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Die unzureichende Kontrolle einer bestehenden Infektion verstößt gegen den ärztlichen Standard. Wird die Kontrolle bei einer Infektion in der Fußsohle vom Arzt nicht täglich, sondern erst für 5 Tage später angeordnet, so ist dies inakzeptabel und stellt einen groben Behandlungsfehler dar. Sind wegen des Behandlungsfehlers mehrere Operationen erforderlich mit erheblicher Beeinträchtigung des Fußes, so kann dies ein Schmerzengsgeld von 30.000,00 € rechtfertigen.
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 5. Mai 2011 verkündete Urteil der Zivilkammer IV des Landgerichts Detmold abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt,
an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Mai 2009 zu zahlen;
an die Klägerin weitere 3.274,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Juli 2010 zu zahlen;
an die Klägerin außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 2.707,25 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Juli 2010 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen weiteren materiellen und den zukünftigen, derzeit nicht vorhersehbaren, immateriellen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin auf Grund der Ereignisse der Behandlung ab dem 18. Juni 2008 entstanden ist oder entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist oder noch übergeht.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
2I.
3Die Klägerin macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung geltend.
4Die Klägerin suchte am 18.6.2008 wegen Beschwerden im Bereich der rechten Ferse den Beklagten auf. Dieser injizierte ihr nach Anfertigung einer Röntgenaufnahme ein Medikament in den Bereich der rechten Fußsohle. Danach traten bei der Klägerin Schmerzen am Fuß auf. Der Beklagte riet ihr, den Fuß hoch zu legen, zu kühlen und ein Schmerzmittel zu nehmen. Bei einer Untersuchung am 23.06.2008 verordnete er ihr ein Antibiotikum wegen des Verdachts auf eine Infektion. Nachdem sich der Zustand nicht gebessert hatte, verordnete der Beklagte der Klägerin am Mittwoch, den 25.6.2008 ein anderes Antibiotikum. Am Freitag, den 27.6.2008 konnte die Klägerin den Beklagten nicht erreichen, weil dessen Praxis urlaubsbedingt geschlossen war. Am Montag, den 30.6.2008 suchte sie ihren Hausarzt auf, der sie sofort in das Klinikum Lippe-Detmold einwies, wo sie vom 30.6.2008 bis zum 29.7.2008 stationär behandelt wurde. Am 9.7.2008 wurde operativ ein Abszess ausgeräumt. Bei einer weiteren Operation am 14.07.2008 erfolgte ein
5Wunddebridement mit Sekundärnaht. Vom 27.08. bis 20.9.2008 musste die Klägerin erneut stationär behandelt werden. Eine weitere Wundrevision wurde in der Zeit vom 01.09.2008 bis zum 5.9.2008 durchgeführt. Anschließend erfolgten weitere ambulante Behandlungen.
6Die Klägerin hat vor dem Landgericht Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 30.000 EUR, materiellen Schadensersatz und die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden mit der Begründung geltend gemacht, sie habe aufgrund der Infektion infolge der vom Beklagten fehlerhaft vorgenommenen Injektion einen irreparablen Dauerschaden erlitten und könne nur noch kurze Wegestrecken zurücklegen, da es ansonsten zu starken Schmerzen komme. Sie habe deswegen Rückenprobleme und Probleme mit den Knien bekommen, könne keine Konfektionsschuhe mehr tragen, benötige orthopädische Einlagen und sei in ihrer Haushaltsführung eingeschränkt.
7Das Landgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin wirksam in die Behandlung eingewilligt habe, denn einer Aufklärung über das Infektionsrisiko habe es nicht bedurft. Dass es bei Injektionen in seltenen Fällen zu Entzündungen kommen könne, sei allgemein bekannt. Das Setzen der Spritze durch den Beklagten sei nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht fehlerhaft erfolgt. Die Infektion sei danach schicksalhaft aufgetreten, ohne dass der Beklagte den einzuhaltenden Hygienestandard verletzt habe. Dass der Sachverständige keine eindeutigen Feststellungen habe treffen können, gehe zulasten der beweispflichtigen Klägerin. Die Infektion sei zutreffend erkannt worden. Der Beklagte habe auch richtig darauf reagiert. Zwar könne nicht festgestellt werden, dass der Beklagte auch eine engmaschige Kontrolle angeordnet habe. Ein darin liegender eventueller Behandlungsfehler habe sich jedoch auf den weiteren Kausalverlauf nicht ausgewirkt. Die Klägerin habe selbst angegeben, nach der Behandlung kein Vertrauen mehr zu dem Beklagten gehabt zu haben und sich deshalb bei ihrem Hausarzt Dr. U vorgestellt zu haben, wodurch es zu einer Unterbrechung des Kausalverlaufes gekommen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Feststellungen der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
8Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung trägt sie vor, das
9Landgericht habe den Vorwurf von Hygienemängeln bei der Injektion nicht ausreichend geprüft. Ein Zeuge habe am gleichen Tag ebenfalls eine bakterielle Infektion aufgrund einer Injektion erlitten. Das Landgericht habe diesen Zeugen verfahrensfehlerhaft nicht vernommen. Es habe auch fehlerhaft kein Gutachten eines Hygienikers eingeholt, obwohl dies geboten gewesen sei, weil der gerichtlich bestellte Sachverständige keine Feststellungen dazu habe treffen können. Nach der Rechtsprechung des OLG Hamm obliege es dem Arzt, die Einhaltung von Hygienestandards in seiner Praxis darzulegen. Daran fehle es hier. Die Vorgehensweise, die Spritzen aus einem offenen Fläschchen aufzuziehen, widerspräche diesem Standard. Bezüglich der Behauptung des Beklagten, er verwende üblicherweise sterile „Mini-Spikes“ hätte das Landgericht die Parteien anhören und ein Sachverständigengutachten einholen müssen. Ferner sei die Indikation für die durchgeführte Injektion nicht geklärt worden. Für die Behandlung einer Sehnenentzündung habe es schonendere Behandlungsmöglichkeiten gegeben. Zur Beurteilung hätte der Sachverständige die vom Beklagten angefertigten Röntgenbilder auswerten müssen. Schließlich trägt die Klägerin vor, sie sei nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Auf das Risiko einer Infektion hätte hingewiesen werden müssen. Wäre sie aufgeklärt worden, hätte sie nicht zugestimmt, sondern eine konservative Behandlung mit Einlagen gewünscht. Die starken Schmerzen bei der Injektion belegten, dass der Beklagte die Spritze zu tief gesetzt habe. Schließlich ist die Klägerin der Auffassung, dass die Ansicht des Landgerichts, der Kausalverlauf sei unterbrochen worden, nicht zutreffend sei.
10Die Klägerin beantragt abändernd,
111. den Beklagten zu verurteilen, an sie aufgrund der Ereignisse der Behandlung vom 18.6.2008 ein angemessenes Schmerzensgeld zuzüglich Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.5.2009 zu zahlen,
122. die Beklagten zu verurteilen, an sie 3.324,73 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.7.2010 zu zahlen,
133. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr allen weiteren materiellen und zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aufgrund der Ereignisse der Behandlung. 18.6.2008 entstanden ist oder entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist oder noch übergeht,
144. die Beklagten zu verurteilen, an sie außergerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 2.707,25 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.7.2010 zu zahlen.
15Hilfsweise beantragt die Klägerin,
16das am 5.5.2011 verkündete Urteil des Landgerichts Detmold – 9 O 159/10 – aufzuheben und die Sache einschließlich des ihm zu Grunde liegenden Verfahrens zurückzuverweisen.
17Der Beklagte beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Er verteidigt das landgerichtliche Urteil und trägt ergänzend vor, es sei grundsätzlich richtig, dass Spritzen aus einem Fläschchen, das mit einem sterilen Mini-Spike verschlossen werde, aufgezogen würden. Dies entspreche dem einzuhaltenden Hygienestandard. Die Behauptung der Klägerin, ein Zeuge sei von ihm falsch behandelt worden, sei eine ins Blaue hinein aufgestellte Vermutung. Die Injektion sei aufgrund der gestellten Diagnose indiziert gewesen. Die Klägerin habe den für eine Sehnenentzündung typischen Druckschmerz gezeigt. Einlagen habe sie bereits verschrieben erhalten und auch benutzt. Alternative Behandlungsmöglichkeiten hätten nicht zu der von der Klägerin gewünschten kurzfristigen Schmerzlinderung geführt. Dies sei auch so in der Krankenakte dokumentiert. Der Beklagte habe der Klägerin erklärt, dass sie sich unbedingt in anderweitige ärztliche Behandlung begeben müsse, wenn der Schmerz nicht abklinge.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat die Parteien gemäß § 141 ZPO angehört sowie Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 26.10.2012 durch Einholung eines ergänzenden schriftlichen Sachverständigengutachtens zu den verbliebenen Folgen der Injektion bzw. der unterlassenen Kontrolle durch den Beklagten. Der Sachverständige hat sein Gutachten und das Ergänzungsgutachten vom 21.3.2013 mündlich erläutert. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 11.09.2012 und 12.11.2013 nebst Berichterstattervermerken verwiesen.
21II.
22Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet und führt zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wie aus dem Tenor ersichtlich.
23I. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld und materiellen Schadensersatz gem. §§ 611, 280, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB.
241. Die Klägerin kann Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.05.2009 verlangen.
25a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte die Klägerin fehlerhaft behandelt hat.
26aa) Allerdings liegt ein Behandlungsfehler noch nicht in der von dem Beklagten vorgenommenen Injektion. Weder hat der Beklagte gegen hygienische Standards verstoßen noch hat er die Injektion fehlerhaft zu tief gesetzt. Der Sachverständige Dr. C2 hat im Senatstermin vom 11.09.2012 erklärt, dass die vom Beklagten verwendete Methode den Hygieneregeln entspreche und die von der Klägerin geschilderten Schmerzen im Fuß für einen Behandlungsfehler nichts besagten.
27Ungeachtet dessen, dass der Beklagte die Klägerin vor Durchführung der Infiltration nicht hinreichend über die damit verbundenen Risiken einer Infektion aufgeklärt hat, liegt ein Behandlungsfehler des Beklagten aber darin, dass er die aufgetretene Infektion nicht hinreichend kontrolliert hat.
28Der Sachverständige hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass die vom Beklagten nach dem Auftreten von Entzündungsanzeichen vorgenommene konservative Antibiotikatherapie zur Beherrschung der Infektion zwar zulässig gewesen sei. Es sei aber notwendig gewesen, ab dem 25.06.2008 tägliche Kontrollen bei der Klägerin durchzuführen. Dies hat der Beklagte fehlerhaft unterlassen. Der Sachverständige hat dazu erklärt, dass bei Auftreten einer Infektion wegen der dadurch möglichen verheerenden Folgen für den Patienten eine tägliche Kontrolle erforderlich sei. Man müsse – so der Sachverständige – dem Patienten die Wichtigkeit dieser Kontrolle deutlich machen und Nachfolgeuntersuchungen auf jeden Fall sicherstellen. Soweit der Beklagte vorgetragen hat, die Klägerin sei zur Kontrolle nicht erschienen, obwohl er sie zu täglichen Untersuchungen aufgefordert habe, entlastet ihn das nicht. Der Senat folgt insoweit den nachvollziehbaren Erläuterungen des Sachverständigen, der eindeutig darauf hingewiesen hat, dass die Patientin in dieser Situation „hätte geführt
29werden müssen“. Demnach hätte der Beklagte die Klägerin auf die Wichtigkeit der Untersuchung hinweisen und sie täglich in seine Praxis einbestellen müssen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen hätte der Beklagte jedenfalls nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Klägerin selbstständig zu ihm kommt. Darüber hinaus hatte der Beklagte eine tägliche Kontrolle der Klägerin auch deshalb nicht sichergestellt, weil seine Praxis am Freitag, den 27.6.2008 unstreitig urlaubsbedingt geschlossen war, ohne dass er die Klägerin darauf hingewiesen hatte.
30Der Beklagte hat durch sein Unterlassen einer hinreichenden Kontrolle nicht nur gegen ärztliche Standards verstoßen. Ihm ist sogar ein grober Behandlungsfehler vorzuwerfen. Ein solcher grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Der Senat folgt auch in dieser Einschätzung dem Sachverständigen Dr. C2, der eine Wiedervorstellung der Klägerin erst für Montag, den 30.06.2008 ohne weitere Absprachen für inakzeptabel und grob fehlerhaft gehalten hat. Davon, dass der Beklagte die Klägerin tatsächlich nach der Kontrolle am Mittwoch, den 25.6.2008 erst wieder für Montag, den 30.6.2008 in seine Praxis bestellt hat, ist der Senat aufgrund der Vernehmung des Zeugen C überzeugt. Der Zeuge hatte bereits vor dem Landgericht ausgesagt, dass seiner Frau in der Praxis des Beklagten erst ein Termin für den folgenden Montag gegeben worden sei und dass von der urlaubsbedingten Abwesenheit des Beklagten keine Rede gewesen sei. Diese Aussage hat der Zeuge bei seiner Vernehmung durch den Senat im Termin vom 12.11.2013 bestätigt. Er hat glaubhaft bekundet, dass seiner Frau und ihm bei dem letzten Arztbesuch am Mittwoch, den 25.6.2008 gesagt worden sei, dass seine Frau erst am Montag, den 30.6.2008 wiederkommen solle. Der Zeuge konnte sich an die zeitlichen Abläufe während der Behandlung seiner Ehefrau noch konkret erinnern, so dass Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit seiner Aussage wecken, nicht bestehen. Der Zeuge hat glaubhaft geschildert, dass seine Frau am Donnerstag und Freitag nicht in der Praxis des Beklagten gewesen sei. Am Freitag hätten sie, die Klägerin und er, in der Praxis des Beklagten angerufen, weil keine Besserung eingetreten gewesen sei. Es habe aber niemand abgenommen. Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen bestehen nicht. Allein der Umstand, dass es sich um
31den Ehemann der Klägerin handelt, begründet derartige Zweifel jedenfalls nicht. Seiner Aussage stehen die Bekundungen der vom Landgericht bereits vernommenen Zeuginnen E und O nicht entgegen. Sie konnten zu der Frage, ob der Beklagte eine tägliche Kontrolle der Infektion angeordnet hatte, keine Angaben machen. Aus der Dokumentation des Beklagten ergibt sich dies ebenfalls nicht. Dort ist nicht vermerkt, dass der Beklagte eine tägliche Vorstellung der Klägerin in seiner Praxis angeordnet hatte.
32Nach den Ausführungen des Sachverständigen, die dieser bereits in seinem schriftlichen Gutachten gemacht hatte, folgt aus dem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen der Injektion und der Infektion, dass diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die Infiltration vom 18.06. 2008 zurückzuführen ist. Der vom Beklagten in dem Schriftsatz vom 8.5.2013 aufgegriffene Ansatz des Landgerichts, nach dem der Kausalzusammenhang dadurch unterbrochen worden sei, dass die Klägerin sich aus Unzufriedenheit mit der Behandlung durch den Beklagten an ihren Hausarzt gewandt habe und von diesem in das Krankenhaus überwiesen worden sei, ist demgegenüber unerheblich. Grundsätzlich wird durch den Wechsel des behandelnden Arztes der Zurechnungszusammenhang nicht unterbrochen, es sei denn diesen träfe ein ungewöhnlich großes Fehlverhalten, wofür hier jedoch keine Anhaltspunkte ersichtlich und vom Beklagten auch nicht vorgetragen worden sind.
33Der Behandlungsfehler des Beklagten hat sich auch auf den Verlauf der Infektion negativ ausgewirkt. Der Beklagte kann demgegenüber nicht einwenden, die Infektion wäre auch bei rechtzeitiger, lückenloser Kontrolle in gleicher Weise wie stattgefunden verlaufen. Der Sachverständige hat zwar dazu ausgeführt, dass mit großer Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass auch bei regelrechter Behandlung eine operative Entlastung des infizierten Fußes erforderlich geworden wäre. Da diese Maßnahme nicht sofort nach Einweisung der Klägerin in das Krankenhaus ergriffen
34worden sei, könne, so der Sachverständige, geschlossen werden, dass das Unterlassen des Beklagten nicht zu einer akuten Situation geführt habe. Indessen ist zu berücksichtigen, dass der festgestellte grobe Behandlungsfehler dazu führt, dass nicht die Klägerin die Ursächlichkeit der fehlerhaften Behandlung für den eingetretenen Schaden zu beweisen hat, sondern umgekehrt, der Beklagte beweisen muss, dass bei fachgerechter Behandlung ein weniger schwerer Verlauf der Erkrankung ausgeschlossen gewesen wäre. Ein grober Behandlungsfehler führt nämlich nicht bloß zu abgestuften Beweiserleichterungen im Einzelfall, sondern grundsätzlich zu einer echten Beweislastumkehr. Diese Beweislastumkehr wirkt sich im vorliegenden Fall zum Nachteil des Beklagten aus, denn der Senat konnte nicht sicher feststellen, dass bei richtiger Reaktion des Beklagten die Folgen für die Klägerin geringer ausgefallen wären. Der Sachverständige konnte die Frage, ob die unterlassenen Kontrollen zu einer Befundverschlechterung und einem nachhaltig schlechteren Behandlungsergebnis geführt haben, nicht eindeutig beantworten. Er hat es für möglich gehalten, dass der Schaden etwas verringert worden wäre, wenn eine tägliche Kontrolle erfolgt wäre. Diese Einschätzung des Sachverständigen, nach der tendenziell die Heilungschancen vielleicht etwas besser gewesen wären, wenn der Beklagte die erforderlichen Kontrollen durchgeführt hätte, führt hier jedenfalls im Ergebnis dazu, dass die Bedenken gegen die Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden vom Beklagten nicht ausgeräumt werden konnten.
35Nach den Feststellungen des Sachverständigen in seinem Ergänzungsgutachten und den mündlichen Erläuterung im Senatstermin ist hinsichtlich der Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers zwischen den Beschwerden, die auf die schicksalhafte Knicksenkspreizfußbildung der Klägerin und ihre Hallux-valgus-Stellung zurückzuführen sind und den Befunden, die als Folge der bakteriellen Infektion anzusehen sind, zu differenzieren. Auf den Behandlungsfehler des Beklagten sind zurückzuführen die reizlose, druckempfindliche Narbe, die Hyposensibilität der Narbe im medialen rechtsseitigen Fußrandbereich bis in die Großzehe, die endgradig eingeschränkte Pro-und Supination des rechten Fußes, die eingeschränkte Dorsal- und Plantarflexion der rechten Großzehe, die deutliche Großzehenheberschwäche
36rechts und eine geringfügige Ober- und Unterschenkelmuskelminderung. Der Behandlungsfehler ist ebenfalls kausal für die von der Klägerin geklagten Beschwerden im Bereich des rechten Vorfußes, den eingeschränkten Abrollvorgang und die Schwellungsneigung. Die gegen diese Feststellungen des Sachverständigen seitens des Beklagten vorgebrachten Einwendungen greifen nicht durch, zumal der Klägerin die Beweiserleichterung gemäß § 287 ZPO zugutekommt. Der Sachverständige hat insbesondere darauf hingewiesen, dass auch das untere Sprunggelenk betroffen sei, da es infolge der Eingriffe zu Verkürzungen und Verklebungen in diesem Bereich gekommen sei. Diese Auswirkungen hätten auch zu der Großzehenheberschwäche geführt. Soweit der Sachverständige nicht eindeutig erklären konnte, ob die Beschwerden im Vorfuß durch die Infektion bedingt oder auf der Grunderkrankung der Klägerin zurückzuführen sind, geht dies, wie dargelegt, zulasten des Beklagten.
37bb) Der Senat hält angesichts der von der Klägerin erlittenen Beeinträchtigungen ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 EUR für angemessen. Dabei hat der Senat insbesondere berücksichtigt, dass sich die Klägerin aufgrund des groben Behandlungsfehlers mehreren Krankenhausbehandlungen unterziehen musste. Sie befand sich in der Zeit vom 30.6.2008 bis zum 29.7.2008 zur akuten Entlastung der Entzündung in stationärer Behandlung. Vom 27.8.2008 bis 20.9.2008 musste sich die Klägerin abermals stationär behandeln lassen. Dabei erfolgten Wundrevisionen am 1.9.2008 und am 5.9.2008. Daran schlossen sich etliche ambulante Behandlungen an. Es bestand die Gefahr, dass die Infektion einen so gravierenden Verlauf nehmen würde, dass der Fuß hätte amputiert werden müssen. Die Klägerin hat auch nach wie vor erhebliche Beschwerden. Nach ihren glaubhaften Schilderungen hat sie Probleme beim gehen und beim besteigen von Leitern. Sie kann auch keine längeren Strecken mit dem Auto fahren. Zudem besteht die Gefahr, dass sich die Klägerin weiteren Folgeoperationen unterziehen muss. Angesichts der eingetretenen Komplikationen, des langwierigen Verlaufs mit mehrfachen Revisionsoperationen und der verbliebenen Dauerfolgen erscheint ein Schmerzensgeld i.H.v. 30.000 EUR angemessen. Dieser Betrag liegt damit in einem
38Bereich, in dem von der Rechtsprechung, soweit ersichtlich, in vergleichbaren Fällen Schmerzensgelder ausgeurteilt werden (vergl. OLG Oldenburg, Urteil vom 15.11.2006 – 5 U 68/05 – ).
39b) Der Zinsanspruch ist aus Verzug gem. §§ 286, 288 BGB begründet. Mit Schreiben vom 24.04.2009 hatte die Klägerin den Beklagten vergeblich unter Fristsetzung zum 07.05.2009 zur Anerkennung der Haftung aufgefordert.
402. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Ersatz ihrer materiellen Schäden in Höhe von 3.274,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.07.2010.
41a) Die Klägerin hat ihren materiellen Schaden in der Klageschrift detailliert dargelegt, ohne dass der Beklagte dem substantiiert entgegengetreten wäre. Anhand ihres Vorbringens, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, schätzt der Senat die Fahrtkosten der Klägerin einschließlich der Fahrten von Familienangehörigen für Fahrten zu den ärztlichen Behandlungen und zur Krankengymnastik auf insgesamt 1.277,60 EUR. Darüber hinaus hat die Klägerin anhand von Rechnungen nachgewiesen, dass sie Zuzahlungen für ärztliche Verordnungen sowie Parkkosten in Höhe von insgesamt 887,06 EUR leisten musste. Der Senat schätzt ebenfalls gemäß § 287 ZPO die Höhe der von der Klägerin verauslagten Telefonkosten auf 20 EUR, denn es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Klägerin zur Vereinbarung von Arztterminen etc. Kosten in dieser Höhe hatte. Schließlich schätzt der Senat den geltend gemachten Haushaltsführungsschaden auf 1.140 EUR. Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass die Klägerin während der Dauer der stationären Krankenhausaufenthalte verhindert war, ihren Haushalt zu führen. Der von ihr in Ansatz gebrachte Aufwand von 2 Stunden täglich erscheint bei einem Haushalt, der aus zwei Personen besteht, angemessen. Gegen den Stundensatz i.H.v. 10,00 EUR bestehen ebenfalls keine Bedenken.
42b) Der Zinsanspruch ist aufgrund der am 12.07.2010 eingetretenen Rechtshängigkeit gem. §§ 291, 288 BGB begründet.
43II. Die Klägerin kann von dem Beklagten gem. §§ 611, 280, 823, 249, 291, 288 BGB Ersatz von außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 2.707,25 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.07.2010 zu zahlen. Ausgehend von dem zutreffend ermittelten Streitwert i.H.v. 40.000 EUR hat die Klägerin die nicht anrechenbare Geschäftsgebühr gemäß Ziff. 2400 VV RVG einschließlich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer mit 2.707,25 EUR errechnet. Der Senat billigt in diesem Fall, dass die Klägerin eine 2,5-fache Gebühr in Ansatz gebracht hat. Diese Gebühr ist gerechtfertigt, weil es sich vorliegend um einen überdurchschnittlich schwierigen Fall mit einer erheblichen Bedeutung für die Klägerin handelt.
44III. Die Klägerin kann die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten für allen weiteren materiellen und den zukünftigen, derzeit nicht vorhersehbaren, immateriellen Schaden verlangen. Ein Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 ZPO besteht. Das Feststellungsinteresse ist bei einer Verletzung des Körpers schon dann anzunehmen, wenn künftige Schadensfolgen, die auch nur entfernt möglich sind, in Art und Umfang, sogar im Eintritt noch ungewiss sind. Auf die Wahrscheinlichkeit weiterer Schäden kommt es hingegen nicht an (vgl. nur Zöller, Greger, ZPO, 29. Aufl., § 256 Rn. 9). Bei einer Fußverletzung unter Gelenkbeteiligung sind künftige Schadensfolgen nicht auszuschließen.
45Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf 708 Nr. 10, 711 ZPO.
46Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen sind solche des Einzelfalls.