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Auf die Berufung des Klägers wird das am 14.05.2014 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Hagen abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 42.701,47 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 01.09.2011 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
G r ü n d e :
2A.
3Die Parteien streiten um die Rückzahlung von Zahlung an Netzentgelten aufgrund einer Insolvenzanfechtung. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der E GmbH, einer Gesellschaft des E-Konzerns. Die E GmbH (iF. E) vertrieb als Strom- und Gasanbieter Energie an ihre Kunden und war zu diesem Zweck Vertragspartner verschiedener Netzbetreiber. Aufgrund Antrags vom 14.06.2011 wurde durch Beschluss des AG Bonn vom 01.09.2011 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Beklagte betreibt ein Verteilnetz und stellte der E aufgrund eines Lieferantenrahmenertrags vom Februar 2008 und eines weiteren Vertrags vom Oktober 2009 die Nutzung ihres Strom- und Gasnetzes zur Verfügung.
4Die E war seit Januar 2008 mit Zahlungen verschiedener Nutzungsentgelte im Verzug und seit dem 01.05.2009 zahlungsunfähig. Sie war auch mit der Zahlung von Nutzungsentgelten an die Beklagte im Verzug. Die Beklagte mahnte mit Schreiben vom 16.02.2010 einen Betrag von 12.982,86 € an und übersandte am 21.05.2010 eine weitere Mahnung über 21.530,91 €. Nach einem anwaltlichen Mahnschreiben vom 21.05.2010 beantragte die Beklagte am 25.05.2010 den Erlass eines Mahnbescheids über eine Hauptforderung von 21.530,91 €, der am 26.05.2010 erlassen wurde.
5Mit E-Mail vom 09.09.2010 und erneut mit anwaltlichem Mahnschreiben vom 05.10.2010 forderte die Beklagte die E zur Zahlung eines rückständigen Betrag von 13.831,55 € auf, worauf die E einen Teilbetrag von 11.730,00 € zahlte. Nach einer Zahlung von 521,- € am 16.11.2010 blieben Zahlungen der E bis April 2011 aus.
6Die Beklagte forderte die E am 24.02.2011 zur Zahlung fälliger Entgelte in Höhe 16.729,56 € auf und erhob, nach fruchtloser Mahnung, insoweit am 14.03.2011 Zahlungsklage. Am 16.03.2011 forderte die Beklagte die E zur Zahlung einer Vorauszahlung in Höhe von 8.500,- € bis zum 13.3.2011 auf und drohte, bei fruchtlosem Fristablauf den Netzzugange zu verweigern. Am 07.04.2011 klagte die Beklagte gegen die E auf Zahlung von 8.500,- €.
7Im Zeitraum von April 2010 bis Juni 2010 zahlte die E insgesamt einen Betrag von 42.701,47 € an die Beklagte für die Nutzung des Gas- und Stromnetzes. Der Kläger forderte die Beklagte zur Rückzahlung von 42.701, 47 € auf und klagte, da die Beklagte die Zahlung verweigerte, auf Zahlung dieses Betrags.
8Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der Anträge in erster Instanz wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.
9Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Zahlungen seien weder nach § 130 InsO noch nach § 133 InsO anfechtbar, da die Beklagte zum Zeitpunkt der Zahlungen weder die Zahlungsunfähigkeit der E kannte noch Umstände kannte, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit hinwiesen, noch eine drohende Zahlungsunfähigkeit kannte. Die nach § 130 InsO erforderliche positive Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit sei nicht nachgewiesen. Der Umstand, dass die Beklagte ein Mahnverfahren eingeleitet und zwei Leistungsklagen erhoben habe, reiche auch im Zusammenhang mit den Presseberichten über die wirtschaftliche Situation der E-Gruppe nicht aus, da in der Presse zugleich auch darüber berichtet worden sein, dass die E-Gruppe eine Insolvenzreife stets dementiert habe. Auch die Kenntnis einer drohenden Zahlungsunfähigkeit sei nicht bewiesen, da angesichts der uneinheitlichen Berichterstattung in der Presse kein zwingender Schluss auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit zu ziehen gewesen sei. Wegen der Einzelheiten des Tenors und der Begründung wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.
10Mit der gegen dieses Urteil gerichteten form- und fristgerechten Berufung verfolgt der Kläger seinen Anspruch in dem in erster Instanz geltend gemachten Umfang weiter. Zur Begründung wiederholt und vertieft er im Wesentlichen das erstinstanzliche Vorbringen und macht insbesondere geltend, die Kenntnis der Beklagten von Indizien, aus denen die Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungseinstellung unzweifelhafte folge, sei nachgewiesen. Die Beklagte habe auch nicht darauf vertrauen können, das die Zahlungsfähigkeit der E bestehe, solange sie keine Kenntnis von einem Untersagungsverfahren des Bundesnetzagentur habe, zumal die Einleitung eines solchen Verfahrens nicht veröffentlicht werde.
