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Unter mehreren gleichwertigen Operationsverfahren, darf der Arzt diejenige wählen, die er am besten beherrscht. Für die Operation des Hallux Valgus hat sich noch kein Verfahren als "Golden Standard" durchgesetzt. Entscheidet sich der Arzt für das von ihm am besten beherrschte Operationsverfahren, ist er nicht verpflichtet, den Patienten über alternative Operationsverfahren aufzuklären.
Auch unter Berücksichtigung des Selbstbestimmungsrechts wäre der fachunkundige Patient mit einer solchen Auswahl-Entscheidung unter bis zu 200 Operationsverfahren überfordert.
Die Berufung der Klägerin gegen das am 24. April 2013 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das angefochtene Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagten gegen Sicherheitsleistung von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die am ##.##.1960 geborene Klägerin begehrt von den Beklagten wegen vermeintlicher orthopädischer Behandlungsfehler im Rahmen einer Hallux-Valgus-Operation in der Hauptsache die Zahlung eines mit mindestens 25.000 € für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes und die Feststellung weitergehender Ersatzpflicht.
4Die Klägerin, die unter einem Schiefstand der großen Zehen beider Füße (Hallux Valgus) litt, ließ sich im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im Krankenhaus der Beklagten zu 1) vom 04. bis zum 07.03.2008 durch den Beklagten zu 2) am rechten Fuß im Wege der distalen Osteotomie nach Chevron behandeln. Der Folgezeit bildete sich bei der Klägerin ein Rezidiv.
5Die Parteien haben erstinstanzlich insbesondere darüber gestritten, ob allein eine proximale Osteotomie indiziert gewesen sei, ferner ob die stattdessen gewählte distale Operationsmethode lege artis durchgeführt worden sei. Ferner hat die Klägerin geltend gemacht, dass Ihre Einwilligung in den Eingriff unwirksam sei, weil sie über die unterschiedlichen Operationsmethoden und die Vorzugswürdigkeit der proximale Methode nicht aufgeklärt worden sei.
6Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. N nebst mündliche Erläuterung abgewiesen.
7Behandlungsfehler seien nicht festzustellen. Die Operation sei indiziert gewesen. Die gewählte Methode unterfalle bei den gegebenen Winkelverhältnissen dem Ermessen des Operateurs. Sie sei lege artis durchgeführt worden; die erreichte Winkelkorrektur liege dabei im Toleranzbereich. Die von der Klägerin ansonsten gerügten Beeinträchtigungen seien als schicksalhafte Komplikationen zu bewerten.
8Die Aufklärung sei angesichts der beabsichtigten Vorgehensweise ausreichend gewesen.
9Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die das erstinstanzliche Begehren weiter verfolgt.
10Sie macht weiterhin geltend, dass bei dem bei ihr vorliegenden Intermetatarsalwinkel von mehr als 15 Grad - hier 17 Grad - die zudem auch risikoärmere körpernahe (proximale) Osteotomie indiziert und die risikoreichere körperferne (distale) Osteotomie kontraindiziert und unnütz gewesen sei. Sie behauptet darüber hinaus, dass die Reduzierung der Fehlstellung auf nur 14 Grad Intermetatarsalwinkel fehlerhaft sei. Gegebenenfalls hätte eine kombinierte Operation (körpernah und körperfern) zu einem normalen Intermetatarsalwinkel von 5 - 8 Grad geführt, was das Rezidiv vermieden hätte. Über diese Möglichkeit hätte sie aufgeklärt werden müssen. Sie hätte sich dann für die kombinierte Methode entschieden.
11Die Klägerin beantragt,
12unter Aufhebung des angefochtenen Urteils
131. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, dass indes nicht unter 25.000,00 € liegen sollte, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus ab Rechtshängigkeit;
142. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen weiteren materiellen wie immateriellen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin aus der Fehlbehandlung in dem Zeitraum vom 04. März bis 07. März 2008 entstanden ist oder noch entstehen wird, sofern die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
15Die Beklagten beantragen,
16die Berufung zurückzuweisen.
17Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.
18Die Operation sei indiziert gewesen, die Methode fachgerecht ausgewählt und die Operation lege artis ausgeführt worden. Die Herstellung eines normalen Winkels wäre durch eine kombinierte Vorgehensweise (körpernahe und körperfern) nicht zu erreichen gewesen.
19Die Klägerin sei auch hinreichend über die Risiken aufgeklärt worden. Über die Art der Osteotomie sei nicht aufzuklären gewesen, weil die Wahl der Methode Sache des Operateurs gewesen sei und eine echte Alternative insoweit auch nicht vorgelegen habe. Die Beklagten berufen sich auf eine hypothetische Einwilligung.
20Der Senat hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Gutachtens des orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. N. Wegen des Ergebnisses wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 18.03.2014 verwiesen.
21Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere des genauen Wortlautes der erstinstanzlich gestellten Anträge, wird auf die angefochtene Entscheidung und die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
22II.
23Die Berufung ist unbegründet.
24Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche stehen ihr nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
25Der Senat stützt sich insoweit auf die erstinstanzliche Begutachtung durch den gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. N und seine überzeugenden Ausführungen bei der Anhörung vor dem Senat.
261.
27Ansprüche ergeben sich insbesondere nicht wegen des Vorliegens von Behandlungsfehlern gemäß den §§ 611, 280, 249 ff., 253 Abs.2 BGB. Denn es lässt sich auf der Basis der überzeugenden Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen nicht feststellen, dass den Beklagten derartige Fehler unterlaufen sind. Insbesondere gilt zu den Einwendungen in der Berufungsinstanz:
28a.
29Die von dem Beklagten zu 2) gewählte körperferne Osteotomie war nicht kontraindiziert.
30Die Wahl der Behandlungsmethode ist bei mehreren lege artis bestehenden Möglichkeiten grundsätzlich Sache des Arztes (Steffen/Pauge; Arzthaftungsrecht, 12. Auflage, Rdn.443 m.w.N.).
31Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen gibt es vorliegend für die Hallux Valgus - Behandlung angesichts einer Vielzahl von 150 - 200 Operationsverfahren kein einheitliches Behandlungskonzept, insbesondere keinen „Goldstandard“. Bei der Wahl der konkreten Methode kommt es sodann nicht nur auf den Winkel zwischen dem 1. und 2. Mittelfußknochen an, sondern auch auf den sonstigen klinischen Befund. Insbesondere aber ist die Erfahrung des Operateurs von entscheidender Bedeutung.
32Hier hat ein Intermetatarsalwinkel von 17 Grad vorgelegen. In der medizinischen Literatur gibt es für diesen Bereich unterschiedliche Auffassungen darüber, ob eher körperfern oder eher körpernah operiert werden sollte. Dementsprechend erscheint plausibel, dass der Sachverständige den vorliegenden Fall als im Grenzbereich anzusiedeln bewertet hat. Schon von daher lässt sich nicht positiv feststellen, dass die gewählte Methode außerhalb des medizinischen Standards gelegen hat. Es bestehen darüber hinaus auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der klinische Befund gegen die Anwendung der körperfernen Methode gesprochen hat. Wenn dann der Beklagte zu 2) die Methode gewählt hat, die ihm nach seiner Erfahrung und seinen Fähigkeiten als am Erfolg versprechendsten erschienen ist, ist das nicht zu beanstanden.
33Dem steht nicht entgegen, dass es seit 2012 eine orthopädische Leitlinie gibt, die bei mehr als 15 Grad die körpernahe Vorgehensweise empfiehlt. Denn der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass es sich nur um eine Empfehlung handelt, während von vielen namhaften Operateuren körperferne Methoden angewendet werden. Das erscheint insbesondere vor dem Hintergrund überzeugend, dass nicht nur der Winkelgrad entscheidend ist, sondern die bereits genannten weiteren Umstände ebenfalls maßgeblichen Anspruch Entscheidungsfindung haben.
34Ein Behandlungsfehler in Form einer falschen Wahl der Operationsmethode ist demnach nicht festzustellen.
35b.
36Auch bei der Durchführung der Operation sind den Beklagten zu 2) keine Behandlungsfehler unterlaufen.
37aa.
38Ein Behandlungsfehler liegt nicht darin, dass das Ergebnis der Operation eine Reduzierung der Fehlstellung auf nur 14° Intermetatarsalwinkel gewesen ist.
39Zwar hat der Sachverständige bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht erklärt, dass er sich eine weitergehende Korrektur gewünscht hätte. Er hat aber zugleich auch angegeben, dass der erreichte Winkelgrad im Toleranzbereich liege. Schon von daher würde sich ein Unterschreiten des medizinischen Standards nicht feststellen lassen. Entscheidend ist jedoch, dass der Sachverständige im Rahmen seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat überzeugend erläutert hat, dass intraoperativ eine verlässliche Winkelbestimmung gar nicht möglich ist, weil der Patient anders als bei den präoperativen Messungen nicht steht und damit den Fuß nicht belastet. Die Winkelgrade sind danach intraoperativ nicht zu beurteilen.
40Eine weitergehende Korrektur wäre danach wünschenswert gewesen; das Nichterreichen stellt sich aber nicht als fehlerhaft dar.
41bb.
42Dem Beklagten zu 2) ist auch nicht anzulasten, dass er intraoperativ nicht auf eine zusätzliche körpernahe Korrektur umgeschwenkt hat.
43Der Senat folgt dem Sachverständigen darin, dass eine solche Änderung der Operation zwar möglich gewesen wäre, ihr Unterlassen aber nicht als fehlerhaft anzusehen ist. Insoweit gelten die zu aa. erfolgten Ausführungen. Auch ein Umschwenken auf eine andere Operationsmethode hätte das grundsätzliche Problem der nicht beurteilenbaren Winkelstellung nicht beeinflusst.
44Selbst wenn der Senat - hier ausdrücklich nur unterstellt - davon ausgehen wollte, dass ein Wechsel der Operationsmethode zu fordern gewesen ist, lässt sich nicht feststellen, dass das Unterlassen ursächlich gewesen ist. Der Sachverständige hat plausibel darauf hingewiesen, dass der weitere Verlauf bei einem Methodenwechsel spekulativ gewesen wäre. Es spricht sogar mehr dafür, dass ein Wechsel keine positiven Auswirkung gehabt hätte. Denn tatsächlich ist das Rezidiv anderweitig aufgetreten, während sich der Intermetatarsalwinkel sogar von 14° auf bessere 12° verringert hat.
452.
46Die Beklagten haften auch nicht etwa gem. den §§ 823, 253 Abs.2, 249 ff. BGB für sämtliche Folgen der Operation schon deshalb, weil die Operation mangels wirksamer Einwilligung des Klägers insgesamt rechtswidrig gewesen sein könnte.
47Denn die Einwilligung ist wirksam gewesen.
48a.
49Der Senat ist nach dem Ergebnis der Parteianhörung davon überzeugt, dass eine hinreichende Risikoaufklärung stattgefunden hat. Insbesondere ist die Klägerin ausreichend über das Rezidivrisiko aufgeklärt worden.
50Unstreitig hat zumindest ein mündliches Aufklärungsgespräch mit dem Oberarzt Dr. O stattgefunden, bei dem auch das Rezidivrisiko zur Sprache gekommen ist. Streitig ist, ob das Risiko als bestehend dargestellt worden ist, oder ob es entsprechend der Erinnerung der Klägerin sogar negiert worden ist, indem die Möglichkeit des Fehlschlagens auf Nachfrage ausdrücklich in Abrede gestellt worden ist.
51Für den erforderlichen Hinweis auf das bestehende Risiko sprechen die Angaben in dem Arztbrief vom 22.02.2008 an die Hausärztin der Klägerin, wonach auch über die Risiken gesprochen worden ist. Das Schreiben enthält auch nach den Angaben der Klägerin bei ihrer Anhörung durch den Senat im Übrigen eine zutreffende Schilderung des Aufklärungsgesprächs (mit Ausnahme der Angabe des Stockwerks ihrer Wohnung und des vermeintlich nicht bestehenden Misserfolgsrisikos). Hinzu kommt, dass das Rezidivrisiko nach den Angaben des Sachverständigen in dem Mantelbogen der Aufklärungsurkunde angegeben ist. Dieser Mantelbogen wurde nach den Angaben des Beklagten zu 2) immer dem Patienten mitgegeben. Dass im vorliegenden Fall einerseits atypisch der Mantelbogen nicht ausgehändigt worden sein soll und andererseits auch noch eine bewusst falsche Darstellung eines für den Behandler offensichtlichen Risikos erfolgt sein soll, erscheint in der Gesamtheit für den Senat nicht nachvollziehbar. Insbesondere ist für eine bewusst fehlerhafte Darstellung der Risiken keinerlei Motivation ersichtlich. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Klägerin die für die Aufklärung wesentlichen Aspekte mittlerweile verdrängt und deshalb nicht mehr in ihrer Erinnerung hat.
52b.
53Eine Aufklärung über Behandlungsalternativen in Form unterschiedlicher Operationsmethode ist nicht erforderlich gewesen.
54Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist über Behandlungsalternativen zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten nur aufzuklären, wenn es mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden gibt, die wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, mithin eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten besteht. Dann muss dem Patienten nach entsprechend vollständiger ärztlicher Aufklärung die Entscheidung überlassen bleiben, auf welchem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welches Risiko er sich einlassen will (vgl. BGH-Urteil v. 15.02.2005 - VI ZR 313/03 -, Juris-Veröffentlichung unter Rz.10).
55Derartige aufklärungsbedürftig Alternativen haben vorliegend nicht bestanden. Der Sachverständige hat bei seiner mündlichen Anhörung klargestellt, dass sowohl die körpernahen als auch die körperfernen Operationsmethoden gleichwertig sind und maßgeblich vom Können des Operateurs abhängen. Dementsprechend hat der Sachverständige aus medizinischer Sicht gemeint, dass der Arzt selber danach zu entscheiden habe, welche Methode er am besten beherrscht. Dem ist aus juristischer Sicht zuzustimmen. Bei der gegebenen Vielzahl der Operationsmöglichkeiten und gleichen Chancen und Risiken, die nach den Erläuterungen des Sachverständigen vor dem Senat auch hinsichtlich des Rezidivrisikos bestehen, ist ein Patient als Fachunkundiger mit einer solchen Entscheidung überfordert. Insbesondere ist er nicht in der Lage, dass maßgebliche Können des Operateurs zu beurteilen. Die Frage fällt deshalb nicht in den Bereich, der dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten vorbehalten bleiben kann und muss.
56Dasselbe gilt für die Möglichkeit einer von vorne herein gewählten Methodenkombination oder einer intraoperativen Umstellung der Operationsmethode. In beiden Fällen greifen die Umstände, die schon der Aufklärungspflicht für jede einzelne Methode entgegenstehen. Insbesondere sind die Chancen der Osteotomie durch eine intraoperative Umstellung nicht größer, weil zu diesem Zeitpunkt wie oben ausgeführt die Winkelstellung nicht hinreichend beurteilbar ist.
57Die Aufklärung ist damit nicht zu beanstanden.
58Eine Haftung der Beklagten ist damit insgesamt nicht gegeben. Die die Klage abweisende Entscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden. Die dagegen gerichtete Berufung hat keinen Erfolg.
59Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr.10, 713, 543 ZPO.
60Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert.