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Eine Haftungsbeschränkung bzw. ein Haftungsausschluss, die teilweise im Rahmen von Sportveranstaltungen und -ausübungen angenommen werden, kommen nicht in Betracht, wenn der Schaden durch eine gewichtige Regelverletzung des Schädigers verursacht worden ist. Auch bei Sportarten mit erheblichem Gefährdungs- und Verletzungspotential werden von dem Geschädigten nur solche Verletzungen in Kauf genommen, die auch bei regelgerechtem Verhalten nicht zu vermeiden sind.
beabsichtigt der Senat, die Berufung des Beklagten gegen das am 18.04.2013 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bochum gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, eine Entscheidung des Berufungsgerichts auch nicht der Fortbildung des Rechts oder der Einheitlichkeit der Rechtsprechung dient und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Der Beklagte und die Nebenintervenientin erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
Gründe:
2I.
3Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Schadensersatz aus einem Kletterunfall, der sich am 02.06.2011 in dem DAV-Klettergarten „B“ in I ereignete. Die Klägerin kletterte eine Wand hinauf und wurde dabei von dem Beklagten mit einem Sicherungsseil im s.g. „Top-Rope“-Verfahren, bei dem das Klettergeschirr an dem Sicherungsseil angebracht ist, das nach oben und über einen Umlenker an der Wand wieder nach unten verläuft, von unten gesichert. Als die Klägerin oben angekommen war und den Umlenker erreicht hatte, löste der Beklagte – unstreitig, ohne dass die Klägerin zuvor das in der Kletterpraxis hierfür vorgesehene Kommando „Stand!“ gerufen hatte – die Seilbremse und die Klägerin fiel aus ca. 15 Metern Höhe auf den Boden, wobei sie sich schwer verletzte.
4Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf das Urteil des Landgerichts vom 18.04.2013 (Bl. 255ff d.A.) Bezug genommen.
5Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.
6Der Feststellungsantrag sei – so die Begründung des Landgerichts – zulässig. Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin folge daraus, dass die Nebenintervenientin unter dem 07.11.2011 eine Haftung für den Schadensfall abgelehnt habe, so dass die Klägerin bereits zum Zwecke der Hemmung der Verjährung habe Klage erheben müssen. Die Leistungsklage sei nicht vorrangig, weil die unfallbedingte Heilbehandlung noch nicht abgeschlossen und ihr Erfolg nicht zuverlässig prognostizierbar sei, so dass die Klägerin die Schadenspositionen noch nicht endgültig beziffern könne.
7Der Antrag sei auch in vollem Umfang begründet. Der Beklagte hafte der Klägerin gemäß § 823 BGB. Er habe widerrechtlich und fahrlässig den Körper und die Gesundheit der Klägerin verletzt, indem er ohne begründete Veranlassung durch das Kommando „Stand“ die von ihm übernommene Absicherung der Klägerin durch das Lösen der Seilbremse beendet habe, wodurch die Klägerin auf den Boden gestürzt sei. Die Klägerin treffe dabei kein gemäß § 254 BGB zu berücksichtigendes Mitverschulden. Die Nebenintervenientin habe keine belastbaren Tatsachen darzulegen vermocht, nach denen ein Mitverschulden der Klägerin für den Schadenseintritt ursächlich geworden sei. Selbst wenn der Beklagte vor dem Lösen der Seilbremse „Seil frei!“ gerufen haben sollte, bleibe auch nach dem Vortrag der Nebenintervenientin völlig offen, ob die Klägerin hierauf überhaupt noch rechtzeitig vor dem Unfall hätte reagieren können. Anknüpfungstatsachen, um die insoweit entscheidende zeitliche Abfolge der Geschehnisse durch ein Sachverständigengutachten feststellen zu können, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Vielmehr bewege sich das diesbezügliche Vorbringen der Nebenintervenientin ausschließlich im Bereich der Spekulation, was ihr lebensfernes Vorbringen verdeutliche, die Klägerin müsse sich trotz des eindeutigen Signals „Seil frei“ in das Seil fallen gelassen haben. Die – nach den Angaben des Beklagten im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht – von der Klägerin geäußerte Erklärung „O.K.“ habe dem Beklagten aufgrund der Absprachen der Parteien keine Veranlassung gegeben, die Sicherung der Klägerin zu beenden. Auch ein Haftungsausschluss nach den Grundsätzen des Handelns auf eigene Gefahr sei zu verneinen. Diesbezüglich komme es nicht darauf an, ob die für den Wettkampfsport entwickelten Grundsätze im Einzelfall auch auf andere gemeinsam betriebene Sportarten übertragen werden könnten. Grundvoraussetzung für einen Haftungsausschluss seien nach Einschätzung der Kammer nämlich aus der sportlichen Interaktion typischerweise folgende Verletzungsrisiken, die hier bereits deshalb nicht gegeben seien, weil sich der am Boden verbliebene Beklagte allein auf die Sicherung der Klägerin habe konzentrieren können und müssen, so dass die von ihm verlangte Aufmerksamkeit nicht durch die gemeinsame Sportausübung beeinträchtigt gewesen sei.
8Mit der für den Beklagten eingelegten Berufung verfolgt die Nebenintervenientin den erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag in vollem Umfang weiter.
9Unzutreffend habe das Landgericht – so die Berufungsbegründung – einen Haftungsausschluss nach den Grundsätzen des Handelns auf eigene Gefahr verneint. Vielmehr stelle das Klettern auf schwierigsten Routen in einem Klettergarten eine besonders gefährliche Sportart dar, für die die Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt sei. Diesbezüglich führt die Nebenintervenientin einige Unglücksfälle an, bei denen Personen beim Klettern in Klettergärten oder –hallen abgestürzt und zu Schaden gekommen sind. Die Gefahren im Klettergarten „B“ seien noch gravierender, weil es sich hierbei nicht um eine künstliche Kletterhalle handele, sondern um eine Anlage mit alpinem Charakter. Diesbezüglich verweist die Nebenintervenientin auf die Benutzungsordnung des Betreibers, nach der das Klettern in der Anlage auf eigene Gefahr erfolge. Ein grob fahrlässiges Verhalten des Beklagten habe die Klägerin nicht vorgetragen. Darüber hinaus habe das Landgericht unzutreffend ein Mitverschulden der Klägerin verneint. Unzutreffend habe das Landgericht dabei von der Vernehmung des Zeugen E abgesehen, der im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung ausgesagt habe, dass der Beklagte „Seil frei!“ gerufen habe, bevor er das Seil freigegeben habe. Auch habe das Landgericht fehlerhaft ohne die Einholung eines Sachverständigengutachtens entschieden. Diesbezüglich behauptet die Nebenintervenientin in der Berufungsbegründung erneut, dass sich das Seil nicht lösen lasse, wenn es unter Spannung stehe, weil der Gesicherte bereits darin hänge. Bevor die Klägerin sich in das Seil fallen ließ, hätte ihr bei Beherrschung der notwendigen Sicherungstechniken auffallen müssen, dass dies nicht mehr unter Spannung stand. Das Landgericht habe zudem fehlerhaft ein kollusives Zusammenwirken der Parteien verneint trotz verschiedener Indizien, die hierfür sprächen.
10Die Nebenintervenientin beantragt,
11das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Bochum vom 18.04.2013, Az.: I-8 O 18/12, aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen,
12hilfsweise,
13die Revision zuzulassen.
14II.
15Die von der Nebenintervenientin für den Beklagten eingelegte Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die gemäß §§ 529, 531 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere – für den Beklagten und die Nebenintervenientin günstigere – Entscheidung.
161.
17Der Feststellungsantrag ist – wie das Landgericht zutreffend erkannt hat – zulässig. Insbesondere hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Nachdem die Nebenintervenientin die Schadensersatzpflicht des Beklagten abgelehnt hat, besteht das Feststellungsinteresse der Klägerin bereits zum Zwecke der Hemmung der Verjährung. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht der grundsätzlich zu beachtende Vorrang der Leistungsklage entgegen, weil die Klägerin wegen des noch in der Fortentwicklung befindlichen Schadens zur Zeit der Klageerhebung nicht dazu in der Lage war, die ihr entstandenen Schäden abschließend zu beziffern. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin die von ihr geltend gemachten Schadensersatzansprüche teilweise bereits beziffern konnte bzw. beziffern kann. Der Geschädigte ist in diesem Fall nicht dazu gehalten, sein Klagebegehren in einen Leistungs- und einen Feststellungsantrag aufzuspalten (vgl. BGH, NJW-RR 1988, 445; BGH, NJW 1984, 1552ff; Greger, in: Zöller, ZPO, 29. Auflage 2012, § 256 Rdn. 7a).
182.
19Der Feststellungsantrag ist – so die zutreffende Entscheidung des Landgerichts – auch begründet. Der von der Klägerin gegen den Beklagten geltend gemachte Schadensersatzanspruch folgt aus § 823 Abs. 1 BGB.
20Die Klägerin hat durch ein fahrlässiges Verhalten des Beklagten – das Lösen der Seilbremse, ohne dass die Klägerin zuvor das in der Kletterpraxis hierfür vorgesehene Kommando „Stand“ gegeben hat – eine Verletzung ihres Körpers und ihrer Gesundheit erlitten.
21Der Beklagte bzw. die Nebenintervenientin können sich auch nicht auf eine Haftungsbeschränkung oder einen Haftungsausschluss berufen, die z.T. im Rahmen von Sportveranstaltungen und –ausübungen angenommen werden. Ein Haftungsausschluss bzw. eine Haftungsbeschränkung wird in diesem Zusammenhang – mit unterschiedlicher dogmatischer Anknüpfung – insbesondere bei sportlichen Kampfspielen bejaht. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Teilnehmer grundsätzlich Verletzungen in Kauf nähmen, die auch bei regelrechtem Spiel nicht zu vermeiden seien; dementsprechend komme ein Schadenersatzanspruch gegen einen Mitspieler nur dann in Betracht, wenn der Geschädigte nachweise, dass dieser eine erhebliche Regelverletzung begangen habe (vgl. insoweit BGH, Urteil vom 27.10.2009, Az.: VI ZR 296/08; BGH, Urteil vom 05.11.1974, Az.: VI ZR 100/73; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.10.2004, Az.: 7 U 207/02; zustimmend im Ergebnis auch Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 823 Rdn. 565ff). Es verstoße – so die Begründung der zitierten Entscheidungen – gegen Treu und Glauben, wenn der Geschädigte den Schädiger in Anspruch nehme, obwohl er ebenso gut in dessen Lage hätte kommen können (BGH, Urteil vom 05.11.1974, Az.: VI ZR 100/73; OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.10.2004, Az.: 7 U 207/02). Diese Rechtsprechung ist auf Wettkämpfe in Parallelsportarten ohne Körperkontakt ausgedehnt worden (BGH, Urteil vom 01.04.2003, Az.: VI ZR 321/02; zustimmend Wagner, in: Münchener Kommentar, a.a.O., § 823 Rdn. 570) und zum Teil auch auf sonstige Sportausübungen außerhalb eines Wettkampfes mit erheblichem Gefährdungspotential (OLG Stuttgart, Urteil vom 14.02.2006, Az.: 1 U 106/05 – Fahrrad-Rallye; OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1990, Az.: 13 U 28/89; OLG Hamm, Urteil vom 22.05.1984, Az.: 9 U 275/83 – Squash; ähnlich auch für gefährliche Bergklettertouren OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.12.1977, Az.: 4 U 146/76; Spindler, in: Bamberger / Roth, Beck’scher Online-Kommentar zum BGB, Stand: 01.05.2013, § 823 Rdn. 393).