11Der Kläger ist weiterhin der Ansicht, es handele sich bei den Zahlungen für Netzentgelte entgegen der Auffassung der Beklagten bei den Zahlungen für Netzentgelte nicht um ein Bargeschäft i.S. des § 142 InsO, da es an der Unmittelbarkeit von Leistung und Gegenleistung fehle.
12Der Kläger ist weiterhin der Ansicht, dem von der Beklagten genannten Urteil des LG Gießen vom 10.4.2014 liege ein anderer Sachverhalt zugrunde, da der dortigen Entscheidung wesentlich geringere Zahlungsverzüge zugrunde lagen.
13Der Kläger beantragt,
14das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 42.701,47 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 1. September 201 zu zahlen.
15Die Beklagte beantragt,
16die Berufung zurückzuweisen.
17Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil mit näheren Ausführungen. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und ist insbesondere der Meinung, aus dem Umstand, dass die E die Zahlung, wenngleich verspätet und unter dem Eindruck von Gerichtsverfahren, letztlich geleistet habe, habe die Beklagte schließen dürfen, dass keine Zahlungsunfähigkeit vorlag.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in dieser Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
19B.
20Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
21I. Der Kläger hat entgegen der Auffassung des Landgerichts einen Anspruch auf Zahlung von 73.150,14 € gegen die Beklagte wegen Insolvenzanfechtung.
221. Der Zahlungsanspruch des Klägers ergibt sich aus §§ 143, 130 InsO.
23a) Durch die an die Beklagte geleisteten Zahlungen der E wurden die übrigen Gläubiger benachteiligt, da hierdurch die Aktivmasse verkürzt worden ist. Die E war zum Zeitpunkt der Zahlungen zahlungsunfähig
24b) Es kann dahinstehen, ob die Beklagte Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der E hatte, da sie Kenntnis von Umständen hatte, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der E schließen ließen. Für den Schluss reicht es aus, wenn der Anfechtungsgegner die tatsächliche Umstände kennt, aus denen bei verständiger rechtlicher Beurteilung Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGH, Urteil vom 19.02.2009, IX ZR 62/08, NZI 2009, 228, 229, Rn. 13; Urteil vom 8.10.2009, IX ZR 173/07, NZI 2009, 847, 848, Rn. 10; Urteil vom 10.1.2013, IX ZR 13712, NZI 2013, 249, 251, Rn. 28; Nerlich/Römermann/Nerlich, InsO, 26. EL 2014, § 130 Rn. 69). Dabei ist auf die Betrachtungsweise eines durchschnittlich geschäftserfahrenen Gläubigers abzustellen (BGH, Urteil vom 15.10.2009, IX ZR 201/08, NZI 2009, 892, 893, Rn. 6).
25Damit sind die objektiven Beweiszeichen der Zahlungsunfähigkeit maßgeblich, die der Beklagten bekannt waren. Dies sind insbesondere die Beweiszeichen, die sich aus der Vertragsbeziehung zwischen der E und der Beklagten ergaben. Folgende Beweiszeichen waren der Beklagten unstreitig bekannt:
26- Die E hat seit Anfang des Jahres 2010 wiederholt Netzentgelte nicht bezahlt. Eine vollständige Zahlung erfolgte trotz Mahnungen und eines gerichtlichen Mahnverfahrens im Mai 2010 nicht.
27- Im weiteren Jahresverlauf 2010 erfolgten weitere Teilleistungen, aufgrund derer ein sich erhöhender Zahlungsrückstand eintrat.
28- Im Zeitraum von November 2010 bis April 2011 erfolgten keine Zahlungen.
29- Die E zahlte im März 2011 die angeforderte Vorauszahlung trotz Ankündigung der Einstellungen der Leistungen der Beklagte nicht.
30- Die Forderungen der Beklagten wurden von der E nicht bestritten.
31- Die E schuldete auch anderen Stadtwerken Netzentgelte, woraufhin diese Vorauszahlung forderten.
32- Es gab in der Presseberichterstattung wiederholt Hinweise auf massive Zahlungsschwierigkeiten der E-Gruppe.
33- Nach Erhebung der beiden Zahlungsklagen im März und April leistete die E am 18.4.2011 lediglich eine Teilzahlung von 18.939,01 € - bei einer rechtshängigen Gesamtforderung von lediglich 25.229,56 €.
34Aus diesen Indizien ist zweifelsfrei zu schließen, dass die E zahlungsunfähig war. Das Verhalten der E, die keine Einwände gegen die Forderungen erhob, gleichwohl aber angesichts von eher geringfügigen Beträgen von einigen Tausend Euro über Monate trotz Kosten für Mahnungen und Mahnverfahren nicht zahlte und sodann, nach Klageerhebung und Androhung der Leistungseinstellung, wiederum nur eine Teilzahlung erbrachte, lässt sich aus Sicht eines verständigen Gläubigers nur damit erklären, dass ein Mangel an Zahlungsmitteln besteht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein ähnliches Verhalten auch bei anderen Gläubigern vorliegt und das Vorliegen von Zahlungsschwierigkeiten allgemein bekannt ist. In diesem Fall kann nicht mehr angenommen werden, dass es sich um bloße Zahlungsstockungen handelt.
35Anzeichen dafür, dass die E aufgrund einer Zahlungsunwilligkeit nicht leistete, lagen nicht vor. Dem von der Beklagten genannte Pressebericht über einen neuen Investor im Februar 2011 lässt sich nicht entnehmen, dass eine wesentliche Verbesserung der Finanzlage der E eingetreten war. Im Übrigen besserte sich das Zahlungsverhalten der E nicht und gab es weiterhin auch kritische Presseberichte über die Finanzkraft der E.
36Es ist unerheblich, ob die Beklagte trotz der ihr bekannten Indizien das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit unzutreffend verkannt hat. Bewertet der Anfechtungsgegner ihm bekannte Beweiszeichen, aufgrund derer ein durchschnittlich geschäftserfahrener Gläubiger eine Zahlungsunfähigkeit angenommen hätte, falsch, kann er sich nicht darauf berufen, dass er die Zahlungsunfähigkeit nicht kannte (BGH, Urteil vom 20.11.2001, IX ZR 48/01, BGHZ 149,178, Rn. 29).
37c) Die Anfechtung ist nicht nach § 142 InsO ausgeschlossen, weil kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Zahlung der Nutzungsentgelte und dem Netzzugang besteht. Zwar kann auch bei Dauerschuldverhältnissen ein Bargeschäft vorliegen. Jedoch ist dann erforderlich, dass die jeweiligen Leistungen und Gegenleistungen zeitlich oder gegenständlich teilbar sind und zeitnah ausgetauscht werden (BGH, Urteil vom 13.04.2006, IX ZR 158/05, NJW 2006, 2701, 2704, Rn. 34; Urteil vom 02.04.2009, IX ZR 171/07, NZI 2009, 378, 378 f., Rn 11; Uhlenbrock/Hirte, InsO, 13. Auflage 2010, § 142 Rn 11; MüKo-InsO/Kirchhof, 3. Auflage 2013, § 142 Rn 19). Ein solcher enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Leistung und Gegenleistung ist vorliegend nicht erkennbar. Allenfalls besteht ein Zusammenhang zwischen der Dringlichkeit der Zahlungsaufforderungen der Beklagten – insb. in Gestalt der Leistungsklagen – und der Zahlungen der E.
38d) Die vom Kläger angefochtenen Zahlungen erfolgten im Zeitraum vom 18.04.2011 bis zum 06.06.2011 und damit innerhalb eines Zeitraums von drei Monaten vor dem am 14.06.2011 eingereichten Insolvenzantrag der E.
392. Der Kläger hat auch einen Anspruch aus §§ 143, 133 I InsO auf Zahlung der Klageforderung.
40Die E war zahlungsunfähig. Ihr war auch bekannt, dass aufgrund der Zahlung die Forderungen anderer Gläubiger nicht bedient werden konnten. Sie hatte Gläubigerbenachteiligungsvorsatz.
41Die Kenntnis der Beklagten vom Benachteiligungsvorsatz ist nach § 133 I 2 InsO zu vermuten. Die Beklagte wusste, dass Zahlungsunfähigkeit vorlag und im Übrigen jedenfalls drohte. Die Beklagte hatte auch Kenntnis von der Benachteiligung anderer Gläubiger durch die Zahlung. Die Verbindlichkeiten der E bei der Beklagten wurden über einen längeren Zeitraum hinweg ständig nicht ausgeglichen und der Beklagten war bekannt, dass es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gab (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 13.05.2004, IX ZR 190/03, NZI 2005, 692, 693, III. a.E.; Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 97/06, NZI 2007, 512, 514 Rn 24; Graf-Schlicker/Huber, InsO, 4. Auflage 2014, § 133 Rn. 28; HK-InsO, 4. Auflage 2012, § 133 Rn 26).
42Im Übrigen gilt auch im Rahmen des § 133 I InsO, dass der Kenntnis von der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis von Umständen gleichsteht, die zwingend auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit hinweisen (BGH, Urteil vom 24.05.2007, IX ZR 97/06, NZI 2007, 512, 514, Rn 25; Urteil vom 20.11.2008, IX ZR 188/07, NZI 2009, 168, 169, Rn 10; Urteil vom 08.10.2009, IX ZR 173/07, NZI 2009, 847, 848, Rn. 10; Graf-Schlicker/Huber, InsO, 4. Auflage 2014, § 133 Rn. 28; HK-InsO/Rogge/Leptien, 4. Auflage 2012, § 133 Rn 28; Haarmeyer/Wutzke/Förster/Schmittmann/Zeeck, InsO, 2. Auflage 2012 Rn 22).
43Eine Widerlegung der Vermutung des § 133 I 2 InsO ist der Beklagten nicht gelungen. Sie hat keine Umstände vorgetragen, die es nahelegen, dass ihr der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der E nicht bekannt war.
44II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
45Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit beruht auf §§, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
46Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts.