Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Ist in einem Rechtsstreit zwischen dem Kunden, der Rückzahlungsansprüche geltend macht, und dem Gasversorger im Streit, ob die vom Versorger erklärte Preiserhöhung der Billigkeit entspricht, greift die Zuständigkeitsregel des § 102 EnWG nicht ein.
Als zuständiges Gericht wird das Landgericht E2 – Kammer für Handelssachen – bestimmt.
Gründe:
2A.
3Zwischen den Parteien besteht ein Vertrag über die Lieferung von Gas. Mit der beim Landgericht F rechtshängig gewordenen Klage macht die Klägerin gegenüber der Beklagten Rückzahlungsansprüche in Höhe von 8.329,70 € nebst Zinsen wegen angeblich unwirksamer Preiserhöhungen sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten geltend.
4Mit Verfügung vom 2. März 2011 hat das Landgericht F die Klägerin darauf hingewiesen, dass seine Zuständigkeit nicht gegeben sei, da die Regelung der ausschließlichen sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts E2 gemäß §§ 102, 103 EnWG in Verbindung mit § 1 Nr. 2 Konzentrationsverordnung-§ 103 EnWG greife. Dem ist die Klägerin mit Schriftsatz vom 31. März 2011 unter näherer Darlegung entgegengetreten. Hilfsweise hat sie beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht E2 zu verweisen.
5Daraufhin hat sich das Landgericht F mit Beschluss vom 4. April 2011 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht E2 verwiesen. Zur Begründung wird (erneut) Bezug genommen auf die Regelung der ausschließlichen sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts E2 gemäß §§ 102, 103 EnWG in Verbindung mit § 1 Nr. 2 Konzentrationsverordnung-§ 103 EnWG. Nach dem Wortlaut des § 102 EnWG könne eine Zuständigkeit für den vorliegenden Fall angenommen werden. Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Vertrag bestimme sich nach den Vorgaben des EnWG. Bei der Auslegung der im Streit stehenden Preisanpassungsklausel müsse auch auf 315 BGB zurückgegriffen werden. Allerdings könne die Auslegung nicht losgelöst von den Bestimmungen des EnWG erfolgen. Zudem erscheine es angebracht, die Regelung des § 102 EnWG weit aufzufassen, sodass sowohl die Streitigkeiten aus den Grundversorgungsverträgen als auch den Sonderkundenverträgen vor den nach § 102 EnWG zuständigen Landgerichten zu verhandeln seien.
6Auf Antrag der Beklagten hat sich sodann die 8. Zivilkammer des Landgerichts E2 für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht E2 – Kammer für Handelssachen – verwiesen. Die 16. Zivilkammer - III. Kammer für Handelssachen – des Landgerichts E2 hat die Parteien mit Verfügung vom 11. August 2011 darauf hingewiesen, dass eine Zurückverweisung an das Landgericht F beabsichtigt sei.
7Mit Beschluss vom 6. September 2011 hat die 16. Zivilkammer - III. Kammer für Handelssachen – des Landgerichts E2 sich für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit zurück an das Landgericht F verwiesen. Die Zuständigkeit des Landgerichts E2 ergebe sich nicht aus § 102 EnWG. Die Frage, ob die Beklagte berechtigt gewesen sei, einseitig Preiserhöhungen durchzusetzen und ob diese der Billigkeit entsprechen, sei nach den allgemeinen Vertragsnormen des BGB zu entscheiden. Eine sich aus dem EnWG ergebende Rechtsbeziehung sei zwischen den Parteien nicht streitig und die Entscheidung hänge auch nicht von einer Vorfrage ab, die nach dem EnWG zu entscheiden sei. Eine Zuständigkeit des Landgerichts E2 folge auch nicht aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses. Dieser entbehre jeglicher Rechtsgrundlage. Der Beschluss setze sich weder mit den fundierten Argumenten des Klägervertreters auseinander noch beachte er die maßgebliche einschlägige Entscheidung des zuständigen Kartellsenats des Oberlandesgerichts E vom 13. Dezember 2010. Die allgemeinen rechtspolitischen Praktikabilitätsbetrachtungen würden eine Zuständigkeit des Landgerichts E2 nicht begründen, zumal das Landgericht F selbst erkannt habe, dass der vorliegende Rechtsstreit nach den Regelungen des Vertrages und des BGB zu entscheiden sei.
8Mit Beschluss vom 27. Oktober 2011 hat das Landgericht F den Rechtsstreit dem Oberlandesgericht in Hamm zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.
9B.
10I.
11Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Verschiedene ordentliche Gerichte, die Landgerichte in F und E2, haben sich jeweils durch unanfechtbare Beschlüsse (§ 281 Abs. 2 Satz 1 ZPO) rechtskräftig für unzuständig erklärt. Das Oberlandesgericht Hamm ist als das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht gemäß § 36 Abs. 1 ZPO zu der Zuständigkeitsbestimmung berufen.
12II.
13Als zuständiges Gericht ist das Landgericht E2 – Kammer für Handelssachen – zu bestimmen, dessen Zuständigkeit gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts F vom 4. April 2011 folgt.
14Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bewirkt ein Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Diese Bindungswirkung wird nicht schon durch die bloße etwaige Unrichtigkeit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage infolge eines einfachen Rechtsirrtums des verweisenden Gerichts in Frage gestellt. Unbeachtlich ist ein solcher Beschluss vielmehr regelmäßig nur dann, wenn er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder wenn er schwere offensichtliche Rechtsmängel aufweist oder gar jeder Rechtsgrundlage entbehrt und aus diesen Gründen objektiv willkürlich ist (BGH, NJW 2002, S. 3634 ff.; NJW 1993, S. 1273; Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 28. Auflage, § 281 Rn. 17; Fischer, MDR 2005, S. 1091 ff.; Endell, DRiZ 2003, S. 133 ff.; Tombrink, NJW 2003, S. 2364 ff. – jeweils m. w. N.). Diese Voraussetzungen einer Willkür sind vorliegend nicht erfüllt.
151.
16Zwar teilt der Senat die vom Landgericht F vertretene Rechtsauffassung, wonach sich für das streitgegenständliche Verfahren aus § 102 EnWG eine ausschließliche Zuständigkeit der Landgerichte ergibt, nicht. Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus diesem Gesetz ergeben, ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes die Landgerichte ausschließlich zuständig. Dies gilt gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG auch dann, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist.
17Mit der Klage macht die Klägerin Rückzahlungsansprüche hinsichtlich gezahlter Versorgungsentgelte geltend, da sie die zu Grunde liegenden Preiserhöhungen für unwirksam hält; zwischen den Parteien ist streitig, ob die Beklagte auf der Grundlage des zwischen ihnen bestehenden Gaslieferungsvertrages einseitig Preiserhöhungen durchsetzen kann bzw. ob einseitig erklärte Preiserhöhungen der Billigkeit entsprechen. Derartige Rückzahlungsansprüche werden von der Zuständigkeitsregelung des § 102 EnWG jedoch nicht erfasst, da hier nicht der Anspruch auf Grundversorgung oder eine sich aus dem EnWG ergebende Rechtsbeziehung Streitgegenstand ist (bisher wohl einhellige Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte: Senat, Beschluss vom 29. Juli 2011, Az: 32 SA 57/11; OLG Brandenburg, zuletzt Beschluss vom 21. September 2011, Az: 1 AR 47/11, zitiert nach juris.de; OLG Celle, Beschluss vom 23. Dezember 2010, Az: 13 AR 9/10, zitiert nach juris.de; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Dezember 2010, Az: VI-W (Kart) 8/10, zitiert nach juris.de; OLG Frankfurt (Main), Beschluss vom 16. Dezember 2010, Az: 11 AR 3/10, zitiert nach juris.de; OLG München, Beschluss vom 15.05.2009, Az: AR (K) 7/09, zitiert nach juris.de; OLG Oldenburg, Beschluss vom 3. Januar 2011, Az: 5 AR 35/10, zitiert nach juris.de; wohl auch: KG Berlin, Beschluss vom 9. Oktober 2009, Az: 2 AR 48/09, zitiert nach juris.de; OLG Köln, Beschluss vom 03.04.2008, Az: 8 W 19/08, zitiert nach juris.de).
18Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt auch nicht ganz oder teilweise von einer energiewirtschaftsrechtlichen Vorfrage ab (§ 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG). Die Rechtsfrage, ob die Preiserhöhungen der Beklagten der Billigkeit gemäß § 315 BGB entsprechen, ist nicht mit den Regelungen des EnWG zu beantworten. Das EnWG gibt dem Haushaltskunden lediglich einen Anspruch auf Grundversorgung (§ 36 Abs.1 EnWG) und regelt damit nur das "Ob" der Versorgung, nicht dagegen die Einzelheiten der Ausgestaltung des Individualvertrages über die Energielieferungen und die Höhe der Bezugspreise. Daher hängt die Entscheidung über die Billigkeit einer Preiserhöhung auch von keiner nach diesem Gesetz zu treffenden Entscheidung im Sinne des § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG ab.
19Eine weite Auslegung des § 102 EnWG – nach Auffassung des Senats über den Wortlaut hinaus –, wie sie das Landgericht F in seinem Beschluss vom 4. April 2011 vertritt, ist nicht geboten. Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass durch § 102 EnWG jegliche Verfahren, an denen Energieversorger beteiligt sind, bei den Landgerichten konzentriert sein sollen. Einer derartigen Konzentration bedarf es für individuelle Streitigkeiten über einzelvertragliche Ansprüche nicht.
202.
21Dennoch erscheint die Verweisung durch das Landgericht F hier weder offenbar gesetzwidrig noch grob rechtsfehlerhaft.
22Das Landgericht F hat in seinem Verweisungsbeschluss vom 4. April 2011 – anders als das verweisende Gericht in dem vom Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedenen Fall (Beschluss vom 13. Dezember 2010, Az: VI-W (Kart) 8/10, zitiert nach juris.de) – sich nicht allein auf den zuvor erteilten Hinweis bezogen, sondern hat in diesem Beschluss zu der vorliegenden Problematik ergangene Rechtsprechung dargestellt und hiervon ausgehend dargelegt, warum es eine weite Auslegung des § 102 EnWG für geboten erachtet, die auf der Grundlage des Gesetzeswortlautes jedenfalls nicht als schlechthin unvertretbar und willkürlich angesehen werden kann. Damit hat sich das Landgericht F auch indirekt mit den Einwendungen der Kläger im Schriftsatz vom 31. März 2011 auseinandergesetzt.
23Dass sich das Landgericht F in seinen Beschlussgründen mit der entgegenstehenden obergerichtlichen Rechtsprechung inhaltlich nicht auseinandergesetzt hat, genügt derzeit noch nicht, um bereits eine grobe Gesetzeswidrigkeit oder ein willkürliches Verhalten annehmen zu können. Da im Zeitpunkt der Beschlussfassung eine diesbezügliche Entscheidung des hiesigen Oberlandesgerichts zu dieser Streitfrage – soweit ersichtlich – noch nicht vorlag, kann dem Landgericht F nicht vorgehalten werden, eine etwa entgegenstehende Rechtsprechung des örtlich zuständigen Obergerichts ignoriert zu haben, mit der möglichen Folge des Wegfalls der Bindungswirkung (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2011, Az: 1 AR 47/11, zitiert nach juris.de).