22Diesbezüglich ist – worauf das Landgericht in seinen Entscheidungsgründen zutreffend abstellt – bereits zweifelhaft, ob beim Klettern mit wechselseitiger Absicherung eine vergleichbare Gefahrensituation besteht (ablehnend insoweit OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.10.2004, Az.: 7 U 207/02; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 19.11.2012, Az.: 6 O 2345/12; LG Düsseldorf, Teilurteil vom 02.10.2009, Az.: 2b O 10/08). Dagegen spricht, dass hierbei keine Situation besteht, in der die Beteiligten – unter Einhaltung bestimmter Regeln – ihre Kräfte messen und hierdurch mit gewissen Verletzungsrisiken in sportliche Interaktion treten. Vielmehr besteht eine strikte Aufgabenteilung dergestalt, dass sich der Kletternde voll auf das Klettern und der Sichernde ausschließlich auf die Sicherung des Kletternden konzentrieren kann. Darüber hinaus sind beim Klettern in Kletterhallen und Kletterparks die Routen präpariert, die damit verbundenen Risiken dementsprechend gewollt und vorhersehbar sowie durch die grundsätzlich vorhandene Absicherung des Partners auch kontrollierbar.
23Jedenfalls aber kommt ein Haftungsausschluss bzw. eine Haftungsbeschränkung nach den o.g. Grundsätzen auch deshalb nicht in Betracht, weil der Sturz der Klägerin durch eine gewichtige Regelverletzung des Beklagten verursacht worden ist. Wie oben dargelegt, werden auch bei Sportarten mit erheblichem Gefährdungs- und Verletzungspotential von dem Geschädigten nur solche Verletzungen in Kauf genommen, die auch bei regelgerechtem Verhalten nicht zu vermeiden sind (vgl. insoweit auch BGH, Urteil vom 27.10.2009, Az.: VI ZR 296/08; BGH, Urteil vom 01.04.2003, Az.: VI ZR 321/02; OLG Stuttgart, Urteil vom 14.02.2006, Az.: 1 U 106/05; Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Auflage 2011, 1. Kapitel Rdn. 58ff; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 72. Auflage 2013, § 254 Rdn. 32ff). Unstreitig hat der Beklagte allerdings die beim Klettersport zu beachtenden Regeln in erheblichem Maße verletzt, indem er die Sicherung gelöst hat, ohne dass die Klägerin ihm zuvor das in der Kletterpraxis hierfür vorgesehene Kommando „Stand“ gegeben hat. Hätte er sich an die in der Kletterpraxis zu beachtenden Regeln gehalten, wäre der Sturz der Klägerin ohne weiteres vermeidbar gewesen.
24Ein gewichtiger Regelverstoß des Beklagten besteht auch dann, wenn die Klägerin zuvor „Okay!“ gerufen haben sollte. Dieser Äußerung kommt in der allgemeinen und auch in der von den Parteien geübten Kletterpraxis unstreitig nicht die Bedeutung zu, dass die Sicherungsmaßnahmen beendet werden können. Die diesbezügliche allgemeine Kletterpraxis hat auch der Zeuge E in seiner polizeilichen Vernehmung, auf die die Nebenintervenientin mehrfach Bezug nimmt, bestätigt. Der Zeuge hat in diesem Zusammenhang ausgesagt, die Klägerin hätte vor einer Beendigung der Sicherung „Stand!“ rufen müssen, was bedeute, dass sie stehe oder in einer Selbst-Sicherung hänge. Der Zuruf „Okay!“ könne alles bedeuten, seine Bedeutung sei ausschließlich abhängig von der zuvor getroffenen Absprache. Eine entsprechende Absprache zwischen den Parteien trägt die Nebenintervenientin jedoch nicht vor. Diese folgt auch nicht aus den Vermerken über die Gespräche zwischen ihren Vertretern und dem Beklagten. Zwar hat der Beklagte danach erklärt, er sei aufgrund dieses Zurufs davon ausgegangen, dass die Klägerin sich selbst sichere (vgl. das von der Nebenintervenientin auszugsweise mit Schriftsatz vom 11.09.2012 vorgelegte Gesprächsprotokoll vom 14.09.2011, Bl. 198f d.A.). Eine Absprache oder gängige Praxis zwischen den Parteien, dass auf den Zuruf „Okay!“ die Sicherung beendet werden sollte, lässt sich jedoch auch diesen Angaben nicht entnehmen. Vielmehr enthält das Protokoll die weitere Angabe des Beklagten, dass zwischen den Parteien für das Klettern im B keine Absprachen getroffen worden seien und dass dem Beklagten bekannt gewesen sei, dass die Klägerin sich ohne einen Kontrolleur zur Überprüfung ihrer Sicherung in der Nähe nicht alleine abseile. Jedenfalls ohne eine ergänzende Nachfrage oder Bitte um Klarstellung hätte der Beklagte – insbesondere im Hinblick auf die damit verbundene erhebliche Gefahr – die Sicherung der Klägerin auch im Falle eines entsprechenden Zurufs deshalb nicht beenden dürfen.
25Es entlastet den Beklagten auch nicht, dass er – so der Vortrag der Nebenintervenientin – vor Beendigung der Sicherung „Seil frei!“ gerufen hat. Damit der gesicherte Kletterer von der Beendigung der Sicherung nicht überrascht wird, setzt die Beendigung der Sicherung unstreitig eine Initiative des gesicherten Kletterers voraus, die hier – jedenfalls nicht eindeutig – vorlag.
26Dementsprechend hat sich in dem Sturz der Klägerin kein bewusst durch das Klettern eingegangenes Risiko realisiert. Vielmehr konnte die Klägerin davon ausgehen, dass der Beklagte, der in dieser Situation allein für ihre Sicherung verantwortlich war, die damit verbundenen Sorgfaltspflichten einhält und hierdurch die zwar grundsätzlich mit dem Klettern verbundenen, durch eine regelgerechte Absicherung jedoch vermeidbaren Gefahren von ihr fernhält. Unabhängig davon, dass die Benutzungsordnung des Klettergartens in erster Linie das Verhältnis zwischen dem Betreiber und den Nutzern regelt, folgt aus diesem Grund auch aus der von der Nebenintervenientin zitierten Vorschrift des § 4 der Benutzungsordnung, der regelt, dass jeder Kletterer für seine eigene Sicherheit verantwortlich ist und auf eigenes Risiko klettert, auch in der Sache keine Haftungsbeschränkung für die aus einem gewichtigen Fehler bei der Absicherung resultierenden und vermeidbaren Risiken.
27Aus den dargelegten Gründen muss sich die Klägerin unter diesem Gesichtspunkt auch kein Eigenverschulden bzw. Mitverschulden gemäß § 254 BGB zurechnen lassen (vgl. hierzu auch BGH, NJW 1961, 655ff; Grüneberg, in: Palandt, a.a.O., § 254 Rdn. 32ff).
28Der Anspruch der Klägerin ist auch aus sonstigen Gründen nicht aufgrund eines Eigenverschuldens bzw. Mitverschuldens der Klägerin gemäß § 254 BGB zu kürzen. Ein unfallursächliches Verschulden dergestalt, dass die Klägerin diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die jedem ordentlichen und verständigen Menschen obliegt, um sich vor Schaden zu bewahren (vgl. dazu auch Grüneberg, in: Palandt, a.a.O., § 254 Rdn. 9, 12), hat die Nebenintervenientin bereits nicht hinreichend dargelegt.
