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Der Anwalt ist, soweit der Auftraggeber einen ordnungsgemäß angeforderten Vorschuss (§ 9 RVG) nicht pünktlich und vollständig zahlt, berechtigt, weitere Tätigkeiten abzulehnen, bis der Vorschuss eingegangen ist. Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts ist jedoch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) begrenzt. Unter anderem muss der Anwalt dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens Rechnung tragen (Weiterführung von OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. November 1987 – 4 U 178/86, juris)
Die Berufung des Beklagten gegen das am 18. März 2010 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
2I.
3Von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
4II.
5Die Berufung des Beklagten ist unbegründet.
61. Dem Kläger steht der ihm vom Landgericht zuerkannte Schadenersatzanspruch wegen anwaltlicher Pflichtverletzung zu (§ 280 Abs. 1, § 675 Abs. 1, § 611 BGB).
7a) Der Kläger war in der Vergangenheit aufgrund einer Generalvollmacht für ein Unternehmen namens U GmbH (nachfolgend: Arbeitgeberin) tätig. Ein vom Kläger eingestellter Arbeitnehmer nahm die Arbeitgeberin nach Beendigung des kurzen Arbeitsverhältnisses wegen nicht gezahlten Lohns in zwei arbeitsgerichtlichen Instanzen in Anspruch. Trotz eines Prozessvergleichs mit der Arbeitgeberin wurde der Lohnanspruch nicht vollständig erfüllt. Der Arbeitnehmer nahm nunmehr den Regresskläger auf deliktischer Grundlage auf Schadensersatz in Anspruch. Der Arbeitnehmer erwirkte einen Vollstreckungsbescheid des Arbeitsgerichts G, gegen den der Regresskläger Einspruch einlegte. Nach Verweisung an die Zivilgerichte war der Rechtsstreit bei dem Amtsgericht L anhängig. Der Regresskläger hatte den Beklagten, der damals als Rechtsanwalt zugelassen war, mandatiert, um den Schadenersatzanspruch abzuwehren.
8b) Hierbei verletzte der Beklagte seine anwaltlichen Pflichten, indem er den vom Amtsgericht L für den 1. April 2008 anberaumten Verhandlungstermin nicht wahrnahm. Aufgrund der Säumnis erging ein Zweites Versäumnisurteil gegen den Regresskläger, mit dem sein Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid verworfen wurde.
9c) Dem Beklagten stand unter den hier gegebenen Umständen kein Zurückbehaltungsrecht zu, mit dem er die Säumnis im Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht L rechtfertigen könnte.
10Macht der Rechtsanwalt weitere Tätigkeiten von einer Vorschusszahlung nach § 9 RVG abhängig, so macht er zwar ein Zurückbehaltungsrecht nach § 320 BGB geltend. Danach ist der Anwalt, soweit der Auftraggeber einen ordnungsgemäß angeforderten Vorschuss gemäß § 9 RVG nicht pünktlich und vollständig zahlt, berechtigt, weitere Tätigkeiten abzulehnen, bis der Vorschuss eingegangen ist. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts ist jedoch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) begrenzt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 19. November 1987 – 4 U 178/86, juris; siehe auch N. Schneider in: AnwKomm/RVG, 5. Aufl., § 9 Rn. 78; Klees in: Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 4. Aufl., § 9 Rn. 38). Unter anderem muss der Anwalt das Verbot widersprüchlichen Verhaltens beachten. Dem hat der Beklagte nicht Rechnung getragen.
11aa) Der Beklagte machte zwar zunächst in zulässiger Weise von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch. Das ergibt sich aus der vom Beklagten in zweiter Instanz nach Rückerlangung seiner Handakten vorgelegten Korrespondenz mit dem Regresskläger, deren Inhalt unstreitig ist. Danach übersandte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 26. September 2007 eine Vorschussrechnung über 835,98 €. Spätestens mit der E-Mail vom 8. Januar 2008 stellte der Beklagte gegenüber dem Kläger klar, dass er das Mandat nur nach Ausgleich der Vorschussrechnung weiterbearbeiten werde.
12bb) Der Kläger konnte aber aufgrund der im Senatstermin zu den Akten gereichten E-Mail des Beklagten vom 25. März 2008 davon ausgehen, dass dieser das Zurückbehaltungsrecht nicht mehr ausübt. Mit der vorgenannten E-Mail hat der Beklagte den Kläger zu einem Zeitpunkt, als der Termin vor dem Amtsgericht L unmittelbar bevorstand, um weitere Informationen, insbesondere zum Ausgang eines etwaigen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens, gebeten. Zur Erläuterung für den Kläger führte der Beklagte aus, es sei nicht einfach zu entscheiden, ob der Vortrag der Gegenseite zur Begründung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs ausreiche. Der Kläger teilte dem Beklagten in Beantwortung der vorgenannten E-Mail noch am 25. März 2008 mit, dass die Staatsanwaltschaft das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt habe. Hiervon setzte der Beklagte das Amtsgericht L mit Schriftsatz vom 31. März 2008 in Kenntnis.
13Die Anforderung und Entgegennahme von Informationen zur Bekämpfung des von der Gegenseite geltend gemachten Schadenersatzanspruchs durfte der Regresskläger so verstehen, dass der Beklagte an der Ausübung des Zurückbehaltungsrechtes nicht mehr festhält und die sich aus dem übernommenen Mandat ergebenden Pflichten, zu denen auch die Wahrnehmung des unmittelbar bevorstehenden Termins am 1. April 2008 vor dem Amtsgericht L zählte, trotz fehlenden Vorschusses wahrnehmen wird. In Anbetracht dieser Umstände kann sich der Beklagte nicht mehr auf den nicht gezahlten Vorschuss berufen.
14cc) Der Beklagte durfte auch nicht darauf vertrauen, dass das Amtsgericht L die Klage wegen Unschlüssigkeit durch ein sog. unechtes Versäumnisurteil (§ 331 Abs. 2 Halbsatz 2 ZPO) abweisen werde.
15(1) Zum einen hätte der Beklagte unter Beachtung des Gebotes des sichersten Weges auch bei einer von ihm als unschlüssig angesehenen Klage der Möglichkeit Rechnung tragen müssen, dass das Gericht annimmt, dass die Klage schlüssig ist.
16(2) Zum anderen war die gegen den Mandanten gerichtete, auf § 823 Abs. 2, § 263 StGB gestützte Klage schlüssig. Der Regresskläger war derjenige, der den Arbeitnehmer eingestellt hatte. Die Voraussetzungen eines Eingehungsbetruges und der sich daraus ergebenden persönlichen Schadenersatzpflicht des Regressklägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB waren schlüssig vorgetragen. Hierzu genügte die Behauptung, er habe als der "tatsächliche Geschäftsführer" des Unternehmens bei Abschluss des Arbeitsvertrags mit dem Arbeitnehmer gewusst oder jedenfalls damit gerechnet, dass dessen Arbeitsleistung nicht vergütet werde. Subjektiv genügt im Rahmen des Betrugstatbestands auch eine Drittbereicherungsabsicht. Unerheblich ist, dass der Schaden, der dem Arbeitnehmer durch unbezahlte Arbeit entsteht, nicht beim Regresskläger, sondern bei der Arbeitgeberin zu einer stoffgleichen Bereicherung führt. Eine Haftung des Beklagten wegen Eingehungsbetrugs entfiel auch nicht deshalb, weil der Arbeitnehmer einen Vergütungsanspruch gegen die Arbeitgeberin erworben hat, denn dieser war trotz des Prozessvergleichs nicht erfüllt worden.
17d) Die Pflichtverletzung des Beklagten, den Gerichtstermin am 1. April 2008 vor dem Amtsgericht L nicht wahrgenommen zu haben, hat den geltend gemachten Schaden verursacht. Im vorliegenden Fall hätte, wenn der Beklagte den Gerichtstermin am 1. April 2008 wahrgenommen hätte, kein Zweites Versäumnisurteil erlassen werden können. Die Geständnisfiktion des § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO wäre nicht zum Tragen gekommen.
18Hätte der Beklagte den Verhandlungstermin am 1. April 2008 in dem Vorprozess vor dem Amtsgericht L wahrgenommen, wäre die Klage unter Aufhebung des Vollstreckungsbescheids des Arbeitsgerichts G abgewiesen worden. Der Kläger des Vorprozesses hätte die subjektiven Voraussetzungen des gegen den Regresskläger erhobenen Schadenersatzanspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB, § 263 Abs. 1 StGB nicht nachweisen können. Im Rahmen des Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB ist der subjektive Tatbestand des Schutzgesetzes maßgeblich (Palandt/Sprau, BGB, 70. Aufl., § 823 Rn. 60, m.w.N.). Zum Nachweis der Betrugsabsicht hatte sich der Arbeitnehmer lediglich auf unzureichende Indizien bezogen, nämlich auf die Akten des Arbeitsgerichtsprozesses erster und zweiter Instanz gegen die Arbeitgeberin (1 Ca 103/06 - Arbeitsgerichts Freiburg; 9 Sa 97/06 - Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg). Hieraus ergaben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Regresskläger von Anfang an billigend in Kauf nahm, dass die Arbeitgeberin den Lohnanspruch des Arbeitgebers nicht erfüllen könne. Dort wird zwar vorgetragen, die Arbeitgeberin habe während der Dauer ihrer Betriebstätigkeit vom 1. Februar bis zum 30. Juni 2006 für die angepachtete Betriebsstätte keine Pacht gezahlt, drei weitere Arbeitnehmer seien nicht entlohnt worden und für den betreffenden Arbeitnehmer seien keine Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt worden. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Regresskläger bei der Einstellung des Arbeitnehmers darauf vertraute, dass sich die wirtschaftliche Situation der Arbeitgeberin gerade durch die Anpachtung der Betriebsstätte und die Einstellung neuer Mitarbeiter verbessert und die Erfüllung laufender Verbindlichkeiten ermögliche. Daher wäre die Klage des Arbeitnehmers gegen den Regresskläger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit (§ 287 Abs. 1 ZPO) wegen des nicht erwiesenen subjektiven Betrugstatbestands abgewiesen worden.
19Ein anderes Ergebnis kann sich auch nicht aus der vom Beklagten im Regressprozess angebotenen Zeugenvernehmung des früheren Arbeitnehmers ergeben. Konkrete tatsächliche Umstände, die auf den subjektiven Tatbestand des Eingehungsbetrugs schließen lassen könnten, sind nicht in sein Wissen gestellt worden.
20e) Da der gegen den Regresskläger ergangene Vollstreckungsbescheid aufgehoben und die von Arbeitnehmer erhobene Klage abgewiesen worden wäre, stellt der im Vollstreckungsbescheid rechtskräftig titulierte Betrag von 4.023,79 € den ersatzfähigen Schaden dar. Soweit das Landgericht dem Kläger Zinsen aus 3.941,16 € seit dem 17. Juli 2007 zuerkannt hat, wirkt sich dies nicht zum Nachteil des Beklagten aus. Dieser Betrag steht dem Kläger als Bestandteil des Schadens zu (zu Zinsen als Schaden siehe Zöller/ Herget, ZPO, 28. Aufl., § 4 Rn. 8; Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 12. Aufl., Rn. 4061).
212. Die vom Beklagten in zweiter Instanz hilfsweise erklärte Aufrechnung mit offenen Honorarforderungen greift nicht durch.
22a) Die vom Beklagten zur Aufrechnung gestellte Rechnung vom 10. April 2008 über 892,26 € ist schon aus gebührenrechtlichen Gründen um die Hälfte zu kürzen. Sie bringt zwei Verfahrensgebühren in Ansatz, nämlich sowohl für das Verfahren vor dem Arbeitsgericht G als auch für das Verfahren vor dem Amtsgericht L. Bei der Verweisung oder Abgabe einer Sache an ein anderes Gericht auf derselben Ebene bildet das Verfahren vor und nach der Verweisung gemäß § 20 Satz 1 RVG jedoch eine gebührenrechtliche Angelegenheit. § 20 Satz 1 RVG ist auch anwendbar, soweit eine Verweisung in eine andere Gerichtsbarkeit erfolgt, sofern die Sache auf derselben Ebene bleibt (Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., § 20 Rn. 4; Enders in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 2011, § 20 Rn. 3). Bleibt der Anwalt vor und nach der Verweisung für seinen Mandanten tätig, erwachsen ihm im Hinblick auf die Einheit der Instanz die vor dem zunächst angegangenen Gericht entstandenen Gebühren nach der Verweisung in entsprechender Anwendung des § 15 Abs. 2 Satz 1 RVG nicht ein zweites Mal (Zöller/Greger, aaO, § 281 Rn. 22; Mayer in: Gerold/Schmidt, aaO, § 15 Rn. 22).
23b) An der Aufrechnung mit dem danach verbleibenden Honoraranspruch in Höhe einer Verfahrensgebühr ist der Beklagte gemäß § 242 BGB gehindert, weil die Verfahrensgebühr für den Regresskläger einen Schaden darstellt. Der Kläger kann verlangen, dass der Beklagte ihn hiervon freistellt (siehe BGH, Urteil vom 15. Juli 2010 – IX ZR 227/09, NJW 2011, 229, Rn. 7, 13). Denn ohne die Pflichtverletzung des Beklagten hätte das Amtsgericht L die Klage unter Aufhebung des Vollstreckungsbescheids abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger des Vorprozesses auferlegt.
24c) Soweit der Beklagte die Hilfsaufrechnung auf Honoraransprüche in Höhe von 6.571,05 € aus anderen Mandaten stützt, ergeben sich diese nicht in schlüssiger Weise aus seinem erstmals in zweiter Instanz gehaltenen Sachvortrag. Der Beklagte hat insoweit keine Vergütungsrechnungen zu den Akten gereicht. Er nimmt lediglich Bezug auf eine Mitteilung seines amtlich bestellten Kanzleiabwicklers. Diese lässt aber weder den Gegenstandswert noch die in Ansatz gebrachten Gebühren erkennen.
253. Die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Höhe von 285,24 €
26kann der Kläger vom Beklagten aus § 280 Abs. 1 BGB als Schaden ersetzt verlangen.
27III.
28Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 713 ZPO.
29Die Revision ist nicht zuzulassen (§ 543 ZPO). Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.