heilungsverlauf ist unstreitig. Der Zeuge E Q wurde unmittelbar nach dem Unfall vom 10.03.2010 im Klinikum X im Rahmen einer umgehend eingeleiteten Operation erstversorgt. Es konnte nur eine Stumpfbildung auf der Höhe des Handgelenks erfolgen. Die weitere Behandlung fand im Krankenhaus Y statt. Da der Unterarmstumpf in der Folgezeit zunächst nekrotisches Gewebe aufwies und zudem auch eine Revisionsoperation im Mai 2010 erforderlich war, konnte eine prothetische Versorgung erst im März 2011 erfolgen. Dass der Zeuge E Q zudem unter psychischen Beeinträchtigung leidet, erscheint angesichts des massiven Unfallereignisses auf der Grundlage seiner Aussage vor dem Senat am 17.12.2014 (Seite 5 des Berichterstattervermerks; Bl. 285 GA) uneingeschränkt glaubhaft. Für ihn handelt es sich um einen Schicksalsschlag, dessen Folgen ihn sein gesamtes weiteres Leben lang täglich spürbar begleiten werden. Angesichts dieser Rahmenbedingungen teilt der Senat ausgehend von den Vergleichsfällen bei Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2014 (vgl. dort die Nummern 1-6, diese allerdings betreffend amputierte Arme, und 1100) die angemessene Einschätzung der Klägerin, dass im Falle des Zeugen E Q ein fiktives Schmerzensgeld in Höhe von 60.000,00 € veranschlagt und, wäre es darauf angekommen, in die Berechnung der betraglichen Obergrenze eines Aufwendungsersatzanspruchs gem. § 110 I 1 SGB VII hätte einbezogen werden können.
1714.
172Im Ergebnis ist damit hinreichend gewährleistet, dass gem. § 110 I 1 SGB VII die bezifferte Klageforderung die Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs nicht übersteigt.
173VI. Mitverschulden
174Der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 2. ist nicht unter Berücksichtigung eines etwaigen Mitverschuldens gem. § 254 I, II BGB zu kürzen. Als Ansatz hierfür kommen weder das Verhalten des geschädigten Zeugen E Q noch die eigenen Pflichten der Klägerin als Berufsgenossenschaft in Betracht.
1751. Mitverschulden des Geschädigten
176Zwar ist die Frage, ob ein Mitverschulden des Geschädigten gem. § 254 BGB gegenüber dem Anspruch aus § 110 SGB VII Berücksichtigung finden kann, angesichts von Sinn und Zweck der grundlegenden Regelungen zu bejahen. Der Schädiger soll im Regress nicht mehr schulden, als er im Wege des Schadensersatzes zu zahlen hätte (Eichenhofer/Wenner, § 110 SGB VII, Rdz. 11). Jedoch sind im vorliegenden Fall die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Mitverschuldens des Geschädigten E Q nicht festzustellen.
177a)
178In tatsächlicher Hinsicht trägt der Ersatzpflichtige, hier also der Beklagte zu 2., die Beweislast für das Verschulden des Geschädigten und dessen Ursächlichkeit (BGH NJW 2013, 2018 Tz. 34; BGH NJW 2007, 1063). Vorliegend sind jedoch die tatsächlichen Voraussetzungen eines ein Mitverschulden begründenden Sachverhalts zur Überzeugung des Senates nicht erwiesen. Es steht lediglich fest, dass die rechte Hand des Zeugen E Q durch die Vielblattsäge abgetrennt worden ist. Weitere Einzelheiten sind nicht bekannt.
179aa)
180Der Zeuge E Q selbst hat bekundet, sich nicht an den Unfall erinnern zu können. Seine – auch dem medizinischen Laien plausibel erscheinende – Amnesie ist von den Parteien nicht in Zweifel gezogen worden.
181bb)
182Angesichts der Unaufklärbarkeit näherer Details des Unfalls hätte ein (Teil-)Erfolg des Beklagten zu 2. über den Gesichtspunkt des Mitverschuldens allenfalls noch dann hergeleitet werden können, wenn hier zu seinen Gunsten ein Anscheinsbeweis oder eine Beweislastumkehr anzunehmen gewesen wäre. Dies lässt sich aber nicht begründen: Allein aus dem schädigenden Ergebnis, dass die rechte Hand des Zeugen E Q durch die Vielblattsäge abgetrennt wurde, kann nicht hinreichend zuverlässig auf ein mitverschuldendes Verhalten des Geschädigten geschlossen werden. Ein Anscheinsbeweis setzt grundlegend voraus, dass ein Sachverhalt nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Geschehensablauf hinweist, wenn der Fall das Gepräge des Üblichen und Gewöhnlichen trägt (BGH NJW-RR 2010, 1331). Der Anscheinsbeweis bedeutet nicht etwa, dass die beweisbelastete Partei ihre Darstellung nur wahrscheinlich zu machen braucht; der streng nachgewiesene Teilsachverhalt und allgemeine oder besondere Erfahrungssätze müssen vielmehr die volle Überzeugung des Richters von dem behaupteten Geschehensablauf begründen (Palandt-Grüneberg, Vorb v. § 249 Rdz. 130/131). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Dem steht schon entgegen, dass es sich bei dem Umgang mit einer Vielblattsäge nicht um einen typischen Geschehensablauf handelt, den jedermann anhand der allgemeinen Lebenserfahrung einordnen kann, sondern um einen Sachverhalt, dessen Verständnis exclusive Spezialkenntnisse erfordert. Wenn dann aber der konkrete Grund für das Handeln des Zeugen E Q ungeklärt ist, wäre jeder Erklärungsversuch auf bloße Spekulationen angewiesen und ließe somit unterschiedliche denkbare Lebenssachverhalte offen. Im Ergebnis bleibt es daher bei der herkömmlichen prozessualen Konstellation, dass die rechtliche Würdigung eines ungeklärten Sachverhalts zum Nachteil des Beweisbelasteten ausfällt. Im Hinblick auf die tatsächlichen Voraussetzungen des Mitverschuldenseinwands gem. § 254 BGB trifft dies den Schädiger.
1832. Mitverschulden der Klägerin
184Auch ein eigenes Mitverschulden der Klägerin ist vorliegend nicht in Ansatz zu bringen.
185Im Rahmen des § 110 SGB VII kann ein Mitverschulden des Sozialversicherungsträgers (etwa die Duldung eines gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßenden Verhaltens des Unternehmers) ohnehin allenfalls ausnahmsweise nach dem Rechtsgedanken des § 242 BGB in Betracht kommen (Eichenhofer/Wenner, § 110 SGB VII, Rdz. 11). Konsequenterweise müsste sich die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs der Klägerin bei objektiver Betrachtung im Sinne einer treuwidrig-unzulässigen Rechtsausübung darstellen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
186a)
187Insofern behaupten zwar die Beklagten mit der Berufungsbegründung, der Sicherheitsbeamte der Klägerin, der Zeuge U V , habe etwa zwei Wochen vor dem Unfall die Vielblattsäge in Augenschein genommen und anschließend gesagt, dass alles in Ordnung sei. Diese Darstellung hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat jedoch keine Bestätigung gefunden (Seiten 5/6 des Berichterstattervermerks; Bl. 285/285R GA). Angesichts dieses ohnehin negativen Beweisergebnisses bedarf es grundsätzlich keiner Würdigung der Aussage des Zeugen U V mehr. Aber auch ungeachtet dessen sieht der Senat keine Anhaltspunkte für Zweifel an der Darstellung, dass sich die vorherige Prüfung der streitgegenständlichen Maschine tatsächlich lediglich auf das Problem der Splitterauffang- und Rückschlagssicherung beschränkt habe.
188Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin den fehlenden Schutzmechanismus an der Vielblattsäge etwa geduldet hätte, sind nicht ersichtlich.
189b)
190Selbst wenn aber – entgegen der hier vorgenommenen Würdigung - die tatsächlichen Voraussetzungen einer einfachen Fahrlässigkeit der Klägerin bewiesen worden wären, so würde diese bei einer an §§ 242, 254 BGB orientierten Abwägung gegenüber der groben Fahrlässigkeit des Beklagten zu 2. ohnehin vollständig zurücktreten.
191VII. Ermessen
192Gem. § 110 II SGB VII können die Sozialversicherungsträger nach billigem Ermessen, insbesondere unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners, auf den Ersatzanspruch ganz oder teilweise verzichten. Hierzu sind sie allerdings nicht nur berechtigt, sondern, wenn das billige Ermessen es gebietet, sogar verpflichtet.
193Vorliegend hat die Klägerin durch die Klageerhebung zumindest konkludent die Entscheidung getroffen, nicht nach § 110 II SGB VII auf ihren Ersatzanspruch zu verzichten. Diese Entscheidung ist, soweit sie die persönliche Inanspruchnahme des Beklagten zu 2. betrifft, jedenfalls deshalb nicht zu beanstanden, weil er für den vorliegenden Fall nach eigenen Angaben den Schutz durch eine Haftpflichtversicherung genießt (vgl. dazu Eichenhofer/Wenner, § 110 SGB VII, Rdz. 12 mwN).
194VIII. Abgeltung
195Dem Anspruch der Klägerin steht nicht die Abgeltungsvereinbarung entgegen, die der Zeuge E Q am 01.07.2011/07.07.2011 in Ziffer 5. des mit der F G GmbH & Co KGgeschlossenen Aufhebungsvertrages getroffen hat (Bl. 42 GA):
196„ … Mit Erfüllung der vorstehenden Vereinbarungen sind alle wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung, gleichgültig ob bekannt oder unbekannt und aus welchem Rechtsgrund, abgegolten. …“
197Weder die Klägerin noch der Beklagte zu 2. sind Parteien dieser vertraglichen Regelung. Die Einigung wurde ausdrücklich mit der F G GmbH & Co KG getroffen und nicht mit dem Beklagten zu 2. persönlich. Zudem ergibt sich aus § 110 SGB VII für den Sozialversicherungsträger ein originärer Rückgriffsanspruch, der von dem ansonsten im Sozialrecht grundsätzlich geltenden Modell des gesetzlichen Forderungsübergangs - siehe insbesondere § 116 SGB X - abweicht (Eichenhofer/Wenner, § 110 SGB VII, Rdz. 2). Dementsprechend standen die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche bei dem Abschluss des Aufhebungsvertrages am 01.07.2011/07.07.2011 nicht (und auch niemals zuvor) in dem Vermögen und zur Disposition des Zeugen E Q . Es handelte sich also nicht um „Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis“ i.S.d. Ziffer 5 des Aufhebungsvertrages. Bei einer anderen Auslegung, wie sie von der Beklagtenseite vertreten werden möchte, hätte es sich im Übrigen auch um einen ohnehin unzulässigen Vertrag zu Lasten Dritter gehandelt.
198B. Zinsen
199Weiterhin steht der Klägerin gegen den Beklagten zu 2. ein Zinsanspruch in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu. Dieser ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB. Die Klage ist dem Beklagten zu 2. am 30.04.2013 zugestellt worden (Bl. 29 GA). Rechtshängigkeitszinsen können demnach ab 01.05.2013 verlangt werden.
200C. Feststellungsantrag
201Auch der Feststellungsantrag hat, soweit er sich gegen den Beklagten zu 2. richtet, Erfolg.
202I.
203Die Feststellungsklage ist zulässig, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen und der Kläger deshalb seinen Schaden noch nicht ganz oder nur teilweise beziffern kann (Geigel-Bacher, § 39 Rdz. 23 mwN). Die Klägerin hat für den Fall, dass es in Zukunft zu dem Eintritt von Spätschäden kommt, ein berechtigtes Interesse i.S.d. § 256 I ZPO daran, schon jetzt eine rechtskräftige Entscheidung über den Haftungsgrund herbeizuführen, um diesen für die Zukunft dem Streit der Parteien zu entziehen.
204II.
205Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Insoweit genügt bereits die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines behaupteten Schadens. Ein Feststellungsanspruch kann nur dann verneint werden, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit Spätfolgen zu rechnen. Demgegenüber reicht es aus, wenn künftige Schadensfolgen möglich, ihre Art und Umfang aber noch ungewiss sind (Zöller-Greger, § 256 Rdz. 9 mwN). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Sie lassen sich allein schon aus der Unberechenbarkeit physischer und psychischer Entwicklungen – zumal im Anschluss an ein derart massives Unfallereignis, wie es vorliegend der Zeuge E Q erleben musste – herleiten, weshalb auch für künftige Schäden das Feststellungsinteresse besteht.
206D. Prozessuale Nebenentscheidungen
207Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 I 1, 92 I 1 – 2. Alt. -, 97 I ZPO. Die geringfügigen Abzüge bei der tenorierten Forderung der Klägerin gegenüber dem Beklagten zu 2. wirken sich gem. § 92 II Nr. 1 ZPO auf die Kostenquote nicht aus.
208Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 und 2 ZPO.
209Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision gemäß § 543 II ZPO liegen nicht vor. Das Urteil stellt eine Einzelfallentscheidung dar. Der wesentliche Kern der Angelegenheit besteht in der Feststellung der grundlegenden Tatsachen und deren spezifischer Würdigung. Die Rechtssache besitzt so weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.