29Dass die Klägerin aufgrund eines Fehltrittes o.ä. den Halt verloren hat und abgestürzt ist, trägt die Nebenintervenientin nicht vor, vielmehr bestreitet sie entsprechende Mutmaßungen der Klägerin. Insoweit ist zudem zu berücksichtigen, dass die Klägerin – jedenfalls zunächst – auf die Sicherung durch den Beklagten vertrauen durfte, die sie gerade vor diesem Risiko absichern sollte.
30Auch aus dem Zuruf des Beklagten „Seil frei!“, den dieser nach dem Vortrag der Nebenintervenientin im Zusammenhang mit dem Lösen der Seilbremse getätigt hat, folgt kein unfallursächliches Mitverschulden der Klägerin.
31Ein hieraus resultierendes Mitverschulden setzt voraus, dass die Klägerin den Zuruf, durch den für einen mit der Sicherungspraxis vertrauten Kletterer klar sein musste, dass die Sicherung beendet ist, wahrgenommen hat bzw. bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte wahrnehmen können und hierauf nicht entsprechend reagiert hat.
32Dass die Klägerin den Zuruf tatsächlich wahrgenommen und sich trotzdem in das Seil fallen gelassen hat, hat das Landgericht zutreffend als lebensfremd angesehen.
33Dass der Zuruf für die Klägerin wahrnehmbar war und sie hierauf aufgrund einer Unaufmerksamkeit nicht reagiert hat, setzt voraus, dass die Klägerin in dieser Situation noch rechtzeitig hätte reagieren können. Hierfür bietet allerdings – so die Feststellungen des Landgerichts – bereits der eigene Vortrag der Nebenintervenientin keine hinreichenden Anhaltspunkte.
34Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist der Senat an die vom Landgericht in diesem Zusammenhang getroffenen Tatsachenfeststellungen gebunden, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an ihrer Vollständigkeit und Richtigkeit begründen. Diese sind in der Berufungsbegründung jedoch weder dargetan noch sind sie sonst ersichtlich.
35Soweit die Nebenintervenientin diesbezüglich beanstandet, dass das Landgericht den Zeugen E hätte vernehmen müssen, vermag dieser Angriff nicht zu überzeugen. Es fehlt – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – diesbezüglich bereits an erheblichem Sachvortrag der Nebenintervenientin. Dieser folgt auch nicht aus der von der Nebenintervenientin zitierten Aussage des Zeugen E in dem gegen den Beklagten eingeleiteten Ermittlungsverfahren. Zwar hat der Zeuge E in seiner polizeilichen Vernehmung ausgesagt, dass der Beklagte das Seil vom Sicherungsgerät gelöst und dann „Seil frei!“ nach oben gerufen habe, wobei das Seil in diesem Augenblick auch losgelassen worden sei. Fast zeitgleich habe er jedoch von oben einen Schrei gehört, dorthin geschaut und gesehen, wie die Klägerin in Rückenlage geraten und gefallen sei. Aus dieser Aussage lässt sich dementsprechend gerade nicht ableiten, dass die Klägerin auf den Zuruf des Beklagten noch rechtzeitig hätte reagieren können. Vielmehr erfolgten die Beendigung der Sicherung, der Zuruf und der Sturz der Klägerin nach der von der Nebenintervenientin angeführten Aussage des Zeugen E im Ermittlungsverfahren nahezu zeitgleich. Diesbezüglich ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin – da sie unstreitig nicht das Kommando „Stand“ gegeben hat, das einer Beendigung der Sicherung nach der allgemeinen Kletterpraxis vorauszugehen hat – nicht mit dem Zuruf des Beklagten und der Beendigung der Sicherung rechnen musste.
36Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der landgerichtlichen Tatsachenfeststellungen resultieren auch nicht daraus, dass das Landgericht im Zusammenhang mit einem etwaigen Mitverschulden der Klägerin kein Sachverständigengutachten eingeholt hat. Soweit die Nebenintervenientin in erster und auch in zweiter Instanz vorgetragen hat, es sei technisch ausgeschlossen, dass der Beklagte das gespannte Seil gelöst habe, an dem die Klägerin bereits gehangen habe, und diesbezüglich die Einholung eines Sachverständigengutachtens anbietet, lässt sich hieraus – diese Tatsache als wahr unterstellt – kein Mitverschulden der Klägerin ableiten. Es besteht die Möglichkeit – für die die von der Nebenintervenientin angeführte Aussage des Zeugen E im polizeilichen Ermittlungsverfahren spricht und die sich auch durch das von ihr beantragte Sachverständigengutachten nicht ausschließen lässt –, dass der Beklagte das Kommando „Seil frei!“ gerufen und das Seil gerade in dem Moment losgelassen hat, in dem die Klägerin im Begriff war, sich in das Seil zu hängen und abzuseilen, das Seil dementsprechend zwar noch nicht gespannt war, die Klägerin jedoch auf einen etwaigen Zuruf auch nicht mehr reagieren konnte. Dementsprechend vermag auch der von der Nebenintervenientin erstmals in der Berufungsbegründung angeführte Gesichtspunkt, dass der Klägerin bei Beherrschung der notwendigen Sicherungstechnik hätte auffallen müssen, dass das Sicherungsseil nicht mehr unter Spannung stand, kein Mitverschulden zu begründen.
37Soweit die Nebenintervenientin in der Berufungsbegründung zur Begründung eines Mitverschuldens alternativ darauf abstellt, dass die Klägerin sich nach ihrem eigenem Vortrag auf einer Route bewegt habe, die ihre Fähigkeiten überstiegen habe, bestehen hierfür nach dem übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien keine Anhaltspunkte – insbesondere ergibt sich dies auch nicht aus dem eigenen Vortrag der Klägerin. Darüber hinaus ist diesbezüglich zu berücksichtigen, dass der Absturz der Klägerin erst erfolgt ist, als sie bereits oben angelangt war und die Route erfolgreich bewältigt hatte, er somit nicht auf die Schwierigkeit der Route zurückzuführen war. Zudem lag die Aufgabe des Beklagten – wie oben bereits dargelegt – gerade darin lag, die Klägerin vor der Absturzgefahr auch auf einer schwierigen Route zu sichern.
38Die von der Nebenintervenientin in der Berufungsbegründung angeführten Indizien, die ihres Erachtens für ein kollusives Zusammenwirken der Parteien sprechen, führen ebenfalls nicht zu einem Ausschluss etwaiger Schadensersatzansprüche. So trägt auch die Nebenintervenientin bereits nicht konkret vor, wie sich der Schadenshergang, den die Parteien ihres Erachtens durch ein kollusives Zusammenwirken zu vertuschen versuchen, zugetragen haben soll.
39Auch die übrigen Voraussetzungen für die Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor:
40Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 ZPO). Dies setzt voraus, dass eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist, zu der unterschiedliche Rechtsansichten vertreten werden und zu der noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (vgl. Heßler, in: Zöller, a.a.O., § 522 Rdn. 38f; § 543 Rdn. 11f), was im Hinblick auf die hier entscheidungserheblichen Rechtsfragen nicht der Fall ist. Ein Haftungsausschluss nach den Grundsätzen des Handelns auf eigene Gefahr beim Klettern in Klettergärten und –hallen wird von der land- und obergerichtlichen Rechtsprechung übereinstimmend abgelehnt. Außerdem handelt es sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung, weil es in erster Linie darum geht, ob der Beklagte die bei der Absicherung der Klägerin einzuhaltenden Regeln beachtet hat. Dementsprechend hat der Senat auch keine Veranlassung, die Revision zuzulassen.
41Auch aus sonstigen Gründen ist eine mündliche Verhandlung nicht geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO).